Archiv der Kategorie: Feierabend! #16

PISA2: Bildung für Deutschland

Als Ende November vorab Teilergebnisse von PISA II (1) veröffentlicht wurden, ging ähnlich wie schon nach PISA I ein Auf­schrei durchs Land: „Deutschland weltweit unter Mittelmaß“ empörte sich beispiels­weise das Börsenblatt am 22.11. 2004 (2). Die hier geäußerte Sorge um die Stellung des deutschen Staates (was die von ihm be­treute Ökonomie mit einschließt) ist typisch für den öffentlichen Diskurs um Bil­dungs­fragen. Damit drückt er jedoch auch eine Wahrheit über die Funktion des Bil­dungswesens in kapitalistischen Ver­hält­­nis­­­sen aus. Dieses ist durch seinen Aufbau, seine Lehrmethoden und Lehrpläne darauf aus­gerichtet, Humankapital hervorzu­bringen. (3) Das wird auch keines­wegs verheimlicht. So schrieben etwa die sog. 5 Wirtschaftsweisen in ihren Jahresbericht folgende Passage zum Thema: „Human­kapital ist sowohl ein wichtiger Standort­faktor als auch theoretisch wie empirisch bestätigter wesentlicher Bestimmungs­faktor für Wachstum. […] Eine zentrale Rolle für Humankapital als ökonomisch verwertbarem Wissen spielt das Bildungs­system.“ (4) Wie aber ist diese Rolle nun konkret beschaffen?

Der Staat stellt über die Bildungseinrich­tungen den Unternehmen ein Reservoir an entsprechend qualifizierten Arbeitskräften zur Verfügung, an denen sie sich nach ihren Be­darf bedienen können. Da aber diese Ge­sell­schaft nur eine relativ geringe Anzahl an Positionen bereit hält, für die eine um­fas­sendere Ausbildung nötig ist, über­nimmt das Bildungswesen zugleich auch die Selektion. Es siebt durch perma­nente Tests diejenigen nach unten aus, denen we­gen ihres Misserfolges in diesen eine weitere Ausbildungskarriere versperrt bleibt. (5) So soll gewährleistet werden, dass die Men­schen in die entsprechenden Positionen in der gesellschaftlichen Hierarchie sortiert werden und die jeweils dafür nötigen Kennt­nisse – und nur die – vermittelt be­kommen. Dies kann selbst­verständlich immer nur ein Annäherungs­prozess sein, denn letztendlich entscheidet das Kapital nach seinen Maßgaben wann es wen ein­stellt oder es eben auch bleiben lässt. Zu­dem kann gar nicht vorab so genau gewusst werden, wann welche Qualifi­kationen in wel­chem Ausmaß gebraucht werden. Da­her kommt es auch in schöner Regelmäßig­keit zum Ruf nach Bildungs­reformen, welche ein optimaleres Ergebnis in diesem An­nä­herungs­prozess bringen sollen.

Momentan werden in der BRD diesbezüg­lich v.a. zwei Themenfelder diskutiert. Zum einen sollen an der Spitze des Selektions­prozesses Eliteunis (6) eingeführt werden, um dort diejenigen zu sammeln und zu fördern, die als zu gut für die Bedingungen an den Massenunis gelten. Zum anderen aber wird aber auch von Fraktionen der herrschenden Klasse vermehrt gefordert, mehr Geld und Aufwand in Kindergärten und Grund­schulen zu stecken (7) – so z.B. auch der bereits erwähnte Bericht der „Wirtschafts­weisen“. Dort wird u.a. kritisiert, dass die Leis­tungen (nach denen ja die Selektion vor­genom­men wird) sehr stark vom sozialen Hintergrund der SchülerInnen abhängen (8). So nähmen nur 18% der Arbeiter­kinder, aber 63% der Beamten­kinder ein Studium auf. Als Gegenmaß­nahme wird empfohlen, durch bessere Aus­stattung des Elementar- und Primar­bereichs des Bildungswesens Defizite schon frühzeitig auszugleichen (alles S. 37). Würden sie nicht Studiengebühren fordern (S. 38) – von denen Linke wohl zu recht eine Abschreckungswirkung v.a. auf Arbeiterkinder befürchten (9) – könnten sie dies glatt von ‚progressiven’ KritikerInnen des deutschen Bil­dungs­wesens abgeschrie­ben haben (10).

Schließlich fordern auch diese nicht ein Ende der Klassengesellschaft und der Selektion in ihren Positionen, sondern lediglich, dass diese sozial gerecht ablaufen solle. Sie wollen also, dass der Selektions­prozess sich wirklich nach der Begabung und nicht etwa nach sozialen Vorteilen richtet. Damit bejahen sie jedoch den Bio­lo­gismus, welcher der Ideologie von der Begabung zu Grunde liegt. Ähnlich wie bei der mittlerweile zum Glück als reaktionär geltenden Aussage: „Frauen gehören an den Herd, weil sie häuslich veranlagt sind“, wird auch mit ihm ein gesellschaftliches Verhältnis als „natürlich“ legitimiert: „Haupt­schülerIn­nen gehören in die Hauptschule und danach in die Hand­arbeit, weil sie praktisch veranlagt sind“. Die in der Selektion herrschende Chancen­gleich­heit verschleiert diesen Biologismus, ändert aber nichts an ihm. So werden die Re­sul­tate der Selektion allgemein aner­kannt – selbst von den von ihr negativ Be­trof­fenen. Gesellschaftliche Verhältnisse sind jedoch menschengemacht, kön­nen also auch von Menschen geändert werden.

Grund genug dafür gäbe es auch in Be­zug auf das Bildungssystem allemal. Durch die Funktion des Bildungswesens arbeiten die meisten Schulen mit Lehrplänen, die gänz­lich unabhängig vom individuellen Lern­interesse der SchülerInnen entwickelt und angewendet werden. Stattdessen hätte die Aufgabe der Bildungseinrichtungen darin zu bestehen, als ein allen zugänglicher Ort der Möglichkeiten zu fungieren, an dem mensch Materialien, Gleichgesinnte oder eben auch ExpertInnen zur Verwirk­lichung der eigenen Bildungsinteressen fin­den kann. Diese Bildungsinteressen vertra­gen sich nicht mit Schulphasen und kommen auch nicht durch „Abschlüsse“ zu einem Ende. Ein derart geändertes Wesen der Bildung muss daher mit einer grund­legenden Veränderung der Gesellschaft einhergehen.

Bildungssyndikat Leipzig

(1) Einen Überblick zu PISA bietet www.skh.de/pisa/index.htm?dpa/2004/04-11-21-a.htm
(2) boersenblatt.net/sixcms/detail.php?id=79333
(3) Dass wir uns hier auf diesen Aspekt beschränken, heißt nicht, dass es nicht noch andere gäbe.
(4) Gutachten 2004/05, www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gutacht/04_i.pdf, S. 36
(5) Dozekal: Die deutsche Uni, Bremen 2003, S. 18
(6) vgl. Freerk Huisken: Motor und Elite, jungle-world.com/seiten/2004/48/4414.php
(7) vgl. R. Balcerowiak: »Humankapital« Bildung, www.jungewelt.de/2004/11-26/011.php
(8) s. dazu auch in Bezug auf PISA II: www.spiegel .de/unispiegel/studium/0,1518,330879,00.html
(9) s. z.B. idw-online.de/pages/de/news89208
(10) z.B. Chancengleichheit und Elite, Interview mit M. Hartmann, www.gew-berlin.de/blz/3373.htm

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