Aussperrung in den Häfen der Westküste der USA

Über „Arbeitskämpfe“ in den USA zu berichten ist keine einfache Sache. Und zwar deshalb, weil in den USA die Gewerkschaften anders funktionieren als in Europa.

Wenn eine Gewerkschaft in den USA einen Vertrag mit einem Unternehmen hat (die Firma ist ‘unionized’; union = Gewerkschaft), so fungiert sie wie eine Art Arbeitsagentur. Es ist vertraglich vereinbart ob und wenn wieviel Nicht-Gewerkschaftsmitglieder in der Firma arbeiten dürfen. Die Gewerkschaft ist dafür zuständig, dass für eine Arbeit – etwa das Entladen eines Schiffes – genügend Leute mit der entsprechenden Qualifikation zur Verfügung stehen. Die Gewerkschaft entscheidet auch über Streiks. Urabstimmungen oder etwas ähnliches gibt es nicht. So kann es sein, dass etwa ein/e Hafenarbeiter/in Mitglied in der Gewerkschaft sein muss, um einen Job zu bekommen. Einzelne Gewerkschaftsfunktionäre können unter Umständen über eine relativ große Macht verfügen.

Worum geht es an der Westküste? Anfang des Sommers ist der Vertrag zwischen der ILWU (International Longshore and Warehouse Union, longshoreman = Hafenarbeiter) und der PMA (Pacific Maritime Association) ausgelaufen und Verhandlungen über einen neuen Vertrag wurden aufgenommen. Die PMA warf dann der ILWU vor, sie würde Bummelstreiks organisieren, und sperrte die Arbeiter/innen der ILWU aus. Die Schiffe, die vor der amerikanischen Pazifikküste liegen, werden nicht entladen, weil die Arbeiter/innen ausgesperrt sind, nicht weil sie streiken. Das klingt absurd. Noch absurder scheint es, dass und wie die US-Regierung in die Auseinandersetzung eingreifen will. Sie betrachtet jede Gewerkschaftsaktion als Bedrohung der nationalen Sicherheit und hat damit mehrere Möglichkeiten zu intervenieren. Zum einen den „Taft-Hartley-Act“ der jetzt auch angewandt wurde. Dabei handelt es sich um ein 80-tägiges Streikverbot (cooling-off period etwa: Abkühlungsperiode), das bis zum 26. Dezember läuft. Zum zweiten kann sie die Arbeiter/innen durch Soldaten ersetzen. Eine weitere Möglichkeit ist der „Railway-Labor-Act“. In dem Fall wird eine staatliche Vermittlungsinstanz, das National Mediation Board eingeschaltet: „Die Besonderheit des National Mediation Board liegt darin, dass die Parteien im Falle der Einschaltung des Boards ihre Verhandlungen nicht von sich aus für gescheitert erklären und zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen dürfen, solange das Board Mediationsbemühungen unternimmt, was häufig Monate dauert. Die Entscheidung, wann die Mediation eingestellt wird, liegt im Ermessen des Boards.“ [„Arbeitgeber“ Nr.6 Juni 2002, Online-Ausgabe, Mediation ist eine Konfrontationsunterdrückungstechnik]

Aber worin besteht der Konflikt? Durch die Einführung der Containertechnologie, die in den US-Häfen etwa Anfang der 70er Jahre abgeschlossen wurde, sank die Zahl der Hafenarbeiter an der Westküste von etwa 100.000 auf heute etwa 10.000. 1971 fand auch der letzte Dockerstreik an der Westküste statt. In der Auseinandersetzung um Jobs sperrte sich die ILWU vor der Aussperrung etwa gegen Einführung von Scannern in den Häfen. Daten werden von Hand erfasst und per Hand in den Computer eingegeben. Jetzt wollen die in der PMA vereinigten Unternehmen die Häfen automatisieren, wie es etwa in Rotterdam oder Singapur schon der Fall ist. Das bedeutet, dass zum einen die Jobs im Hafen weiter abnehmen und dass die Jobs wechseln. Alte verschwinden und neue entstehen. Die PMA versucht nun die ILWU auszubremsen. Die alten Jobs sind zum größten Teil ILWU-Jobs. Das bedeutet relativ gute Löhne (etwa 16$/Stunde) für die longshore(wo)men, von denen die meisten Afroamerikaner oder Latinos sind. Die ILWU will nun, dass auch die neuen Jobs von Gewerkschaftsmitgliedern erledigt werden. Dadurch würde sie wie bisher über die eingesetzten Arbeiter/innen bestimmen. Ähnlich ist es auch bei der Umstellung auf Containerbetrieb gelaufen. Falls die Umstellung auf neue Hafentechnik ohne die ILWU passiert, würde das praktisch das Ende der ILWU bedeuten. Seitens der PMA geht es also um Kürzung und Flexibilisierung der Jobs und die Zurückdrängung der ILWU, die ILWU will vor allem ihren Einfluss behalten, bei allem andern ist man sich im Großen einig.

Die Auseinandersetzung ist von der PMA gut vorbereitet. So wird die auch vom Spiegel ähnlich kolportierte Meldung, die Schließung der Häfen würde die Ökonomie täglich Milliarden kosten, von US-Ökonomen als übertrieben betrachtet. Die Zahl stammt aus einer von der PMA vor der Aussperrung in Auftrag gegebenen Studie. Gleichzeitig wurden die Umschlagzahlen auf den Docks erhöht. Während des Sommers ist der Warenumschlag nach dem Journal of Commerce um etwa 30% angestiegen. Vertreter der Hafenarbeiter/innen werfen der PMA vor, dass dieses „speedup“ auf Kosten der Sicherheit geht und verweisen auf fünf tödliche Unfälle in diesem Jahr. Die Ironie der Sache ist, dass die ILWU bereit ist, ihre Mitglieder arbeiten zu lassen. Sie besteht nur auf sicheren und erträglichen Bedingungen. Die PMA ist an den alten Vertrag mit der ILWU nicht gebunden und kann also z.B. einstellen, wen sie will, auch wenn die Mehrheit der Hafenarbeiter/innen ILWU Mitglieder sind. Der „Taft-Hartley-Act“ soll auch sicherstellen, dass das Weihnachtsgeschäft läuft, da es unerträglich wäre, wenn es dann kein Spielzeug gäbe oder wenn der Umsatz des Weihnachtsgeschäftes ausbliebe, je nachdem. Durch die Aussperrung und den „Taft-Hartley-Act“ ist der Druck auf die ILWU von vornherein erhöht. Die Automatisierung ist eine langfristig angelegte Sache, der Vertrag zwischen ILWU und PMA lief drei Jahre. Die Automatisierung selbst stellt einen Umbruch in der Hafenwirtschaft dar, wie es die Einführung der Container vor etwa dreißig Jahren bedeutete. Und die neue Ära soll eine andere Machtverteilung zwischen PMA und ILWU mit sich bringen. Die PMA erhält in ihrem Handeln Rückendeckung von der US-Regierung. Hier wurde nur die Auseinandersetzung als solches besprochen. Doch der „Taft-Hartley-Act“ kann kaum ausschließlich als Unterstützung der US-Regierung für die PMA – etwa im Sinne eines Lobbyismus – betrachtet werden. Dies am Rande.

Die ILWU ist keine freie Assoziation, oder etwas Ähnliches. Gewerkschaften sind in den USA ein eigener Machtfaktor. Die Gewerkschaft sichert jedoch auch Bedingungen für die Arbeiter/innen, die sonst deutlich schlechter wären. Die ILWU hat sich offenbar in den letzten dreißig Jahren als stabilisierender Faktor „bewährt“. Jetzt will die PMA die Karten neu mischen. Sie greift damit beides an: Die Lebenssituation der Arbeiter/innen und die Rolle der ILWU. Es geht ihr um die Durchsetzung neuer Produktionsformen, um eine steigende Produktivität zu erreichen. Und dies heißt hier: schnellerer Umschlag mit weniger Leuten, Computertastaturen statt Kranhebel. Für die Longshore(wo)men bedeutet dies Kampf um den Job, um eine gewisse Lebensqualität. Oder wie es ein Gewerkschaftsfunktionär ausdrückte: „If you want your children and families to have the same kind of life you’ve had, you know what you have to do.“ („Wenn Du Deiner Familie und Kindern dasselbe Leben sichern willst, das auch Du hattest, dann weißt Du, was zu tun ist.)

v.sc.d

Streik

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