Bewegungskoordination

Bestandsaufnahmen und Begriffstützen vom 29. BUKO-Kongress

Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) ist ein unabhängiger Dachverband, dem über 150 Dritte-Welt-Gruppen, entwicklungspolitische Organisationen, internationalistische Initiativen, Solidaritätsgruppen, Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte angehören. Der Ursprung lag in den Solidaritätsbewegungen mit den Befreiungskämpfen im Süden. Sie versteht sich als Ort linker, herrschaftskritischer Debatten und sucht den offenen Dialog mit anderen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen.“ www.buko.info

Ein Internationalismus nach dem Internationalismus

Bis 2002 hieß die seit 1977 existierende Plattform noch „Bundeskoordi­nation entwicklungspolitischer Aktionsgruppen“. Die Kritik an früheren romantisierenden, nicht selbstkritischen Vorstellungen einer einheitlichen Seite der guten Unterdrückten führte auch in der Ausrichtung, z.B. den Arbeitsschwer­punkten, wie Rassismus und Flüchtlingspolitik, Weltwirtschaft, Alternativer Handel und die Pharma-, Rüstungsexport- und die Biopiraterie-Kampagnen, zu Veränderungen. Neben der drei bis vier mal im Jahr erscheinenden Zeitschrift „alaska“ hat die BUKO bisher auch schon diverse Positionspapiere und das Buch „radikal global“ ( Verlag Assoziation A., Hamburg-Berlin 2003) publiziert. In Abgrenzung zum Lobbyismus vieler Nicht-Regierungs-Organisationen nach 1989 wird eine Alternative zum Kapitalismus nicht ausgeschlossen, sondern nach wie vor angestrebt. Funktionsträger von Politik und Wirtschaft werden weiterhin nicht als Dialogpartner, sondern als Reproduzenten der Verhältnisse aufgefasst. Gefahren, wie die Konsens-Sucht einer vermeintlichen Zivilgesellschaft, in der alle gewinnen könnten und eine Pseudo-Vereinnah­mung detaillierter Forderungen zur Imagepflege der Macht­inhaberInnen müssen beachtet werden. Die zentralen Zielsetzungen der BUKO sind eine emanzipatorische Perspektive, eine antirassistische, antisexistische Haltung gegen jede Form struktureller Gewalt, Armut, Antisemitismus u.ä. im gemeinsamen Suchen von Handlungsperspektiven. Solidarität statt Almosen umschreibt den nicht karitativen, sondern politischen, autonomen Anspruch an die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bewegungen auf der Welt, der aber auch dafür sorgen soll, dass kritische Stimmen aus unterdrückten Ländern mehr Gehör finden. Daran geknüpft ist die generelle Ablehnung einer Teilhabe an den Machtverhältnissen, also deren Kritik und Kontrolle durch Widerstand von unten. Statt Doktrin steht aber der Netzwerkcharakter der Organisation an erster Stelle.

Seit 2005 ist die BUKO erfreulicher- und schwierigerweise selbstfinanziert. Deswegen wurde eine Kampagne ins Leben gerufen, nach der in diesem Jahr noch 150 mal 100 oder 1500 mal 10 Euro benötigt werden, damit die Vernetzungsarbeit weiter unabhängig laufen kann. Spenden in jeder Höhe und Tiefe werden gern entgegengenommen unter: VzF e.V./BUKO, Ev. Darlehensgenossenschaft Kiel, Konto­nr. 234 389, Blz. 210602 37, Verwen­dungs­zweck „BUKO braucht Kohle“.

buko 29: re:control – antworten, abweisen, aneignen

Vom 25. bis zum 28. Mai wurden in der TU Berlin Foren zu den Komplexen G8, Stadt/Sicherheit, Migration/Kolonialismus und Energie in mehreren Phasen abgehalten; insgesamt fanden über 100 Veranstaltungen mit WissenschaftlerInnen, Initiativen und Organisationen, wie z.B. The Voice, FelS, IMI, WEED, Gruppe B.A.S.T.A., Kein Mensch ist illegal u.v.m. und mit über 500 Interessierten statt. Leckere Bio-Küche, eine berli­nale Abschlussparty – fertig und voll kehrte ich zurück. Leider war es nicht möglich, an allen gewünschten Veranstaltungen teilzunehmen, da vieles parallel lief und sich stark auf bestimmte Zeiten konzentrierte. Aber auch ein gutes Gespräch auf der Zentral­wiese, der Sound der Samba-Trommel-Protest-Test-Kombo oder der herumliegende Lesestoff waren anregend, doch nun zu inhaltlichen Eindrücken:

Genderkicks

In einem gut besuchten Treffen zum Thema „Sicherheit, Geschlechterverhältnisse und feministische Bewegungsperspek­tiven“ wurde u.a. darauf hingewiesen, dass eine gemeinorientierte Produktion von Sicherheit sowieso nicht möglich ist und es um den Kampf gegen strukturelle Gewalt gehen sollte. Die Kriminalisierung von Prostitution und Migration durch Razzien, Denuntiations-Hotlines u.a. führt neben den Problemen Zwangsprostitution und Menschenhandel zu einer auch durch die Männerfußball-WM weiter verstärkten prekären Lebenssituation vieler Frauen. Die in einigen Städten installierten „Verrich­tungs­kabinen“ zeugen davon genauso, wie auf einer anderen Ebene die „Abpfiff-Kam­pagne“(www.abpfiff-­zwangs­­­­­­­­­­­­­­­pros­­ti­­tu­­tion.net). Mittler­weile staat­lich instrumentalisiert wird dort versucht, gegen die genannten Prozesse vorzugehen. „Darüber hinaus sollte für diejenigen, die als Zeuginnen in Prozessen aussagen, ein gesicherter Aufenthaltsstatus unabhängig vom Prozessausgang angestrebt werden.“ Diese Forderung der Kampagne allerdings ist zynisch und traurig zugleich: nach der Zwangsprostitution also noch drei Monate angstvoller Aufenthalt in Deutschland, um als Zeugin auszusagen, und dann wieder zurück, Abschiebung nach Gebrauch.

Stereotype Zuschreibungen von Gewalt und Territorialverhalten zu Männern und Sicherheitsstreben und Opferrollen auf Frauen klammern die konkreten Bedingungen von Gewalt aus, legitimieren die gängigen Maßnahmen und suggerieren passive Opfergruppen ohne Stimme. Demnach müssen Gegenperspektiven den Gedanken der Opfer mit Stimme, wie er z.B. bei den französischen „sans papiers“ praktiziert wird, aufnehmen, eine eigene Agenda erstellen, die Vernetzung vorantreiben und gegen die alltäglichen visuellen und sozialen Gewaltformen konfron­tativ, souverän und kreativ vorgehen.

Wir sind gekommen, um zu bleiben!

VertreterInnen der migrationspolitischen Organisationen Kanak Attak und Transit Migration riefen zu einem Diskussionsforum unter dem Motto „No Integration“. Dem Zauberwort Integration wird seit geraumer Zeit von Gruppen wie Kanak Attak („Integriert uns am Arsch!“) und dem österreichischen Kulturverein Kanafi eine Absage erteilt. Da die Herrschenden inzwischen den positiven Bezug zum Begriff adaptiert und umgewandelt, also die Definitionsmacht übernommen hätten, sei nun in den Debatten von Rechten keine Rede mehr. Die sogenannte Ghetto- bzw. Parallelgesellschaft würde als Argument für einen Imperativ der Integration missbraucht, obwohl Migration ein prinzipiell exzessiver Prozess, also nicht integrierbar sei. Außerdem seien die verschiedenen MigrantInnennetzwerke die wichtigsten Orte der Integration und nicht die Politik. Dort finden ja alle Integration wichtig, nur sei damit zunehmend die aktive Assimilation von MigrantInnen gemeint, die sich in eine illusionierte Mehrheitsgesellschaft zu integrieren hätten. Dabei werden auch immer nur bestimmte MigrantInnengruppen thematisiert und zugleich unzulässige identitäre Zuschreibungen vorgenommen.

Demgegenüber fordert z.B. Kanafi das Recht auf eine flexible, selbstbestimmte Identität, gleiche Rechte und Respekt statt Toleranz. Sie lehnen nicht ab, Teil dieser Gesellschaft zu sein, das sind sie sowieso, auch wenn das einigen nicht passt.

Ob man überhaupt Rechte einfordern solle oder nicht eigentlich den Rechtsstaat an sich ablehnen müsse, wurde heftig diskutiert. Von PraktikerInnenseite wurde aber eingeräumt, die Frage auf Rechte zu richten, die eine Verbesserung der Lebenssituationen ermöglichten und insgesamt weiter führen. Eine Forderung nach Rechten ohne die Bedingung der Integration sei schließlich sehr wichtig. Es wurde auch auf den engen Zusammenhang zur Frage des nationalen Sozialstaates hingewiesen. Auch prägt dieser mit seinen Sonderregeln einen europäischen Prozess des Sozialabbaues und der Grenzverfestigung, die Praxis müsse daher auch mindestens auf europäischer Ebene laufen, wie es u.a. das Frassanito-Netzwerk anstrebt.

Mit den Ansprüchen einer angeblichen Mehrheit und dem Schlagwort Integration wird erneut eine Hierarchie aufgebaut und nicht auf Konflikte reagiert. Deswegen sollte der positive Bezug auf den Begriff von emanzipatorisch motivierten Menschen überdacht werden.

Wir sind hier, weil ihr unserer Länder zerstört!

Die verschiedenen Perspektiven auf das Thema Migration in linken Diskursen, die auch für die Anti-G8-Mobilisierung relevant sind, werden oft in die Pole „Festung Europa“ und „Autonomie der Migration“ eingeteilt. (Gregor Samsa in analyse& kritik Nr. 506, 19.05.06). Die einen führen an, dass jährlich immer weniger Asyl­be­wer­­­­ber­­In­nen über­haupt hier an­kä­­­men, dann auch fast immer nicht anerkannt. In Europa werden jährlich eine halbe Million abgeschoben, die „freiwilligen“ Ausreisen nicht mitgezählt. Die EU hat vor kurzem die deutsche Drittstaatenregelung übernommen, auch Libyen, Marokko und Weißrussland (die nicht einmal die Genfer Konventionen unterschrieben haben) sollen bald als sichere Drittstaaten gelten, von denen aus bei einer Einreise in die EU kein Asyl gewährt wird. Die Sicherung der Grenzen, u.a. durch Abschiebe- und Auffanglager in Marokko, der Ukraine oder etwa Mauretanien tun ihr übriges zur berechtigten Kritik an der europäischen Ab­schottungs­politik.

Die Autonomie der Migration beschreibt dagegen einen Formwechsel von Migration (nämlich die undokumentierte Einreise ohne Asylverfahren) durch die Änderung der Bedingungen. Es seien heute keineswegs weniger Flüchtlinge, die nach Europa einreisten. Die Politik zielte außerdem eher auf eine weitere Entrechtung billiger „Arbeitsnomaden“ als auf die Schließung der Grenzen. Die alltäglichen Kämpfe seien die eigentlichen sozialen Bewegungen und die permantente Entmündigung von MigrantInnen in der Opferrolle müsse aufhören.

Diese Ansichten schließen eigentlich nicht aus, sowohl MigrantInnen als handelnde Subjekte zu begreifen, als auch die strukturellen Ursachen der alltäglichen Benachteiligung bis hin zur Frage der globalen Verteilungsgerechtigkeit zu bekämpfen. Wichtig zu bedenken ist aber auch, dass nicht jeder Alltagskampf von Migran­tInnen auch emanzipatorisch ist. Die gemeinsame Vernetzung gegen den G8-Gipfel und darüber hinaus beinhaltet also hohe Anforderungen aber auch unge­kannte Potentiale.

Mobilisierungspläne zu Migration und G8

Auf dem BUKO-Kongress wurden aus genannten Gründen mehrere Mobili­sierungs­workshops angestrengt, die die Themen Migration und Anti-G8-Mobilisierung verknüpfen wollten. Die Bremer No-Lager-Gruppe hatte eine Aufrufvorlage „Für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle“ im Gepäck, in der sie sich im Anschluss an die Strategie in Genua 2001 und an das 3. Europäische Sozialforum in London „gegen die neokoloniale Ausbeutung im Süden und rechtliche, soziale und politische Ausgren­zung im Norden“ ausspricht. Sie schlagen vor, die Forderungen als eine zentrale Säule der Mobilisierung festzulegen und eine Großdemonstration unter dem Titelmotto am Vortag des Gipfelbeginns zu veranstalten.

Vor Ort fand dieser Vorschlag durchaus Anklang, obwohl statt einer Großde­mons­tration in Ros­tock auch eine Demo mit konkreten Forderungen, an einem Flughafen oder Mi­gran­t­Innen-Heim, eine nachhaltige Wir­kung erzielen könnte. Neben weiteren Aktionen wurde vorgeschlagen, eine Art Tagesforum europäischer Migrati­ons­organisationen zu veranstalten, wenn schon mal alle da sind. Existentiell war für alle, dass mehr Input von Migran­tInnen-Gruppen erreicht werden muss. Eine breite Mobilisierung in diesem Bereich muss beachten, dass eine Demonstration für viele die einzig realisierbare Aktionsform ist. Einen gemeinsamen Bezugspunkt, vielleicht sogar einen Forderungskatalog zu erarbeiten, aber nicht nur bei den Menschenrechten stehen zu bleiben, ist wichtig; und auch Themen wie Rassismus, Kolonialismus und Nazis sollten in diesem Zusammenhang Beachtung finden. Auf dem Anti-G8-Camp und auf dem europäischen Mo­bi­lisierungstreffen im Oktober werden diese Punkte hoffen­tlich weiter verbunden.

Dissenzen zum G8-Gipfel ´07

Beim Großplenum eines Spektrums, von dem sich der größte Teil seit dem letzten G8-Gipfel 2005 in Schottland als „Dis­sent“-Netzwerk bezeichnen würde, wurden vor allem bündnispolitische Probleme besprochen. Z.B. ist ein Gegengipfel von attac u.ä. mit angefragten Gästen wie Antonio Negri oder Jürgen Habermas in Planung. Von mehreren Anwesenden wurde ohne Widerspruch bekundet, dass sie daran nicht teil­­neh­men wollen würden, wenn dieser, wie es Gerüchte sagen, während des G8-Gip­fels stattfinden würde, da zu die­sem Zeitpunkt andere Aktivitäten im Vordergrund stehen werden. Der Dialog mit NGO´s und anderen zivilgesellschaft­lichen Institutionen sei dennoch wichtig, um eine Großdemon­stra­tion in Rostock am Samstag der Gipfeltage zu realisieren. Ersten Informationen zu Folge soll der Gipfel in Heiligendamm vom 8. bis zum 10. Juni 2007 über die Bühne gehen, die Demo wäre also am 9.Juni. Akut sind lokale Besonderheiten, wie der spätsommerliche Wahlkampf 2006 in Meck­lenburg-Vorpom­mern, der als „Testfall für das Verhalten linker Kreise“ gelten soll, vor allem weil am 17. Juli George Bush nach Stralsund kommen wird. Aber auch der Nato-Mi­li­tär­flug­hafen Rostock Laage und das „Bom­bodrom“ bei Witt­stock, ein Übungs­­­­­­ge­lände für kombinierte Luft- und Bodeneinsätze und allgemein Themen wie die Gen-Politik, AIDS oder ein etwaiger Krieg im Iran sollten bei der programmatischen und inhaltlichen Planung beachtet werden. Das nächste Treffen des dissent!-Ple­nums soll auf dem Anti-G8-Mo­­bi­­­li­­­­sie­r­ungs­camp, dass vom 3. bis zum 14. August (www.camp06.org) an der Ostsee bei Ros­tock stattfindet, am ersten Samstag (05.08.) sein.

(clara)

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