Archiv der Kategorie: Feierabend! #23

Radioball

Politische Choreographie im „öffentlichen“ Raum

Am Leipziger Augustusplatz nach dem Achtelfinale (24. Juni). Inmitten der Schwarz-Rot-Gold gekleideten Men­schenmassen befinden sich verstreut ca. 50 Personen, die zeitgleich verschiedene Ges­ten machen. Sie winken, spielen Ball, setzen sich hin und betrachten ihren aus­ge­zogenen Schuh, strecken die Finger in den Himmel. Die Radio-Ball-Spieler demonstrieren nicht, sie machen durch kreative Aktionen auf Missstände aufmerksam, durchbrechen die Norm und Kontrolle im geregelten Bereich der zunehmend privatisierten Sicherheitszone. Was sie verbindet, sind Kopfhörer und die Sendung auf Radio-Blau, wo neben Vorschlägen für diese Gesten auch verschiedene Beiträge gesendet werden. Das Ziel ist Aufmerksamkeit für Themen, die in der WM-Hysterie leicht vergessen werden, wie die Arbeitsbedingungen in der Fußball- und Turnschuhproduktion (siehe S. 20/21), Menschenhandel im Fuß­baller­geschäft aber auch die Macht der Wer­bung und Rassismus.

„Nicht bestimmungsgemäßes Verweilen“ im öffentlichen Raum, das für Aufsehen sorgt. Die Bandbreite der Reaktionen von außen ist groß: zwischen Interesse, Irritation, Ignoranz und Pöbelei ist alles dabei. Ver­anstalter und Initiatoren des Projektes sind das ENS (Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen), INKOTA, Eine Welt e.V. Leipzig und Radio Blau. Das notwendige know-how bekamen sie von der Gruppe LIGNA, die 2003 selbst ein Ra­dioballett im Hauptbahnhof organisierte.

(momo)

Panoptismus im Zentralstadion

Bei der zeitgenössischen Fußballstadienarchitektur hätte der von der Aufklärung beseelte Erfinder des Pano­pticons (Anm. d. Red.: gebräuchlicher ist Panoptikum) Jeremy Bentham wohl vor Begeisterung gejubelt. Sein Panopticon sollte als ringförmiges Gebäude, in dem die Wärter alles und alle sehen, das Modell für Zucht-, Arbeits- und Schulhäuser abgeben. Im Panopticon hatte jedes Subjekt seine Einzelzelle. Die Fußballfans von heute sind in vier Sektoren A, B, C und D gepfercht. Seit kurzem verschwinden die Stehplätze zugunsten der Sitzschalen. Dahinter steckt durchaus erzieherisches Kalkül. Die tobenden Fanmassen werden durch die Sitze vereinzelt und an Bewegungen gehindert. Wer aufspringt und grölt, wird sich über kurz oder lang den Hals brechen. Auch die Stadien sind ringförmige Gebäude in denen unsichtbare Wärter im Raum der Polizeiaufsicht an zwei Bedienplätzen auf acht Farbmoni­toren, im Raum des Stadion­sprechers und beim Brandschutzbeauf­trag­ten alles sehen. Honeywell Security Deutschland installierte im Leipziger Zentralstadion in „allen Stadien- und Vorfeldbereichen ins­gesamt 68 hochauflösende Farbkameras“. „Die ausgewählten Zoomobjektive mit langer Brennweite erlauben eine lückenlose Überwachung aller Tribünenplätze mit großformatigen Darstellungen der Personen.“ (1)

Elke Weiße, ehemalige Geschäftsstellenleiterin des FC Sachsen Leipzig, beschrieb die Technik griffiger in der Provinzpostille hallo Leipzig! zur Eröffnung 2004: „Die Videoüberwachung klappt bereits vorzüglich. Wenn jemand gähnt, kann man problemlos die Goldkrone sehen“, so die Geschäftstellenleiterin belustigt. „Das Sicherheitsaufgebot wird so groß sein, dass der Polizei schon derjenige auffällt, der den Arm hebt“, spitzt es der Vize-Manager Uwe Thomas zu. (2)

Dank Lichtwellenleiter können sogar Aufnahmen mobiler Polizeikamerateams und der Polizeikameras aus der Innenstadt in die Videozentrale übertragen werden. Das digitale System erlaubt „zeitnahe Ausdrucke von aktuellen Aufnahmen auf einem Drucker zu erstellen“ und die Sicherung der Aufnahmen auf CD-Rom-Datenträgern. (3) Wenn es sich dabei nur um das Bild der Goldkrone handelt, ist der Stadion­besuch glimpflich verlaufen. Denn nach Sachsen-Justizminister Geert Mac­ken­­­roths (CDU) Aussage soll hinter dem Poli­zisten gleich noch ein Staatsanwalt, „der Haftbefehle beantragt oder Durchsu­chungen durchführt“, und ein Richter sitzen. Das Fernziel sei, „dass bei leichteren Vergehen der Täter nach dem Schlusspfiff seine Strafe bekommen habe“, äußerte der Minister gegenüber der Presse. (4)

Digitale Bildaufzeichnung ist auch offen für immer neue programmierte Fähigkeiten. Der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily hat biometrische Erkennungssoftware zur WM bereits im Mai 2005 auf einer Pressekonferenz angekündigt. (5) Die Dresdner Firma Cognitec hat im holländischen Stadion des PSV Eindhoven ein biometrisches Gesichtserkennungsverfahren getestet. Diese Systeme melden dann automatisch Alarm, wenn sie ein Gesicht erkennen, das in einer entsprechenden Datei gespeichert ist. Dabei kann es sich um bekannte Ge­walt­­täterInnen handeln, doch sehr häufig geraten Personen hinein, gegen die nur vage oder unhaltbare Ver­dachts­momente bestehen. Gerichtlich geregelt ist dieser Bereich selten. Hinzu kommt noch, dass sensibler Software Fehler unterlaufen. Was hier gebaut und geplant wird, sind gedankliche Fehlgeburten von politischen Popu­list­Innen und technischen, juristischen und politischen Techno­kratInnen, die oft nicht sonderlich mit dem korrespondieren, was tatsächlich technisch oder juristisch machbar, geschweige denn sinnvoll ist. Für die, die immer noch glauben, dass Videoüber­wachung eine – wie auch immer verstandene – Sicherheit erhöhe, sei darauf hingewiesen, dass diese Technik bei weitem nicht die Ziele erreicht, die ihre Befür­worterInnen behaupten. Britische Studien sprechen aus, was vielen schon klar ist: „Videoüberwachung hat keine Auswirkung auf Gewaltverbrechen.“ Denn diese werden entweder im Rausch oder Affekt begangen oder geplant, und dann an unüberwachter Stelle oder maskiert.

Jeremy Benthams panoptisches Prinzip baute darauf, dass sich die Eingesperrten normgerecht verhielten, weil sie nicht wissen, ob sie gerade der kontrollierende Blick trifft oder nicht. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden dabei durch die Architektur und die eigene Normanpassung reproduziert. Ihr Ziel haben die Architekten und Technokraten schon erreicht. Das zentrale Sicherheitsproblem der Stadien ist beseitigt, denn die Masse der einkommensschwachen Fußballfans kommt durch die hohen Preise und die Modalitäten der Ticketvergabe nicht mehr ins Stadion. Die Lust würde ihnen dort auch vergehen, da sie auf den Schalensitzen festsitzen und sich nicht bewegen kön­nen. Bier ist auch verboten. Die Ränge sind frei für die Funk­tio­närInnen, Spon­­soren und Part­ner­In­nen der FIFA.

(leipziger kamera.)

initiative gegen überwachung

 

(1) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(2) hallo! Leipzig, März 2004, S. 17

(3) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(4) www.netzeitung.de/servlets/page?section=704&item=333232

(5) www.heise.de/newsticker/meldung/print/59911

kick control

Rückblick auf die Veranstaltungs- und Aktionswoche (2.-10. Juni 2006)

Vom 2. bis 10. Juni 2006 führte ein Bündnis verschiedener Leipziger Gruppen unter dem Motto „kick control“ eine Veranstaltungs- und Aktionswoche mit abschließender Demonstration durch. An­lass aber nicht einziger Hintergrund für die Initiative war die am 9. Juni startende Fußballweltmeisterschaft in Deut­schland: ein Großereignis, das bereits im Vor­feld neben dem sportlichen Wettkampf eine derartige Unmenge von kri­ti­sierungs- und hinterfragungswürdigen Facetten und Nebenwirkungen ankündigte, dass man da eigentlich nicht mehr hinschauen wollte: Sicherheit galt dabei als oberste Priorität, es galt Terror und Gewalt abzuwenden, mit allen Mitteln.

Dem Bündnis „kick control“ ging es in der Veranstaltungs- und Aktionswoche darum, diesen Zweck „Sicherheit“, als auch die Mittel zur Durchsetzung – altbewährte wie neu erfundene Maßnahmen – zu dis­ku­tieren und letztendlich bei der Demo mit annähernd 300 Teinehmer/innen in der Öffentlichkeit lautstark zu kritisieren.

In den inhaltlichen Veranstaltungen wurde zunächst der allgemeingesellschaftliche As­pekt thematisiert, der Wandel sozialer Kon­trolle und die so bezeichneten Konturen der Sicherheitsgesellschaft (siehe Buch­tipp Seite 22).

In einer weiteren Veranstaltung drehte es sich um die Hintergründe, die reale oder kons­truierte Gefahr durch bspw. Terror und die damit verbundene Verbreitung von Ängsten. Sie führten dann zur be­reit­willigen Akzeptanz aller möglichen, auch Persönlichkeitsrechte einschränkenden, Sicherheitsmaßnahmen. In­wie­weit hier­bei der technische Fortschritt als zusätzliches Übel mitspielt, wurde im Rahmen der Vorstellung all der faszinierenden Möglichkeiten und Methoden in der Überwachungsgesellschaft diskutiert.

Mit gemeinsamem Kicken in der Öffentlichkeit wollte man der guten alten Forderung nach Rückgewinnung öffentlicher Räume Ausdruck verleihen. Da der Augustusplatz bereits in Hand der FIFA und somit für die banale Bevölkerung nicht mehr zugänglich, geschweige denn bespielbar war, musste man sich im Zugangsbereich zur Fußgängerzone aufhalten. Weil das aber nun mal einfach nicht geht, da Verkehr und alles mögliche andere blockiert werden und außerdem die Aktion nicht als angemeldete Veranstaltung dem Ordnungsamt vorgelegt worden war, wur­de die Sache nach einer Stunde dann auch unterbunden. Immerhin verzichteten die Ordnungskräfte auf die umfassende Personalienfeststellung aller Teilnehmer und das Erteilen von Platzverweisen, was wir hiermit noch einmal zutiefst dankbar hervorheben wollen.

Eine dritte inhaltliche Veranstaltung widmete sich dann einem Mittel der eher ra­biaten Durchsetzung von Sicherheit: den Gewalttäterdateien und so genannten Gefährderanschreiben (oder -ansprachen) mit denen unliebsame Gesell/innen aus den Massen der friedlichen Bürger/innen herausgefiltert werden und ihnen mit persönlichem Anschreiben von der Teil­nahme an bestimmten Veranstaltungen dringend abgeraten wird. Referent war hier ein Aktivist der Roten Hilfe, der selbst ein­mal von einem solchen Anschreiben be­troffen war, sich nicht mit der Einschränkung abgefunden und erfolgreich ge­gen diese Sonderbehandlung geklagt hat. Angesichts von mehreren hundert derartiger Anschreiben, die allein in Leip­zig an Fußballfans – tschuldigung, es muss heißen: mutmaßliche Gewalttäter – verschickt wurden, welche hier und da in den un­teren Ligen auffällig geworden sind, gibt es hier eindeutig Handlungsbedarf.

Man will all die Blutbäder nicht schönreden, die von Fußballfans in ihrer verbrecherischen Unfähigkeit ihre Emotionen zu zü­geln, bekanntlich regelmäßig angerichtet werden, bzw. angerichtet werden könnten wäre, da nicht der bereits auf Hochtouren laufende Kontroll- und Re­pressionsapparat in und um die Welt des ba­nalen Ligafußballs. Jüngstes Beispiel da­für, wie aus Kontrollwahn und Sicher­heits­bedürfnis bei Fußballspielen längst schon Schikane und Kriminalisierung geworden sind, ist der Fall einer sech­zehnjährigen Dresdnerin, die den Fehler begangen hat, ein Auswärtsspiel der SG Dynamo Dresden in Saarbrücken zu besuchen. Da sie darüber hin­aus jung, weiblich, unauffällig und somit nicht im gerings­ten dem Standardbild des ge­waltbereiten Fans und Schmugg­­­lers von Pyrotechnik und Waffen entsprach, wurde sie, wie alle anderen „so genannten unauffälligen ins­besondere weiblichen Fans“ vor Spielbeginn in extra bereitgestellten Kabinen einer Kom­plett­durchsuchung unterzogen. Sie klagte gegen diese Sonder­be­handlung und verlor, schließ­lich war der Verdacht aus den oben genannten Gründen berechtigt und der Tatbestand der Gefährdung (es gibt tatsächlich von Zeit zu Zeit Ausschreitungen bei Dynamo Dresden-Spielen) gegeben. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Saarlouis ist ein lesenswerter Beitrag zum Thema und sei jeder und jedem hier als Lektüre ans Herz gelegt.

Insgesamt waren die Veranstaltungen nur mäßig besucht – über die Gründe wurde in der Auswertung durch das Bündnis schon ausführlich spekuliert, selbiges sei hier der Leserschaft überlassen.

Nunmehr zwei Wochen nach WM-Start muss man natürlich feststellen, dass die Welt zu Gast bei Freunden ganz andere Blüten treibt, dass Deutschland sich endlich wieder gefunden hat, dass im patriotischen Miteinander sich alle ganz lieb haben und die Zeiten, wo man Fahnen schwenkend in den Krieg und nicht nur durch die Stadt gezogen ist, ein für alle Mal vorbei sind. Wahrscheinlich werden wir froh sein, wenn nach Ende der WM nur die Kameras bleiben, die Fahnen verschwinden und der Rest in den „Normalzustand“ zurückkehrt.

Auf die Gefahr hin, dass man dann mit dem Thema Überwachungskritik nur noch auf Lethargie und taube Ohren stößt, ist das Bündnis dennoch fest entschlossen sich weiter der Sache zu widmen. Dabei wird es dann jenseits des Diskutierens von Fallbeispielen auch um das Finden und Etablieren weiterer und vielleicht auch mal ganz neuer Aktionsformen gehen, um den Forderungen Gehör zu verschaffen:

+ + Gegen Sicherheitswahn, Repression und Überwachung + + Gegen die Lösung gesellschaftlicher Konflikte durch Repression + + Schluss mit rassistischer und sozialer Ausgrenzung + +

(larsson)

* Aktuelle Informationen unter: www.kickcontrol.de.vu

INNERE SICHERHEIT föderativ und zentral

Die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg zum ganz „normalen“ Polizeistaat

Was man in Leipzig schon ahnt, ist im restlichen Territorium der Bundesrepublik noch nicht bekannt. Neben einem kruden Häuflein Worchianer, alten Kameraden, Faschisten und Nationalsozialisten und einer kunterkonterbunten Menge von verschieden antifaschistisch inspirierten Menschen nutzt mittlerweile noch eine dritte Gewalt, die recht eigentlich die erste ist, die Leipziger Straßen, um am 1. Mai Stärke zu demonstrieren – es ist der Staat, der hier mittlerweile alljährlich die funktionale Differenzierung seiner Exekutiv­behörden paradiert. Da brüten neben Hundertschaften des BGS und der Bereitschaftspolizei, BFEs aus Thüringen und Sachsen in der prallen Sonne. Eine SEK schleicht über Hinterhöfe, ständig in Kontakt mit dem MEK. Ohne ersichtlichen Grund lässt der diensthabende Einsatzleiter zwei Hundertschaften bayrische USK die breite Straße zum Bahnhof hinunter besetzen. Es bleibt zu dieser Stunde und an diesem Ort ein „Zur Schau stellen“. Kontrollen, Maßnahmen wie Gas-, Spray- und Knüppeleinsatz, ED-Behandlungen und Festnahmen finden dagegen in dem schwer einsichtigen Gelände rund um den zweiten angemeldeten Treffpunkt der Neonazis statt.

Trotz der großen Anzahl an Gegende­mons­­trantInnen, die sich teils schon früh zum alljährlichen Maizug zusammengefunden hatten und der offensichtlichen personellen Unterbesetzung der versammelten Polizeiverbände, trotz der erschwerten Situation, dass die rechten Radikalos ihr Glück diesmal in einer doppelten Strategie (zwei angemeldete Demonstrationen) suchten, trotz alledem blieb offenbar genug Zeit und Potential, um die innere Geschlossenheit von Länder-&Bereitschaftspolizei, Bundespolizei (ehemals BGS – siehe Kasten unten) und den polizeilichen Spezialeinheiten in die (mediale) Öffentlichkeit zu transportieren. Zum Ausdruck kommen soll, dass professionelle Polizeiarbeit auch zum neuen nationalen Selbstbewusstsein Deutschlands gehört. Es reicht nicht mehr, diesen Zusammenhang nur nach seiner integrierenden und repressiven Funktion zu untersuchen, vielmehr muss die mediale Repräsentation der deutschen Polizei heute perfider Weise auch als gezielte Marketing-Strategie verstanden werden. Denn es gibt bereits einen globalen Markt um Personal, Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung, um allgemeine Technologie der Kontrolle und Disziplinierung, der sich seit dem Wegfall der großen Blöcke intensiviert und seit der Greueltat vom 11.09.2001 eine neue Qualität erreicht hat. Und auch hier beweist sich die geheimnisvolle Kraft des deutschen Exports. Die deutsche Polizei ist überall gefragt und heiß begehrt, ob nun streifend durch die Regionen des Balkans, leicht gepanzert durch die darbenden Wälder des Kongo oder tief eingegraben in die Geröllhalden Afghanistans und den Wüstensand Iraks – wo es heute brennt, da darf auch die deutsche Polizei nicht fehlen, weil sie gut ausgebildet und ausgerüstet, weil sie eben professionell ist. Daraus leitet sich wesentlich auch der Anspruch der größten Fraktionen des deutschen Parlaments auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der UNO ab. Diese These mag auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingen, könnte man diesem parlamentarischen Anspruch doch genauso gut auch die aktive Rolle der Bundeswehr zu Grunde legen.

Eine nur irgendwie erschöpfende Analyse, wie die deutschen Parlamentarier und Parteien zu solcherlei vermessenen Ansprüchen kommen, müsste tatsächlich diesen Punkt berücksichtigen, neben einer ausführlichen Parteigeschichte und letztlich gar einer sozial-psychologischen Untersuchung der Rolle des Parteifunktionärs als Parlamentarier selbst. All das kann hier nicht im Ansatz unternommen werden. Ich werde mich damit begnügen, die Relevanz dieser Thematik und ihrer ausführlichen Behandlung vor Augen zu führen, in dem ich auf die wenig beachtete Entwicklung der deutschen Polizei verweise und ihre gewichtige Rolle für einen neuen deutschen Nationalismus betone. Fragen der grundrechtlichen Bewertung bestimmter Entwicklungen bzw. völkerrechtliche Fragen im Rahmen sogenannter „Grauzoneneinsätze“ spielen nur insofern eine Rolle, wie hier ein expansives Feld zwischen äußerer und innerer Sicherheit, die Entwicklung neuer Technologien der Kontrolle und Diszipli­nierung möglich gemacht wird.

Polizei oder Miliz?

In der konventionellen Polizeiforschung wird die Entstehung halbstaatlicher paramilitärischer Verbände gern über einen quasi natürlichen „Bedarf“ erklärt. Das schnelle Wachstum der Städte im 16. und 17. Jahrhundert hätte verschiedene Versor­gungskrisen ausgelöst, die wiederum eine Behörde zur Regulation, Begrenzung und Kontrolle notwendig machten. Seitdem seien die Aufgaben der Milizen bzw. Polizei nur quantitativ ausgewachsen und hätten so die funktionale Differenzierung hin zu den modernen Polizeiverbänden bewirkt. Kaschiert werden soll damit offensichtlich, dass Stärke, Aufgabenbereich und Ausrüstung, sowie die daran notwendig geknüpfte Differenzierung solcher paramilitärischen Verbände schon seit je Produkt politischen Willens waren und darum eben nicht notwendig, ja nicht mal einmal hinreichend einem puren „Bedarf“ entspringen. Doch vielmehr als Ursprung und Ursache interessiert hier Zusammenhang, Funktion und Tendenz im qualitativen Sinne. Um der deutlichen Abgrenzung zum Begriff der „Miliz“ hin werde ich „Polizei“ im Folgenden deshalb auf diejenigen paramilitärischen Verbände beschränken, die per moderner, parlamentarisch legitimierter Rechtssetzung innerhalb eines nationalen Staatsgebietes durch monopolisierte Gewalt agieren. Anders: Die Polizei ist die wichtigste Kontrollbehörde des modernen Staates. Sie dient der Segregation und Disziplinierung, der Integration und Assimilation. Sie setzt sich letztlich durch, wenn gesetzmäßiges Recht durchgesetzt wird. Sie ist eben die Exekutivgewalt des Nationalstaates. Dies zeigt sich um so deutlicher, je mehr die Relevanz stehender Heere in Europa nachlässt.

Die deutsche Polizei vor 1945

Von Polizei in Abwesenheit eines aktiven Nationalstaates zu reden, wäre deshalb in gewisser Weise widersinnig. Die Polizei ist eben kein Agent der Gesellschaft oder einzelner gesellschaftlicher Gruppen, sondern dient einzig der jeweils geltenden, d.h. im modernen Kontext der parlamentarisch legitimierten, Rechtsprechung. Ein Polizeiverband, der sich dieser Grundlage entzieht, wird zur Miliz. Um die Rechtsbindung der verschiedenen paramilitärischen Verbände sicherzustellen, hat der moderne Staat mittlerweile ein komplexes Geflecht der bürokratischen und psychologischen Kontrolle für seine Exekutiv-BeamtInnen entwickelt. Die Diszipli­nierung der Milizen hin zur Polizei muss überhaupt zu den größten Stabilisierungsleistungen des Status quo im modernen Nationalstaat gezählt werden.

Von deutscher Polizei im Sinne der oben angegebenen Definition lässt sich also erst­mals mit der Reichsgründung von 1871 reden. Die maßgeblichen Verwal­tungs­entschei­dun­gen zur Bildung einer reichs­über­­grei­fen­den Polizei werden allerdings schon 1848 geschaffen: Es ist die königlich preußische Schutzmannschaft in blauer Uniform mit Pickelhaube, die von nun an der Befehlsgewalt der Landesfürsten bzw. des Kaisers direkt untersteht. Bereits 1850 wird die bisher kommunale Polizei via Gesetz aufgelöst. Frühe Formen der Kriminal-, Ordnungs- bzw. Schutz-, Verwaltungs- und Staatspolizei wie etwa der „Polizey­reuter“, der „Gendarm“ oder der „Polizei­inspek­tor“ werden in diesem neuen Poli­zei­verband zusam­mengefasst. Dennoch besteht auch weiter­hin und abseits der Städte eine kommunale Polizeistruktur.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges und mit Gründung der Weimarer Republik sieht sich der deutsche Staat zur erneuten Restrukturierung seiner Polizei gezwungen. Um die konservative Restauration zu stärken, wird aus Korporierten und bewaffneten Freikorps die Sicherheitspolizei (Sipo) gegründet und 1920 zusammen mit der preußischen Polizei in die sogenannte Schutzpolizei (Schupo) integriert. Die Schutzpolizei unterstand in dieser Zeit größtenteils den Landesherren. Die Gründe für den starken Auf- und Ausbau der Schutzpolizei in der Weimarer Republik liegen zum einen beim Versailler Verdikt der Siegermächte, kein neues stehendes Heer (Reichswehr) über einer Gesamtgröße von 100.000 Mann auszuheben, zum anderen in den innenpolitischen Spannungen, die die ganze Zeit der Weimarer Republik durchziehen, begründet. Der Versuch, 1922 ein Reichskriminal­polizeiamt (RKPA) aufzustellen, wurde jedoch erst 1937 verwirklicht, bis dahin entstanden vor allen Dingen in den Zwanzigern die Landeskriminalpolizeiämter (LKPA), beides Vorläufer des jetzigen BKA und LKAs. Über das Wirken der politischen Staatspolizei (Stapo) ist bisher wenig bekannt.

Vorbereitet durch die Absetzung der preußischen Landesregierung („Preussen-schlag“) fällt den Nationalsozialisten mit der Machtübernahme der NSDAP 1933 dann das „heimliche“ zweite Heer des deutschen Staates praktisch in den Schoß. In Kürze werden leitende und hohe Beamte ausgetauscht und insgesamt ca. 40.000 SA- und SS-Leute und 10.000 Stahlhelmleute zu Hilfspolizisten ernannt.

Am 26. April 1933 gründet Hermann Göring, preußischer Innenminister und später Ministerpräsident, das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa), aus dem die Geheime Staatspolizei (Gestapo) hervorgeht. Die preußische Polizei wird in eine Ordnungspolizei (Orpo) und Kriminalpolizei (Kripo) neu strukturiert. Die Staatspolizei (Stapo) und die politische Abteilung der Kripo werden der Gestapo zugeteilt. Der bereits 1931 in Bayern von Heinrich Himmler geschaffene interne Sicherheitsdienst (SD) der NSDAP war bis zum Kriegsbeginn hauptsächlich mit Personenschutz und Verfolgung interner und externer Gegner der Partei beschäftigt. 1939 verschmilzt Himmler die Kripo, Gestapo und den SD im Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Polizeibataillone dieser neuen Sicherheitspolizei folgten der Wehrmacht bei ihrem Ver­nichtungsfeldzug durch Europa auf Schritt und Tritt, und sie sind verantwortlich für die schlimmsten Greueltaten der Mensch­heits­geschichte. Die Bataillone bestanden etwa aus 1.000 Mann: 100 Gestapo-Männer, 30-35 SD-Leute, 40-50 Kripobeamte, 130 Ordnungspolizisten, 80 Hilfspolizisten, 350 Männer der Waffen-SS, 150 Fahrer und Mechaniker sowie Dolmetscher, Funker, Schreibkräfte, Sanitäter, Köche etc. und werden heute für weit über 1 Millionen Tote allein hinter der „Ostfront“ verantwortlich gemacht. Neben der gezielten Ermordung der osteuropäischen Juden waren sie auch an der unbarmherzigen Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten beteiligt und damit ein wichtiges Instrument für die Einrichtung, die Verwaltung und letztlich auch die Liquidierung der Ghettos.

Nach der Zerschlagung des nationalsozialistischen Regimes wurde das verbliebene deutsche Staatsterritorium von den Siegermächten in vier Besatzungszonen geteilt, aus denen 1949 die beiden Satellitenstaaten Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Deutsche Demokratische Republik (DDR) entstehen. Am 14. April 1949 erlassen die drei alliierten Militärgouverneure einen Polizeibrief, der die Verantwortung über die Polizei in der „Westzone“ an die Länderkompetenz verweist und damit die bereits entstandenen kommunalen und Gemeindepolizeien stützt. Die Maßnahme soll eine erneute Zentralisierung und Aufstellung eines „heimlichen“ zweiten Heeres wie in der Weimarer Republik erschweren. In der „Ostzone“ wurde derweil schon am 1. Juli 1945 eine neue staatsübergreifende Volkspolizei (VP) gegründet, der bereits 1946 die Deutsche Grenzpolizei (DGP) zum Schutz der neuen Staatsgrenzen folgt.

Ich werde diesen beiden Geschichtslinien im zweiten Teil noch ein wenig weiter folgen müssen, um eine gewisse Vollständigkeit zu präsentieren und zu fundierten Schlüssen zu kommen. Vorab sei bemerkt, dass sich an dem Bisherigen schon ablesen lässt, inwieweit die spezifisch föderale Struktur der postfaschistischen deutschen Polizei in der BRD Produkt eines politischen Willens ist. Es galt das Wiedererstarken eines deutschen Staates möglichst zu hemmen, um die Fehler des Versailler Vertrages nicht erneut zu wiederholen. (Fortsetzung folgt …)

(clov)

Vom Grenzschutz zur Bundespolizei – die kleine Geschichte des BGS

Der Bundesgrenzschutz (BGS) wurde 1951 hauptsächlich aus ehemaligen Wehrmachtsangehörigen zusammengestellt und wesentlich durch den Aufbau von Grenzeinheiten der Volkspolizei (VP) der DDR begründet. Bereits zwei Jahre später wird die Personaldecke der Grenzschutzgruppen (GSG) verdoppelt. Der Aufgabenschwerpunkt lag damals auf der Absicherung der innerdeutschen Grenze. Der BGS war dadurch seit je her schwerer ausgerüstet als die länderspezifischen Polizeien. Nachdem die Alliierten 1956 erneut dem Aufbau eines deutschen, stehenden Heeres zustimmten, wurden gut 10.000 BeamtInnen des BGS in die neu geschaffene Bundeswehr überführt. Der Aufgabenbereich des BGS ist seitdem ständig angewachsen und recht eigentlich war der BGS schon seit seiner Gründung das heimliche zweite Heer des deutschen Staates. Erst mit Schutzaufgaben bei Geldtransporten und zum Katastrophenschutz eingesetzt, erreichen die Befugnisse des BGS im Zuge der Notstandsgesetze von 1968 und der RAF-Verfolgung in den Siebzigern eine völlig neue Qualität. Aus der Grenzschutzgruppe 9 entsteht die neue Anti-Terror-Einheit GSG9. Mit der Neuordnung des Bundesgrenzschutz-Gesetzes wird die Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien intensiviert. Der BGS beteiligt sich an Großfahndungen nach RAF-Gruppen und Schutzaufgaben bei Großveranstaltungen wie der Olympiade 1972 in München oder der Fußballweltmeisterschaft 1974. 1975 übernimmt der BGS auch den Schutz der Amtssitze der wichtigsten Ministerien des Bundes. 1977 werden Hundertschaften des BGS zum Schutz der Baustellen von Kernkraftanlagen in Grohnde und Brokdorf eingesetzt, zeitgleich wird der Personalstand weiter aufgestockt. 1979 schützen BeamtInnen des BGS den Bau des nuklearen Entsorgungszentrums in Gorleben. 1985 sind Einheiten des BGS hauptverantwortlich für den Schutz des Weltwirtschaftsgipfels in Bonn. 1987 unterstützen BGS-Gruppen den Bau der bayerischen Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Im selben Jahr werden erstmals Frauen in den Vollzugsdienst aufgenommen. 1989 erfolgt der erste Auslandseinsatz zur Unterstützung von Polizei-Einheiten der UNO in Namibia. 1990 spielt auch der BGS bei der reibungslosen Abwicklung der DDR eine wichtige Rolle, über 7.000 BeamtInnen der Volkspolizei werden in den BGS integriert. Nachdem der BGS 1992 die Aufgaben sowie weitere BeamtInnen der Bahnpolizei übernimmt und nun auch für die Sicherung des Luftverkehrs zuständig ist, beginnt eine weitreichende Restrukturierung, die sicher auch mit dem Schengener Abkommen und der damit zusammenhängenden Abrüstung der europäischen Binnengrenzen in eins geht. Seit 1995 bewacht der BGS alljährlich den Transport von abgebrannten nuklearen Brennelementen nach Gorleben, sowie andere atomare Transporte. 1998 wird das Gesetz für den Bundesgrenzschutz erneut überarbeitet, der BGS erhält damit erweiterte Befugnisse zur Verhinderung unerlaubter Einreisen in das Bundesgebiet. Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz, das am 01.01.2002 in Kraft tritt, werden erneut zahlreiche Gesetze geändert. Seit 2003 ist der BGS u.a. maßgeblich an Aufbau und Ausbildung der afghanischen Polizei beteiligt. Am 30. Juni 2005 wird das Gesetz zur Umbenennung des Bundesgrenzschutzes in Bundespolizei (BPOL) verkündet. Zwar sind mit der Umbenennung keine unmittelbaren Befugnisänderungen verbunden, dennoch erhält die BPOL neue Ausrüstung und Technik sowie eine intensivere Datenvernetzungsarchitektur. Letztlich ist die Namensänderung lediglich als Endpunkt einer über 30jährigen Entwicklung zu betrachten, die mit einer steten Aufgabenerweiterung verbunden war.

Elemente deutscher Sicherheits-Architektur

Zentrale Einrichtungen:

Das Bundesministerium für Inneres (BMI) wird derzeit von Wolfgang Schäuble (CDU) geleitet. Neben einigen beratenden und verwaltungstech­nischen ist vor allen Dingen der stete Ausbau der sicherheitsrelevanten Abteilungen auffällig. Die erste dieser Abteilungen, die heutige Abteilung B (zuständig für die Angelegenheiten der Bundespolizei), wurde bereits 1951 im Zuge der Einrichtung des BGS gegründet. Weitere eigenständige Behörden sind heute die Abteilung P, zuständig für Poli­zei­angelegen­heiten und Terrorismusbekämpfung, die Abteilung IS, zuständig für Innere Sicherheit, die Abteilung M, zuständig für Migration, Integration, Flüchtlinge und Europäische Harmoni­sie­rung und zwei Stabsstellen, einmal für BOS-Digital-Technik und einmal für Krisenmanagement. Mit gut 53.000 MitarbeiterInnen und einem Gesamt-Etat von mehr als 4 Milliarden Euro ist das ein BMI ein gewichtiges Ministerium des Bundes.

Das Bundeskriminalamt (BKA) umfasst ca. 5.000 BeamtInnen und ist vorwiegend mit der zentralen Datensammlung und -weitergabe beschäftigt. In dem zentralen Fahndungs-Archiv INPOL sind derzeit Lichtbilder und Fingerabdrücke von mehr als drei Millionen Personen gespeichert. Seit 1975 verfügt das BKA auch über eine Abteilung für "Terrorismusbekämpfung", die 2004 durch das neue "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) ergänzt wurde. Das BKA wird aber insbesondere auch zum Personenschutz der oberen und obersten BeamtInnen des Bundes eingesetzt. Hierzu stehen dem Amt die Abteilungen Siche­rungs­gruppe (SG) und Staatsschutz (ST) zur Verfügung.

Oft unterschätzt und vergessen wird die ebenfalls umfangreiche und stark vernetzte Zollbehörde des Bundes. Das im Zuge der Umstrukturierung des BGS 1992 neugegründete Zollkriminalamt (ZKA) verfügt neben einigen Fahndungs- und Ermittlungsgruppen auch über Spezialeinheiten wie die Unterstützungsgruppen Zoll (UGZ) oder etwa die seit 1997 neue Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ).

Ein weiterer wesentlicher Stützpfeiler der innerdeutschen Sicherheit war und ist der Bundesgrenzschutz (BGS), der nun seit 2005 Bundespolizei (BPOL) heißt (siehe Kasten links). Nach dem Attentat von 1972 in München wurde dem BGS auch die Antiterroreinheit Grenzschutzgruppe 9 (GSG9) angegliedert, die heute mehr als 240 aktive BeamtInnen beschäftigt.

Abschließend zu nennen wären noch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bzw. die verschiedenen Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), die eng vernetzt und mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, mit ihren BeamtInnen den inländischen Geheimdienst der Bundesrepublik bilden.

Förderale Einrichtungen:

Die länderspezifischen Polizeieinheiten, die sogenannte Länderpolizei, setzt sich je nach Bundesland aus der Kriminalpolizei des zuständigen Landeskriminalamtes (LKA), der jeweiligen Verkehrspolizei und diversen Schutzpolizei-Einheiten zusammen. Ergänzt wird dieses Ensemble fast in allen Bundesländern durch Einheiten der Bereitschaftspolizei, die allerdings auch unterstützend und länderübergreifend von den Zentralbehörden eingesetzt werden. Spätestens seit der Verfolgung der RAF in den Siebzigern wurden weitere Spezialeinheiten aus der Bereitschaftspolizei ausdifferenziert. Zu nennen wären hier vor allen Dingen die sogenannten Sondereinsatzkommandos (SEK) und die Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Länder. Berühmt und berüchtigt sind auch bspw. die Unterstützungskommandos (USK) Bayerns, umgangssprachlich „Schwarzpelze“ genannt, die mit über 450 Beamten eine größere Personalstärke besitzen als die Bereitschaftspolizei der kleinen Bundesländer. Im Zuge der Einführung digitaler Fahndungstechniken in den Neunzigern wurden in fast allen Ländern weitere Sondereinheiten ausgehoben, die unter dem Namen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) zusammengefasst werden und speziell für zeitnahe Zielfahndung und Festnahmen noch während laufender Veranstaltungen/Demonstrationen ausgebildet sind.

„Wir wissen, wo Sie wohnen!“

Die WM als industrieller Feldversuch zur Einführung von „Schnüffel-Chips“ (RFID)

Mit dem Verkauf der 3,2 Millionen Tickets hat die FIFA einen riesigen Umsatz gemacht. Doch damit nicht genug, denn der DFB, der den Kartenverkauf für die FIFA in der BRD organisiert, hat sich ein besonderes Prozedere ausgedacht: die Tic­kets wurden personalisiert. Erstens, damit nur die WM-Orga­ni­sa­tor­Innen und keine weiteren Unter­händ­lerInnen Geschäfte mit den Tickets machen und zweitens, damit sogenannte „erleb­nisorientierte“ Fans nicht ins Stadion gelangen.

Wer zu Gast bei Freunden sein möchte, musste sein Ticket über ein Online-Formular beantragen. Dabei musste ein komplettes Persönlichkeitsprofil angeben werden. Das waren Name und Vorname, Adresse, Geburtsdatum, Nummer des Personalausweises oder Reisepasses, Ausstellungsland des Ausweises oder Passes, Nationalität, Telefonnummer (freiwillig), Email, die Spiele, für die die Karte(n) bestellt wurden, und die Preiskategorie, der Name des favorisierten Vereins, Bank- oder Kreditkartendaten, Angaben von Zusatzbestellungen für andere Personen.(1) Das taten ungefähr 30 bis 40 Millionen Personen seit März 2005. Aus dieser Datenbank wählte das WM-Organisa­tions­komitee die KäuferInnen aus. Dabei wurden die Daten mit DFB-eigenen Datenbanken und Polizeidatenbanken abgeglichen, um im Vorfeld Gewalttäter und gewaltbereite Hooligans aus den Stadien auszuschließen. Wer die Realität kennt, weiß, dass viele so zu unrecht ausgeschlossen wurden. Die Daten derjenigen, die nicht ausdrücklich dagegen widersprochen haben, können zu kommerziellen Zwecken an die wirtschaftlichen Partner der FIFA weitergegeben werden. Widersprochen haben sicher die Wenigsten. Der FIFA fällt somit eine nahezu vollständige Datei der fußballbegeisterten Bevölkerung der Bundesrepublik in die Hände. Ein vollständiger Datensatz einer Person hat auf dem Datenmarkt einen Wert von bis zu 1,50 EURO. Also ein Geschäft, das sich lohnt. Sicher wird es nicht bei einem einmaligen Verkauf bleiben, da sich das Marktforschungsgewerbe da­durch die Datenbanken runderneuern kann. Mil­lionen dürfen sich also über unerwünschte Post, Emails, Anrufe aus Call-Centern und Hausbesuche freuen.

Doch damit nicht genug. Diejenigen 3,2 Millionen Unglücklichen, die das Glück hatten, in den Genuss eines personalisierten Tickets zu kommen, werden zu Kaninchen des größten Feldversuches zur Einführung der sogenannten RFID-Chips (Radio Fre­quen­cy Identifi­cation), mit dem Philips endlich die neue Technologie markt- und gesellschaftsfähig machen möchte. Die Pro­bandIn­nen klärt man natürlich, wie hier in einem Philips-Werbeartikel der BAHN mobil, nur über die vermeintlichen Vorteile des Versuches auf: „Endlos lang Schlange stehen vorm Stadion – das war einmal: Bei der FIFA WM 2006 wird der Zugang zu den Spielstätten dank elektronischer Ticketkontrolle schnell gehen – ein Debüt bei einer internationalen Sportveranstaltung dieses Ranges. Jedes einzelne der 3,2 Millionen Tickets ist mit einem winzigen Chip zum kontaktlosen Austausch von Daten versehen. Die Nutzung ist denkbar einfach. Der Besucher hält seine Karte ans Lesegerät – das prüft blitzschnell, ob das Ticket zum Eintritt berechtigt. Der Vorteil: Niemand muss für Kontrollen stehen bleiben, die Fans kommen zügig ins Stadion.“ (2)

Der Vorteil wird dank seiner Einfachheit und Schnelligkeit zum Nachteil. RFID sind in den Tickets versteckte selbstfunkende Radiochips, die das berührungslose Auslesen von Daten durch Radiowellen möglich machen. Die Antenne eines Lesegerätes sendet einen Funk-Impuls und der „Schnüffel-Chip“ sendet eine welt­weit einmalige Nummer zurück. Das Lese­gerät gleicht die Nummer mit dem Eintrag in der oben beschriebenen Datei ab und klärt die Berechtigung der Besu­cherIn­nen, den angefragten Bereich zu betreten. So kann über unscheinbare Antennen überall in den Stadien und drum herum berührungslos per Funk festgestellt werden, wer sich gerade wo aufhält. Komplette Bewegungsprofile werden technisch möglich sein – ohne dass die Karten­besitzerInnen es bemerken. Es ist nur eine Frage wo man die Sendegeräte aufstellt und wie weit sie funken. Die FIFA spricht von zehn bis fünfzehn Zentimetern, doch mit einfachem Funkamateur-Equipment sollen auch acht bis zehn Meter möglich sein.(3) Dann können die Stadiengäste nur hoffen, sich z.B. nicht in der Nähe von Krawallmachenden aufzuhalten. Es wäre nicht das erste Mal, dass das private Sicherheitspersonal bzw. die Polizei nach der Logik „mitgegangen, mitgehangen“ vorginge. Das Lesegerät weiß, dank Persona­li­sierung, wo der oder die Ticket­besitzerIn wohnt, und welche Telefonnummer anzurufen ist.

Willkommen in der Kontrollgesellschaft!

 

leipziger kamera.

initiative gegen überwachung

 

(1) www.aktive-fans.de

(2) Bahn Mobil, März 2006

(3) CILIP 83 – WM 2006: Die Welt überwacht von Freunden 1/2006, S. 26

DANCE THE MOVEMENT

Ein Parade-Aufruf zur Global Space Odyssey

Die “Global Space Odyssey” wird am 29. Juli zum nunmehr sechsten Mal stattfinden. Start ist um 12 (Mittags!) am Conne­witzer Kreuz, danach geht es über die Karl-Liebknecht-Strasse zur Zwischenkundgebung auf den Au­gustusplatz. Weiter über Haupt­­bahn­hof und Waldplatz in den Richard-Wagner-Hein, wo wieder bis zwölf ausgeruht bzw. weiter Spaß gehabt werden kann. Ab Mitternacht werden diverse Crews im Partydreieck Plagwitz (G16-Super­kronik-Handschuh­fabrik) bis Sonnenaufgang eure Tanzkraft ausreizen wollen.

2001 tanzten zum ersten Mal junge Leute durch Leipzigs Strassen, begleitet von bunten LKW, die die Parade mit unterschiedlichster Musik, von Hip Hop bis Techno, Livemusik, Psytrance, D&B usw. beschallten. Aus dem „reclaim the streets“-Gedanken heraus die Straßen zu besetzen und mehr daraus zu machen, als eine „buy and go area“, hielten wir es für eine gute Idee, uns mit anderen Städten aus aller Welt zu solidarisieren und gemeinsam an einem Tag auf die Straße zu gehen und zu feiern. Genau das war der Gedanke des „Million Marihuana March“, ein internationaler Aktionstag für die Legalisierung von Marihuana, in dessen Verlauf in über 140 Städten Menschen für ihr Recht zu kiffen auf die Straße gingen. Dabei war es uns von Anfang an wichtig, den Undergroundgedanken zu vermitteln, dessen gegenkulturellen Ansatz wir darin sehen, uns gegen die Rationalität des Marktes, Sexismus, Rassismus sowie autoritäre Strukturen zu wehren und zu versuchen, unsere Freiräume – z.B. unkommerzielle Parties – so zu gestalten, dass niemensch wegen Kohle, Drogen, Aussehen oder ähnlichem ausgegrenzt wird, wo aber nazistisches, sexistisches und gewaltchauvinistisches Gedankengut keinen Zugang finden dürfen. Zusätzlich wollen wir auf konkrete Probleme unserer unmittelbaren Alltagswelt aufmerksam machen. Aus diesen Gründen stellten wir Forderungen auf, die über die Legali­sierung von Marihuana hinausgehen. Abgesehen davon, dass wir den „Million Marihuana March“ für eine schöne Sache halten, ist uns der inhaltliche Bezugsrahmen einfach zu klein, als dass wir uns in diesem Zusammenhang organisieren wollten.

Nachhaltige Lösungsansätze für die mannigfaltigen und oftmals gravierenden Probleme unserer Gesellschaft scheitern immer wieder an den marktwirt­schaft­lichen Vorbedingungen. Men­sch­liches Miteinander ist geprägt von Konkurrenz- und Leistungsdenken, sowie von einer Marktrationalität, in der selbst das eigene Sein als Ware wahrgenommen wird.

Der Staat als autoritäre Machtstruktur kann und will innerhalb der waren­förmigen Ge­sellschaft gar nicht anders, als die Ver­wertungs­be­ding­­ung­en auf­rechtzuerhalten um sich zu finanzieren.

Was wollen wir nun eigentlich? Na klar – das komplett andere eben. Eine Gesellschaft, in der die Freiheit des Einzelnen die Grundbedingung für die Freiheit aller ist. Eben weil wir uns nicht auf eine Insel des Glücks zurückziehen können, ohne dass diese mehr wäre als eine Illusion, muss unser politischer Ansatz seine Entsprechung in der Realität finden und sich nicht in theoretischen Debatten verlieren. Dieses politische Selbstverständnis, welches auf Basisdemokratie, Selbstorganisation, Selbstbestimmung und freier Entfaltung des Individuums aufbaut, ist im kapitalistischen System nicht zu leben.

Daher halten wir es für sinnvoll, dass sich aus möglichst vielen gesellschaftlichen Teilbereichen (kulturell, politisch, sozial, wirtschaftlich) anhand konkreter Probleme und dem Bedürfnis diese nachhaltig zu überwinden, ein gesellschaftskritischer Ansatz entwickelt. Sobald wir die Frage nach der Überwindung des Kapitalismus und rassistischem, sexistischem sowie autoritärem Denken stellen, stellen wir die Frage ums Ganze. Diese Unterdrückungsmechanismen wirken in allen Teilbereichen unserer Gesellschaft, egal ob an den EU-Außengrenzen Menschen gejagt und erschossen, DrogenuserInnen kriminalisiert, Frauen diskriminiert oder Millionen von sogenannten Nutztieren entrechtet und getötet werden. Nur eine soziale Bewegung, die in breiten Schichten wirkt und die Verbesserung der Situation des einzelnen Individuums zum Ziel hat, kann dieses System als Ganzes begreifen und nur dann auch nachhaltig verändern.

Wir haben uns im Rahmen der GSO 2006 entschlossen Forderungen aufzustellen, die sich mit Themen wie Repression, Tierrechten, Drogenpolitik, Antifaschismus und Schulpolitik befassen, um ausführlicher auf diese eingehen und Kritik- und Handlungsperspektiven besser entwickeln zu können. Aus diesem Grund haben wir einen Reader gestaltet, welcher in diversen politischen und kulturellen Zentren, wie z.B. dem Linxxnet, der Libelle, aber auch auf einigen Parties ausgelegt wird – haltet Augen und Ohren offen und bewegt euch. In diesem Sinne: Smash the state – abolish capitalism – fight authority – dance the movement!

(Vorbereitungsgruppe GSO)