Auf der Jagd nach dem Glück

Die amerikanische Verfassung garantiert jedem Bürger der USA das Recht, nach seinem individuellen Lebensglück zu streben. Kaum ein anderer Satz wie der vom «pursuit of hapiness» kennzeichnet das amerikanische Lebens-, Rechts- und Staatsverständnis treffender. Er weist dem Staat die Verpflichtung zu, seinen Bürgern die Freiheit zu gewähren, innerhalb derer sie ihr eigenes Glück schmieden können. Und zugleich räumt die Verfassung klipp und klar jeden Verdacht aus, irgendjemand anderes als der Einzelne selbst – am Ende gar der Staat – könne dafür in Haftung genommen werden, wie schön oder nicht man es sich im Rahmen seiner Möglichkeiten einrichtet.“

So beginnt ein Kommentar von Stephan Detjen im Deutschlandfunk am 22.6.03 um 19:05. Im Weiteren wird er sich dem Propagandafeldzug anschließen, der derzeit bundesweit aus dem bürgerlichen Lager gegen den Streik der IG-Metall um die 35-Stunden-Woche geführt wird.

Vorspiel

Einer der Hauptbestandteile jener bürgerlichen Freiheit ist das Recht auf Eigentum, das Recht zu kaufen und zu verkaufen und die Preise frei auszuhandeln. Das steht jedem Bürger eines Staates zu, das macht sie gleich. Doch wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, ist Eigentum nicht gleich Eigentum und Bürger nicht gleich Bürger. Eine besondere Art des Eigentums ist die des Kapitals. Kapital zu besitzen bedeutet in anderen Worten, ein Anrecht darauf zu haben, sich Produkte fremder Arbeit anzueignen. Wer kein Kapital besitzt, besitzt im Grunde gar nichts. Nun ja, fast nichts. Außer der Fähigkeit zu arbeiten. Diese Fähigkeit hat jeder Mensch, insofern er/sie überhaupt Mensch ist. Diese Fähigkeit läßt sich verkaufen.

Hier ist der Zeitpunkt auf eine Sache besonders hinzuweisen. Es gibt eine Reihe von Formulierungen wie „Arbeit muß her!“, „für Arbeit bezahlt werden“, „Arbeitsmarkt“ oder auch „tote Arbeit beherrscht lebendige Arbeit“. Manche dieser Formulierungen mögen für die eine Sache geeignet sein und für die andere nicht. Doch eines haben sie alle gemeinsam. Sie verdecken einen kleinen, aber feinen Unterschied, der letztlich für das Verständnis von dem was Kapital ist, unerläßlich ist. Und zwar den von der Ware Arbeitskraft und der von ihr produzierten Ware. Die Fähigkeit, einen Kuchen zu backen, ist natürlich etwas anderes als ein Kuchen. Die Arbeit selbst ist keine Ware und nicht handelbar. Die menschliche Arbeit schafft Waren.

Die Kapitalbesitzer kaufen die Fähigkeit zu arbeiten, lassen arbeiten und behalten das Produkt dieser Arbeit. Selbstverständlich. Es ist Produkt der von ihnen gekauften Arbeitskraft, die natürlich dadurch Eigentum der Kapitalbesitzer ist, produziert mit Maschinen und aus Rohstoffen die den Kapitalbesitzern gehören. Die Kapitalbesitzer kaufen die Arbeitskraft, um sie ausbeuten zu können. Daran ist nichts unrechtes. Ausbeuten darf hier keinesfalls moralisch verstanden werden. Der Vergleich mit der Ausbeutung einer Erzader ist sachlich durchaus gerechtfertigt. Der Verkauf und Kauf der Ware Arbeitskraft ist ein freier Handel zwischen freien Bürgern. Hoch lebe das Recht! Trotz aller Abweichungen, die vielleicht auch nicht immer konsequent geahndet werden, ist der Kapitalismus vom Prinzip her eine gerechte Gesellschaft. Wer etwas anderes behauptet, irrt sich oder ist ein übler Propagandist. Und: der Kapitalismus ist eine auf Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft beruhende Gesellschaft. Für die Kapitalbesitzer (!) ist die Ware Arbeitskraft selbst Kapital. Nicht jedoch für diejenigen, die Träger dieser Ware sind und sie verkaufen müssen. Die Maschinerie, die Gebäude, die Rohstoffe etc. sind nur Hilfsmittel, ohne die sich die Ausbeutung der Arbeitskraft nicht realisieren ließe. Sie tragen nichts zum Gewinn bei, sondern gehen in Gänze oder scheibchenweise auf die produzierte Ware über. Diese Form des Kapitals heißt in der Kritik der politischen Ökonomie deshalb auch konstantes Kapital. Die Quelle des Reichtums liegt in der Ausbeutung der Arbeitskraft. Diese Form des Kapitals heißt deshalb in der Kritik der politischen Ökonomie variables Kapital. Hin und wieder wird es auch Humankapital genannt. Dies geschieht in zwar sachlich richtiger Weise, doch werden die Menschen und ihre Verhältnisse dabei nur noch als bloße Sache, als Ding betrachtet. In politischen, philosophischen oder ideologischen Betrachtungen, in denen eher die Menschen im Vordergrund stehen, wird das variable Kapital als Arbeiterklasse oder Proletariat bezeichnet. Doch diese Formulierungen sind dem freien Bürger von Welt eher peinlich, wirken überkommen und hausbacken.

Natürlich sagt kein Mensch „die Kapitalbesitzer kaufen Arbeitskraft“, daß heißt vielmehr: „Unternehmer oder Arbeitgeber schaffen Arbeitsplätze“; der Markt für Arbeitskräfte heißt „Arbeitsmarkt“ und diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen und sich ihres Produktes enteignen lassen, heißen „Arbeitnehmer“. Und Ausbeutung erfolgt nicht durch die Kapitalbesitzer sondern durch die Gewerkschaften (!), wie Stephan Detjen weiß:

Die Rhetorik der Funktionäre entlarvt den Arbeitskampf als verantwortungslosen Ausbeutungsfeldzug, in dem allein die Gewerkschaften selbst auf Beute hoffen dürfen. Ausgebeutet werden die antikapitalistischen und antiwestlichen Ressentiments in den Köpfen ostdeutscher Arbeitnehmer. Ausgebeutet werden die verbliebenen Überreste der antiindividualistischen Lebenseinstellung, die Rolf Henrich in den letzten Jahren der DDR als mentales Merkmal des von ihm so genannten «vormundschaftlichen Staates» ausmachte.“

Doch bevor ich einige Worte drüber verliere, wer hier welche „verquast-kollektivistische“ Rhetorik an den Tag legt, ein Blick zurück in die Vergangenheit.

Etwas Geschichte

Als ich eines schönes Tages spazieren ging, kam ich an einem DGB-Stand vorbei, der neben Werbung für die aktuelle DGB-Politik auch kostenlose Erfrischungsgetränke bot. Auf mein trockenes „Kapitalismus läßt sich nicht reformieren“ erhielt ich die Antwort: „Es geht nicht um Kapitalismus, sondern um die Sozialreform“. Wenn die „Arbeitergeber“ auf ein Streik mit Aussperrung reagieren wollen, klagt die Gewerkschaft, es sei ein Rückfall in den Klassenkampf. Ist heute tatsächlich alles anders als gestern? Sind die Gewerkschaften heute so anders als vor hundert Jahren? Lassen wir doch mal einen Arbeiter zu Wort kommen, der die Rolle der Gewerkschaften vor dem ersten Weltkrieg beurteilt. Richard Müller schreibt 1925 in seinem Buch „Vom Kaiserreich zur Republik“:

Die Entwicklung der Gewerkschaften zur Zeit des kapitalistischen Aufstieges hatte jede revolutionäre Regung erstickt. Ihr Streben war darauf gerichtet, den Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen. …

Der Charakter der Gewerkschaften wurde weiter beeinflußt durch das immer weiter ausgebaute Unterstützungswesen. Die Gewerkschaften halfen den Mitgliedern bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, in besonderen Notfällen usw. Durch diese Unterstützungen sollte die Fluktuation eingedämmt, die Mitglieder bei der Organisation gehalten werden. Zahlenmäßig war der Erfolg gut. Die Fluktuation ließ nach und die Kassen wurden gestärkt, aber der Kampfcharakter der Organisation trat in den Hintergrund. Für viele Mitglieder waren die Gewerkschaften Versicherungsanstalten, bestenfalls Organe zur Befriedigung bloßer Augenblicksinteressen.

Die Gewerkschaftsführer lehnten es ab, den Kapitalismus als solchen zu bekämpfen. Sie fürchteten, damit auf das politische Gebiet zu treten, auf dem sie sich als Personen und Gewerkschaftsführer tummelten, aber das nach ihrer Meinung für eine Betätigung der Gewerkschaftsmitglieder nicht geeignet war. Politische Fragen durften in den Gewerkschaften nicht diskutiert werden. Die kaiserliche Polizei brauchte den politischen Generalstreik nicht zu verbieten. Das besorgten die Führer der Gewerkschaften. Eine Revolution stand für sie außerhalb des Bereiches der Möglichkeiten. Reformen innerhalb der kapitalistischen Welt waren ihr Programm. Wurde nach einem hartnäckigen Kampf das Unternehmertum an den Verhandlungstisch gezwungen, dann quoll das Herz des tapferen Gewerkschaftsführers über, wenn er seine Füße mit denen des Gegners unter einen Tisch setzen durfte. Karl Marx hatte zwar vor vielen Jahren einmal gesagt: die Gewerkschaften verfehlen ihren Zweck, wenn sie die Spitze ihres Kampfes nicht gegen die Lohnarbeit überhaupt richten. Aber das lag weit zurück und war durch die bewährte Praxis der Gewerkschaften widerlegt worden. …

Die innere und äußere Politik der Gewerkschaftsführer, das Ziel wie die Methoden ihres Kampfes mußten den Mitgliedern jedes revolutionäre Denken und Empfinden nehmen und den Willen zu entscheidenden Kämpfen brechen. Wo sich unter dem Einfluß politischer Propaganda ein radikaler Geist bemerkbar machte, wurde er niedergedrückt und wenn gar in dem ungeheuer großen Verwaltungsapparat ein Angestellter als räudiges Schaf entdeckt wurde, der die von oben gegebene politische Weisheit nicht widerspruchslos schlucken wollte, traf ihn der Bannstrahl des heiligen Stuhls. Es war eine ganz natürliche Entwicklung, wenn schließlich die Führer den Massen keinen revolutionären Willen zutrauten, weil sie selbst keinen besaßen. Die Führer betrachteten sich als das Hirn der Masse, mit dem Geldschrank und dem Verwaltungsapparat in der Hand.“

Holla, der Mann scheint nicht nur von Gestern zu sein, er ist es auch. Oder doch nicht? Wie um alles in der Welt konnte er meinen kleinen Dialog am DGB-Erfrischungsstand im Jahre 2003 vorhersehen? Hat er gar nicht. Nur die Gewerkschaften erfüllen immer noch eben jene Rolle, die sie schon vor dem Ersten Weltkrieg und vor dem Versuch einer sozialistischen Revolution im Jahre 1918 im kaiserlichen Deutschland erfüllt hatten. Und die Sozialdemokraten? Müller zitiert eine Aufruf des Parteivorstandes der SPD…

… Parteigenossen, wir fordern Euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewußten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster als irgend eine der letzten Jahrzehnte. Gefahr ist im Verzuge! Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen Euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!“

… und einer Erklärung der Reichstagsfraktion der SPD: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. … Da machen wir wahr, was wir immer behauptet haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen! Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“

Zwischen den von mir gekürzten Zitaten liegt nicht viel. Bei Richard Müller nur eine Überschrift: „Eine weltgeschichtliche Katastrophe“; in der Geschichte die zehn Tage zwischen dem 25.6.1914 und dem 4.8. 1914. Dieser nationale Schwenk der deutschen Sozialdemokratie führte mit Volldampf in den ersten Weltkrieg, der weltweit Millionen Proletariern das Leben kostete. Zu guter Letzt die Reaktion eines Konservativen. Müller zitiert Prof. Hans Dellbrück (September 1914):

Wie weggeblasen war (von der deutschen Sozialdemokratie am 4. August) der ganze Schwulst der staatsfeindlichen Redensarten; der internationale Proletarier erwies sich als eine bloße Kampfesmaske; mit einem Ruck war sie heruntergerissen und es erschien das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten! Es genügt nicht, den Sozialdemokraten zu danken, daß sie ihr Parteiprogramm in die Ecke gestellt haben und unter der nationalen Fahne mit marschieren, sondern man muß sich auch klarmachen, welches Verdienst sie sich direkt durch ihre Organisationen erworben haben. Stellen wir uns vor, wir hätten diese großen Arbeitervereinigungen nicht, sondern diese Millionen ständen dem Staat nur als Individuen, gegenüber, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß sich sehr viele unter ihnen befinden würden, die nicht von der allgemeinen Bewegung ergriffen, der Einberufung zur Armee passiven oder auch aktiven Widerstand entgegengesetzt hätten.“

Ist es verwunderlich, daß der Kapitalismus nach jahrzehntelanger Propaganda von Gewerkschaftsführern, Sozialdemokraten und Konservativen als das Ende der Geschichte erscheint, als ein Hort der Glückseeligkeit?

Schlimmer geht’s immer!

Doch zurück zu Stephan Detjen: „Nach diesem Verhaltensmuster hat die IG-Metall aus dem Munde ihres Berlin-Brandenburgischen Landesvorsitzenden «mehr Lebensqualität» zum Streikziel in der ostdeutschen Metallindustrie erklärt. … Wir dürfen gespannt sein, wofür die IG-Metall ihre Mitglieder als nächstes zur Arbeitsniederlegung aufruft, wenn die nach dem Vernichtungskampf dieser Tage in den Trümmern der ostdeutschen Metallindustrie verbliebenen Arbeitnehmer nur 35 Stunden zu arbeiten brauchen. Sollten die Gewerkschaften dann zu der durchaus realistischen Einschätzung gelangen, dass sich die Lebensqualität ihrer Mitglieder noch weiter erhöhen ließe, können wir uns wahrscheinlich auf Streiks für besseres Wetter und dickere Grillwürste gefasst machen. …

Wie viel Lebensqualität ein Arbeitnehmer gewinnt, …, wird sich selbst mit einer verquast-kollektivistischen Gewerkschaftsrhetorik nicht erfassen lassen. Um so klarer bezifferbar aber werden die volkswirtschaftlichen Schäden sein, die dieser Streik in ganz Deutschland anrichtet. … In zynischer Offenheit lassen die Gewerkschaften keinen Zweifel daran zu, dass sich ihr Streik genau gegen das richtet, was die Menschen in den östlichen Ländern am bittersten benötigen: Es ist ein Kampf gegen die Arbeit und die damit verbundenen Chancen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Diese Lebensmöglichkeiten schmälern die Gewerkschaften im Augenblick vor allem für diejenigen, die überhaupt keine Arbeit haben.“

Detjen erweist sich als ein legitimer Nachfolger des von Müller zitierten Professor Dellbrück.

Wie Müller richtig bemerkt, liegt eine Funktion der Gewerkschaften darin, „Arbeitern innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine erträgliche Existenz zu schaffen“. Wir leben in der Zeit von Hartz und Agenda 2010 und selbst Konservative wie die der Financial Times Deutschland stellen fest, das einige Maßnahmen des Staates nichts sind, als versteckte Lohnkürzungen. Die Zersplitterung der Lohnabhängigen ist blankes Geld für die Kapitalbesitzer, da die Arbeitskraft billiger zu haben ist. Die Angst vor der Konkurrenz in Osteuropa und Deutschland selbst, führt dazu, das immer mehr Arbeiter/innen und Angestellte dazu bereit sind, ihre Haut für immer weniger zu verkaufen. Es kommt noch schlimmer. Derzeit leidet des weltweite Kapital wieder unter einer Krise. Die produzierten Waren lassen sich nicht mehr absetzen. Immer weniger Arbeiter/innen produzieren immer mehr Waren. Das Verhältnis von „toter Arbeit“, also von Gebäuden, Maschinerie etc., die zur Ausbeutung der Arbeitkraft notwendig sind, zur „lebendigen Arbeit“, also zur Arbeitskraft, zum „Humankapital“ neigt sich immer mehr zur „toten Arbeit“. Damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommen kann, ist es notwendig ein Teil des derzeit vorhanden Kapitals einzustampfen. Dies betrifft nicht nur das virtuelle Kapital, also die handelbaren Anrechtsscheine auf Ausbeutung, wie z.B. Aktien, sondern auch die Maschinerie und das „Humankapital“. Dies bedeutet schlicht, das die Anzahl der „erträglichen“ Arbeitsplätze und der Preis der Arbeitskraft – der Lohn – weiter sinken werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldmenge des Euro nicht mehr im Griff, wie der Deutschlandfunk in „Hintergrund Wirtschaft“ am 22.6.03 zu berichten wußte. Die Banken geben ein und dasselbe Geld vielfach heraus und schreiben es den Kontoinhabern gut. Doch gerade in der Krise ist nur Bares Wahres und es droht eine Bankenkrise, wenn die Banken auf die Forderung „Sehen!“ kein Geld vorweisen können. Deshalb holen sie sich immer mehr Geld von der EZB. Doch die zunehmende Geldausgabe verschlimmert das Problem nur und macht den ins Haus stehenden Crash, der zur notwendigen Kapitalvernichtung führt, nur um so härter.

Die einzige Chance, die die Arbeiter/innen haben, ist die proletarische Kooperation. Sei es die Chance auf ein erträgliches Leben innerhalb des Kapitalismus, die durch dessen krisenhafte Entwicklung letztlich begrenzt ist, oder eine Chance auf die Überwindung der Ausbeutung überhaupt. Diese Kooperation muß weiter reichen, als bis zu dem Betrieb, in den man gerade arbeitet, über die „eigene“ Branche hinaus und über die Grenzen des Landes hinaus, in den man gerade Steuern zahlt. Gerade dagegen wendet sich Detjen. Eine weitere Vereinzelung und Individualisierung der Lohnabhängigen ist nichts, als eine Einladung an die Kapitalbesitzer die Löhne weiter zu kürzen und den Arbeitsdruck weiter zu erhöhen. Eines der Resultate dieses Streiks ist, daß die Gewerkschaft zunehmend ihre Fähigkeit verliert, für die Arbeiter/innen erträgliche Bedingungen zu schaffen. Der faktische Wegfall der Flächentarifverträge begünstigt in dieser Situation weitere Lohnkürzungen.

Eines werden die Konservativen den „Ossis“ nie verzeihen. So beschissen und staatskapitalistisch die DDR auch war, sie bleibt Deutschlands Schande und die ostdeutschen Proleten werden dafür bezahlen. Mit längeren Arbeitszeiten und weniger Entgeld. Und jeder Ungeist im Osten, der sich eventuell noch gegen den deutschen Kapitalismus richtet, soll ausgetrieben werden.

Für «pursuit of happiness»

Doch es zeigt sich, daß Detjens keineswegs ein uneingeschränkter Gegner von „verquast- kollektivistischer“ Rhetorik ist und keineswegs ein grenzenloser Freund der «pursuit of happiness», des Strebens oder der Jagd nach dem Glück. Ihm ist nur die proletarische Solidarität zuwider, das Glück, das nicht nach Arbeit strebt. Ihm geht es um das „verquast-kollektivistische“ Deutschland. Jenes Deutschland das im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege vom Zaum gebrochen hat, Millionen von Menschen mit bürokratischer Sorgfalt ermordet hat und über dem sich derzeit ein übler antiamerikanischer Mief erhebt. Das ist das Kollektiv das Detjen für die ostdeutschen Metaller/innen für geeignet hält. Er will es sehen, „das ehrliche Gesicht des deutschen Arbeiters, der nichts anderes begehrt, als an der Seite seiner Volksgenossen, wenn das Vaterland ruft, zu streiten!“ Die deutsche Volkswirtschaft ist seine Sorge, keineswegs das individuelle Glück der Arbeiter/innen.

Wenn Detjen in übertriebener Weise die ostdeutsche Metallindustrie in Trümmern sieht, so gibt er dem ollen Marx ungewollt und unbewußt recht, wenn dieser der „heiligen Familie“, einigen seiner Zeitgenossen, entgegenhält:

Die kritische Kritik schafft Nichts, der Arbeiter schafft Alles, ja so sehr Alles, daß er die ganze Kritik auch in seinen geistigen Schöpfungen beschämt; die englischen und französischen Arbeiter können davon Zeugnis ablegen. Der Arbeiter schafft sogar den Menschen; der Kritiker wird stets ein Unmensch bleiben, wofür er freilich die Genugtuung hat, kritischer Kritiker zu sein.“ *)

In einen Punkt irrt Detjens leider: Die IG Metall kämpft nicht gegen, sondern für mehr Arbeit. In einem anderen Punkt irrt er sich ganz gezielt: die ostdeutschen Metallarbeiter/innen und alle Lohnabhängigen weltweit brauchen nicht am dringendsten Arbeit, sondern besseres Wetter und dickere Grillwürste oder was auch immer ihr Geschmack begehrt. Wo kommen wir denn da hin, wenn die Proleten weltweit massenhaft für ihr individuelles Glück auf die Straße gehen? Vielleicht zu einer Gesellschaft ohne Ausbeutung? Weg von den verquast-kollektivistischen Nationen. Weg von Kommentatoren, die das Glück für Andere nur in der Arbeit erblicken können. Das Glück der Arbeiter/innen liegt auf der Straße, ihre «pursuit of hapiness» führt sie weg von der Arbeit in den Fabriken, Büros, Geschäften etc. Sie schaffen alles, doch nichts für sich, nicht mal den Menschen. Statt dessen schaffen sie ihr eigenes Joch, daß die Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, nur noch als Arbeit, als Möglichkeit des Verkaufs der eigenen Arbeitskraft erscheinen läßt. Also heraus auf die Straße. Für besseres Wetter und dickere Grillwürstchen! Und Senf und Ketchup nicht vergessen!

v.sc.d

*) K.Marx, F.Engels „Die heilige Familie oder die Kritik der kritischen Kritik“

35 Stunden

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