Arme Hilfssheriffs

Was würden wir bloß tun, wenn wir die Stadtverwaltung und das Arbeitsamt nicht hätten … die denken sich für uns, die Bür­gerInnen dieser Stadt, immer wieder was neues aus, damit es uns besser geht. Anfang Mai hoben die Stadtoberen ein neues Projekt aus der Taufe, um nicht nur die horrende Arbeitslosigkeit, sondern auch das Unsicherheitsgefühl in der Messestadt zu senken: den „Bürgerdienst LE“.

Das klingt erstmal ein bisschen nach Zivildienst, Dienst an der Gemeinschaft. Doch das täuscht. Es handelt sich – aus Perspektive der Macher – um einen Dienst für „den Bürger“, und „den Touristen“. In dunkelblauen Jacken mit dem schmucken Aufdruck „spazieren“ insgesamt 496 ehemals junge und/oder Langzeit-Erwerbslose in Zweier-Teams durch die Stadt, als Ansprechpartner für Fragen, die man sich auf der Straße so stellt: Was is’ das denn für’n Haus? Wie komme ich nach Stötteritz? Wie lange ist die Straße noch gesperrt und wo geht die Umleitung lang? Wie teuer wird eigentlich der City-Tunnel? Wann ist das nächste Feuerwerk auf der Festwiese?

Endlich, mit großen Schritten bewegt sich Leipzig auf die Dienstleistungsgesellschaft zu! Da macht es auch nichts, dass die Umsetzung mit einem alten Instrument – der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – und alten Partnern – dem Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) – bewerkstelligt wird: das heißt Befristung auf ein Jahr, danach kein Anspruch auf ALG I, aber immerhin 1.100 bis 1.300 Euro in der Tasche. Keine Lösung ist auch eine Lösung, wenn sie das Problem verschiebt.

Polizei des 21. Jahrhunderts?

Diejenigen, die sich da freiwillig zum Bür­gerdienst meldeten, sind nun in „Teams“ zu zwei Leuten auf acht Routen unter­wegs, um dem unwissenden, aber interessieren Mitmenschen eine Hilfe zu sein. Sie sind sogar rund um die Uhr unterwegs, in klassischen Acht-Stunden-Schichten … doch halt: warum das? Ein wichtiges Aufgabenfeld haben wir noch vergessen: Die professionellen Spazier­gängerIn­nen (drei Wochen Weiterbildung!) rücken nämlich nicht nur Informationen heraus, wenn man sie fragt. Sie sind auch Kontrollgänger und leiten, freilich ungefragt, Informationen weiter. „Sie sollen möglichst alles registrieren, was irgendwo im Argen liegt, von Polizei oder Ordnungsamt aber nicht bewältigt wird: Autoeinbrüche, Hundehaufen*, aufgebrochene Türen, schwarz endgelagerte Autos, umgeworfene Grabsteine, demolierte Bushäuschen oder Rempeleien, die auszuarten drohen. Quasi über Nacht bekam die Stadt damit ein flächen­deckendes System an allgegenwärtigen Augen, Nasen und Ohren.“ („Südkurier“, 1.9.06) … Handgreiflichkeiten bleiben weiterhin der Polizei vorbehalten, und wirklich „flächen­deckend“ ist wohl nur ein Blockwartsystem (1 Haus, 1 Spitzel). Dennoch kein Grund zur Beruhigung: Mit dem Bürgerdienst LE wurde Anfang dieses Jahres unter dem Deckmantel eines „Arbeits­markt­projekts“ die Kontrollkapazität der Polizeidirektion Leipzig (1.600 Schergen) um mindestens 25 Prozent ausgeweitet!

„Service und Sicherheit“

Und der Tanz geht weiter: Aufgrund der „guten Erfahrungen“ mit 290 Bürgerdienstlern als Bus- und Bahn-Begleit­personal während der WM, wird die LVB Mitte November ein Pilotprojekt starten, dass dank Verkehrsminister Wolle schon bundesweite Aufmerksamkeit erlangte. Bis Mai 2006 sollen ins­gesamt 300 Erwerbslose freiwillig bei den Verkehrsbetrieben anheuern, um (getreu dem Motto des Bürgerdien­stes) ÖPNV-Verkehrsbera­tung zu leisten, älteren Fahr­gästen zur Hand zu gehen und vor allem Sicherheit zu gewährleisten. „Aktiv Office“** wird getragen vom LVB-Tochterunternehmen LAB und begründet wie die Ein-Euro-Jobs kein Arbeitsverhältnis im eigentlichen Sinne. Die Testphase soll drei Jahre dauern, dann sollen 30 Prozent der Leute in Festanstellung übernommen werden – irgend­wie muss man die Leute bei dem lächerlichen Gehalt von weniger als 150 Euro (+ ALG2) ja bei der Stange halten, und solange solche windigen Verheißungen noch ziehen, warum nicht?! Handfester ist da schon die LVB-Monatskarte, die’s dazu gibt, so dass die Leute nach Feierabend nicht nach Hause laufen müssen. Die Kosten für diese „Vergünstigung“ lassen sich jedoch aus der Portokasse bezahlen, und die ist gut gefüllt: Die jährlichen Kosten belaufen sich nach Angaben der ARGE Leipzig auf knapp 865.000 Euro; die reinen „Lohnkosten“ abgezogen, verbleiben bei den LVB/LAB monatlich 27.000 Euro – nach offiziellen Angaben für Verwaltungs- und Materialaufwendungen. Ein „Klebe-Effekt“ der anderen Art. Damit sind Erwerbslose nicht nur effektiver und flexibler, sondern wohl auch billiger als Videokameras.

Das Schlimmste ist aber wohl nicht, dass die jugendliche Wut sich weniger in der Tram entfalten kann, sie wird andere Wege finden, oder dass damit Personal­einspa­run­gen in den LVB-Werkstätten in den Bereich des Möglichen kommen (gegen Entlassungen kann man kämpfen) – das Schlimmste ist sicherlich die neue Masche von Amts wegen, dass sich die Erwerbslosen freiwillig melden sollen, die einer „sinnvollen Beschäftigung“ nachzugehen wünschen. Dabei scheint von vornherein schon klar, dass es sinnvoll ist, an vor­derster Front, als Menschenmaterial, für einen Hungerlohn, den eigenen Kopf hinzuhalten zum Schutz fremden Eigentums und sich vom gesellschaftlichen Reichtum selbst ausschließen – finanziell stehen sie dann in etwa so gut da wie die Bediensteten der zahlreichen Sicherheitsservices.

Unwillkürlich kommt mir in diesem Zusammenhang ein Vers aus Mühsam’s Internationale-Übersetzung in den Sinn, eine einfache Antwort, die sich schwer umsetzen lässt: „Mag der Reiche selber Diebe greifen,/Mag er selber Kerker baun!/Laßt uns die eig’nen Äxte schleifen./Das Eisen glüht, jetzt laßt’s uns hau’n!“

A.E.

*) siehe FA! #13 zur Polizeiverordnung vom 2004;
**) Anscheinend sitzen in der PR-Abteilung auch nur unbezahlte PraktikantInnen, es lebe die Sabotage! Oder versteht eine/r der Feierabend!-LeserIn­nen den Namen des Projekts???

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