Der 3.10. ist Geschichte, Probleme mit RechtsextremistInnen gibts weiterhin zu Hauf:
… in Leipzig
Kürzlich ist es vor dem „Wild Turkey“ – einer Kneipe am Wiedebachplatz – zu Bedrohungen gekommen. Hintergrund waren Beschwerden über die drinnen abgespielte rechtsextreme Musik. Der Inhaber des „Wild Turkey“ reagierte verständnislos, aggressiv und ließ keinen Zweifel daran, dass ihn die menschenverachtenden Texte nicht stören. In Lindenau wurden Anfang Oktober zwei Punker von Nazis bedroht und verfolgt, bis sie sich in eine inzwischen geschlossene Schreibwerkstatt flüchten konnten, die selbst vorher schon schlechte Erfahrungen mit dem Nazitreffpunkt in der Gutsmuthstrasse sammeln musste.
… anderswo
Am 16.9. demonstrierten 200 Nazis unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Antikapitalismuskampagne in Plauen und Hof. Am selben Tag gründete sich in Sachsen-Anhalt eine NPD-Frauenorganisation.
Ebenfalls um die 200 Nasen liefen in Göppingen am 23.9., in Nordhausen am 7.10. und am 14.10. in Hamburg, während in Nürnberg um die 100 NPD-AnhängerInnen demonstrierten.
… und darüber hinaus
Durch die traurigen Wahlergebnisse in MeckPomm können die Nazis nicht nur im nächsten Jahr nun mit großen infrastrukturellen „Verbesserungen“ rechnen, wenn sie etwa gegen „die Globalisierung“ und „den Kapitalismus“ auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm protestieren möchten. Dem Unmut gegen diese Heucheleien kann auch schon davor Luft gemacht werden: Am 28.10. will Christian Worch zum dritten mal in diesem Jahr durch Göttingen oder Celle ziehen. Mehr Unterstützung ist wahrscheinlich aber in Bitterfeld gefragt, wo am selben Tag eine Nazidemo angemeldet ist. Zum Schluss was Gutes: Das in Jena oft angekündigte „Fest der Völker“, eine Konzertveranstaltung mit europäischen Nazi-Bands, die jährlich stattfinden soll, wird voraussichtlich schon im zweiten Jahr nicht über die Bühne gehen.
Kameras in Foyers, Fluren, in den Außenbereichen der Universität, den kommenden Fahrradtiefgaragen am Augustusplatz, Büros oder Mensen. Keine Kameras in Hörsälen und Seminarräumen. Vorerst, aber die Kabelschächte dafür werden vorbereitet. Das ist der Stand im Sommer 2006. So richtig verstehen kann ich bei dem Zwischenstand nicht, was es von der AntiKa-AG des StuRa zu feiern gab. Sicher, die Podiumsdiskussion im Frühjahr schuf eine breite Medienöffentlichkeit und das Rechtsgutachten von Prof. Degenhart versaute der Universitätsleitung, insbesondere dem Universitätskanzler die ungehemmte Überwachung überall. Ein Zwischenerfolg, doch mehr auch nicht. Es wird neue Versuche geben, einen Rechtsweg zu finden – das wissen alle, die den Ehrgeiz des Kanzlers kennen. Und ebenso wenig wird der amtliche Datenschutzbeauftragte der Uni dies aufhalten können. Der Jubel der AntiKa vermittelt ein scheinbares Sicherheitsgefühl und ein „Wenn wir wollen, können wir es stoppen“-Denken, das so nicht stimmt. Schon jetzt spielten der Zufall und die Unterstützung verschiedener Stellen in den Erfolg mit hinein. Bereits in einem Semester kann dieser Anfangserfolg das Papier nicht mehr wert sein, wenn erst eine neue Rahmenordnung zur Videoüberwachung geschaffen ist. Die Kabel und Bohrlöcher für Hörsaalkameras bleiben ja weiterhin vorhanden und projektiert. Und auf dem Weg hinein bin ich schon jetzt mehrfach gefilmt worden.
Mit einer Aktion am Connewitzer Kreuz hat die Leipziger Kamera-Initiative gegen Überwachung am 21. 9.06 den zweiten Teil ihrer Kampagne „10 Jahre sind genug!“ eingeläutet. Inspiration dazu kam von den New York City Surveillance Camera Players, einer amerikanischen Aktivistengruppe, die kleine Theaterstücke vor Überwachungskameras aufführt (www.notbored.org). Vor der Polizeikamera am Connewitzer Kreuz kamen zwei Stücke zur Aufführung: „Alles klar, Herr Kommissar“ als Adaption eines Stücks der New Yorker, bei dem die Akteure mit beschrifteten Pappschildern offensiv auf die eigene Harmlosigkeit aufmerksam machen („Ich gehe nur spazieren“ usw.). Bei „Was guckst du?“, einer Eigenkreation der Leipziger Kamera, wurden Fragen an die überwachenden Beamten gerichtet. Die Polizei hielt sich zurück, zwar fuhren zwei- oder dreimal Streifenwagen vorbei, ein weiteres Eingreifen hielt man offensichtlich für unnötig. Die Haltung der Passanten reichten von begeisterter Zustimmung über stilles Amüsement bis hin zu blanker Verständnislosigkeit, die positiven Reaktionen überwogen aber deutlich. So wurde nach rund anderthalb Stunden die Aktion zufrieden beendet – weitere werden in nächster Zeit folgen. Infos unter www.leipzigerkamera.twoday.net
FA!: Ihr habt im letzten Semester eine Kampagne gegen die Überwachungspläne der Universität im Rahmen des Neubaus gestartet. Mit welchen Forderungen seid ihr angetreten?
VdAK: Unsere weitreichendste Forderung ist, die Uni zu einem überwachungsfreien Raum zu machen. Diesem Ziel wollten wir im Rahmen unserer Mittel möglichst nahe kommen.
FA!Wie nah seid ihr denn diesem Ziel gekommen?
VdAK: Naja, der größte Skandal war für uns, dass auch die Hörsäle überwacht werden sollten, daher haben wir das als Aufhänger für die Kampagne „SMASH SURVEILLANCE“ genutzt. Und in diesem Punkt haben wir tatsächlich Erfolg gehabt.
FA!: Die Pläne der Unileitung waren ja nun schon ausgemachte Sache. Wie habt ihr es geschafft, sie davon abzubringen?
VdAK: Erst einmal haben wir Öffentlichkeitsarbeit in Form von Infoständen, einer Podiumsdiskussion, Unterschriften sammeln und Pressemitteilungen gemacht. So wichtig das auch war, hat den Ausschlag für die Änderung der Pläne ein Rechtsgutachten von Prof. Degenhardt gegeben (der ironischerweise auch maßgeblich an der Klage gegen die Studiengebührenfreiheit beteiligt war), das ohne die studentische Initiative wohl aber nicht zu Stande gekommen wäre. Fakt ist, dass Hörsaalkameras dem Grundrecht von Freiheit der Lehre und Forschung derart widersprechen, dass sie juristisch im Prinzip nicht durchsetzbar sind.
FA!: Wie hat die Unileitung auf eure Aktionen reagiert?
VdAK: Zunächst hat sich die Unileitung in Person von Kanzler Frank Nolden auf unserer Podiumsveranstaltung am 24.04.06 in der Moritzbastei für die Hörsaalkameras ausgesprochen, mit den großartigen Argumenten, man müsse Diebstähle verhindern und kontrollieren können, ob das Licht aus sei. Das kam sowohl bei den Anwesenden als auch in der Presse eher schlecht an. Auch der Datenschutzbeauftragte Thomas Braatz, der uns anfänglich nicht einmal Informationen zu den Plänen geben wollte, hat uns schließlich ernst genommen und mit uns zusammen gearbeitet. Mitte des Semesters hat das Studentenwerk die Webcam-Pläne für die Mensen auf unseren Druck hin zurückgenommen. Schließlich erhielt die Unileitung das besagte Rechtsgutachten, hatte anscheinend wenig Lust auf weitere Auseinandersetzungen und hat in der Frage der Hörsaalkameras eingelenkt. Das Rektorat sprach dann von einem „Kommunikationsproblem“, was so nicht stimmt, da die Installationspläne zu Beginn der Kampagne „SMASH SURVEILLANCE“ bereits beschlossene Sache waren.
FA!: Wie haben die Studierenden darauf reagiert, wieviel Unterstützung habt ihr da erfahren?
VdAK: Es gab erst mal viel Sympathie und Interesse, wir haben einige hundert Unterschriften gesammelt. Konkrete Unterstützung gab es dagegen nur von einer handvoll Studierender. Für eine Kampagne dieser Art reichen ein paar motivierte Leute aber auch aus, man muss eben taktisch arbeiten. Insgesamt hat sich gezeigt, dass erfolgreiche Basisorganisation nötig und möglich ist, um Vorhaben, die unseren Interessen entgegenstehen, zu verhindern. Nebenbei hat es auch allen sehr viel Spaß gemacht, inklusive der großartigen „Victory Party“ auf dem Baustellencampus.
FA!:Wie soll es denn im nächsten Semester weitergehen. Habt ihr schon Ideen?
VdAK: Solange es Kameras gibt,braucht es eine AntiKa! Wer also Interesse hat mitzumachen: www.uni-leipzig.de/-antika
Was würden wir bloß tun, wenn wir die Stadtverwaltung und das Arbeitsamt nicht hätten … die denken sich für uns, die BürgerInnen dieser Stadt, immer wieder was neues aus, damit es uns besser geht. Anfang Mai hoben die Stadtoberen ein neues Projekt aus der Taufe, um nicht nur die horrende Arbeitslosigkeit, sondern auch das Unsicherheitsgefühl in der Messestadt zu senken: den „Bürgerdienst LE“.
Das klingt erstmal ein bisschen nach Zivildienst, Dienst an der Gemeinschaft. Doch das täuscht. Es handelt sich – aus Perspektive der Macher – um einen Dienst für „den Bürger“, und „den Touristen“. In dunkelblauen Jacken mit dem schmucken Aufdruck „spazieren“ insgesamt 496 ehemals junge und/oder Langzeit-Erwerbslose in Zweier-Teams durch die Stadt, als Ansprechpartner für Fragen, die man sich auf der Straße so stellt: Was is’ das denn für’n Haus? Wie komme ich nach Stötteritz? Wie lange ist die Straße noch gesperrt und wo geht die Umleitung lang? Wie teuer wird eigentlich der City-Tunnel? Wann ist das nächste Feuerwerk auf der Festwiese?
Endlich, mit großen Schritten bewegt sich Leipzig auf die Dienstleistungsgesellschaft zu! Da macht es auch nichts, dass die Umsetzung mit einem alten Instrument – der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – und alten Partnern – dem Kommunalen Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) – bewerkstelligt wird: das heißt Befristung auf ein Jahr, danach kein Anspruch auf ALG I, aber immerhin 1.100 bis 1.300 Euro in der Tasche. Keine Lösung ist auch eine Lösung, wenn sie das Problem verschiebt.
Polizei des 21. Jahrhunderts?
Diejenigen, die sich da freiwillig zum Bürgerdienst meldeten, sind nun in „Teams“ zu zwei Leuten auf acht Routen unterwegs, um dem unwissenden, aber interessieren Mitmenschen eine Hilfe zu sein. Sie sind sogar rund um die Uhr unterwegs, in klassischen Acht-Stunden-Schichten … doch halt: warum das? Ein wichtiges Aufgabenfeld haben wir noch vergessen: Die professionellen SpaziergängerInnen (drei Wochen Weiterbildung!) rücken nämlich nicht nur Informationen heraus, wenn man sie fragt. Sie sind auch Kontrollgänger und leiten, freilich ungefragt, Informationen weiter. „Sie sollen möglichst alles registrieren, was irgendwo im Argen liegt, von Polizei oder Ordnungsamt aber nicht bewältigt wird: Autoeinbrüche, Hundehaufen*, aufgebrochene Türen, schwarz endgelagerte Autos, umgeworfene Grabsteine, demolierte Bushäuschen oder Rempeleien, die auszuarten drohen. Quasi über Nacht bekam die Stadt damit ein flächendeckendes System an allgegenwärtigen Augen, Nasen und Ohren.“ („Südkurier“, 1.9.06) … Handgreiflichkeiten bleiben weiterhin der Polizei vorbehalten, und wirklich „flächendeckend“ ist wohl nur ein Blockwartsystem (1 Haus, 1 Spitzel). Dennoch kein Grund zur Beruhigung: Mit dem Bürgerdienst LE wurde Anfang dieses Jahres unter dem Deckmantel eines „Arbeitsmarktprojekts“ die Kontrollkapazität der Polizeidirektion Leipzig (1.600 Schergen) um mindestens 25 Prozent ausgeweitet!
„Service und Sicherheit“
Und der Tanz geht weiter: Aufgrund der „guten Erfahrungen“ mit 290 Bürgerdienstlern als Bus- und Bahn-Begleitpersonal während der WM, wird die LVB Mitte November ein Pilotprojekt starten, dass dank Verkehrsminister Wolle schon bundesweite Aufmerksamkeit erlangte. Bis Mai 2006 sollen insgesamt 300 Erwerbslose freiwillig bei den Verkehrsbetrieben anheuern, um (getreu dem Motto des Bürgerdienstes) ÖPNV-Verkehrsberatung zu leisten, älteren Fahrgästen zur Hand zu gehen und vor allem Sicherheit zu gewährleisten. „Aktiv Office“** wird getragen vom LVB-Tochterunternehmen LAB und begründet wie die Ein-Euro-Jobs kein Arbeitsverhältnis im eigentlichen Sinne. Die Testphase soll drei Jahre dauern, dann sollen 30 Prozent der Leute in Festanstellung übernommen werden – irgendwie muss man die Leute bei dem lächerlichen Gehalt von weniger als 150 Euro (+ ALG2) ja bei der Stange halten, und solange solche windigen Verheißungen noch ziehen, warum nicht?! Handfester ist da schon die LVB-Monatskarte, die’s dazu gibt, so dass die Leute nach Feierabend nicht nach Hause laufen müssen. Die Kosten für diese „Vergünstigung“ lassen sich jedoch aus der Portokasse bezahlen, und die ist gut gefüllt: Die jährlichen Kosten belaufen sich nach Angaben der ARGE Leipzig auf knapp 865.000 Euro; die reinen „Lohnkosten“ abgezogen, verbleiben bei den LVB/LAB monatlich 27.000 Euro – nach offiziellen Angaben für Verwaltungs- und Materialaufwendungen. Ein „Klebe-Effekt“ der anderen Art. Damit sind Erwerbslose nicht nur effektiver und flexibler, sondern wohl auch billiger als Videokameras.
Das Schlimmste ist aber wohl nicht, dass die jugendliche Wut sich weniger in der Tram entfalten kann, sie wird andere Wege finden, oder dass damit Personaleinsparungen in den LVB-Werkstätten in den Bereich des Möglichen kommen (gegen Entlassungen kann man kämpfen) – das Schlimmste ist sicherlich die neue Masche von Amts wegen, dass sich die Erwerbslosen freiwillig melden sollen, die einer „sinnvollen Beschäftigung“ nachzugehen wünschen. Dabei scheint von vornherein schon klar, dass es sinnvoll ist, an vorderster Front, als Menschenmaterial, für einen Hungerlohn, den eigenen Kopf hinzuhalten zum Schutz fremden Eigentums und sich vom gesellschaftlichen Reichtum selbst ausschließen – finanziell stehen sie dann in etwa so gut da wie die Bediensteten der zahlreichen Sicherheitsservices.
Unwillkürlich kommt mir in diesem Zusammenhang ein Vers aus Mühsam’s Internationale-Übersetzung in den Sinn, eine einfache Antwort, die sich schwer umsetzen lässt: „Mag der Reiche selber Diebe greifen,/Mag er selber Kerker baun!/Laßt uns die eig’nen Äxte schleifen./Das Eisen glüht, jetzt laßt’s uns hau’n!“
A.E.
*) siehe FA! #13 zur Polizeiverordnung vom 2004;
**) Anscheinend sitzen in der PR-Abteilung auch nur unbezahlte PraktikantInnen, es lebe die Sabotage! Oder versteht eine/r der Feierabend!-LeserInnen den Namen des Projekts???