Archiv der Kategorie: Feierabend! #02

LVB: Minus für Plus

Der Duden meint dazu: „Minus, das: Minder-, Fehlbetrag, Mangel; Ggs Plus“ und „Plus, das: Mehr, Überschuß; Ggs Minus“

Im öffentlichen Dienst muß seit jeher scharf kalkuliert und gerechnet werden. Die Zeichen Plus und Minus sind dort gewiß nicht unbekannt; und seit jeher jonglierte mensch in der Verwaltung damit aufs wunderbarste. Vor kurzem konnte das in Leipzig wieder erlebt werden: 30 Prozent weniger Lohn für neu eingestellte FahrerInnen von Bus und Straßenbahn im Stadtgebiet, aber immerhin (?) mehr BusfahrerInnen. Doch das Minus ist nicht nur ein Plus, sondern sogar zwei!

Durch „marktübliche Bezahlung“, so der Geschäftsführer der LVB, Hanss (1), sollen nämlich „marktgerechte Preise“ erzielt werden … heißt das jetzt, Fahrkarten werden um 30 Prozent billiger?

Durch die Ausgliederung der FahrerInnen in eine spezielle Gesellschaft (die LSVB) (2) – welcher der DGB-Betriebsrat umstandslos zustimmte – werden nicht nur Neuerungen umgesetzt: die FahrerInnen erhalten unterschiedlichen Lohn, ein feines, aber offensichtliches Netz hierarchischer Abstufungen: die ex-LVBler bekommen mehr als die vom RVL (3), die wiederum mehr als die vom RVT(4), und am wenigsten, nämlich 30 Prozent weniger Stundenlohn erhalten die neu eingestellten FahrerInnen. Und alle zusammen müssen flexibler arbeiten … „seid bereit!“ Beim alten bleibt’s mit dem engen Zeitplan, mit dem extremer Stress produziert wird: so manche Minute Verspätung (oft verkehrsbedingt) summiert sich da, und frißt die spärlichen Pausen auf. Wer geblitzt wird, beim Versuch die Pause zu retten, zahlt aus der eigenen Tasche.

Es gibt da wohl nichts zu beschönigen: die Stimmung in den LVB ist unter null. Und auch auf der Straße, in den Augen der Fahrgäste dürften sich die Minuspunkte häufen, wenn Geschäftsführer Hanss meint, Tariferhöhungen seien auch nach dem 1. August „immer möglich“. Es ist nun wirklich an der Zeit, sich um Alternativen, um die eigenen Anliegen zu kümmern. Viele verließen die Gewerkschaften, diese Bürokratie, die um des „sozialen Friedens“- Willen – Friedhofsfrieden, Totenstille – alles mitträgt. Diese vielen müssen sich zusammenfinden, um der ursprünglichen Gewerkschaftsbewegung wieder Leben einzuhauchen … dezentral, solidarisch, kämpferisch, ohne Hierarchien, für ein besseres Leben!

A.E.

(1) im übrigen ehemaliger Gewerkschafts-Funktionär
(2) LSVB = Leipziger Straßenverkehrsbetriebe
(3) RVL = Regionalverkehr Leipzig
(4) RVT = Regionalverkehr Taucha

Lokales

Arbeitgeber, Arbeitnehmer…

Ein Verständnisproblem

Manchmal erklären Worte mehr als diejenigen bezwecken, welche sie in den Mund nehmen. Um welche Worte es im folgenden gehen soll, kann man in der Überschrift erkennen. Keine Tageszeitung, keine Nachrichtensendung und kaum ein längeres Gespräch über das als Hauptübel der Menschheit verkannte „Problem“ der Arbeitslosigkeit kommt ohne Kommentare zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite aus. Zwischen diesen beiden Parteien werden Verhandlungen geführt, es gibt diesen und jenen Streitpunkt, die einen möchten mehr Rechte, die anderen hingegen würden ihrem Widerpart gerne (zugespitzt!) jegliche Rechte aberkennen. Zum Gipfel nennt sich die ganze Chose dann auch noch Sozialpartnerschaft…

Tröstlich allein stimmt es, dass sogar hier im gesellschaftlichen Normalgeplänkel Rivalitäten und Unterschiede vorausgesetzt werden, die man doch eigentlich zusammen mit Karl Marx aus der öffentlichen Diskussion entsorgt hat. Jedoch soll das hier nicht das Thema sein.

Vielmehr ist es das Anliegen dieser Zeilen, auf eine zugegebenermaßen recht banale Absurdität hinzuweisen: Wer gibt denn hier wem Arbeit? Und wer nimmt dieselbe im eigenen Interesse an?

Richtig! Der Mensch, welcher auf Geld angewiesen, Tätigkeiten ausübt, die garantiert nicht immer seinem Geschmack entsprechen, gibt „Arbeit“! Er hat ja auch nichts anderes zu bieten, um seine Existenzberechtigung nachzuweisen; kreativ als Ich-AG umschrieben. Wahrscheinlich ist es äußerst trivial anzumerken, dass zu dieser Gruppe von Menschen Fließbandmalocher, Handwerker, Angestellte in Bank, Werbeagentur und Unterhaltungsindustrie, etc. gehören. Normalerweise „Arbeitnehmer“ genannt, sind sie alle Woche für Woche damit beschäftigt, ihre Arbeit gegen Lohn zu tauschen. Waschechte Arbeitgeber sozusagen!

Wer hingegen ist nun der wahre Arbeitnehmer ? Vielleicht sind es die Selbstständigen (1), die ja wirklich furchtbar selbstständig im ökonomisch und politisch vorgegebenen Rahmen umherwirbeln dürfen, da sie neben ihrer Arbeitskraft auch noch das nötige Geld haben oder es sich leihen, um eine Firma zu gründen, bzw. am Laufen zu halten. Wenn diesen Selbstständigen dann alles nach Wunsch gerät, holen sie aus eigener (ja, auch das) und „genommener“ Arbeit wieder hübsche Sümmchen heraus.

Leider ist es oftmals nicht so einfach, in einem komplexen Wirtschaftssystem, wie es der Kapitalismus nun einmal ist, die Frage nach den Arbeitnehmern zu beantworten. Konzerne, Kapitalgesellschaften und auch der Staat, die unsere Arbeit nehmen, zeichnen sich durch die groteske Struktur aus, die ganz im Sinne der vorherrschenden Ordnung, zunehmend anonymisiert und atomisiert. Vielleicht ist es ja ein Nachbar, ein neben mir in der Straßenbahn sitzender Mensch, eine sympathische, flüchtige Kneipenbekanntschaft, die Aktien an der Firma halten, die mich am kalten Morgen aus dem warmen Bett zwingt.

Als beliebter Sonderfall sei auch der Eigenanteil eines Angestellten an „seiner“ Firma erwähnt: Eine treffliche Einrichtung, um sich selbst maximal auszubeuten und Fragen nach Sinn und Zweck der eigenen Tätigkeit hinten anzustellen. Problematisch wird es nur dann, wenn die Firma den Bach heruntergeht und die Aktienanteile plötzlich nichts mehr wert sind. Die baldige Auflösung des Neuen Marktes und etliche ruinierte „Ich-AGs“ sprechen Bände!

Das verwickelt die Sache ungemein und macht deutlich, wie schwer es ist, einen Angriffspunkt zu finden, von dem aus diesem ganzen Unsinn Einhalt geboten wird.

Daß sich die Gesellschaft bereitwillig und unreflektiert in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberhaufen einteilen lässt, wenn auch völlig falsch verstanden, hilft zumindest Interessenskonflikte auszumachen, die zu Widerstand führen könnten.

Doch sogar hier ist Verschleierung im Gange, wenn ein „Bündnis für Arbeit“ oder eine Standortdebatte die Aufmerksamkeit nur noch auf Probleme richtet, die streng genommen keine sind. „Arbeitslosigkeit“ sollte in diesem Sinne auch mehr als Segen denn Problem aufgefasst werden: Zumindest teilweise von der Kette der Arbeit „los“gelassen zu werden, solange das noch möglich ist, klingt doch nicht so schlecht.

Die demnächst umgesetzten Vorschläge der Hartz-Kommission werden jedoch auch damit bald Schluß machen . Alles kann man sich wirklich nicht gefallen lassen.

kao

(1) Selbstständige können sicherlich nicht nur als kleine Krämerseelen gesehen werden, stoßen sie doch auch oft genug auf die Grenzen ihrer „Freiheit“ !

Arbeit

Im Namen des Standorts

Rück- und Ausblick auf rot-grüne Hochschulpolitik

Rot-Grün hat es noch einmal geschafft, trotz Kriege, neoliberaler Politik, verstärkter Selektion, Abbau bürgerlicher Freiheiten etc. Das heißt für die Menschen, die sich in den gesellschaftlichen Funktionen SchülerIn, StudentIn, WissenschaftlerIn und Beschäftigte befinden, weitere vier Jahre rot-grüne Bildungspolitik. Wie diese womöglich aussehen könnten, darauf möchte ich am Ende eingehen. Wichtige Voraussetzung dafür ist zunächst eine Betrachtung der vergangenen vier Jahre.

Auf den ersten Blick scheint die Bilanz positiv auszufallen: die Erhöhung der Bildungsausgaben um 20 und der Anzahl der BAFÖG-Empfänger um 16 Prozent, das Studiengebührenverbot und die Reformierung verkrusteter Universitätslaufbahnen durch Juniorprofessuren.

Auf den zweiten Blick zeigen sich die Haken an der Sache: So wurde eine Verdoppelung der Bildungsausgaben und eine Grundförderung von 200 Euro für jeden Studenten versprochen. Dass die Bildungsausgaben überhaupt erhöht werden konnten, war eigentlich auch nur dem Glücksfall der Versteigerung der UMTS-Lizenzen geschuldet.

Nun ist es nicht schlimm, mehr BAFÖG zu bekommen, im Gegenteil, ich würde mich nicht dagegen sträuben. Es ist aber schlimm bzw. normal, dass diese ganzen „Verbesserungen“ einer Ideologie folgen, dass sie nicht aus Menschenfreundlichkeit umgesetzt wurden, sondern um den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, deshalb muß, ich zitiere: „Deutschland eine Ideenfabrik werden“. Wissen ist die zentrale Ressource des 21.Jahrhunderts. So gesehen ist das rot-grüne Projekt ein Modernisierungsprojekt für Deutschland. Der Konkurrenzdruck des Weltmarkts wird nach unten weitergegeben bzw. wird das Konkurrenz-. Leistungs- und Wachstumsprinzip in alle gesellschaftlichen Bereiche integriert. In diesem Kontext sind die Reformen zu sehen.

Die BAFÖG-Erhöhung soll die „Humanressourcen“ ausschöpfen. Die Dienstrechtsreform mit 25 % Gehalt nach Leistung und Juniorprofessur soll die Effizienz und Leistung und die Einführung von Studienkonten den Druck erhöhen, schneller, effizienter und arbeitsmarktorientierter zu studieren; und Bildung abrechenbar zu machen, sie in eine Ware zu transformieren.

Denn das Studiengebührenverbot ist nicht mehr als eine Farce. Genau heißt es in der 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes, dass seit dem 15.8.2002 gültig ist: „Dem § 27 wird folgender Absatz 4 angefügt: (4) Das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, ist studiengebührenfrei. In besonderen Fällen kann das Landesrecht Ausnahmen vorsehen.“

Also sind Studiengebühren theoretisch ab dem ersten Semester erlaubt. Aber auch wenn man annimmt, dass es „Ausnahmen“ bleiben, dann sind dennoch Zweitstudium, „Langzeitstudium“ und Seniorenstudium gebührenbedroht. Dabei hieß es doch noch im rot-grünen Koalitionsvertrag: „Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebühren ausschließen.“

Begründet wird das zumindest teilweise Verbot mit dem Standort, denn „Deutschland braucht mehr und noch besser ausgebildete Fachkräfte mit akademischen Abschlüssen. Wir wollen die Zahl der Studienanfänger von heute 28 % auf das OECD-Niveau von etwa 40 % steigern. Deshalb“, nicht etwa aus Menschenfreundlichkeit oder ähnlichen Sentimentalitäten, „muss der Zugang zu unseren Hochschulen offen und in ganz Deutschland muß Studiengebührenfreiheit [fürs Erststudium] bestehen bleiben.“

Der Studiengebührenbegriff von Rot-grün ist allerdings recht seltsam, denn Bulmahn will folgendes schaffen: „die Grundlage für neue Modelle wie Studienkonten und Bildungsgutscheine.“ Und diese Modelle sollen dann Studierenden und Hochschulen gleichermaßen zugute kommen.

Studienkonten sind jedoch leider selbst Studiengebühren, die nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden, sozusagen verschärfte Langzeitstudiengebühren, mit flexibler Studienzeiteinteilung.

Der Druck wird weiter steigen, wie er in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Zur Erinnerung: Es gab mal, ohne diese verklären zu wollen, eine Zeit ohne Zwischenprüfung. Diese Verschärfung von Selektion, Konkurrenz- und Leistungsdruck ist eine allgemeine Tendenz, man nehme sich nur mal das Hartz-Papier zur Hand.

Dieses Studienkontenmodell als sozial anzukündigen ist ebenso eine Unverschämtheit. Denn es ist genauso wie beim BAFÖG: Wer genug Geld von den Eltern oder geerbt hat, der braucht sich nicht um die Regelstudienzeit zu scheren. Wer allerdings aufs BAFÖG angewiesen ist, steht unter dem Druck in dieser Zeit fertig zu werden. Und genauso wird das mit Studienkonten sein. Wer Geld hat um die 35 Euro für die Semesterwochenstunde zu bezahlen (wie es in einem Papier der rheinland-pfälzischen Landesregierung angedacht ist) braucht sich nicht um sein Studienkonto zu kümmern, wer nichts hat, beeilt sich entweder oder hat Pech gehabt.

Reinhard Loske von den Grünen wollte dazu aber auch noch was sagen: „Es [das Studienkontenmodell] konkurriert im politischen Raum mit dem Modell der Langzeitstudiengebühren. Etwa bei den Modellen in Rheinland-Pfalz, NRW und Schleswig- Holstein hat man eine große Ausstattung mit staatlich finanzierten Bildungsgutscheinen. Das stärkt die Position der Studierenden und gibt ihnen ein Anspruchsrecht. Das übt Qualitätsdruck auf die Hochschulen aus. Das schafft bei den Studierenden – was durchaus wichtig ist – ein Ressourcenbewusstsein, ein Bewusstsein dafür, dass man mit der Ressource Bildung schonend umgeht.“

Bildung als knappes Gut zu verstehen, ist schon eine Frechheit, das zeugt von einem ziemlich ökonomistischen Bildungsverständnis. Denn wo werden nach der derzeitigen Betriebswirtschaftslehre knappe Güter gehandelt? Auf dem Markt. Das bedeutet, Bildung als Ware zu verstehen, deren Preis durch Angebot und Nachfrage reguliert wird. Die starke Position der Studierenden ist die des Nachfragers. Doch das hat nichts mehr mit selbstbestimmter Bildung, mit der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu tun.

Bildung als Ware, bedeutet Universitäten als Unternehmen. Und genauso läuft es auch, immer mehr Unternehmensaspekte werden auf die Universitäten übertragen: Straffung der Hierarchien, verstärkter Einfluss der Wirtschaft, verstärkte Drittmitteleinwerbung, Konkurrenz in und zwischen den Hochschulen. Und dieser Prozess läuft unterschiedlich schnell auf Länder- und Hochschulebene.

Dabei gibt es jedoch keinen Grund die jetzige Universität zu verteidigen, da auch sie kaum einen anderen Zweck hat als Eliten auf den Arbeitsmarkt und für wichtige Stellungen in Unternehmen, Zivilgesellschaft und Staat vorzubereiten und somit mitnichten, die Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung, sondern vielmehr die Reduktion der Menschen auf bestimmte Funktionen fördert.

Nach diesem sicherlich notwendigen Abschweifen auf allgemeine Betrachtungen, zurück zu rot-grüner Regierungspolitik. Auf was müssen wir uns womöglich die nächsten Jahre einstellen? Sicherlich auf eine weitere Erhöhung von Konkurrenz- und Leistungsdruck im Namen des Standorts, im Namen der Nation. Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine stärkere Profilierung der Hochschulen, um „Wettbewerbsposition[en] behaupten zu können“ und die engere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. Sie möchte „Exzellenzzentren“ an den Hochschulen, in denen sich „die Spitzenforschung konzentrieren“ müsse und „Ausgründungen von jungen, innovativen Unternehmen“. Des weiteren soll „Ökonomisches Grundwissen und die Fähigkeit, einen Geschäftsplan zu erstellen, […] zum gewohnten und vertrauten Handwerkzeug werden“. Die SPD will „Lehrstühle für Existenzgründungen an allen Hochschulen“ gründen. Menschen werden als Material begriffen: „Die Köpfe, das Wissen, die Kompetenz und die Kreativität der Menschen sind unsere wichtigste Ressource“ und „Deutschland braucht gut ausgebildete Menschen und eine starke wettbewerbsfähige Forschung.“

Besser könnte man den Entfremdungscharakter dieser Bildung nicht ausdrücken. Für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands werden die Menschen unter ein Leistungsregime gestellt und mit ökonomisch-formalem Fachwissen vollgepfropft. Dies liegt nicht allein an Rot-Grün , jede andere Regierung hätte diese Entwicklung nur wenig anders, höchstens langsamer durchsetzen können. Es ist der kapitalistische Grundcharakter lokal wie global und dessen Entwicklung, der dem Bildungssystem die Grenzen setzt. Trotzdem ist eine solche Entwicklung nicht einfach so hinnehmbar, es ist wichtig sich gegen diese Steigerung des Leistungsdrucks zur Wehr zu setzen und gegen Zwänge in Form von Scheinen und Prüfungen zu kämpfen. Schließlich geht es auch darum, halbwegs gut leben zu können. Und dazu braucht man freie Zeit und so wenig äußere Zwänge wie möglich.

kater murr

Bildung

Lohn und Arbeitsplatz

Moderne Märchen

[Einführung]

Viel ist in letzter Zeit über den Tarifstreit gestritten worden. In den Medien und folgerichtig auf der Straße, wurde von den überzogenen Forderungen der Gewerkschaften gesprochen, von der Überholt- und Überflüssigkeit dieser Institutionen mit ihren für die Konjunktur und Wettbewerbsfähigkeit schädlichen und bezüglich der Arbeitslosen unsolidarischen Verhalten. Dies erklärt sich letztendlich nicht nur aus dem kleinen Schock, den die durchgesetzten Lohnerhöhung der Pilotengewerkschaft Cockpit hervorgerufen hat. Aber niemand von uns hat doch ehrlich daran geglaubt, das dies wirklich eine Vorbildwirkung für die Massengewerkschaften sein würde. Warum aber eigentlich nicht ? Was zum Teufel verbirgt sich hinter dieser auf Erfahrung gestützten Sicherheit? Warum fahren Lohnabhängige einen Kurs gegen die sie doch eigentlich vertretenden Gewerkschaften? Also auch wenn jeder es schon weiß:

[Grundlegende Banalitäten]

Um sich diesem Thema zu nähern wollen wir erst einmal ganz einfach von unten anfangen.

Was will ein Unternehmer? Die Frage scheint klar zu beantworten und doch scheuen sich viele vor den daraus erwachsenden Konsequenzen. Er will Gewinn machen, d.h. Profit, mehr Kapital in einem Zeitabschnitt herausholen, als er hinein gesteckt hat. Dass dies Geldform hat, interessiert uns erst einmal nicht. Jeder, der sich in seine Situation versetzt, würde das gleiche wollen. Nicht nur das, er würde Profit „erwirtschaften“ müssen, weil ihn sonst die Konkurrenz auffrisst und plattmacht. Er will also nicht nur, sondern er muß mit geringstem Aufwand das maximalste Ergebnis erzielen, also ein Mehr an Masse an ihm gehörenden, zufließendem Kapital, sei es in den Formen Geld, Waren oder sonst etwas.

Was will nun der Lohnabhängige, ganz abgesehen davon, ob er Arbeiter, Angestellter, Hilfsarbeiter, Müllfahrer oder Programmierer ist? Er möchte ebenfalls mit möglichst geringem Aufwand ein maximales Ergebnis. Für ihn heißt das, mit wenig Arbeitsstunden und ohne Stress viel Lohn zu verdienen.

Hier haben wir also den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, wie es so schön heißt, ausgedrückt. Das sind natürlich verschiedene Interessen, die sich nicht nur kreuzen, sondern einander entgegengesetzt sind. Man kann natürlich auch jetzt hingehen, und diese Interessengruppen zusammenfassen und sie benennen. Z.B. könnte man zu ihnen Klassen sagen und zu ihren Auseinandersetzungen,… Aber solches muß jeder selber entscheiden.

Was ist nun der Zusammenhang zwischen dem Unternehmer und dem Lohnabhängigen. Klar, der Unternehmer braucht den Lohnabhängigen, damit er jemanden hat, der für ihn arbeitet. Wer will es ihm verübeln? Ist der Unternehmer nicht sogar Wohltäter, der uns alles gibt, damit wir (für ihn ) arbeiten können? Zugegeben, ein Märchen aus einer früheren Zeit, wir haben heute unsere eigenen, zeitgemäßen. Festzuhalten ist, der Unternehmer oder klassisch Kapitalist braucht den Lohnabhängigen oder klassisch Arbeiter/Proletarier. Er ist absolut notwendig, während umgekehrt die Sache etwas anders aussieht. Sei’s drum. Der Lohnabhängige ist für den Unternehmer zuallererst ein Kostenfaktor, im Jargon „Personalkosten“. Er gehört zu der in Bewegung gesetzten Maschinerie genauso, wie der Dienstwagen, die Heizung der Werkhallen, Computer und Bohrmaschine. Alles notwendige Kostenfaktoren für die Produktion, die Menschen als Arbeiter sind davon nur einer.

Diese Kosten sind auf Seiten des Arbeiters nun aber dessen Lebensgrundlage, der Lohn, der seine Existenz sichert, von Brötchen bis Urlaub & Renten, alles was er hat. Dabei ist es abhängig vom Land, in dem wir uns befinden, was zum durchschnittlichen Auskommen des Arbeitenden gehört, ob Auto oder Mallorca dazugehören, ist z.B. in Peru oder den USA fraglich.

Also für Unternehmer in den USA leben wir in der BRD schon im Sozialismus. Denn was geht es den Unternehmer an, wenn sein Arbeiter krank wird (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall)? Oder was interessiert ihn der Urlaub seines Humankapitals (Urlaubsgeld)? Alles schädliche Kosten, die vom Gewinn abgehen. Noch haben wir in der BRD gegenüber anderen Ländern als Arbeiter relativ gute Bedingungen als Ergebnis langer Auseinandersetzungen zwischen Kapital & Arbeit, aber es ist schon zum Jagen geblasen. Also das Ziel unseres Unternehmers war möglichst viel Profit. Dazu muss er erstens die Kosten soweit drücken, soweit es möglich ist und zweitens alle Faktoren der Produktion möglichst effizient ausnutzen. Das bezieht sich natürlich auf auf den Faktor Mensch und bedeutet, da es weit billiger ist die vorhandenen Arbeiter versteckt oder offen länger arbeiten zu lassen als neue einzustellen, dass sich auf der einen Seite Stress und Überstunden häufen und andererseits die Arbeitslosen arbeitslos bleiben.

Auf der anderen Seite ist ebenso klar, das jedes Unternehmen einer ständigen Rationalisierung unterliegt. Also wird ständig die Arbeitsproduktivität erhöht und mit weniger Arbeitern mehr produziert. Jeder weiß das. Bis hierhin haben wir also Betriebswirtschaftslehre I. Das bedeutet aber auch, dass das Interesse des Arbeiters immer störend ist & er das Geldverdienen doch lieber den anderen überlassen sollte. Es ist vernünftig niedrige Tarifabschlüsse zu machen, fragt sich nur wessen Vernunft hier gefragt ist.

Nun aber setzt eine merkwürdige Trübung der Sicht und Beurteilung ein. Wenn es nicht so schmerzhaft offensichtlich wäre, würde ich den Leser nicht mit den anfänglichen Banalitäten gequält haben.

[Die modernen Märchen]

Das Märchen von den zusätzlichen Arbeitsplätzen, welches die Gewerkschaften und Kapitalistenverbände immer wieder gerne aufwärmen klingt ja eigentlich logisch, wäre da nicht ein kleiner aber entscheidender Fehler, es ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Nach seinen Zielen schafft der Unternehmer Arbeitsplätze wenn sie rentabel sind, also Profit versprechen und sonst gar nicht. Dies bedeutet aber, daß man das ganze Gelaber darüber vergessen kann. Genauso baut er Arbeitsplätze ab, wenn dies nötig wird. Er hat keiner Moral oder Wünschen zu folgen, sondern folgt klar dem Gesetz des Marktes. So existiert kein dem Aufbau neuer Arbeitsplätze reservierter Lohnzurückhaltungsfond, sondern er fließt als Gewinn in die Taschen der Unternehmer. Das hat sogar die IG Metall erkannt und ist nun beleidigt. »Schluß mit der Debatte, Lohnverzicht schaffe Arbeitsplätze! Mehr Kaufkraft bedeutet höhere Nachfrage, und das wiederum kurbelt die Produktivität und somit auch den Arbeitsmarkt an.« (Peters)

»Die lahmende Binnenkonjunktur muß angekurbelt werden. Dazu müssen und wollen wir mit unserer Tarifpolitik einen Beitrag leisten.« (Zwickel in IG Metall-Pressedienste 146/2001)

Kommen wir zur ergänzenden Mähr der Ankurbelung der Binnenkonjunktur durch Stärkung der Kaufkraft. Auch das entpuppt sich wieder als eingängiger, aber in der Wirklichkeit purer Schwachsinn. Wenn man es sich ansieht (Handelsblatt), dann sind zur Zeit die industriellen Ressourcen zu rund 80% ausgelastet. Ein Mehr an Kaufkraft heißt da nur, das man unwesentlich die Maschinerie ankurbeln muß, um den neuen Bedarf zu decken. Erst ab einem erheblichen Maß an mehr Geld im Konsumtionsfond würden mehr Arbeitsplätze entstehen, die ja eigentlich nur ein unliebsamer Kostenfaktor sind. Nun haben wir hier wiederum ein Märchen und keine ökonomische Gesetzmäßigkeit. Aber nicht nur das, ich möchte mehr Lohn und nicht die Binnenkonjunktur ankurbeln, genauso wenig der Unternehmer meine Arbeitskraft will und nicht mein Freund sein. Lustigerweise müsste man also im Sinne der Konjunktur, damit es so richtig brummt 100% mehr Lohn fordern.

Das Märchen von den Hohen Lohnkosten. Mal ehrlich, würden wir als Unternehmer nicht auch bitterlich weinen, wenn diese undankbaren Arbeiter nicht damit zufrieden sind, was sie haben und dass sie noch nicht der sozialen Hängematte übergeben worden sind? Lohnerhöhungsforderungen sind doch nun wirklich out. Da hat man mal früher drüber geredet, aber das waren andere Zeiten, an die man sich nicht gerne erinnert. Das schadet dem Unternehmen und damit letztendlich den Arbeitern selbst. Ist das die Wahrheit? Ich würde mich nicht auf den Standpunkt der anderen Klasse stellen, da ihre Ziele einfach nicht die meinen sind. Dann kann mich das Geschwätz auch nicht beirren, sondern macht mich eher etwas böse.

So ist es nur logisch, wenn moderate Lohnabschlüsse gefordert werden, damit man der Konjunktur nicht schadet und ebenso, damit man in einer Rezession nicht noch mehr Schaden für die Wirtschaft (also die Kapitalisten) anrichtet. Folgerichtig ist es nie Zeit Lohnkämpfe zu führen, da sie immer schädlich sind. Das dazu. »Die Forderungsempfehlung setzt sich zusammen aus einer Preissteigerungsrate von bis zu zwei Prozent im Jahr 2002 und einer gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung von bis zu zwei Prozent. Es besteht also ein kostenneutraler Verteilungsspielraum von etwa vier Prozent. Der Rest sind Umverteilung und Nachholbedarf.« (IGM-Vorsitzender Klaus Zwickel in IG Metall-Pressedienste 146/2001)

[Zu den Argumenten]

Kommen wir also nun zu den naheliegenden Schlussfolgerungen aus der Betrachtung und überlassen das weitergehende dem Denken des Lesers.

1. Lohnzurückhaltung ist dumm. Wie wir gesehen haben, ist die Rationalisierung ein ständig laufender, aufgrund der Konkurrenz notwendiger Prozess, hat z.B. bei VW denn Namen KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Ein Resultat davon ist, das tendenziell Arbeiter entlassen werden. Früher oder später werden sie also eh entlassen. Fragt sich dann konkret nur, wen es wann trifft. Also bringt Lohnzurückhaltung wenig bis gar nichts. Es führt nur dazu, das der Arbeiter weniger Lohn hat, am Risiko des Unternehmens direkter beteiligt wird und das was hintenüber bleibt, also der Profit, wird zwischen Staat (Steuern) und Unternehmer aufgeteilt, fließt in dessen Taschen. Wer wollte es ihm verübeln? Im Zweifelsfalle hat der Arbeiter nichts und guckt in die Röhre, populäres Beispiel Holzmann. Am Ende Arbeitsamt und der Lohnverzicht beim Teufel. Man sollte sich mit den Zielen des Unternehmers halt nicht gemein machen, es sind nicht unsere Ziele. Vielmehr haben wir völlig entgegengesetzte Ziele, nämlich konkret mehr Lohn, also mehr Kosten, also weniger Profit.

2. Lohnzurückhaltung ist nicht nur dumm, sondern unsolidarisch. Was passiert denn, wenn wir für weniger Geld arbeiten. Es werden die gleichen Waren hergestellt wie vorher, aber sie kosten den Kapitalisten weniger. D.h. er macht mehr Profit, also wird seine Ausgangslage gegenüber den anderen Konkurrenten, denen die Waren immer noch so teuer sind wie vorher, besser. Die anderen werden in eine neue Runde der Rationalisierung gezwungen, sie müssen ihre Kosten mindestens bis auf seine drücken um die gleichen Profite zu halten. Man sieht, Lohnsenkung von Seiten der Lohnabhängigen belohnt den entsprechenden Unternehmer. Das bedeutet ferner, daß das allgemeine Lohnniveau in diesem Zweig der Produktion sinkt und, da dies überall passiert, tendenziell gesamtgesellschaftlich sinkt. Also übt sie über kurz oder lang Druck auf die anderen Lohnabhängigen aus.

3. Überstunden sind dumm und unsolidarisch. Überstunden sind nichts anderes als eigen verschuldete Lohnsenkung. Man arbeitet mehr Zeit für das gleiche oder unwesentlich mehr Geld. Keiner braucht dann mit Zuschlägen oder so kommen. In Wirklichkeit – und das wissen wir alle – wird wenn auch oft versteckt für Nullohn gearbeitet. „Das muss ich schnell noch fertig machen“, und diese ganzen Sprüche auch vor uns selber. „Ich nehme die Arbeit mit nach Hause“. Das ganze Managementarsenal wird auf uns abgefeuert, management by stress, best case management, outsourcing, Projektgeschäft… Alles das gleiche, um uns im Sinne des Unternehmens effizienter auszunutzen und am Risiko des Marktes der von uns erstellten Waren zu beteiligen. Aber sicher nicht an den erhöhten Profiten. Warum auch? Unsere Freizeit soll auch Arbeitszeit werden.

[Was ist zu tun?]

Die Gewerkschaftsführungen sind gezwungen worden zu ihren Forderungen, die in den Medien so schlecht wegkommen. Viele Arbeiter wollten keinen „Operettenstreik“, sondern wären viel weiter gegangen in den Auseinandersetzungen. Die Gewerkschaften sind kapitalverpflichtet. Ihre Rechnung und die Argumente gingen von der Kostenneutralität der Lohnerhöhungen aus. Das ist doch unglaublich.

Betriebsrat und Gewerkschaften sind Institutionen in diesem Staat und wie sich jetzt gestaltet sind, stabilisieren sie das System. Der Betriebsrat z.B. ist dem Gesetz nach für den Betriebsfrieden zuständig. Das alles und die Bonzen in den Vorständen sollten uns aber nicht davon abhalten, aus den Institutionen herauszuholen, was möglich ist.

Es sind nicht unsere Instrumente, aber wir können sie nutzen. Wir beziehen uns immerhin auf Körperschaften, die in langen Klassenauseinandersetzungen entstanden sind und für die Leute verprügelt, in den Knast und erschossen worden sind und werden. Z.B. in Kolumbien wird jeden Monaten mal wieder ein Gewerkschaftler abgeknallt. Warum wohl? Wenn wir mehr wollen, dann müssen wir wohl oder übel das Ding in die eigene Hand nehmen. Aber man kann selbstverständlich darauf vertrauen, das die Unternehmer unsere Nullrunden und moderaten Tarifabschlüsse honorieren und ihre Ziele nicht ganz so hart verfolgen. Aber selbst wenn es solch einen wundervollen Unternehmer geben sollte: Wie lange kann er sich seine Menschlichkeit auf dem Weltmarkt wohl leisten? Unser Fehler ist, dass wir unsere Ziele nicht kennen und wenn, dann sie nicht organisiert zusammen in Angriff nehmen. So haben z.B. die Arbeiter bei VW in Brasilien gestreikt, damit der Streik in der BRD nicht an Kraft verliert, weil die Teile als internationaler Streikbruch von dort kommen. Das ist ein Anfang. Last uns doch mal sehen, was passiert, wenn wir auf einmal keine Überstunden mehr machen, den Betriebsrat auffordern für Neueinstellungen diesbezüglich einzutreten, Dienst nach Vorschrift machen, keine Arbeit mehr nach Hause zu nehmen. Man muss ja nicht gleich in die Gewerkschaft eintreten, aber daraus erwachsen auch neue Freiheitsgrade in der Aktion. Nicht binden lassen, sondern die Sachen ausnutzen. Ich fände mindestens 25% mehr Lohn ist eine gutes Ding und ein vernünftiger Anfang, ja wenn, ja wenn genug Leute mitziehen. Bei Cockpit hat es geklappt und wir können das auch. Und was danach noch kommen könnte, darüber ließe sich reden.

hX

Arbeit

sy.bi.le im Interview

Wir sprachen mit AktivistInnen des syndikats bildung leipzig an der Uni Leipzig

Feierabend!: Was, bitte, ist denn ein Bildungssyndikat?

sy.bi.le: Ein bisschen mehr als ’ne Gewerkschaft, aber nie mehr als die Mitglieder draus machen. Unsere Organisierung fühlt sich der anarcho-syndikalistischen Bewegung verbunden, die schon immer ein sehr umfassendes Verständnis von Gewerkschaft hatte und noch hat. Da beschränkt sich das Engagement nicht auf den Arbeitsplatz, sondern erstreckt sich auch auf die Selbstorganisation gesellschaftlichen Lebens und zielt letzten Endes auch auf die Abschaffung des Lohnsystems. Wir haben uns der Freien ArbeiterInnen Union (FAU), einem bundesweiten Gewerkschaftsverband, angeschlossen und bilden mit anderen Bildungssyndikaten eine Branchenvereinigung, in etwa wie die GEW im DBG. Von diesen großen Verbänden unterscheidet uns aber, dass wir Hierarchien vermeiden wollen und daher auch keine bezahlten FunktionärInnen haben, dafür jedoch lokale Autonomie, z.B. was Schwerpunktsetzung, Aktionen und Finanzen anbelangt. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir nichts von sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen und dergleichen halten, sondern unsere Interessen durch direkte Aktionen durchsetzen wollen. Schließlich noch, dass wir die herrschaftliche Spaltung in Lehrende und Lernende nicht anerkennen. Dies ist ein Eckpfeiler unserer Utopie freier Bildung, weshalb wir also LehrerInnen, DozentInnen, SchülerInnen, StudentInnen, MitarbeiterInnen, Büroangestellte etc. organisieren wollen.

Wann habt ihr euch zusammengefunden, und warum? Was wollt ihr machen?

Tja, bisher sind wir eine rein studentische Initiative, die seit Frühling dieses Jahres besteht. Zuvor engagierten sich die meisten von uns in einer lokalen Studierendengruppe … gelangten aber zu der Ansicht, dass eine bundesweite Vernetzung – auch über das studentische Spektrum hinaus – und eine kontinuierlichere Organisierung unabdingbar sind, um genügend Nachdruck zu entfalten. Zugeständnisse seitens einer Regierung können nur erzwungen werden, und das macht mensch am besten mit wirtschaftlichem Druck (Streik). Außerdem fanden wir viele Proteste der vergangenen Semester zu "diplomatisch" und inhaltlich kritikwürdig. Im sy.bi.le wollen wir Farbe bekennen für eine selbstbestimmte und freie Bildung ohne Selektion, Hierarchien und Leistungsdruck, und ganz entschieden jeglichem "Standort"-Palaver, jeder Elitebildung usw. entgegen treten. Aber wir wollen nicht nur schlaue Papiere verfassen sondern auch unsere Ideen in die Praxis umsetzen. So beteiligen wir uns an dem Projekt der selbstorganisierten Seminare und erstreben noch in diesem Semester ein eigenes Lokal mit anarchistischer Bibliothek. Bei all dem vergessen wir nicht, dass wir einer Gewerkschaftsbewegung angehören. Durch direkte, unmittelbare Aktionen möchten wir nicht nur Verschlechterungen der Studien-, Arbeits- und Lebensbedingungen abwehren, sondern auch Verbesserungen erstreiten. Dabei ist uns der Gedanke der Solidarität wichtig.

Was kritisiert ihr am jetzigen Bildungssystem? Was setzt ihr dem entgegen?

Gut, die prinzipiellen Kritikpunkte sind schon angeklungen: Selektion, Hierarchien und Elitebildung, Fremdbestimmung und Bürokratisierung, Leistungsdruck und Überwachung. Das alles sind mehr oder weniger notwendige Bestandteile eines kapitalistischen Bildungssystems, dessen Hauptzwecke eben in einer scheinbar objektiven Selektion, der Ausbildung von brauchbaren Humankapital für den Standort sowie der Erziehung zu guten StaatsbürgerInnen liegen. Wir setzen dem eine Utopie entgegen, in der sich alle nach eigenen Interessen – unabhängig von sozialen Status, Alter, Geschlecht und sonstigen Zuschreibungen – bilden können. Dabei wird der solidarische Austausch sicher eine gewichtige Rolle spielen. Wir alle können viel voneinander lernen – ganz ohne die formale Aufspaltung in „Lehrende“ und „Lernende“. Dabei ist uns klar, dass sich dies letztendlich nur durch die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse sowie des permanenten Versuch des Abbaus aller Herrschaftsformen verwirklichen lässt.

Wie schätzt ihr die aktuellen Bildungspolitik ein und: was ändert sich durch die derzeit geplanten und durchgeführten Maßnahmen?

In Sachsen – aber auch anderswo – werden momentan recht drastische Haushaltskürzungen vor allem im Bildungsbereich realisiert. Damit einher gehen natürlich auch Kündigungen und die Umstellung auf Teilzeit; dies verschlechtert die Arbeitsbedingungen sowohl der Beschäftigten als auch der Studierenden. Und: Viele elementare Veröffentlichungen sind in der Uni-Bibliothek nicht zu finden. Mindestens ebenso bedeutend aber sind die Vorschläge der SHEK (Sächsische Hochschulentwicklungskommission), die auf eine Straffung der Hierarchie, der Ungleichheit innerhalb der Uni zielen, um die Kommerzialisierung der Hochschule zu forcieren – Bildung wird so bis auf’s letzte zu Ware. Laut Unesco wird der weltweite Bildungsmarkt auf zwei Billionen (2.000.000.000.000) US-Dollar geschätzt, und irgendwo muss das Geld ja herkommen. Ein Dauerbrenner sind, klar, auch Studiengebühren – selbst wenn Rot/Grün sie uns als "Bildungsgutscheine" verkaufen will. Statt aber einfach nur den status quo zu verteidigen, wollen wir uns lieber der realen Umsetzung unserer Utopie widmen.

Kann mensch dagegen nichts unternehmen, demonstrieren scheint ja kaum zu helfen?

Dagegen kann mensch sehr wohl ‚was unternehmen! Auch Demos sind nicht gänzlich wirkungslos. Worauf es ankommt, meinen wir, ist der Rückhalt solcher Initiativen unter den Betroffen und deren Entschlossenheit. Wenn die meisten unserer KommilitonInnen höchstens einmal im Semester an einer Latschdemo teilnehmen und ansonsten auf die studentische Stellvertretung in den Gremien hoffen, sieht es natürlich eher trübe aus. Aber so sehen das zum einen nicht alle Studis, und zum zweiten gibt’s ja auch noch die Beschäftigen: im Institut, in der Mensa, in der Bibliothek, im Rechenzentrum sowie beim Putzen und Reparieren. Sie sind zwar von der Zahl her ungleich weniger, aber ohne sie läuft nichts; darin liegt ihre Macht. Bei alldem sollte natürlich nicht ausgeschlossen sein, die Auseinandersetzungen auch auf andere Branchen und Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu übertragen. Vor allem aber muss mensch in Bewegung bleiben, nicht resignieren und verzweifeln. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, that’s the only way out.

Danke für das Interview.

Bildung

Wenn „Bildung“ Dich kaputt macht

Plädoyer für eine emanzipatorische Bildungskritik – www.bildungskritik.de

Wenn mensch sich mit Bildung beschäftigt, kommt er nicht umhin, sich das Umfeld anzuschauen. Da Bildung mit den Institutionen Schule und Hochschule verbunden ist, besteht das Umfeld aus dem Lebensweg des bürgerlichen Individuums. Kurz: nach der (Hoch)Schule kommt die Arbeit, die Rente, Ende. Noch Fragen?

Wenn es uns um emanzipatorische Bildungskritik geht, dann kann Bildung nicht als Vorbereitung auf den Tod oder die Arbeit verstanden werden. Genau in dem Gefüge des vorgezeichneten Lebens verharrt jedoch „normale Bildungskritik“. Emanzipation bedeutet dahingegen Selbstbefreiung und Ausbruch aus der funktionalen Bestimmung der eigenen Bildung.

Wenn „stinknormale“ Bildungskritik bemängelt, dass das Bildungssystem nicht effektiv genug sei, meint sie eigentlich nur, dass es die Menschen nicht richtig für den Arbeitsmarkt oder zu schlechten Staatsbürgern formt. Das zeigt sich auch in den Reaktionen auf die PISA-Studie, in denen lamentiert wird, dass die deutschen Schüler gegenüber anderen „Nationen“ so schlecht sind. Auch unreflektierte Bezüge auf Humboldt und humanistische Bildungsideale oder die einseitige Klage über die Verrohung an den Schulen bzw. des Fehlens von Werten und Normen, ohne auch nur im Ansatz nach tieferliegenden Ursachen zu suchen, gehören zu den oberflächlichen Versuchen, Bildung zu kritisieren.

Emanzipatorische Bildungskritik geht in ihrer Kritik darüber hinaus und stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Sie betrachtet ihn oder sie nicht als Funktion (SchülerIn, StudentIn, WissenschaftlerIn), auch nicht als abstrakte Zahl (wie bei PISA zum Beispiel), sondern als denkendes, fühlendes und soziales Wesen, mit dem Bedürfnis zu (über)leben, und sich darin selbst zu verwirklichen.

Das hat auch Konsequenzen für die politische Praxis. Es bedeutet darüber hinauszugehen, nur mehr Geld, mehr Lehrer oder mehr Bücher zu fordern! Es bedeutet bestimmte Vorstellungen von Bildung aufzugeben: sie nicht mehr als Vorbereitung zu begreifen, der (derzeitigen) Gesellschaft zu dienen oder sie gar als Standortfaktor zu Markte zu tragen.

Es gilt, das Ziel eben genannter Forderungen zu überdenken, sich zu fragen auf welchen Prinzipien und auf welcher Geschichte dieses Bildungssystem aufgebaut ist, zu fragen in welchem gesamtgesellschaftlichen Kontext es wirkt und was und wen es hervorbringt. Alles Fragen, die zu stellen, selbst schon ein emanzipatorischer Prozess sein kann. Deren Antworten werden zu weiteren Fragen führen: Warum muß mensch eigentlich diesen Weg durchlaufen? Und wohin führt dieser? Welchen Sinn macht das alles? Und hat das Ganze noch irgendetwas mit Selbstverwirklichung zu tun oder läuft es nicht eher auf eine permanente Fremdbestimmung hinaus?

Ein anderes Verständnis von Bildung ist nötig: als kommunikativer Prozess, der selbstbestimmt und zusammen mit anderen Menschen gelebt wird. Und es ist auch nötig sich dafür zu engagieren und nicht den vorgezeichneten Weg zu gehen, den eigenen Kopf und Körper zu verkaufen oder zu vergessen, daß man Träume hatte und Wissbegierde. Im gesellschaftlichen Leben wird beides darauf beschränkt, das eigene Überleben zu sichern und der eigenen Abstumpfung freie Bahn zu lassen.

Eine solche Bildungskritik ist an hiesigen Schulen und Universitäten leider selten zu finden. Auch schriftliche Auseinandersetzungen dazu sind selten gestreut und mensch kommt eher durch Zufall an solche Werke. Deshalb findet ihr auf www.bildungskritik.de Texte, die auf die eine oder andere Weise das Wort führen für die Kritik an und für die Emanzipation vom derzeitigen Bildungsunwesen, Texte zu Hintergründen von Pädagogik, Schule, Universität und Wissenschaft, zur Geschichte und für eine andere Bildung.

Dabei muß die Redaktion dieser Seite nicht notwendig mit allem übereinstimmen, es werden sich auch Texte finden lassen, die sich einander in Teilen widersprechen. Es gibt viele kluge Gedanken und die gilt es zu entdecken, weshalb auch diese Seite nicht vollständig ist und Hinweise dankbar entgegengenommen werden.

redaktion www.bildungskritik.de

Bildung

Schulen vom Netz?! Fickt das System!

Veranstaltungsreihe der AG tollWUT zur Bildungskritik

„Schule ist Scheiße“ – dieser Ausspruch spricht sicherlich jeder und jedem von Euch aus dem Herzen…. Lange, nicht endende Schulstunden, genervte und überreizte LehrerInnen, die tägliche Qual zu unmenschlichen Zeiten aufstehen zu müssen, das zwanghafte Auswendiglernen für die nächste Leistungskontrolle. Seitenweise könnte dieses Abkotzen wohl weitergeführt werden. Aber sind Bildung und Lernen wirklich „Scheiße“? Ist es nicht spannend und faszinierend, Dinge selbstbestimmt erforschen und untersuchen zu können? Stundenlanges Basteln am Computer, das Ergründen von historischen Zusammenhängen etc. Mit der Veranstaltungsreihe „Schulen vom Netz?! Fickt das System!“ nimmt sich die Jugendgruppe tollWUT die (staatliche) Schule kritisch vor. Anknüpfend an das angerissene „Null-Bock-auf-Schule-Gefühl“ soll das Schulsystem fundiert analysiert und kritisiert werden.

Klarstellen will tollWUT damit: Lernen ist keineswegs „Scheiße“, ebenso wenig wie Bildungseinrichtungen „Scheiße“ sind. Unerträglich ist die Art und Weise, wie Schule funktioniert und welchen ausschließlichen Zweck Schule besitzt. Schule formt Menschen für die nachschulische Arbeitswelt und unterstützt nicht die Möglichkeit der selbstbestimmten Entwicklung jedes einzelnen Menschen, seiner Interessen und möglichen Begabungen.

Für tollWUT ist es nicht akzeptabel, dass Bildung diesem einen gesellschaftlich festgelegten und ein Menschenleben ausmachenden Zweck, nämlich die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, den Weg ebnet. Die Reihe soll verdeutlichen, dass Schulkritik Gesellschaftskritik ist und sein muss, denn Schule ist ein wesentlicher Bestandteil der herrschenden kapitalistischen Verhältnisse, in denen wir leben (müssen); ein Gesellschaftsverhältnis, in dem Menschen nur als Humankapital gelten, das ständig Gewinn erwirtschaften muss.

Ausgehend von dieser Kritik werden zur staatlichen Schule alternative Schulkonzepte vorgestellt und diskutiert. Diese Schulkonzepte werden vor allem danach befragt, ob sie die Perspektive einer emanzipatorischen Organisation von Gesellschaft eröffnen können.

Sind die vorgestellten Schulkonzepte frei von den kritisierten schulischen Zwangsmechanismen? Bieten diese Schulkonzepte Voraussetzungen für eine bedingt freie Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und/oder für eine radikale Veränderung von Gesellschaft, ohne die den Kapitalismus prägenden Dogmen wie Arbeit, Tauschverhältnisse und das gängige Tauschmittel Geld, Profitfixiertheit, sowie Konkurrenz- und Leistungsdenken? Existieren Schulkonzepte, die einer solchen Vorstellung entsprechen? Kann Schule allein einen relevanten Beitrag zur Emanzipation von Menschen leisten, wo doch der Zwangscharakter der gesellschaftlichen Normen schon den familiären Sozialisationsprozess beeinflusst und darüber hinaus jeden Lebensbereich?

tollWUT hofft, Euer Interesse geweckt zu haben und Euch bei den Veranstaltungen zu treffen. Es wird auch Reader geben, in denen schulkritische Standpunkte und Texte zu den vorgestellten Schulkonzepten nachzulesen sind.

(Oktober 2002)

mehr Infos/Texte: www.ag-tollwut.de

Bildung

Schwänzer schwänzen…

Stell Dir vor, es ist Schule und niemand geht hin!

Es gibt nichts Schöneres als Schule! Was soll mensch denn sonst machen? Ach, da käme mensch gar nicht mehr raus aus dem Aufzählen! Und so denken anscheinend viele, zumindest nach einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Rund eine halbe Million Schülerinnen und Schüler schwänzen in Deutschland regelmäßig den Unterricht. An Haupt- und Sonderschulen fehlen durchschnittlich zehn bis zwanzig Prozent der Schüler mehrere Stunden in der Woche unentschuldigt. Ein weiteres Resultat war, daß 9 % der Schüler eines Jahrgangs ohne Abschluß die Normierungsanstalt verlassen. Dafür wird von „Experten“ das Phänomen der „Schulmüdigkeit“ konstruiert. Als ob es eine Krankheit wäre, keinen Bock auf Schule zu haben.

Schreckenserregende Symptome sind: Lernunlust, Aufmerksamkeitsverweigerung durch Schlafen, Träumen, Zuspätkommen oder regelmäßiges Vergessen von Arbeitsmaterialien.

Und dieser Teufelskreis führt bis zum Schwänzen und zur späteren schlechten Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt. Armes Deutschland: Erst PISA, dann das. Aber wen interessiert schon Deutschland? Wir meinen: Habt keine Gewissensbisse, genießt eure freie Zeit, so lange ihr sie noch habt. Und: Viel Spaß beim Schlafen, Lieben und Träumen.

murr

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