„Antimuslimischer Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft“

Interview mit dem Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Leipzig

Eine wissenschaftliche Studie belegte jüngst, was viele bereits vermuteten: Die deutsche Bevölkerung ist im Vergleich zu einigen anderen europäischen Nachbarn ganz schön islamophob. Dabei drückt sich die höhere Intoleranz gegenüber Religionen wie dem Islam (verglichen mit Frankreich, Dänemark, Portugal und den Niederlanden) nicht nur in negativen Vorurteilen gegenüber Muslim_as aus, sondern bspw. auch darin, dass nur knapp die Hälfte aller Befragten allen religiösen Gruppen die gleichen Rechte einräumen würden (1). Ohne derartige Studien zum Anlass zu nehmen, wohl aber in Anlehnung an zu beobachtende Tendenzen und Ereignisse, gründete sich bereits 2010 auch in Leipzig ein Netzwerk, das sich den Kampf gegen die sog. Islamophobie auf die Fahnen schrieb. Dieses bislang relativ unscheinbare „Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Leipzig“ (NIR) kommt jetzt jedoch in Fahrt. Anlass für uns, ein Interview mit einer ihrer Aktivist_innen zu führen:

FA!: Das „Netzwerk gegen Islamo­phobie“ gehört schon seit längerem zur politischen „Landschaft“ in Leipzig. Allerdings seid Ihr (momentan) im öffentlichen Raum recht wenig wahrnehmbar. Was beschäftigt Euch generell und aktuell? Habt ihr Aktivitäten geplant?

NIR: Unser Netzwerk gibt es jetzt seit einem Jahr und wir haben uns anfänglich darauf konzentriert, in Leipzig auf uns aufmerksam zu machen. Wir haben uns mit anderen Leipziger Organisationen getroffen und einige Vorstellungsvorträge gehalten. Danach waren wir allerdings mit uns selbst beschäftigt. Wir mussten theoretische und organisatorische Grundlagen schaffen und haben uns in internen Workshops auf unsere Arbeit vorbereitet. Jetzt sind wir endlich soweit, zu beginnen! Wir haben die nötigen Interviewvorlagen entwickelt und unsere Aufruf-Flyer sind noch warm vom Druck. Gerade sind wir also in der span­nen­den Pha­se: Jetzt können wir Menschen, die anti-mus­­li­mi­schen Ras­sismus er­fahren muss­ten, in­ter­­viewen und ihre Fälle auf unserer Website dokumentieren. Ich gebe zu: Wir sind sehr stolz auf unsere Flyer und sehr aufgeregt, nach intensiver Vorbereitung unsere Interviews zu führen und damit etwas gegen die Diskriminierung von MuslimInnen in unserer Umgebung zu tun.

Außerdem haben wir gerade einen Thea­ter­workshop organisiert, der praktisch in die Methode des Forumtheaters einführt. Wir wollen als nächstes ein selbst geschriebenes Stück über Islamophobie an einem öffentlichen Ort in Leipzig aufführen und die Zuschau­erInnen in das Stück einbeziehen. Das soll dann so ablaufen: Erst wird dem Publikum ein Konfliktverlauf vorgestellt und dann kann es im zweiten Anlauf in die Szenen eingreifen und damit die Handlung verändern. Wir wollen eben auch mit Theateraktionen im öffentlichen Leipziger Raum für antimuslimischen Rassismus sensibilisieren. Wir werden also wahrnehmbarer!

FA!: Welche Ziele verfolgt ihr als Netzwerk und wie bzw. warum habt ihr euch gegründet?

NIR: Unser Ziel ist natürlich, gegen die Diskriminierung von MuslimInnen in unserer Umgebung zu kämpfen. Die Ermordung von Marwa el-Sherbini in einem Dresdener Gericht war für uns alle ein Zeichen, dass die sogenannte Integra­tionsde­batte mit ihrer stereotypen Darstellung von Mus­limInnen auch zu realer Gewalt führen kann. Rassismus gegen muslimische Menschen ist theoretisch nicht genügend aufgearbeitet worden. Andere Formen von Rassismus, wie beispielsweise gegenüber schwarzen oder jüdischen Menschen, ist in unserer Gesellschaft glücklicherweise geächtet. Dies wollen wir auch für anti-muslimi­schen Rassismus erreichen, denn leider sind rassistische Äußerungen über Muslime bisher kein Tabu, sondern geradezu im Trend.

In unserem Netzwerk arbeiten Menschen mit unterschiedlicher Motivation. Auf unsere Homepage haben wir Texte von Mitgliedern veröffentlicht, die ihre persönliche Motivation für ihre antirassistische Arbeit beschreiben.

FA!: Wie groß ist Euer Netzwerk und wie viele bzw. welche Gruppen gehören dazu? Oder besteht Ihr eher aus sog. Einzelpersonen? Wie gut seid Ihr mit anderen linken Gruppen in Leipzig vernetzt? Gibt es gemeinsame Aktivitäten?

NIR: In unserem Netzwerk sind wir etwa 20 Leute und ja, wir sind eher sogenannte Einzelpersonen. Einige sind natürlich auch links organisiert, aber bei weitem nicht alle. Die wichtigste Gruppe in Leipzig ist für uns die Chro­nikLe, mit der wir zusammenarbeiten. Die ChronikLe dokumentiert bereits sehr erfolgreich auf ihrer Homepage rassistische, diskriminierende Ereignisse in Leipzig und Umgebung. Seit kurzem sind wir ebenfalls Redakteure ihres Archivprojekts und können Vorfälle anti-muslimischer Diskriminierung auf ihrer Seite veröffentlichen. Diese Kategorie gab es zuvor auf ihrer Seite nicht. Dann sind wir noch mit dem Antidiskriminierungsbüro vernetzt. Diese Kooperation ist uns sehr wichtig, da wir Diskriminierungsopfern weder psychologisch noch juristisch helfen können.

FA!: Wo würdet Ihr Euch innerhalb der „Landschaft“ sog. linker Leipziger Gruppen und Initiativen verorten?

NIR: Wir verstehen uns nicht als linke Gruppe, die den Rassismus von Rechten aufzeigen möchte. Antimuslimischer Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft und auch bei sogenannten Linken zu finden.

FA!: Stoßt Ihr auch auf (unerwarteten) Widerstand bei anderen Menschen und lokalen Initiativen, aufgrund Eurer klaren Eingrenzung, anti-muslimischen Rassismus zu thematisieren?

NIR: Bisher haben wir viele positiven Reaktionen und von den sogenannten Anti-Deutschen hat uns auch noch keiner angegriffen. (Aber ich glaube kaum, dass uns das Conne Island zu einer Diskussion einladen würde.)

FA!: Was versteht Ihr genau unter der sog. Islamophobie, der Ihr entgegentretet, und welchen Stellenwert hat dabei der Islam als Religion für Euch? Anders gefragt: Inwiefern/wann würdet Ihr generelle Religionskritik auch als Islamophobie beurteilen?

NIR: Wir verstehen unter Isla­mo­phobie Rassismus gegenüber Mus­limInnen. Diesen Rassismus wollen wir aufzeigen und bekämpfen. Uns geht es dabei nicht darum, das Bild über den Islam „richtig zu stellen“. Wir können und wollen nicht für den Islam oder Mus­limInnen sprechen.

Natürlich ist Religionskritik legitim. Aber was geläufig als Islamkritik verstanden wird, führt häufig zu pauschalisierenden Aussagen über Mus­limInnen in Europa und Menschen von Marokko bis Indo­nesien. So beispielsweise, wenn die Analyse von islamischen Texten aus dem Mittelalter die Lebensweise und -vorstellungen von heute auf der ganzen Welt lebenden MuslimInnen erklären soll. Wenn also der Islam auf Grund­lage von religiösen Texten seiner Entste­hungs­zeit als in sich abgeschlossener Kulturkreis mit patriar­chalen, frauenfeind­lichen oder homo­phoben Vorstellungen konstruiert wird, dann hört Religionskritik auf. Das Absurde ist ja gerade, dass „dem Islam“ von sogenannten Islamkritikern vorgeworfen wird, Menschen zu diskriminieren, mit dem Resultat, dass musli­mische Menschen diskriminiert werden. Marwa el-Sherbini wurde umgebracht, weil sie ein Kopftuch trug und das Kopftuch als Zeichen islamischer Unterdrückung von Frauen gelesen wird. Durch unsere Interviews wissen wir von mus­limischen Frauen, die Kopftuch tragen, dass sie häufig auf der Straße belästigt und angegriffen wer­den und sich daher kaum vor die Tür trauen. Ich will damit sagen: Islamkritik, so wie sie betrieben wird, hat direkten Einfluss auf das Leben von MuslimInnen in Deutschland. Und nochmals: Marwa el-Sherbini wäre nicht ermordet worden, wenn diese Form von „Religionskritik“ ihr nicht die theoretische Grundlage bereitet hätte.

FA!: Wann und wo kann man Euch treffen, um mitzumachen?

NIR: Wir treffen uns jeden zweiten Donnerstag um 19 Uhr im Seminargebäude der Universität, im Raum 125. Auf unserer Homepage findet ihr den aktuellen Termin (nir-leipzig.de).

FA!: Vielen Dank für das Interview 🙂

NIR: Vielen Dank für Euer Interesse!

momo

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