Abwertung für alle!

Das Thema der Gentrifikation (die Aufwertung von Stadtviertel und daraus folgende Verdrängung der Einwohner_innen) beschäftigt uns beim Feierabend! schon seit einiger Zeit. Dabei stießen wir auch auf Kritik: So wurde uns vorgeworfen, wir würden keine konkreten Handlungsmöglichkeiten anbieten (siehe FA! 35). Diesen nicht ganz unberechtigten Vorwurf wollen wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen. Zum Glück gibt es auch andere Menschen, die sich Gedanken zum Thema machen. Die Hamburger Kampagne Es regnet Kaviar zum Beispiel, die eine Reihe praktischer Tipps hat, wie man auf ganz legale Weise zur Abwertung des eigenen Viertels beitragen kann! Aber lest selbst…

 

Mit wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild Ihrer Wohnung nach außen verschlechtern. Schon bald setzt der Broken-Windows-Effekt (1) ein: Wohlhabende ziehen weg, Wohnungen sind nur noch schwer zu vermieten, die Preise purzeln in den Keller. Und so geht’s:

 

1. Das gewöhnliche Unterhemd – im englischen Sprachraum „wifebeater“ genannt – wirkt asozial, besonders wenn Sie es zum Trocknen vor’s Fenster hängen! Verstärken lässt sich der Effekt durch an Balkon oder Fenster montierte Wäscheständer. Da bekommt jeder Investor das Fürchten!

2. Sicher ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Gegenden mit niedrigen Mieten viele Satellitenantennen die Fassaden schmücken, während in wohlhabenden Vierteln derartiges nicht zu sehen ist. Machen Sie sich diesen Umstand selbst zunutze – montieren Sie eine Sat-Antenne an Ihre Fassade (oder drei oder vier). Faustregel: Je mehr Satellitenantennen, desto besser die Wirkung!

3. Was könnte besser den Broken-Windows-Effekt auslösen als ein zersplittertes Fenster? Nichts verbreitet eine so effektive Atmosphäre der Verwahrlosung und der Heruntergekommenheit. Gut für Sie – denn das hält Investoren fern!

4. „It looks ghetto-rigged“ sagt der Amerikaner, um nachlässig durchgeführte Montagen und Reparaturen zu beschreiben. Verbreiten auch Sie eine Atmosphäre der Unsicherheit durch wild zugetapte Fenster, Mauern, scheinreparierte Rohrleitungen etc. Aber aufgepasst: Nicht zu kreativ werden – denn wo Kreative arbeiten, steigen die Mieten!

5. Die SAGA (2) vermietet in St. Pauli fast nur noch an Menschen mit deutschem Nachnamen. Ausländer – ob mit oder ohne deutschen Pass – bekommen immer schwerer oder gar keine Wohnung mehr. Das lässt sich zwar nicht beweisen, findet aber statt, viele Familien sitzen in zu klein gewordenen Wohnungen fest, wenn sie nicht bereit sind, St. Pauli Richtung Stadtrand zu verlassen. Bei dieser Politik scheint die SAGA davon auszugehen, dass ausländische Namen am Klingelschild sich negativ auf den zu erzielenden Mietertrag auswirken. Machen Sie sich diesen Effekt zunutze – und fügen Sie ausländische Namen auf Ihrem Klingelschild hinzu (oder auf dem Ihrer Nachbarn).

6., 7. und 8. Besonders wenn Sie im Erdgeschoss wohnen: Lassen Sie Ihre Wohnung aussehen wie einen 55-Cent-Laden – oder noch besser: wie einen gescheiterten Discounter! Denn: Keine militante Demo ruiniert das Image einer Nachbarschaft so effektiv wie ein 55-Cent-Laden.

9. Nichts ist asozialer als eine Lidl-Tüte! Stellen Sie die auf den Balkon oder hängen Sie sie aus dem Fenster! Die Menschen werden denken, Sie hätten die Stromrechnung nicht bezahlt oder Sie könnten sich keine Kühlschrankreparatur leisten! Auch gut: Ware aus teuren Läden in Tüten vom Billig-Discounter nach Haus tragen.

Konsequent und von vielen Mietern angewendet, löst das alles eine Preisspirale nach unten aus: Die Reichen verlassen den Stadtteil und ziehen zurück in ihre angestammten Siedlungsgebiete am Stadtrand, Nobelrestaurants senken die Preise – und schon bald können Sie in eine größere, billigere Wohnung umziehen. Und am Ende des Monats liegt eine fette Ersparnis in Ihrem Portemonnaie.

 

Den dazugehörigen original Abwertungskit™ und weitere Informationen findet ihr unter www.es­regnetkaviar.de!

 

(1) Die Broken-Windows-Theorie behauptet, dass an sich harmlose Phänomene (eingeschlagene Fensterscheiben an leerstehenden Häusern, Graffiti) zu Kriminalität und schließlich zur völligen Verwahrlosung bestimmter Stadtteile führen können, da sie die Hemmschwelle für abweichendes Verhalten herabsetzen würden.

(2) Hamburger städtische Wohnungsgesellschaft, die derzeit vor allem wegen ihrer Rolle bei der Umstruk­turierung des Stadtteils St. Pauli in der Kritik steht.

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