Archiv der Kategorie: Feierabend! #17

Editorial FA! #17

SO. Da isser wieder, der alte/neue Feierabend! Nach einem kleinen Winterpäuschen mit einigen neuen MitstreiterInnen und frischem Wind. Bei unserem (stets) kühnen Spagat zwischen Konkretem und Allgemeinem ist das Gewicht des aktuellen Heftes diesmal klar auf die Seite der konkreten Initiativen („Leipziger Kameras“ S. 4f, CULDT S. 6, Global-Space-Odyssee S.7, Aktionsnetzwerk Schulkritik S. 8, Mobilisierung zum Ersten und Achten Mai S. 12ff, G8-Mobilisierung S. 23 ) hin verlagert. Das liegt nicht nur an der grassierenden Sommerlaune, die allüberall wie der Bärlauch sprießt, auch nicht an dem erwartbar heißen Mai, sondern gehört eben zum Konzept unseres Zeitungsprojektes. Solange nämlich weder im Rathaus, in Dresden oder in Berlin, noch in Brüssel oder New York die Bedürfnisse und Interessen, die progressiven Ideen und der emanzipatorische Gehalt dieser Initiativen nicht verhandelt werden, sehen wir unsere Aufgabe auch darin, solchen Initiativen Gehör zu verschaffen und das eklatante Scheuklappendenken der herrschenden politischen Elite selbiger wie Bärlauchbutter auf die schnöde Bemme zu schmieren. Folgerichtig knallen bei uns auch nicht die Kronkorken angesichts der neuesten technokratischen Ergüsse (Stichwort EU-Verfassung), die nun über uns gekommen, bald in Brief und Siegel ratifiziert, rechtskräftig, sprich sanktionierbar werden. Anstatt beim Europäischen Projekt von emanzipatorischen Entwicklungen zu träumen, schwant uns hier vielmehr ein bürokratischer SuperGAU mit erheblichen Altlasten. Gegen diesen Größenwahn der „ersten“ Europäer nimmt sich das Urgestein institutionalisierter politischer Macht in Europa (Stichwort Katholische Kirche) derzeit geradezu menschlich aus. Bleibt zu hoffen, daß das Tränenmeer fern der Hysterie eher einem verstorbenen Menschen galt, als seiner funktionellen Position. Denn auch auf die Gefahr hin, sich im Laufe der Jahrhunderte zu wiederholen: Wer braucht eigentlich Päpste? Ruhe in Frieden Karol, Deine Verfehlungen seien Dir verziehen.

Grabe tragen müssen wir leider auch einen Unterstützer der ersten Stunde. Die B12 hat den Verkauf unserer Zeitung eingestellt, die Begründung werden wir auf unserer Internetseite www.feierabend.net.tc veröffentlichen. Mancher wird es schon ahnen, es geht um unsere Auseinandersetzung mit den antideutschen Ideologemen, wie sie verschiedentlich in Leipzig kursieren. Zwischen Nebelkerzen, Vorurteilen und Mißverständnissen wollen wir nochmal ganz klar sagen, daß wir den Abdruck des Eichmann-Zitats, wie er im Heft #14 im Kontext einer Lenni-Brenner-Lektüre geschah, in verschiedener Hinsicht als schweren Fehler betrachten, in jedem Fall hat es eine konstruktive Auseinandersetzung behindert. Dennoch stehen wir weiterhin hinter der politischen Linie des Artikels „Zum antideutschen Kommunismus“ (s. FA! #14), diffusen Nationalismus und Verbürgerlichungs­tendenzen in politischen Initiativen und Projekten zu kritisieren. Dazu zählt unseres Erachtens eben (leider) auch die omnipräsente, antideutsche Kurzschließerei. Gleichungen wie Holocaust=Shoa, Zionismus=Judentum, Deutschland=Barbarei, USA/Israel=Emanzipation, andere Meinung=falsch gehen auf unseren Rechenzetteln einfach nicht so klar auf. Trotzdem schätzen wir das Engagement und den Elan, mit welchem sich viele politisch Involvierte hier einbringen, um die Erinnerung und Analyse der nationalsozialistischen und faschistischen Vergangenheit des deutschen Staates bewußt zu halten. Gesellschaftliche Veränderung als Ergebnis sozialrevolutionären Handelns kann unseres Erachtens aber nur das Ergebnis konkreter Kämpfe sein. Deshalb unterstützen wir u.a. Genossinnen und Genossen, die sich in Israel um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zionismus bemühen, wie er als staatstragendes Moment propagiert wurde und propagiert wird. Die AktivistInnen innerhalb der deutschen Staatsgrenzen dagegen sind zur radikalen (Selbst-)Kritik und zu entschlossenem Handeln aufgerufen: Gegen Nationalismus, Faschismus, Antisemitismus, gegen deutsche Staaterei und deutsches Kapital.

Ach ja … noch ganz pragmatisch: Die VS-Stelle des Monats muß diesmal wieder entfallen. Grund sind diverse technische und logistische Unzulänglichkeiten, an denen wir weiter arbeiten …

Wir sehen uns am 1. und am 8. Mai

Eure Feierabend!-Redax

P.S.: Das Foto im Vordergrund der Titelmontage wurde von Bruno Barbey an einem 12. Juni geknipst: die letzte Barrikade von 68 in Paris.

Vorwärts zur Vergangenheit

Es ist schon dolle, was grad in Deutschland geht! Mit der Bildungs- und Innova­tions­offensive der Regierung wird durchgestartet in eine Zukunft, die glänzend projiziert wird, und mit der nationalen Erinnerungskultur etwas vom „Charme der guten alten Zeit“ abbekommen soll. Aber die Technik der Holografie scheint im High-Tech-Standort noch nicht so weit fortgeschritten zu sein, dass die Illusion nicht durchsichtig wäre. Vielleicht hat aber die Bevölkerung einfach ein zu gutes Gedächtnis – und alles Vertrauen in „die Politik“ verloren.

Jedenfalls weisen die Zeichen der Zeit in der Wirklichkeit nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit: Wenn heute erst 114.000 Ein-Euro-JobberInnen rabot­ten gehen, soll ihre Zahl nach Regierungswillen noch 2005 auf 600.000 Menschen anwachsen. Da diese Arbei­terIn­nen nach herrschender Rechts­spre­chung nicht als „Arbeitnehmer“ gelten, haben sie – abgesehen von Urlaub und Arbeitsschutz – keine der gesetzlich verankerten Garantien. Die Dauer eines Ein-Euro-Jobs ist auf maximal 12 Monate begrenzt und soll „den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt“ erleichtern – unter diesem Vorwand unterstützt auch der DGB Sachsen diese neuen „Arbeitsgelegenheiten“. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt dürften aber ganz anders aussehen: nämlich, dass die ArbeiterInnen unter Druck geraten.

So weitet sich letztlich ein Vertragsmodell aus, das mit dem altertümlich anmutenden Begriff der „Lohnsklaverei“ beschrieben werden kann. Oft wird dieser Ausdruck als rhetorische Phrase missverstanden, die auf eine längst vergangene Zeit anspielt, als die ArbeiterInnen mitleiderregend niedrige Löhne bekamen, der Arbeitstag endlos lang war und eine drakonische Arbeitsdisziplin herrschte. Der aktuelle Bezug aber wird im Kern deutlich: das ist eine Situation, in der die Arbei­terInnen keine legalen Rechte haben, kollektiv über die Kosten und Bedingungen ihrer Arbeit zu verhandeln. Die Ein-Euro-JobberInnen gesellen sich zu 1.000.000 „illegalen“ ArbeiterInnen, 78.000 Zivildienstleistenden und 30.000 schuftenden Häftlingen. Der Sektor der Lohnsklaverei wurde mit Hartz IV also nicht neu erfunden, aber in beträchtlichem Maße ausgeweitet.

A.E. / wc

Kommentar

Dem Chef kein’n Cent geschenkt

Viel wird von „direkter Aktion“ gesprochen, für die wir nun ein kleines Beispiel anführen wollen. Denn es sind „kleine Alltagsangelegenheiten“, in denen sich große Konzepte ausdrücken. Organisation von unten lohnt sich in der Tat; denn ein Prozess vor dem Arbeitsgericht hätte nicht nur 100 Euro, sondern wohl ein ganzes Jahr gekostet.

Ende Januar suchte ein junger Mann das libertäre Zentrum „Libelle“ auf, um sich Unterstützung zu holen bei der Freien ArbeiterInnen-Union Leipzig. Denn sein (Ex-)Boss wollte ihn wohl um seinen Lohn prellen … Doch beginnen wir von vorn: Im August 2004 hat sich Bruno im damals neu eröffneten vegetarischen Restaurant ‚Lembas’ in der Beethovenstr. 21 beworben, weil er als Koch bereits Erfahrungen in vegetarischen Restaurants in Portugal und Belgien gesammelt hatte. Schließlich unterzeichneten beide Parteien einen Arbeitsvertrag, von dem Bruno nicht mal eine Kopie erhielt, und einigten sich auf einen Stundenlohn von fünf Euro. Das ist freilich eher ein Aushilfslohn als der eines ausgebildeten Kochs – aber woher hätte er das wissen sollen?

Im September trat Bruno also seine Arbeit als Koch in der „Veg` Cuisine“ von Peter Herden an. Neben den anfallenden Hilfsarbeiten, wie Geschirrspülen und Gemüseholen, die er verrichten musste, sollte er sich auch noch in die Zubereitung einarbeiten – ein Blick auf die Speisekarte sollte dazu nach Meinung des Chefs genügen. Nach vier Tagen Arbeit im Restaurant, die er im Verlauf von drei Wochen ableistete, war Bruno allerdings aufgrund des Arbeitsstresses noch nicht in der Lage, alle Speisen vorzubereiten und wurde noch während der Probezeit entlassen, genauer: nach vier Stunden wurde Bruno am fünften Tag nach Hause geschickt. Das Argument des Inhabers war, Bruno arbeite nicht wie ein ‚richtiger Koch’ – das war im Oktober.

Bruno – der in der Zwischenzeit einen anderen Job gefunden hat und 2005 auch in die anarchosyndikalistische Gewerkschaft eingetreten ist – war danach mehrmals bei Herden, um das „Entgelt“ für 36 Stunden seiner Lebenszeit einzufordern, das sich auf 180 Euro summierte. Im Dezember wurde ihm zum letzten Mal versichert, er werde sein Geld bekommen; davon war aber auch anderthalb Monate später noch nichts zu sehen. Tja, was man allein nicht schafft, geht man zusammen an!

Die ersten Überlegungen gingen dahin, einen Brief mit Zahlungsaufforderung zu schreiben. Man verabredete sich, um die Geschichte zu Papier zu bringen; und entschied sich an diesem Tag, Herrn Herden in seinem „Kowalski“ einen Besuch abzustatten, um den Lohn ein letztes Mal einzufordern – ohne vorher großartig Gesetze gewälzt zu haben. Der Geschäftsmann war wohl einigermaßen überrascht, Bruno – dies­mal nicht allein – wiederzusehen und suchte sich zu rechtfertigen: es sei ja nur Probezeit und er mit der Arbeit eben nicht zufrieden gewesen, daher müsse er auch nichts bezahlen. Trotz seiner herablassenden Art ahnte Herden wohl, dass die Drei um seinen „juristischen Irrtum“ wussten – und ließ sich also darauf ein, das Geld am nächsten Tag auszuzahlen.

Doch so harmonisch ging es freilich nicht zu Ende, denn am folgenden Tag konnten nur gut 140 Euro entgegengenommen werden – und Herden verweigerte jedes weitere Gespräch. Im Gegenzug verweigerte Bruno die Unterschrift unter eine der beiden vorgelegten Quittungen und machte sich mit der FAUL daran, das ausstehende Geld schriftlich einzufordern.

Nachdem der Brief abgeschickt war, stellten die jungen Syndikalisten noch ein paar Berechnungen an und kamen zu der Vermutung, dass Herden wohl 20 Prozent Lohnsteuer abgeführt habe – die sich Bruno vom Finanzamt zurückholen muss.

Dieses Beispiel aus der Praxis zeigt, dass es sich lohnt, hartnäckig zu bleiben, und sich auch als „unwissender Jobber“ nicht abwimmeln zu lassen. In den folgenden Wochen, als die Geschichte die Runde machte, stellte sich im übrigen heraus, dass Bruno kein Einzelfall ist und sich der vorenthaltene Lohn teilweise auf mehrere hundert Euro belief. Dagegen gilt es vorzugehen, als erste Schritte zu einer kämpferische Gewerkschaft.

A.E.

Lokales

LEIPZIGER KAMERAS: Ihre Argumente – Unsere Antwort!

Wir nehmen das Ereignis am Connewitzer Kreuz in der Nacht von Freitag, 28. Janua­r, auf Samstag, 29. Januar, zum Anlass, erneut die Argumente der Verantwortlichen bei Stadt und Polizei für die Videoüberwachung öffentlicher Plätze zu überprüfen. Zur Erinnerung: im April 1996 warfen Sie eine wichtige Forderung der Bürgerrechtbewegung der achtziger Jahre über Bord: die Forderung nach Abschaffung der alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden Überwachung. Am Leipziger Innenstadtring, wo erst sechs Jahre zuvor die Kameras der Stasi abmontiert worden waren, stellten Sie in einem Pilotprojekt die deutschlandweit erste Videokamera zur Überwachung des öffentlichen Raums auf. Für diese bis dahin einmalige Grundrechtseinschränkung führen Sie abwechselnd die folgenden Argumente an: Videokameras dienen der Aufklärung von Straftaten, der Vermeidung von Straftaten und verbessern das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen. Wir meinen, nach neun Jahren ist es Zeit Bilanz zu ziehen.

Aufklärung von Straftaten, Vermeidung von Straftaten

Am 9. Februar des vergangenen Jahres war in der Leipziger Volkszeitung zu lesen, dass bis dahin 44 Straftäter durch die Kameras überführt worden waren. Ehrlich gesagt bezweifeln wir, dass das bedeutet, dass alle 44 Personen von einem Gericht schuldig gesprochen wurden. Wie auch immer, 44 überführte Personen sind eine schmale Erfolgsbilanz für eine teure Maßnahme, wenn man bedenkt, dass eine Kamera jährlich etwa 10.000 Euro verbraucht. Sie wissen das. Schließlich hat Rolf Müller, Leiter der Polizeidirektion Leipzig, bei der Veranstaltung „Bitte lächeln. Pro & Contra Videoüberwachung“ im April 2004 gesagt, dass sich die Videoüberwachung zur Straftatenaufklärung nicht lohnt. Warum verwenden Sie dieses Argument dann weiter in der öffentlichen Diskussion? Schließlich hat der frühere sächsische Innenminister, Klaus Hardraht, schon im November 1999 auf eine kleine Anfrage der PDS im Landtag geantwortet: „Vorrangiger Zweck der Videoüberwachung ist nicht das Einleiten von Ermittlungsverfahren, sondern das Verhindern von Straftaten.“

Tatsächlich präsentiert Rolf Müller seit Jahren erstaunliche Zahlen. Je nach Deliktgruppe gehen diesen zufolge die Straftaten um 20 bis 60 Prozent durch die Videoüberwachung zurück. Leider können wir diesen Zahlenzauber nicht glauben. Denn die Zahlen wurden weder von einer unabhängigen Institution, noch nach den strengen Regeln empirischer und statistischer Untersuchungen erhoben. Den Tabellen fehlt beispielsweise ein angemessener Vergleichsbereich, in dem die Kriminalitätsentwicklung ohne Videoüberwachung gemessen wurde. Warum schauen Sie nicht einmal in die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik? Dann würden Sie nämlich sehen, dass in den neunziger Jahren die Anzahl der Straftaten, nach dem sie zu Beginn sehr hoch war, kontinuierlich gesunken ist. Warum sollte die Krimi­na­lität zum Beispiel vor dem Leipziger Hauptbahnhof nicht unabhängig von der Vi­deoüberwachung gesunken sein? Der Bundesverband deutscher Versicherer nimmt zum Beispiel an, dass die von Ihnen so gerne angeführten KfZ-Diebstahle Ende der neunziger deshalb rückläufig wa­ren, weil in Neuwagen serienmäßig eine Weg­fahrsperre eingebaut wurde. Von Vi­deoüberwachung keine Spur.

Zudem fehlt Ihrer Statistik ein Unter­suchungsgebiet, in das eventuell eine Verdrängung der Straftaten stattgefunden haben könnte. Wenn eine Straftat nicht in der Richard-Wagner-Straße stattfindet, sondern eben in der Eisenbahnstraße, würden auch Sie sicher nicht behaupten wollen, diese Straftat verhindert zu haben. Das kön­nen sie jedoch anhand Ihrer Zahlen nicht ausschließen! Schließlich hat Rolf Mül­ler bei der oben erwähnten Veranstaltung selbst zugegeben, dass er unsere Annahme teilt, dass die Delikte lediglich in and­ere Stadtgebiete verdrängt wurden. Zu­dem hat Rolf Müller gesagt, dass die Vi­deo­überwachung auf Gewaltkriminalität kei­nen Einfluss hat. Ihre Zahlen belegen also keinesfalls, den von Ihnen behaupteten präventiven Effekt der Vi­deoüberwachung.

An einer wirklichen wi­s­sen­­schaft­lichen Auf­ar­beitung des Nutzens der Videoüberwachung scheinen ja nicht nur Sie, sondern bisher niemand in Sachsen und der BRD in­ter­essiert zu sein. Schauen wir deshalb nach Großbritannien, wo Unmengen an staatlichen Mitteln in eine nahezu flächendeckende Videoüberwachung ge­flossen sind. Dort wurden mittlerweile auch Mittel in die wis­senschaftliche Kontrolle gesteckt. Im Jahr 2002 gab das britische Innenminister­ium eine Studie heraus, die die immense staatliche Förderung von Videoüber­wachung in ein nüchternes Licht rückt. Das Ergebnis der Studie war, dass der Effekt von Videoüberwachung nicht nachzu­weisen ist. Mal ergibt sich eine Reduzierung von Kriminalität, mal steigert sie sich so­gar. Im Durchschnitt ist der krimi­nalitätssenkende Effekt sehr gering, wenn nicht gleich Null. Die Verfasser der Studie fassen zusammen: „CCTV is most ef­fective in reducing vehicle crime in car parks, but had little or no effect in public transport and city centre settings”. Die Verbesserung der Straßenbeleuchtung beeinflusst die Kriminalitätsentwicklung nachhaltiger. Lesen Sie diese Studie und hören Sie dann auf zu argumentieren, dass Videoüber­wachung Straftaten verhindert.

Verbesserung des Sicherheitsgefühls

Zu Ihrem letzten Argument: Videokameras verbessern das Sicherheitsgefühl der Bür­gerInnen. Hier können wir auf eine Studie der Universität Leipzig zurückgreifen. Im Juni 2000 wurden 770 Leip­zi­gerInnen nach ihrer Einstellung zur Video­über­wachung befragt. 70 Prozent der Be­frag­ten fühlen sich sicher. Fast 80 Prozent be­fürworten mehr oder weniger die Vi­­deoüberwachung. Die Umfrage scheint Ihr letztes Argument zu bekräftigen. Jedoch wird das Bild widersprüchlich, wenn De­tailfragen gestellt werden. Knapp die Hälfte meint, dass weitere Kameras aufgestellt werden sollen. Wenn, dann fühlen sich die LeipzigerInnen in der Öf­fen­t­lich­keit durch Rechte, Hunde*, Jugendliche, Ausländer – also weniger durch konkrete Straftaten, sondern durch Randgruppen und sogenannte „Incivilities“ bedroht. An eine vermindernde Wirkung durch Vi­deoüberwachungen glauben die befragten PassantInnen bei Diebstahl, Handtaschenraub, Raub, Überfall und Drogendelikten. „Es scheint also ein Missverhältnis zwischen der Art der Bedrohung und dem erwarteten Sicherheitsgewinn in Bezug auf Videoüberwachung zu geben“, fasst die Studie zusammen. Deutlicher formuliert, bedeutet die­ses Ergebnis, dass das so genannte Sicher­heitsgefühl vermutlich nicht vom Ein­satz der Videoüberwachung herrührt. Und auch der Fakt, dass das zu Beginn der neun­ziger Jahre recht geringe Sicherheits­ge­fühl sich gehoben hat, liegt wohl eher an der Gewöhnung der Ostdeutschen an die neuen gesellschaftlichen Koordinaten als an Ihrer Videoüberwachung.

Wir stellen fest, dass Ihre Argumente für eine Videoüberwachung des öffentlichen Raums nicht zu halten sind. Wir sehen Sie in der Beweisnot, wie Sie künftig die Grundrechteinschränkung an allen vier Kamerastandorten und die Kosten rechtfertigen wollen. Wir empfehlen Ihnen, bei den geplanten Kürzungen am Etat der Po­li­zei bei den Videoüberwachungskameras zu beginnen, anstatt zu behaupten, die Kameras würden zukünftig etwas bewirken, was sie bisher nicht bewirkt haben. Deshalb fordern wir Sie erneut auf, die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Plätze in Leipzig einzustellen.

Initiative „Leipziger Kamera“

* Der hohe Anteil der Hunde wird mit einer Medienkampagne gegen Kampfhunde erklärt, die der Befragung vorausging. Die weiteren Befunde entsprächen auch anderen Studien.

Offener Brief der Initiative „Leipziger Kamera“ zur „erneuten“ Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz an

…Herrn Holger Tschense (Bürgermeister und Beigeordneter für Umwelt, Ordnung und Sport der Stadt Leipzig) und

…Herrn Rolf Müller (Leitender Kriminaldirektor, Polizeidirektion Leipzig).

8. Februar 2005

Sehr geehrte Herren,

die Law-and-order-Hysterie, die von Ihnen nach den letzten Randalen am Connewitzer Kreuz verbreitet wurde, wirft bei uns einige Fragen auf und soll nicht unkommentiert bleiben. Herr Tschense sagte der Leipziger Volkszeitung: „Ab sofort wird dieser Kriminalitätsschwerpunkt dauerhaft videoüberwacht.“ Zudem erfahren die LeserInnen, dass das Connewitzer Kreuz bisher ausschließlich an Silvester mit einer mobilen Kamera überwacht wurde, die vor Silvester auf- und danach wieder abgebaut wurde (LVZ, 31. Januar).

Diese Aussage von Herrn Tschense bezweifeln wir. Denn wer Augen im Kopf hat, kann das ganze Jahr über auf dem Dach des Hauses Karl-Liebknecht-Straße 152 eine Kamera sehen. Zudem weisen Schilder darauf hin, dass der Platz videoüberwacht wird. Bereits am 14. Mai 2003 war in der LVZ zu lesen, dass die Kamera wieder aufgestellt wird und am 9. Februar 2004, dass sie seit Juni 2003 in Betrieb ist und ihren Zweck erfüllt.

Demnach wird das Connewitzer Kreuz seit eineinhalb Jahren dauerhaft videoüberwacht. Dass es trotzdem zu den Randalen kam – wohlgemerkt innerhalb eines bereits videoüberwachten Bereichs (zumindest jedoch als videoüberwacht ausgewiesenen) – zeigt, dass eine Kamera ein solches Ereignis nicht verhindern kann! Stattdessen schränkt die Videoüberwachung die Grundrechte aller NutzerInnen des Connewitzer Kreuzes ein, verbreitet ein Klima der Überwachung und Kontrolle und verursacht jährliche Kosten in Höhe von 10.000 Euro.

Was soll also diese Fehlinformation? Wir meinen, dass Sie mit Ihrer Ankündigung, das Connewitzer Kreuz durch Videoüberwachung sicherer machen zu wollen, das Scheitern Ihrer Law-and-order-Politik vertuschen wollen. Indem Sie der Öffentlichkeit dreist erneut Videoüberwachung als Mittel der Sicherheitspolitik präsentieren, obwohl sich in eben diesem – bereits videoüberwachten (!!!) – Bereich zeigte, dass sie wirkungslos ist. Dabei beweist dieses Ereignis einzig und allein, dass Videoüberwachung vollkommen überflüssig ist. Deshalb fordern wir Sie auf, diese Kamera und die drei anderen Überwachungskameras der Polizei in Leipzig abzuschalten.

Dass Sie die Beteiligten jetzt mit DNA-Analyse überführen wollen, zeigt unserer Meinung nach, dass Sie auf jeden populären Zug aufspringen, um sich als starke Männer im Kampf gegen das Verbrechen darzustellen. Mit Ihren markigen Sprüchen, Herr Tschense, wollen Sie wohl Ihr Profil als Law-and-order-Mann schärfen, um sich nachdrücklich für die Stelle des sächsischen Innenministers zu empfehlen. Den BewohnerInnen von Leipzig helfen Sie damit nicht.

Mit freundlichen Grüßen,

Initiative „Leipziger Kamera“

Lokales

GLOBAL SPACE ODYSSEE

Für ein selbstbestimmtes Leben

In über 300 Städten weltweit (z.B. Los Angeles, Tokio, Frankfurt a.M., Rostock) findet alljährlich der „Million-Marihuana-Marsch“ statt und Leipzig ist ein Teil davon. Zum 5. Mal, organisiert unser Team für den 7. Mai 2005 in Zusammenarbeit mit verschiedensten kul­tur­ellen und gesellschaftlichen Gruppierungen den Leipziger Part dieser globalen Willensbekundung.

Das bedeutet für uns:

Alle können leben Wo und Wie sie wollen!

Alle können lieben Wen und Wie sie wollen (wenn se wolln)!

Alle können konsumieren und produzieren Was und Wie sie wollen!

Selbstbestimmung heißt Verantwortung!

für sich, für andere, für alles!

Leider bedeutet in diesem System mehr Selbstbestimmung und Frei­heit oft trotzdem, dass Menschen und Natur ausgebeutet und ethi­scher Werte zugunsten von wirtschaftlichen, politischen und wis­senschaftlichen Interessen verworfen werden.

Wir haben nicht die Illusion, dass uns ein Staat beim Ausbruch aus dieser Spirale der Entwertung menschlichen Lebens hilfreich sein kön­­­nte. Solange Leistungsdruck, Machtstreben und Profite die Grundpfeiler dieser Gesellschaft sind, können wir nur nach eig­enen Alternativen suchen. Ich, Du und am besten Viele zusam­men!

Je­deR Einzelne trägt mit seiner Persönlichkeit und seinen Ideen zu einer offenen Gesellschaft bei, in der sich niemand allein fühlen muss und jeder sich einbringen kann. Nur gemeinsam, mit wa­chen Sinnen und Interesse füreinander können wir Verdruss und verkrustete Denkstrukturen überwinden.Wir wollen zwanglose Freiräume für ein Selbstbestimmtes Leben schaffen und nutzen: Für freie, uneingeschränkte Kommunikation miteinander.

Das kapitalistische System der globalen Ausbeutung und Umwelt­zer­störung, der Kriminalisierung oder Ausgrenzung von Men­sche­ngruppen und Individuen funktioniert nur durch Manipula­tion der Menschen von klein auf. Deswegen wehren wir uns gegen autoritäre Erziehung, selektive Bildung und erzwungene Ideologien.

Ein freier Mensch braucht freie Medien die unabhängig arbeiten. Medien sollen eine Plattform zum Austausch von Informatio­nen und Meinungen sein und kein Instrument in den Händen von Staaten und Konzernen. Wir wollen Selbst das Denken erfassen, statt uns immer nur lenken zu lassen!

Im Rahmen des alljährlichen Liberation-Day setzen wir uns für die Ablösung des Betäubungsmittelgesetzes durch intensive Aufklärung über (auch anerkannte) Drogen ein. Verbote führen zu einer Illegalisierung von Menschen statt zum Nicht-Gebrauch. Jeder sollte selbstverantwortlich entscheiden dürfen, was er konsumiert.

Für uns in Leipzig fordern wir konkret:

Mehr Grün!

Kleinere Schulklassen statt größere Straßen!

Mehr Kulturförderung statt noch mehr Kaufhäuser!

Öffentliche Fixerstuben statt Kriminalisierung!

Preiswertes Wohnen statt Totsanierung!

Mehr Transparenz und Mitgestaltungsrecht bei städtischen Entscheidungen!

Intensive Aufklärung gegen statt Ignoranz und Toleranz von Nazis!

Legalisierung von Wagenplätzen!

Wir wissen, dass aus mehr Selbstbestimmung, Toleranz und Freiräumen nichts wird, wenn wir sie nicht selber umzusetzen wissen. Darum sprechen wir nicht nur „die da oben“ an, sondern auch und ganz besonders DICH!

www.global-space-leipzig.org

Lokales

Aktionsnetzwerk sucht MitstreiterInnen

für kreative Aktionen, eine andere Lernkultur und gegen Zwangsschule

Es finden sich innerhalb einer großen politischen Bewegung immer wieder Leute zusammen, die aus unterschiedlichen Motivationen mitunter sehr verschiedene Wege gehen, um anderen Menschen von ihren Ideen, ihrer Kritik an bestehenden Umständen und ihren Wünschen und Alternativvorschlägen zu berichten. Meistens werden die Leute mit Diskussionen, Workshops, Konferenzen, Vorträgen und Filmen, welche meist ungewöhnliche Fragen aufwerfende Titel tragen, umworben.

Man hofft damit zumindest zu erreichen, dass wenigstens einige „schon mal was davon gehört“ haben; dass es beispielsweise auch Schulen ohne Zensuren gibt und sogar Leute, die behaupten, man würde sogar ohne eine Institution etwas lernen können. So wird ein Informationsminimum weitergetragen und es bleibt die Hoffnung, dass vielleicht einmal ein interessierter Mensch genauer recherchiert.

Doch im Idealfall entsteht durch den Impuls „Andersdenkender“ ein Dialog und aus diesem ganz alltäglichen kleinen Interesse wird wieder ein sehr großer Gedanke, welcher im Laufe der Zeit unter günstigen Umständen an vielen kleinen Orten großes bewirken kann. Dieser Gedanke ist wichtig, um sich nicht von scheinbaren „Misserfolgen“ (falls es sowas überhaupt gibt) entmutigen zu lassen.

Im alltäglichen Zusammenhang, „auf der Straße“ wollen einige Individuen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen anfangen, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Sie möchten mit gut vorbereiteten, kreativen, provokanten, verwirrenden Aktionen die Leute ins Gespräch ziehen und eine kleine Auseinandersetzung mit bestimmten Themen anschubsen. Dazu gehört, niemanden persönlich bösartig anzufeinden, denn jeder hat das Recht auf seine Meinung, gerade deshalb muss eben mit Kritik gerechnet werden. Weil diese Kritik aber in der Realität kaum oder erschreckend indirekt – über Medien oder Filme – geschieht, wollen wir etwas Kritik direkt in den Alltag der Menschen impfen und eine Streitkultur entwickeln, die Leute statt zur Flucht oder Aggression zum sachlichen Nachdenken bringen kann. Um den Effekt „schon mal gehört“ zu erwirken, sind auch Informationen auf Papier (mit Adressen von Gruppen, Netzwerken, Vereinen, die sich mit dem Thema befassen) sehr praktisch, die man neugierig Schauenden in die Hand drücken kann. Ein weiteres Vorhaben ist, einen Aktionsreader in Papier und virtuell im Internet herauszubringen, der Tips und Tricks für eigene Aktionen zusammenfasst und von Jedem und Jeder erweitert werden kann.

Wir selber wollen ein offenes bundesweit agierendes Aktionsnetzwerk ohne Namen und feste Struktur bleiben. Theorien haben sich schon andere zu r Genüge ausgedacht und verbreiten sie. Eigene Büros sind ein wahnsinniger Kostenfaktor. Offizielle „Verantwortliche“ hemmen unserer Ansicht nach die Heterogenität (Vielfalt) und Horizontalität des nicht-hierarchischen Organisationsanspruches. Jede und Jeder ist in erster Linie für sich selbst verantwortlich. Die einzelnen Menschen treffen sich, um ergebnisorientiert einzelne Aktionen bzw. Projekte vorzubereiten. Die ganze Sache setzt voraus, dass sich an diesen Aktionen Leute beteiligen, die schon ein gewisses Grundwissen über grundlegende Schulkritik und Alternativen, (auch über Montessouri) angesammelt haben und auch Wissen weitergeben können, wohin man sich mit welchen Fragen wenden kann. Was mensch noch nicht weiß, kann er und sie aber immernoch lernen.

Ein Aktionsnetzwerk besteht aus Menschen, die sich kennen, sich vertrauen und sich treffen, um zusammen einzelne Aktionen vorzubereiten. Wir wollen versuchen, so gut es geht, ohne großen Aufwand von finanziellen Mitteln auszukommen. Wir hoffen sehr auf Sachspenden, die uns Leute für Aktionen bereit stellen wollen. Geplant ist es, einen Reader mit einer Sammlung von schulkritischen Aktionsideen zu drucken und zu verbreiten, gerade dafür benötigen wir noch einiges an Sachmitteln.

Sabine

Wer im Text Informationen über Schulkritik vermisst, dem seien einige Internet-Links empfohlen:
www.raetzae.de
www.bvnl.de
www.leben-ohne-schule.de
www.free.de/schwarze-katze/doku/kinder.html

Bewegung

Status Quo Vadis

Der Streit um die Studiengebühren geht weiter. Zeit zu schauen, wo er eigentlich steht.

Denn in der Debatte, die für viele gar keine mehr ist, sondern längst beschlossene Sache, stecken ihre Protagonisten fest. Da sind die kategorischen Neinsager auf der einen, die bedingungslosen Gebührenverteidiger auf der anderen Seite und irgendwo dazwischen die „konstruktiven“ Studiengebührenbefürworter (unter bestimmten Voraussetzungen). Die Vertreter der goldenen Mitte beziehen ihre Argumente aus beiden Positionen und verweisen auf alternative Studiengebührenmodelle. Eine solche Alternative hat die Tageszeitung (TAZ) formuliert. Das „TAZ-Modell“ von Christian Füller bezieht sich auf die Idee der „studentischen Selbstverwaltung“ und lässt sich wie folgt beschreiben: Die Höhe der pro Semester abzuführenden Studiengebühren soll von der Studierendenschaft (wer das sein soll, wird nicht genauer spezifiziert) und der Hochschule ausgehandelt werden. Anschließend wird eine Gebührenordnung verabschiedet, nach welcher der Einzug der Gebühren organisiert werden soll. Banken übernehmen die Erhebung der Gebühren, eine „professionelle Organisation“ verwaltet diese und ein „studentisches Gebüh­renmanage­ment“ (auch nicht näher spezifiziert) übt die Kontrolle über die Verteilung der Gelder aus. Dabei sollen Studierende, die sich die Gebühr nicht leisten können, von dieser befreit bleiben. Ziel ist es, die „negativen Effekte“ von Studiengebühren kon­troll­ierbar zu machen. Soweit so gut. Füller verweist bei seiner Argumentation auf den Umstand, dass sich die Studierenden in Hochschulen hauptsächlich aus Aka­demiker­sprößlingen zusammensetzen, und dass diese immer noch „kostenlos“ studieren dürfen, auf den Rücken der Nichtakademiker, die das auch noch über ihre Steuern bezahlen. Dahinter verbirgt sich der Populismus, dass die arme ALDI-Kassiererin den karrieregeilen Advokatensohn finanziert, ohne irgendwie davon zu profitieren. Dabei werden aber Dinge vermengt, die zunächst nichts miteinander zu tun haben. Steuern muß schließlich jeder zahlen und eine gerechte Verteilung stellt sich auch über Studiengebühren nicht her. Über Steuern werden auch kulturelle Einrichtungen subventioniert bis hin zu Großbetrieben, und nicht nur der Bil­dungss­ektor. Um eine steuerliche Gerechtigkeit herstellen zu wollen, müsste man hingegen die stärkeren Kapitalinhaber höher belasten.

Im nächsten Zug verteidigt Füller sein Modell vor den Studiengebührengegnern als „konstruktive“ Herangehensweise. Diese würden sich, so Füller, mit ihrem kategorischen Nein ins politische Off befördern und damit den derzeitigen Status Quo in der Universität zwangsweise beibehalten wollen. Damit versucht Füller, Studiengebühren als unaufhaltsame Entwicklung zu kennzeichnen, jegliche Gegnerschaft bleibt best­en­falls weltfremd. Nur wer sich Gebühren selber aufbürdet, dürfe in der Diskussion noch mitmachen, sei politisch tragbar und realistisch. Füller vergisst dabei, dass es gute Gründe gibt, Studiengebühren kategorisch abzulehnen, denn Studiengebühren und Gerechtigkeit schließen einander aus. Darüber kann auch das glorreiche TAZ-Modell nicht hinwegtäuschen. Es ist einfach keine Lösung, das Problem der Hochschulfinanzierung auf die Studierenden abzuschieben, damit diese sich selbst ausnehmen. Die studentische Selbstbestimmung des Modells ist dabei zwar ein idealistischer Gedanke, vergisst aber, dass mit Studiengebühren, welcher Art auch immer, die Ökonomisierung der Hochschulen, auch im Zuge der Bologna-Reform, noch mehr zementiert wird. Damit sind die nach dem TAZ-Modell ach so selbstbestimmten Studenten plötzlich fremdbestimmt von der unsichtbaren Hand des Marktes. Wer letztlich entscheidet, welche Arbeiten, Forschungen und Studiengänge ökonomisch rentabel sind, ist unerheblich. Im nächsten Zug werden die Hochschulen unterschiedlich hohe Studiengebühren erheben, um damit spezielle Zielgruppen anzulocken. Hochschulen mit höheren Gebühren werden von entsprechenden Studenten besucht, die sich diese auch leisten können. Es besteht die Gefahr, dass sich eine Hochschullandschaft entwickelt, in der die Qualität des Studiums von den finanziellen Möglichkeiten der Studierenden abhängt. Diejenigen mit mehr Barem im Handgepäck besuchen dann eine Hochschule, die für das Mehr an Gebühr auch mehr Bil­dungs­qualität bietet. Die so oft geforderte Eliteuniversität wäre dann – für die entsprechende Oberschicht – nicht mehr weit.

Studiengebühren werden immer den Weg zum Studium blockieren, die Wahl des Faches sowie des ausführenden Berufes beeinflussen und die Freiräume für nicht Kapital bringende Forschung und Studiengänge einschränken. Die Losung, wenn man für Kindertagesstätten zahlt, muss man auch für die Universität zahlen, ist falsch. Kitas sollten genauso kostenfrei sein.

Den Status Quo beizubehalten, ist gerade nicht das Ziel beim Protest gegen die Studiengebühren. Aber eine Bildung, die zur Ware Ausbildung mutiert, ist niemals der bessere Weg. Auch wenn Füller sein Modell als „sozial gerecht“ preist, ist es keine Alternative, sondern das Problem, nur anders aufgerollt.

Aber gerade bei den verschiedenen Standpunkten im Streit um die Studiengebühren muss die Gegnerschaft ihre Kritik erörtern und sich nicht auf platte Parolen und Phrasen reduzieren (siehe jüngst die Leipziger Blutsauger-Rhetorik zur Antigebührendemonstration), um ein gesellschaftliches Bewusstsein bis hinein in die Familie zu schaffen. Aufgabe muss es daher sein, Populismen wie die Gleichsetzung von sozialer Gerechtigkeit mit Studienge­büh­ren, argumentativ zu entlarven und breite Kampagnen für Kritik anzulegen.

Der Protest muss sich verstärken und breiter werden. Alternative Studiengebühren jedenfalls schaffen das Problem nicht aus der Welt.

Karotte

Was bisher geschah – was noch kommt

Am 26.1. 2005 fällte das Bundesverfassungsgericht sein historisches Urteil gegen das Studiengebührenverbot fürs Erststudium. (1) Daraufhin fanden bundesweit Vollversammlungen, Demos und Aktionen statt. Am 27.1. folgte an der Uni Leipzig eine nicht gerade kämpferische Vollversammlung von 1000 Studierenden statt. Aufgerufen wurde auch zur Demonstration gegen Stu­dien­gebühren in fünf Städten, an der bundesweit 20.000 und in Leipzig selbst 8000 Leute teilnahmen. In den Semesterferien selbst blieb es weitgehend ruhig. In München kam es am 18.3. zu einem Schulstreik und einer gemeinsamen Demonstration von SchülerInnen und Studierenden gegen Büchergeld und Studiengebühren. (2) Von einigen Studierenden­vertreterInnen wurde ein heißer Sommer propagiert, so z.B. Aktionstage vom 2. bis 13.5. angekündigt. Am 2.4. trafen sich die Bildungssyndikate der FAU (3) um die bundesweite Zusammenarbeit zu verstärken. Vom 22. bis 24.4. wird an der Universität Leipzig das zweite bundesweite Koor­dinierungs­­treffen gegen Studiengebühren stattfinden. (4) Der heiße Sommer muß sich jedoch erst noch zeigen!

KFM

(1) www.fau.org/artikel/art_050126-141511
(2) www.kostenlose-bildung.de
(3) www.fau.org/syndikate/bsy2
(4)www.stura.uni-leipzig.de

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