Archiv der Kategorie: Feierabend! #12

Wieder einfach zu bequem

Bereits in der ersten Ausgabe des Feierabend!, im September 2002, hatten wir über Tariferhöhungen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) zu berichten. „Einfacher und bequemer!“ hieß damals die Losung zum 1. August 2002; und wir fragten uns, warum die Fahrgäste einfach zu bequem sind, sich dagegen zu wehren.

Heute, anderthalb Jahre später das selbe Bild: am 12. März bestätigt der Aufsichts­rat der LVB die „Tarifanpassung“ der Mittel­deutschen Verkehrsverbundes (MDV). Die durchschnittlich fünf­prozentige Erhöhung wird mit gestiegenen Kosten und sinkenden Einnahmen be­gründet. Letztere seien vor allem auf die Steuerreform zurückzuführen, im deren Zuge die Subventionen zum Ausbildungs­verkehr linear reduziert werden (2004 um 4% bis 2006 um 12%). Das Unternehmen reiht sich also ein in den Chor blasser Politik-Schelte und gibt die fromme Opferrolle. In der Tat aber konnte die LVB 2002 14.000 Euro Plus verbuchen, der Umsatz stieg 2002 von 60 auf 66 Mil­lionen Euro. Die „sinkenden Einnahmen“ der Presseerklärung verweist also auf sinkende Subventionen.

Das im LVB-Haushalt geschlagene Leck – fünf Millionen Euro groß – soll mit einem „solidarischen Modell“ gedichtet werden, damit die „Preissteigerungen […] in einem erträglichen Rahmen“ bleiben … und wer wollte bei solcher Rücksicht Protestgeschrei noch erheben? Um diese Wirkung zu verstärken, rechnet der MDV den Teufel an der Wand vor: allein in diesem Jahr wäre für Schüler- und Azubitickets eine Teuerung von 15 Prozent (Azubi: 3,80 Euro) nötig gewesen.

Nun soll hier gar nicht gegen eine kollektive Übernahme von Lasten argu­men­tiert, aber darauf hingewiesen wer­den, dass es sich hierbei nicht um Solidarität handelt.1 Die nämlich ist freiwillig und könnte sich entwickeln, wenn es zum Beispiel darum geht, auf die außerdem an­gekün­digten „Einsparungen“ zu reagieren.2 Auch der letzte bequeme Fahrgast sei erinnert: wenn der Zeitplan gestrafft wird, kommt das Sicherheit und den FahrerIn­nen nicht zugute; und wenn im Zuge der Ein­sparungen die Löhne der FahrerInnen auch sinken, werden die Tic­kets nicht billiger – wie die LVB uns allen demonstriert!

Die Tariferhöhung muss übrigens, soviel sei zum vermeintlichen „Rückzug des Staates“ gesagt, vom Regie­rungs­präsidium genehmigt werden. Die Zustim­mung wird für Mitte Mai erwartet. Dabei wäre es weder unmöglich noch absurd, die Fahrscheine einfach abzuschaffen. Über die Leip­ziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV) hält die Stadt Leipzig nämlich 95 Prozent der LVB. Im Aufsichtsrat der LVV sitzen Mitglieder sämtlicher Parteien und großer Gewerk­­­­schaften und bestimmen so über die konzeptionellen Leit­­linien der Arbeit verschiedener kommunaler Unter­nehmen, auch der LVB. Im belgischen Hasselt ist der öffent­liche Verkehr seit Jahren gratis, der Autoverkehr und die Zahl der Unfälle sanken, wodurch sich auch die Lebensqualität in der Stadt verbesserte. Die Zahl der Fahr­­gäste ist auf das Achtfache gestiegen – das Bedürfnis ist da. So ließen sich also nicht nur mehr als 800.000 Euro an Unterhaltskosten für Automaten einsparen, son­dern auch recht aufwendige Maßnahmen für auto­gerechten Stadtbau; um nur einige Aspekte zu nennen.

Mit den Fahrpreisen steigt indes in Leipzig auch die Zahl derer, die sich die Fahrt eigentlich nicht mehr leisten können. Die „Dunkelziffer“ der „Schwarzfahrer“ ist natur­­gemäß schwer zu bestimmen. Seit die LVB die Vergehen strikter verfolgt und Strafanzeigen stellt, stiegen die Fälle für die Justiz auf ein Rekordniveau von zuletzt (2003) 9982. Neben Geldstrafen droht den Ertappten eine Haft von zwölf Monaten! Aber auch wer die Geld­strafen nicht zahlen will, oder kann, muss in den Knast: 1 Tagessatz à 10 Euro = 1 Tag in Haft. Das sind nicht wenige, so stieg die Belegung des Leipziger Gefängnisses binnen eines Jahres um mehr als 57 Prozent auf über 126 Prozent der Kapazität. 500 Menschen sind dort ein­gepfercht, wo dem Konzept zufolge nur 400 vegetieren sollten. So denkt man im Rathaus inzwischen darüber nach, das Justizprogramm „Schwitzen statt Sitzen“ anzuwenden: gemeinnützige Arbeit, um die Geldstrafe abzubauen, statt Gefängnis; Zwangsarbeit bei der Stadt­reinigung, ABM-Kräfte sind wohl nicht mehr billig genug …

A.E.

Lokales

Studistreik adé – Widerstand olé

Knapp zwar, aber dennoch: die Ent­scheidung ist gefallen. 2200 gegen 1900 Stimmen haben auf der Vollver­sammlung vom 14.4. den einwöchigen Streik mit Ausfall der Lehrveranstaltungen abge­lehnt.

Ein Blick zurück: Nachdem auf einer VV am 13.12. 2003 der Streik beschlossen wurde, hatte sich ein Komitee konstituiert um den Streik vorzubereiten. Auf einer VV Anfang Januar wurde das Adjektiv „konstruktiv“ hinzugefügt, das zum Synonym dafür wurde, brav zu protes­tieren und nieman­den zu stören. Das Streik­komitee diente als organi­sato­rische Plattform, diesen Streik zu organi­sieren und Entscheidungen fällen zu können. Das Resultat blieb unbefrie­digend: während die meisten ihre Scheine machten, organisier­ten die vielen Aktiven den Streik und konnten durch das „konstruktive“ nicht mal genü­gend Druck erzeugen. Ende Januar wurde der Streik auf einer VV ausgesetzt, ohne daß sich an den Studien­be­dingungen oder an der Bedrohung durch Studiengebühren etwas geändert hätte. Für April wurde zudem das Fallen des Studiengebühren­verbots erwar­tet, dafür eine Telefon­mobi­lisierung und für das Sommer­semester auf einen Voll­streik vorbereitet, der ernsthafter und druck­voller sein sollte. Dieser wurde nun abgelehnt, damit auch der Streik beendet und die wochenlangen organi­satorischen Vorbe­reitungen obsolet. Dement­spre­chend frus­triert fiel die Reaktion des Streikkomitees aus, daß sich aber nach ein paar Tagen Reflektion wieder mit einer Stellung­nahme zu Wort meldete. Neben der Kritik am Fatalismus und Nichter­kennen der Brisanz der Kürzungen und des Umbaus durch die Mehrzahl der Studie­ren­den wurden auch eigene Fehler bei der Mobilisierung thematisiert. Zudem wurde noch einmal deutlich gemacht, daß Bildungs- und Sozialabbau nicht zu trennen sind und einen Angriff auf die Lebensbedingungen vieler Men­schen darstellen. Und da auch nach der Ableh­nung des „Vollstreiks“ keine Verbes­serungen zu erwarten sind, haben die Menschen des Streikkomitees ange­kündigt weiter­zumachen und auch alle anderen Studierenden, Do­zent­­Innen und Mitarbeiter aufgefordert sich basis­demo­kratisch zu organi­sieren, weil man alleine den derzeitigen Entwick­lungen nicht stand­halten kann. Damit hat sich zumindest ein (gar nicht so) kleiner Teil der Studie­renden­schaft aufgemacht längerfristig Widerstand gegen die der­zeitige Bil­dungs- und Sozialpolitik zu leisten und sich nicht wie so oft nach einer Pro­testwelle, in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen.

Von den Streikgegnern, die Demonstra­tionen und Ähnliches vorschlugen, sind derweil keine organisatorische Aktivitäten erkennbar. Hier zeigt sich auch ein Grundproblem: es wird zwar Kritik geübt am Streikkomitee, aber es wird wie natürlich erwartet, daß es alles für einen organisiert und man selbst nicht aktiv werden braucht. Bei der Vollstreik-Alternative „Montagsdemo“ vom 19. April haben sich ganze 25 Studierende eingefunden. Auch die Spontan­demo zur Solidarität mit der drei Tage lang streiken­den FH Zwickau wurde zum Trauerspiel: der Innenhof war relativ gut gefüllt, aber nur wenige konnten sich aufraffen Solidarität zu zeigen. Es zeigte sich eine beängstigende Lethargie. Die wichtigste Hilfe zur Entscheidungs­findung ist anscheinend das Verhalten des Nachbarn und der Nachbarin und nicht der eigene Verstand oder gar das eigene Interesse an einem guten Leben. Das große Gejammer wird erst los­gehen, wenn die Gebühren ein­geführt sind und viele von der Uni geschmissen werden. Dieser Fall ist in Nordrhein-Westfalen bereits eingetreten, wo schätzungsweise 50.000 Studierende ihr Studium ab­brechen müssen, weil sie sich die Lang­zeitstudiengebühren nicht leisten können. Wo waren diese 50.000 bei den Protesten? Wo sind diejenigen, die morgen in Leipzig exma­trikuliert werden, heute?

kater francis murr

ehemaliges Streikkomitee Leipzig
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Bildung