Archiv der Kategorie: Feierabend! #27

Editorial FA! #27

Wie die Zeit vergeht… Der Herbst ist wieder da, die Blätter verfärben sich und fallen zu Boden. Die richtige Jahreszeit, um melancholisch zu werden und nostalgisch der Vergangenheit hinterher zu trauern. Der Feierabend! ist mittlerweile schon 5 Jahre alt. Dieses Jubiläum haben wir nicht gebührend gefeiert, ist irgendwo zwischen Prüfungen, Arbeitsamt und Fünf-Jahres-Plan, ähm, Kritiktreffen verschütt gegangen. Die Weltrevolution macht sich schließlich nicht von allein und auch unsere #27 hat wieder viele Stunden Feierabend! gekostet. Keine Zeit zum dekadenten Vokü essen und Sterni trinken also.

Einer der Schwerpunkte dieser Ausgabe ist aus aktuellem Anlass das Thema Repression – unser Innenminister tut eben alles, damit wir uns unsicher fühlen können. Doch nicht nur Herr Schäuble ist ein Unsicherheitsfaktor, ebenso die braunen Kameraden, weswegen auch unsere NazisNixHier-Rubrik etwas fetter ausfällt als sonst. Nachdem die Schildkröte Resi Stenzia den Job als Covergirl hingeschmissen hat, hofft nun Ratte Horst auf eine erfolgversprechende Laufbahn, viel Glück dabei! Der Ehrentitel „Verkaufsstelle des Monats“ geht dieses mal an die Similde! Ganz neu dabei ist die Denksport-Ecke unter et cetera, der Renner für jeden verregneten Herbsttag. Viel Spass beim Kopfzerbrechen und Lesen natürlich!

Eure Feierabend!-Redaktion

… ich will so bleiben, wie ich bin …

Es gab eine Zeit, da wollte jeder ein Eisbär sein. Doch heutzutage ist eine Zukunft als Eisbär mehr als ungewiss. Na gut, vielleicht wenn man Knut heißt und im Berliner Zoo den lieben langen Tag faulenzt und sich von Sonntagsausflüglern begaffen lässt. Seine Artgenossen haben da schon etwas mehr zu befürchten – ihr Lebensraum schmilzt ihnen unterm Pelz weg. Und nun schreien diejenigen, die so tun, als ob sie das interessiert, nach der Politik. Der ignorante Rest, dem die Zukunft dieses Planeten egal ist, verlässt sich sowieso in allem auf die Regierungen. Die Staaten handeln endlich, immerhin sind sie ja auch verantwortlich für unser Tun und nicht etwa wir selber. Die G8-Mitgliedsländer ziehen ernsthaft in Erwägung, unsere Emissionen zu senken; Australien verbietet energieverschwendende Glühbirnen, China tritt auf die Wachstumsbremse – naja und Südamerika und Afrika verkaufen lieber ihre Emissionskontingente. Auch die Wirtschaft reagiert brilliant, denn dank wassersparender Spühltabs haben bald auch alle genügend Wasser. Und Maschinen waschen dank neuer Waschmittel ganz ohne Strom. Also Tab rein und Socken, Handtücher und selbst Windeln riechen blumig, wie Bergfrühling oder was auch immer, aber immer frisch. Die Farben sehen wieder aus wie beim erstenmal Tragen, knallbunt und dabei noch super soft. Und alles ohne Strom und Wasser.

Ganz besonders schlaue Leute sprudeln sich sogar das Leitungswasser mit CO2 auf und schon wird der Transport von unzähligen Mineralwasserkisten überflüssig. Und wieder ein Stück weniger Treibhausgas verschuldet. Wahnsinn. Konsum, die Grundfeste dieses Landes, scheint der Ausweg aus der Umweltmisere. Es gibt für alles das passende Produkt. Verzicht bringt rein gar nichts und macht in erster Linie schlechte Laune. Die Eisdecke am Nordpol schmilzt unterdessen weiter. Heute will bestimmt niemand mehr ein Eisbär sein, weder am kalten Polar noch im Zoo.

etap

Bündnis für graue Wände

Heiko Rosenthal, der Chef des Dezernats für Ordnung, Umwelt und Sport ist zwar Mitglied der Linken, gegen Schmutz und Chaos hegt er dennoch große Abneigung. Auch Graffitis sind ihm deshalb ein Dornim Auge. Bei einer Dienstberatung am 28. August 2007 zog Rosenthal ein Fazit der 2006 im Kampf gegen die jugendlichen Schmierfinken getroffenen Maßnahmen. Bewährt habe sich zum Beispiel „die Sicherheitspartnerschaft mit dem Bundesgrenzschutz, der Landespolizei, dem Ordnungsamt, dem Wachschutz der Deutschen Bahn und privater Sicherheitsdienste“ während der WM 2006. Auch das „Anti-Graffiti-Mobil“ des Vereins STATTBILD e.V., mit dem Bürger für das Thema illegale Graffiti sensibilisiert werden sollen, sei ein Erfolg gewesen. Für die Zukunft ist u.a. das Projekt „Schwitzen statt Sitzen“ geplant – bei diesem können künftig Strafersatzleistende Graffitis von den Wänden schrubben. Zudem soll eine „Schnelle Eingreiftruppe Graffiti“ gebildet werden. Worin genau deren Aufgabe besteht – ob diese „Eingreiftruppe“ bloß neue Graffiti möglichst schnell entfernen soll, oder ob Sprayer künftig von Schwarzen Sheriffs per Kopfschuß erledig werden – ist derzeit noch unklar.

justus

Lokales

Experiment selbstverwaltetes Fahrradwerk

Nordhausener Arbeiter/innen wehren sich gegen Abwicklung

Nein. Normal ist das nicht: Erst den Betrieb besetzen, dann in Eigenregie produzieren. Das ist vielmehr einmalig in der bundesrepublikanischen Geschichte. Eine solche Entwicklung hatte Anfang Juli wohl kaum jemand erwartet. Der texanische Hedge Fonds Lone Star, als auch die Mitteldeutsche Fahrradwerke AG (MIFA) hatten umsonst auf ein leichtes Spiel mit den Fahrradwerkern der Bike Systems GmbH gehofft.

Kapital in Aktion

Es ist nicht ganz einfach, die Zusammenhänge zwischen Lone Star, der MIFA in Sangerhausen und Bike Systems’ vorläufigem Insolvenzverwalter Wutzke zu durchschauen, welcher bereits öffentlich seinen Willen zur Abwicklung des Werks verkündete. Die MIFA hatte ein Interesse daran, ihre Marktführerschaft auf dem Fahrradmarkt auszubauen. Durch eine „Marktbereinigung“ hat sich die MIFA die wichtigste Konkurrenz, die Fahrradproduktion der Biria-Gruppe, einverleibt. Die Fondsgesellschaft Lone Star fungierte dabei in erster Linie als Kapitalgeber. Bis dahin hatte sie in Deutschland vor allem unsichere Kredite von Banken gekauft und anschließend versucht, das Geld bei den Schuldnern einzutreiben. Sie kaufte im November 2005 von Biria die Stammwerke in Neukirch und Nordhausen, deren damaliger Eigentümer, der 73-jährige Mehdi Biria aus „Altersgründen“ abdankte.

Ende 2006 wurde die gatus 233. GmbH gegründet – um Kundenverträge und Bestände der Biria GmbH (Werk Neukirch) und der Bike Systems GmbH (Werk Nordhausen) aufzukaufen. Schon einen Monat später kaufte MIFA die gatus 233. GmbH, und Lone Star wurde im Gegenzug mit 25% an der MIFA beteiligt. Für beide Seiten ein gutes Geschäft. MIFA kann die Marktführerschaft ausbauen und Lone Star erzielt durch die Beteiligung langfristig Gewinne.

Das Ende der Fahnenstange

Beim ersten Fahrradwerk der Biria-Gruppe in Neukirch ging die Rechnung auf: das Werk wurde von der Belegschaft kampflos aufgegeben. Mehr als 200 Mitarbeiter/innen verloren dabei ihren Job. Auch in Nordhausen hatten die Beschäftigten der Bike Systems GmbH in den vorangegangen Jahren einige Zugeständnisse gemacht: Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Lohnkürzungen und Überstunden. Als auch sie dann Anfang Juli einfach auf die Straße gesetzt werden sollten, ohne Sozialplan und mit ausstehenden Löhnen, da hatten sie die Schnauze voll! Auf einer Betriebsversammlung am 10. Juli beschlossen sie spontan, nicht einfach nach Hause zu gehen, sondern zu bleiben und das Werk zu besetzen.

Die von Lone Star angebotene Entschädigungssumme hätte nicht mal für die ausstehenden Löhne für die Zeit der Kündigungsfrist gereicht, die zwischen der ausgesprochenen Kündigung und dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses verstreichen muß. Diese Frist war nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt und betrug zwischen ein und sieben Monaten. Die Besetzer/innen einigten sich jedoch solidarisch auf einen einheitlichen durchschnittlichen Kündigungsschutz von viereinhalb Monaten! Zwar gab es ein Angebot vom Konkurrenten MIFA zur Weiterbeschäftigung, allerdings zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Bedingungen. Auch sollten nicht alle übernommen werden, vor allem die Älteren wären auf der Strecke geblieben. Auf einen solchen Kuhhandel, der sie spalten sollte, ließen sich die Beschäftigten von Bike Systems allerdings nicht ein: „Wir sind in dieser Zeit zur solidarischsten Belegschaft der Welt zusammengewachsen“, sagt Dagmar Rüge, die in der Montage arbeitete. „Wir haben nichts mehr zu verlieren.“ Einige der Belegschaft sind schon seit Beginn der Fahrradproduktion 1986 bei der „VEB IFA-Motorenwerke Nordhausen“ dabei, die neben circa 100.000 Fahrrädern auch Motoren herstellte. Damals arbeiteten auf dem nun größtenteils brachliegenden Werksgelände noch 5000 Arbeiter/innen. Die 135 Fahrradwerker/innen sind die letzten Übriggebliebenen. „Ich war dabei, als hier 1986 das Licht angemacht wurde. Damals war das der VEB Ifa“, sagt Dagmar Rüge. „Jetzt bleibe ich auch so lange hier, bis das Licht ausgemacht wird.“

In der 43.000 Einwohner-Stadt Nordhausen gibt es wie in weiten Teilen Ostdeutschlands kaum Arbeitsmöglichkeiten. Die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung verlässt Sonntagabend die Stadt, um in den alten Bundesländern zu arbeiten. Dieser letzte Ausweg kann 8-10 Stunden Arbeit plus 5 Stunden tägliche Fahrtzeit bedeuten. Ein 15 oder gar 16 Stundentag also keine Seltenheit.

Genug Gründe, sich nicht „für ein Appel und ein Ei“ abspeisen zu lassen. Wenigstens die Löhne für die 4 1/2 Monate und Abfindungen wollen sie erkämpfen. Oder noch besser einen neuen Investor finden, der die Arbeitsplätze erhält. Also kehrten sie Tag für Tag sich auf drei Schichten verteilend wieder in das Werk zurück, diskutierten, organisierten Feste und Protestaktionen, spielten Mensch-ärger-dich-nicht und sondierten ihre Handlungsoptionen. Die Polizei tauchte zwar auf, zog aber mangels rechtlicher Handhabe gleich wieder ab. Ein Glücksfall, dass Lone Star das Gelände und die Anlagen nur von der Biria-Gruppe gepachtet hatte. Zudem waren die Arbeiter/innen offiziell noch über die Schließung hinaus angestellt, so dass es sich juristisch gesehen um gar keine Besetzung, sondern eine „andauernde Betriebsversammlung“ handelt. Ein Hilfsmittel, das bereits den streikenden Arbeiter/innen bei Opel Bochum (1) als auch bei den Zwickauer Nahverkehrsbetrieben (2) geholfen hat.

In der Region erfuhren die Besetzer/innen für den Entschluss, sich nicht einfach auf die Straße setzen zu lassen, eine Unmenge Sympathie und Unterstützung. In der Folgezeit häuften sich die Solidarisierungen von regionalen Vereinigungen, Stadtpolitiker/innen bis zu linken Sympathisant/innen. Bundesweit trafen Emails und Briefe ein und Besucher/innen kündigten sich an. Fast jeden Tag war und ist was los, selbstorganisierte Veranstaltungen und Aktionen prägen das Bild. Doch wie lange konnte das so weitergehen? Was, wenn Lone Star trotz Protestaktionen, kreativen Ideen und Solidarität nicht einlenkt?

Ein Fahrrad macht Hoffnung

Einige Besucher/innen hatten die Selbstverwaltung angeregt, aber erst mit dem Besuch von Mitarbeiter/innen des selbstverwalteten Café Libertad-Kollektivs schien ein geeigneter Partner gefunden, mit dem man die Idee auch praktisch durchdenken konnte. „Probiert es aus! Wir helfen Euch beim Vertrieb, wir kennen Leute, die die Räder konzipieren können und unsere Gewerkschaft Freie Arbeiter/innen-Union setzt sich bundesweit in Bewegung.“ So oder ähnlich könnte der Vorschlag der Café Libertad-Mitarbeiter/innen ausgesehen haben. Und es mußte nicht lange überlegt werden. Ein Protestrad! Das war es! Und wer könnte es besser produzieren, als die Fahrradwerker aus Nordhausen? Dazu noch das Vertriebs-Know-How von Café Libertad und das Engagement und die internationalen Netzwerke der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft: Alles passte zusammen und die „Strike-Bike“-Kampagne ward geboren.

Die Nordhausener Fahrradwerker setzten sich mit Leuten von der Radspannerei, einem Fahrradladenkollektiv in Berlin-Kreuzberg zusammen, die Soligruppe der FAU erstellte Infomaterialien und begann die Internetseite zu programmieren, Pressemitteilungen und Aktionen wurden diskutiert und bundesweit die ersten Fahrradläden besucht. Auch Wildcat-Gruppen, linke Gewerkschaftszusammenhänge im DGB und andere linke Vereinigungen begannen sich für die „Strike-Bike“-Kampagne zu engagieren. Als erstes kamen internationale Reaktionen, vor allem auch von anarchosyndikalistischen Schwesterorganisationen der Freien Arbeiter/innen-Union. Daraufhin kam es dank der weltweiten Solidarität zu einer sensationellen Dynamik. Überall engagierten sich Menschen für die Kampagne. Sie machten Veranstaltungen, besuchten lokale Fahrradhändler/innen, verteilten Flyer, klebten Plakate, verbreiteten die Information auf allen möglichen Wegen und erzählten ihren Freund/innen und Kolleg/innen von der Sache. Weltweit wurde auf Hunderten von Internetseiten über die Kampagne geschrieben. Basis-Solidarität, Bestellungen und Aktionen verschiedenster Art gab es z.B. aus Israel, Südafrika, den USA, Kanada, Australien, Ägypten, Brasilien, Sibirien sowie nahezu allen europäischen Ländern. Auch in Deutschland berichteten immer mehr Medien, bis hin zu Tagesthemen, Spiegel Online und Financial Times Deutschland, und weite Kreise linker und alternativer Akteure wurden aufmerksam, genau wie gewerkschaftliche und soziale Bewegungen. Die Kolleginnen und Kollegen vom Fahrradwerk waren von der Welle der Solidarität sichtlich beeindruckt und stolz auf ihr Projekt, die Produktion des „Strike-Bike“ in eigener Regie. Während die Bestellungen in der ersten Woche der Kampagne noch tröpfelnd eintrafen und schon Zweifel aufkommen wollten, kamen sie schließlich in der zweiten Woche kaum noch mit der Bearbeitung hinterher. Zudem bekamen sie ständig Anrufe und Briefe in denen ihnen gesagt wurde, dass ihre Aktion Mut macht und was für einen Vorbildcharakter die Aktion zukünftig für Leute in ähnlichen Situationen haben wird.

Unsichere Perspektiven

Nun ist die erste Phase der Aktion am 2.10. erfolgreich zu Ende gegangen. Am 6.10. luden Café Libertad und die FAU Hamburg in die Hansestadt, um zusammen mit Nordhausener Fahrradwerkern und anderen solidarischen Menschen das Erreichen des gemeinsamen Ziels zu feiern: 1800 Strike-Bikes sollen ab dem 23. Oktober in eigener Regie produziert und spätestens Anfang November ausgeliefert werden. Damit die Besetzung des Fahrradwerks in Nordhausen schließlich in einer Woche eigenständiger Produktion gipfeln kann, müssen noch die Einzelteile herangeschafft und der Produktionsablauf vorbereitet werden. Und danach? Arbeitslosigkeit, Insolvenzverwaltung, ein neuer Investor, eine Transfergesellschaft für Qualifizierungsmaßnahmen, in den Westen pendeln oder doch den Traum längerfristiger Selbstverwaltung erfüllen?

Allein die Realität scheint letzterem Gedanken entgegenzustehen. Geschätzte 5-7 Millionen Euro Kapital und die Abnahme von 200.000 Fahrrädern jährlich wären nötig, um einen Betrieb dieser Größenordnung übernehmen und wirtschaftlich halbwegs rentabel führen zu können. Auch ein selbstverwalteter Betrieb müßte sich den Marktgesetzen anpassen, könnte allerdings auch auf andere selbstverwaltete Betriebe zählen, wie den 1985 in Bremen gegründete Verbund Selbstverwalteter Fahrradläden (VSF), die auch eigene Fahrräder herstellen oder dem Café Libertad-Kollektiv, das zapatistischen Kaffee und andere Produkte aus den selbstverwalteten Gebieten in Südmexiko in Deutschland vertreibt. So hat der VSF bereits angeboten, 20.000 Fahrräder im Jahr zu übernehmen. Und sicher ließen sich auch über die entstandenen internationalen Netzwerke Abnehmer finden. Doch scheint dies immer noch zu wenig, um 135 Arbeiter/innen und ihre Familien zu ernähren und ein Werk dieser Größenordnung zu halten. André Kegel, einer der Besetzer/innen, sagt im Interview mit der Zeit auf die Frage „Was, wenn sich kein Investor findet? Wird dann die Selbstverwaltung fortgesetzt?“: „Wir haben schon darüber nachgedacht. Allerdings könnten wir das nicht mit dieser Belegschaftsgröße machen und auch nicht mit diesem Werk. Wir würden uns dann verkleinern und in irgendeiner Halle hier in Nordhausen produzieren.“ (3)

Es gibt also Optionen, Möglichkeiten und Überlegungen in verschiedene Richtungen. Doch bleibt wenig Zeit, um diese gründlich zu durchdenken und eigene Konzepte zu entwickeln. Bis zum 1.11. muß die Produktion abgeschlossen sein, denn ab dann droht das Insolvenzverfahren. Ob dieses überhaupt eröffnet wird, ist noch nicht ganz sicher. Damit wären allerdings der Abschied der Arbeiter/innen von „ihrem“ Werk und viel Ungewissheit für die Zukunft verbunden. Dann käme wohl erst einmal eine Transfergesellschaft mit „Qualifizierungsmaßnahmen“, die die drohende Arbeitslosigkeit um bis zu ein Jahr hinausschieben könnte. Anlässlich des Erfolgs der gemeinsamen Kampagne bedankte sich Folkert Mohrhof von der Solidaritätsgruppe „Strike Bike“ der FAU bei der Pressekonferenz am 2.10. „bei den hiesigen kämpfenden Kolleginnen und Kollegen, die unser Angebot zur Unterstützung angenommen haben, ohne sich daran zu stören, dass wir nur eine kleine Gewerkschaft sind“ und bot auch weiterhin solidarische Hilfe und Kritik an, um schließlich deutlich zu machen: „Ob vielleicht der Traum einer längerfristigen selbstverwalteten Produktion oder einer Genossenschaft in Belegschaftsbesitz auf die Beine gestellt werden kann oder muss, hängt einzig und allein von dem „aufmüpfigen Kollektiv“ der Besetzer hier in Nordhausen ab“ (4) Wie es weitergeht wird also die nahe Zukunft zeigen. Was die Fahrradwerker mit ihrer direkten Aktion allerdings bereits geschafft haben, ist zu zeigen, dass man sich gegen Lohndrückerei, Outsourcing, Massenentlassung und Betriebsschließungen wehren und auch Erfolge erzielen kann und seien es bald 1800 rote „Strike-Bikes“ – produziert in eigener Regie!

thomas winzer

(1) www.wildcat-www.de/wildcat/72/w72_opel.htm.
(2) siehe Feierabend! #16
(3) zuender.zeit.de/2007/40/interviewfabrikbesetzung-nordhausen-strike-bike.
(4) www.fau.org/artikel/art_071003-111824.
Nordhausen:
Bestellungen, Anfragen und Kontakt zur Belegschaft und zum Betriebsrat:
fahrradwerk@gmx.de
Leipzig:
Kontakt zum Solidaritätskreis „Strike-Bike“ der FAU:
leipzig@fau.org
Infos, Kontaktadressen, Vorgeschichte, Hintergründe und Pressespiegel…
www.strike-bike.de • www.labournet.de • www.fau.org

Lokales

Revolution Girl-Style Now!

Ein Interview zum Leipziger Ladyfest

Dass Diskriminierungen aufgrund des biologischen Geschlechts (kurz: Sexismus) trotz gut 100 Jahren Frauenbewegung noch immer ein Problem darstellen – auch in Kreisen, die sonst einen emanzipatorischen oder gar revolutionären Anspruch haben – ist keine neue Erkenntnis. Ladyfeste stellen einen Versuch dar, gegen diesen Zustand anzugehen. Sie sind damit eine Fortsetzung der Riot-Grrrl-Bewegung Anfang der 90er, die sich aus der Punk /Hardcoreszene bildete und deren Ideen von Selbstermächtigung und Autonomie mit feministischer Kritik verband.

Ein Ladyfest ist ein Festival, bei dem unter feministischen Vorzeichen Konzerte, Parties, Workshops, Vorträge, Lesungen, Filme und Diskussionsveranstaltungen verbunden werden. Das erste Ladyfest fand 2000 in den USA statt, 2003 gab es auch in Deutschland die ersten Ladyfeste – neben Berlin und Hamburg auch in Leipzig.

Auch das Leipziger Ladyfest 2007, welches vom 23. bis zum 26.8. stattfand, hatte ein weit gefächertes Programm. Den Auftakt bildete ein Filmabend auf dem Wagenplatz Fockestraße. Aber es gab auch Workshops, u.a. über Selbstverteidigung, Anleitungen zum Schweißen oder zum Schablonensprühen, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen etwa zur derzeitigen Situation in Polen, wo die Rechte von Frauen, Homosexuellen und sonstigen Minderheiten von einer rechtskonservativen Regierung in den letzten Jahren immer mehr beschnitten wurden. Die meisten Leute kamen natürlich zu den Konzertabenden im Zoro. Die musikalische Spannbreite reichte dabei von Electro-Punk (Suicidal Birds aus den Niederlanden), über Ska (Bella Fica, Tschechien) und Heavy Metal (Killset aus Polen) bis hin zu HipHop (Aufs Maul, Österreich) und Electropop (Scream Club, USA).

FA!: Zunächst einmal, wie lang gibt es das Ladyfest, die Ladyfest-Gruppe schon in Leipzig? Was war die Motivation oder die Initialzündung, um zu sagen: Wir machen das jetzt!?

Claudia: Das erste Ladyfest war 2003, dann gab es 2004 noch eins und 2007 jetzt das Dritte. Es waren immer sehr unterschiedliche Frauen, die sich bei jedem Ladyfest zusammengefunden haben, deswegen kann ich jetzt schlecht für die Gruppe sprechen. Ich bin eher durch Zufall dazu gekommen. Das lief über einige Frauen, die in verschiedenen Projekten oder Gruppen tätig waren, im AFBL (Antifaschistischer Frauenblock Leipzig)- oder Propellas/Homoelektrik-Umfeld. Bei mir lief das über ein Fanzine, das ich zu der Zeit gemacht habe. Ich habe ein Exemplar davon nach Amerika geschickt, von da aus wurde das irgendwie auf eine österreichische Webseite gestellt, wo es dann eine Frau aus Leipzig gelesen hat. So kam der Kontakt zu der Gruppe zustande. Mir ging’s erstmal darum, Bands, die ich mag, nach Leipzig zu holen. Ich hatte Kontakt zu diesem Emancypunx-Label – auch über das Fanzine – und kannte da eine Band aus Polen, HISTERIA. So eine Anarcha-Frauenpunkband mit sehr politischen Texten, sehr Riot-Grrrl-mäßig angehaucht. Die einzuladen war für mich ein Grund, aber auch diese Netzwerkfunktion, dass Frauen, die einen feministischen Anspruch haben, zusammengebracht werden und gezeigt wird: Ja, es gibt auch Musikerinnen, es gibt auch Bands mit Frauen, die Punk oder Hardcore machen, Frauen, die kreativ sind, aber sonst entweder gar nicht zu sehen sind oder nur bei besonderen Events.

Nicole: Bei mir war es so, dass ich die beiden vorherigen Ladyfeste besucht habe, von wegen: Ok, da gibt’s was, was feministisch ist und auch in einer bestimmten Subkultur stattfindet, die mir gefällt. Dann gibt’s ja nicht nur die Ladyfeste, sondern auch die Motto-Parties, Queer-Parties oder Cross-dich-schick-Parties. Auch da fand ich die Atmosphäre immer sehr schön, und dieses Jahr hab ich eben gedacht, dass ich da einfach mitmachen möchte. Wir sind ja nur Frauen in der Gruppe, und der Anspruch ist da auch, sich selber zu zwingen, Sachen zu machen, die man sonst eben nicht macht, Pressearbeit oder so. Selber aktiv zu werden und auch ein Umfeld zu haben, in dem das geht, auch wenn man’s noch nicht kann.

FA!: Was die Erfahrungen angeht, die ihr mit den bisherigen Ladyfesten gemacht habt: Kriegt ihr da mit, dass es mittlerweile mehr Interesse gibt für feministische Inhalte, dass es in eurem näheren, ich sag mal, dem politisch-subkulturellen Umfeld oder auch darüber hinaus Anstöße gegeben hat, dass Leute sich mehr damit beschäftigen?

C: Seit dem ersten Ladyfest 2003 hat sich auf jeden Fall einiges geändert. Wir waren danach selbst überrascht, wie gut das geklappt hat, weil wir alle vorher noch nie sowas organisiert hatten. Und danach kamen viele Leute (meist Frauen), die davon gehört hatten, das spannend fanden, und sich so der Kreis derer, die das Ladyfest gut finden, immer mehr erweitert hat. In der Gieszerstrasse gab’s vor einer Weile auch die Madonna-Party als Benefiz für das Queerfilm-Fest, die Frauen aus unserer Gruppe organisiert haben. Im Gegenzug hat uns die Queerfilm-Gruppe bei einer Party unterstützt, ebenso die Homoelektrik-Gruppe. Während es 2003 noch eher so war, dass gesagt wurde: Naja, wir versuchen mal, das Wort „Feminismus“ wegzulassen, weil sonst viele Leute die Schotten dichtmachen. Das hat sich schon geändert, es gibt eine breitere Akzeptanz, man muss auch nicht mehr so groß erklären, was das Ladyfest ist.

N: Es ist auch so, dass es in dem Raum, also z.B. im Zoro, wo die Parties stattfinden, schon das Problembewusstsein gestärkt hat. Sei es jetzt zu Themen wie Sexismus bei Veranstaltungen, zu Gewaltverhältnissen, Machtverhältnissen auch in der linken Szene, bis hin zu der Frage: „Wieviele Frauen sind bei uns im Schnitt auf der Bühne?“. Ich denke, dass wir da auch zu einem kritischeren Bewusstsein beitragen konnten. Wir sind ein Alibi für diese Clubs, was ein Problem ist, aber ich denke auch, dass das helfen kann, dass das Klima offener wird, auch für andere Veranstaltungen. In diesen Räumen wird sich wohl schon was ändern.

FA!: Das Ladyfest ist ja auch eine zweiseitige Sache, es gibt zum einen die Konzerte am Abend, andererseits Vorträge, Filme, Workshops. Oft ist das eher getrennt, dass es die Politmenschen gibt, die Vorträge halten und Flugblätter verfassen, und anderseits die Subkultur-Leute, die vielleicht politisch interessiert sind, sich aber mehr um kulturelle Dinge kümmern, Konzerte veranstalten usw. Wie seht ihr dieses Verhältnis zwischen „Kultur“-Arbeit und „politischer“ Arbeit, steht das für euch gleichwertig nebeneinander, oder gewichtet ihr das unterschiedlich?

N: Ich würde sagen, dass man den Politikbegriff auch weiter fassen kann. Wie wir Dinge tun… Es ist ein Do-it-yourself-Festival, ein nicht-kommerzielles Festival, zu dem jede/r, der oder die kommen möchte, kommen kann. Wir schaffen Strukturen und wir machen die Raumpolitik an dem Abend. Das würde ich auch schon als ziemlich politisch sehen. Andererseits: Klar sind das auch erst mal Parties, wo inhaltlich vielleicht nicht sooo viel läuft, außer dass vielleicht Interesse geweckt wird für die Themen, also Genderthemen, Machtverhältnisse, Frauenpräsenz in bestimmten Räumen. Dass wir Frauen auf die Bühne holen, sehe ich im weitesten Sinne auch als politisch.

C: Das sehe ich auch so. Aber es ist auch eine Realität in der Gruppe… Wir sind recht viele, haben auch relativ viele UnterstützerInnen, aber es sind im Schnitt so zehn bis zwölf Frauen. Und wenn so viele Menschen zusammentreffen, ist klar, dass es nicht immer konfliktfrei läuft. Das liegt auch an der unterschiedlichen Richtung, dass es manchen wirklich eher um theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema geht. Wir haben die Gruppe deshalb jetzt in unterschiedliche Arbeitsgruppen geteilt, eine Textgruppe, eine Bandgruppe und eine Workshopgruppe. Und obwohl es auch ein Politikum ist, eine Frauenband auf die Bühne zu stellen, ist es auch wichtig, einen theoretischen Hintergrund dazu zu liefern. Und auch das Praktische in Workshops, was auch eine politische Aussage ist – die Workshops sind auch alle nur für Frauen und Transgender-Menschen. Bei einigen der letzten Parties, stand die Party sehr im Vordergrund, während das Theoretische eher zu kurz kam. Was einige Frauen aus der Gruppe gestört hat, aber insgesamt ist das Verhältnis ziemlich ausgeglichen. Das Zusammenkommen ist wichtig für beide Seiten, da ist das Ladyfest eine sehr gute Möglichkeit.

N: Wie es sich so schön trifft, ist ein Schwerpunkt, den wir haben, Osteuropa. Wir haben Bands eingeladen aus Osteuropa, und dabei festgestellt, dass es mittlerweile gar nicht mehr so leicht ist, Bands mit Musikerinnen zu finden. Das lief gerade über dieses Emancypunx-Label, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, einerseits Frauen speziell zu fördern und sich andererseits mit Themen wie Homophobie oder der Einschränkung von Frauenrechten, was Abtreibungsparagraphen und so angeht, auseinanderzusetzen. Da trifft das beides auch ziemlich gut zusammen.

C: Das ist auch das Besondere am Ladyfest Leipzig im Vergleich zu anderen Ladyfesten, dass wir immer auch darauf geachtet haben, den Blick nach Osteuropa zu wenden, weil dort ja die Zustände teilweise noch sehr schlimm sind – wenn man jetzt z.B. an Polen denkt. Was dabei auffällt, ist dass bei den Frauen dort, eben in Polen oder Tschechien, die Trennung zwischen Theorie und Praxis gar nicht so stark ist, dass die Bands eigentlich immer politisch sind. Wenn sie als Frauen auf die Bühne gehen, ist das schon eine Aussage. Das ist auch meist sehr eng mit den Texten verbunden – dass der Antrieb, eine Band zu gründen auch sehr stark die politischen Umstände sind, was ja eigentlich die Urform von Punk ist.

FA!: Vielleicht mal eine theoretischere Frage… Einerseits geht es bei dem was ihr macht, ja sehr stark darum, Identitäten, Rollenzuschreibungen in Frage zu stellen, andererseits kommt man aber auch nicht darum herum, Identitätspolitik zu betreiben, schon wenn man sich Ladyfest als Titel nimmt. Widerstand fängt ja auch erst damit an, dass man sagt: Wir haben alle dasselbe Problem. Gibt’s da Diskussionen in der Gruppe, wie geht ihr damit um, mit diesem Zwiespalt von „Identitäten hinterfragen“ und „sich auf eine gemeinsame Identität beziehen“?

C: Für die Gruppe kann ich erst mal sagen, dass es dieses Problem nicht gibt, da herrscht glaube ich Einigkeit. Wir hatten ja kurzzeitig die Diskussion, ein reines Frauen-Ladyfest zu machen. Auch ein bisschen als Provokation, dass dann versucht wurde, das mal auf ein Plenum zu tragen und zu fragen, wie’s damit aussieht. Was uns deutlich gemacht hat, wie tief Sexismus eigentlich noch drinsteckt bei den Leuten, weil das gar nicht ging, uns da Sexismus vorgeworfen wurde, Seperatismus und was weiss ich… Gerade durch die Rollenzuschreibungen – „Frau = passiv, Mann = aktiv“ – ist es denke ich kein Widerspruch zu sagen: „Frauen, traut euch!“ Eine wichtige Funktion vom Ladyfest ist ja, jetzt nicht nur Musikerinnen auf der Bühne zu zeigen, sondern auch Vorbilder. Jungen Frauen zu zeigen: „He, das ist cool, wenn eine Frau auf der Bühne steht!“ Im Eiskeller war letztens eine Diskussionsrunde mit einer HipHopperin aus der Schweiz, Ladyfizz. Und die hat erzählt, dass ihr am Anfang auf der Bühne immer gesagt wurde, sie solle doch „weiblicher“ sein, sie sei so männlich. Und sie hat gesagt: „Ich hab mich nicht als männlich gesehen, ich wollte einfach mein Ding machen.“ Das sind dann so Sexismen, die tief drinstecken und denen am besten beizukommen ist, indem sich eine Gemeinschaft bildet von Menschen, die sagen: „Natürlich ist es cool, wenn eine Frau auf der Bühne steht und aggressiv singt oder virtuos Gitarre oder Schlagzeug spielt, und nicht nur im Softpop-Bereich mit dem Arsch wackelt, sondern auch in einer Metalband spielt.“ Und dass sie dafür nicht diskriminiert oder beleidigt wird. Die Botschaft ist, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben muss, alles zu machen, was er machen kann ohne dabei anderen zu schaden. Ich sehe da keinen Widerspruch – kein Ladyfest zu machen würde ja die Probleme nicht lösen.

N: Dekonstruktion von Geschlechterrollen ist schön und gut. Aber das Argument, das oft kam und das auch von uns stark gemacht wird, ist, dass der Feminismus davon nicht abgelöst werden darf. Ich glaube auch, dass beides zusammengehen kann und auch muss. Ich würde aber nicht sagen, dass wir Identitätspolitik machen. Zunächst mal kann jeder zu den Konzerten kommen, wir machen da keine Einlassschranke. Es gibt auch nicht DIE Frau, an die wir uns wenden. Es gibt die Frauen, die auf der Bühne spielen wollen, es gibt die Frauen, die Technik machen wollen, es gibt die Frauen, die sich über Migration Gedanken machen, es gibt Frauen aus allen Klassen oder Schichten. Deshalb denke ich nicht, dass man das auf Identitätsdenken reduzieren muss.

FA!: Auf eurem Plakat zu der Veranstaltung, die ihr vor ein oder zwei Wochen gemacht habt, gab es auch diesen Slogan: „No boys, no girls, no government“. Das „no government“ habe ich für mich so interpretiert, dass ihr nicht nur sexistische Diskriminierung thematisieren wollt, sondern das als Baustein in einer Reihe von anderen Unterdrückungsmechanismen oder Herrschaft allgemein seht. Inwieweit sind bei euch auch andere Formen von Unterdrückung im Verhältnis zu Sexismus ein Thema?

C: Ich weiß nicht, ob das nur Sexismus ist… Geschlechterzuschreibungen werden natürlich gemacht, um Machtverhältnisse zu legitimieren und zu verfestigen. Die Grundaussage ist für mich, dass es generell nicht tragbar ist, Menschen zu unterdrücken, Macht über andere Menschen auszuüben.

FA!: Ich meinte das auch eher konkret. Ein bisschen davon kam ja schon, Migration oder die Abtreibungsgesetzgebung in Polen oder anderswo, Klassenverhältnisse, Arbeitsverhältnisse, inwiefern ihr damit befasst seid.

N: Ich kann auch nur auf die Praxis verweisen. Natürlich kritisieren wir allgemein kapitalistische Herrschaftsverhältnisse. Wir sind auch eine nichtkommerzielle Veranstaltung. Es war in unserer Gruppe auch schon ein Thema, dass wir z.B. keine Frauen mit Migrationshintergrund bei uns haben und auch keine Frauen, die in dem Punkt aktiv sind. Ich würde es nicht unbedingt als Problem sehen, aber es gibt da schon eine Grenze von dem, was ein Ladyfest leisten kann. Uns ist klar, dass wir nicht alles abdecken können. Dafür gibt’s ja auch noch andere Gruppen, in denen die Frauen neben dem Ladyfest aktiv sind. Es gibt ja auch nicht so viele andere Veranstaltungen, die feministische Inhalte verbreiten. Das istvielleicht auch ein Anstoß, um neue Kontakte zu knüpfen zu neuen Leuten, die davon hören, dass sich da was entwickelt. Das war eigentlich bei jedem Ladyfest so, dass es erstmal ein Anstoß war, für neue Netzwerke und Zusammenarbeiten.

justus

Mehr Infos unter: ladyfest.leipzigerinnen.de

Lokales

300

(Zack Snyder, Warner Bros. Pictures, USA)

Spätestens seit der Erfindung des sechs-lagigen Toilettenpapiers dürfte auch dem letzten Skeptiker klar sein: Die Moderne ist der lebendige Beweis da­für, dass Primitivität und Hochkultur keine ausschließenden Kategorien sind, wenn mensch sich an die Beschreibung der Geschichte macht. Und in­sofern hat die moderne Epoche auch schon alle Versprechungen erfüllt, von der tiefsten Barbarei bis zum feinsinnigsten Kunstwerk. Angesichts dieser span­nungsreichen Vergangenheit wundert es nicht, dass die Reste des Bildungsbürgertums sich aktuell auf einen abgeschotteten Zynismus zurückgezogen haben, während der letzte Pöbel gut bewacht abseits der Aufmerksamkeit höhnisch deren Abgang feiert. Es herrscht das Kleinbürgertum, allüberall! …

Der Titel des neusten hollywoodianschen Machwerks für den deutschen Markt ist so erschreckend einfach wie treffend. Die Hohlheit wird hier schon in ihrer hohlsten Weise, der Leerheit, ausgedrückt. Aber es geht in dem Filmstreifen selbstverständlich nicht um einen beliebigen Punkt in einem leeren Koordinatensystem, wie die nackte Zahl im Titel suggeriert, sondern um eine Gruppe entwurzelter, spartanischer Soldatenseelen (Hopliten), deren genaue Anzahl ansonsten ziemlich egal ist. Der Einfall persischer Heere unter der Drohung, alles und jeden und für alle Zeiten zu versklaven, zwingt die „300“ in eine aussichtslose Schlacht. Die dann auch einen Großteil der erzählten Zeit des Films ausmacht. Doch dieser Trupp aus hart disziplinierten und von ihren Frauen & Kindern getrennten Superhelden ist gar kein wilder Haufen oder glückliches Kollektiv, wie der überbordende Pathos von Blut, Land und Ehre imaginiert, sondern ein ganz gewöhnliches Kommando, eine Spezial-Force unter Führung des spartanischen Königs höchstselbst. Der Zusammenhang erscheint so selbstverständlich wie die unzähligen Darstellungen aus der Zeit der historischen Großdramen des Holly­woods der 50er und frühen 60er. Selbstverständlich kämpft der oberste Führer ganz vorn, selbstverständlich schweißen dessen charismatische Reden alle zusammen. Doch auffällig bei „300“ ist: Die Filmemacher legten scheinbar Wert darauf, die Dif­fe­ren­zierung zwischen einfachem Soldat und königlichem Führer möglichst auszuschalten. Während sich der überlieferte Historienschinken noch auf einfache Klassengegensätze stützte, soll unser spartanischer König „nur“ einer unter vielen sein, gleichzeitig jedoch DER Besondere, derjenige Held mit der ausgezeichneten Mission bleiben.

„Angst ist die Mutter des SOLDaten.“

Solch Widersprüchlichkeit wäre freilich span­nungsreicher Stoff für einen Film. Doch anstelle moderner Sozialpsychologie zogen Dramaturg und Regisseur offensichtlich früh­mit­tel­­alter­liche Korporations-Theorien zu Rate. Denn damals lehrte man tatsäch­lich, dass ein organisiertes Ganzes (bspw. eine Gruppe) sich aus einem Kopf und seinen Gliedern zusammensetze, wobei der Kopf zwar die Glie­der, diese aber nicht den Kopf repräsentieren könnten (corpus-caput-Schema). (1) Die Folgen für die Handlung von „300“ sind fatal. So vor­gestellt, werden die 300 Soldaten zu willenlosen Helfershelfern, deren psychologischer Haushalt völlig durch die königliche Psyche bestimmt ist. Das ist vielleicht „produk­tions-ökonomisch“ in Hinsicht auf die Ersparnis von Nebenrollen, aber letztlich ziemlich billig. Quasi mo­ti­va­tionslos verrichten die Spartaner ihren „Dienst“, schlachten Gegner um Gegner ab, schichten Leichenberge, pflegen ihre Wunden und Schil­de, stets wartend und bereit, den nächsten mörderischen Befehl des Königs wortlos auszuführen. Und wo es keine Heimlichkeiten, keinen Einspruch, keine Unzufriedenheit gibt, keine individuierende Geschichte, da gibt es eben auch wenig zu erzählen. Dieser Umstand wiegt umso schlimmer, als es in dem Film ja nicht um eine muntere Urhorde auf der Gänse­blümchenjagd geht, sondern um einen modernen Kampf-Verband, der durch die Psyche des spartanischen Königs einzig motiviert, eine selbstmörderische Kampagne startet. Und hierin liegt dann auch über­haupt die unausgesprochene Aktualität des mythischen Stoffs der Schlacht an den Thermopylen, deren Gehalt der Film „300“ völlig verfehlt. Denn inmitten der Gegenüberstellung von militärisch kultivier­tem Griechen und barbarisch übermächtigem Perser, ist ja ein Zwangs-Kollektiv Protagonist, das moralisch völlig unentschieden ist zwischen Ge­walt zum guten Zwecke (Special-Force) und absolut sinnloser Gewalt (Selbstmordkommando). Doch anstatt diesen Abgrund dem Zuschauer zu verdeutlichen und zu übersetzen, anstatt den Kontext zu erzählen, bleibt der Film sprachlos, und hüllt all die brennenden Fragen in eine bi­zarre Stilistik, die nichts als Mode und Trend verrät. Die ohnehin durch die viele Weichzeichnerei verwischten Details, erreichen so nicht einmal die Ebene des Banalen oder Profanen. Das Apfelessen am Rande des Schlacht­feldes, der unverblümte Blick auf den nackten Hintern des Königs, die sexuelle Diskriminierung der Königin, alles gerinnt zur trivialen Ausstaffage einer pathologischen Handlung.

Der Film endet, wie er von An­fang an enden musste, im Selbstmord des Königs, dargestellt als kollektiver Selbstmord der gesamten 300. Der Attentatsspeer verfehlt sein Ziel, knapp, aber wahrscheinlich hätte auch dieser letzte Mord keine größeren Auswirkungen auf das Handlungsende gehabt. Die symbolische Verwundung des Gott­königs Xerxes bereitet es nur vor: Denn zum Schluss bekommt der/die gemarterte ZuschauerIn noch ein blühendes Morgengrauen voll kriegslüster­ner Spartaner serviert. Mensch kann nach Hause gehen, das „Perserprob­lem“ haben die Spartaner (in der nächsten Generation) dann doch noch gelöst. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn angesichts der faulen Dar­­stellung, die sich an dem Glanz der eigenen technischen Effekte befriedigt und jede inhaltliche Auseinandersetzung scheut, wundert es schon, wenn da nebenbei eine Ratsversammlung inszeniert wird, bei der die Köni­gin im Namen der 300 Soldatenmütter fordert, mehr Truppen in den Ira… ähm.. zu den Thermo­pylen zu entsenden. Diese haarsträubende, explizite Aufpfropfung kann mensch einfach nur als billige Propaganda für die gegenwärtige Kriegspolitik der USA verstehen. Sie ist aber noch harmlos im Vergleich zu einer anderen, impliziten. Es wird nämlich auch eine verräterische Negativ-Figur in eine völlig belanglose Nebenhandlung projiziert, die das hehre Ansinnen der für Blut und Boden streitenden Spartaner restlos hintertreibt. Der „Volksschädling“ würden hierzulande böse Zungen zischen. Ein einsamer, spartanischer Krüppel, dessen körperliche Voraussetzungen es nicht zulassen, in der Phalanx zu kämpfen. Unser charismatischer spartanischer König will ihn deshalb nicht in sein Kommando aufnehmen. Der Verstoßene ist schwer enttäuscht, rennt zum Feind über, lässt sich durch eine Mischung von Sex & Drugs & Rock´n´Roll zum Überlaufen bewegen und verrät so die „300“, die wenig später in der tödlichen Falle stecken.

Bieten uns die Filmemacher damit etwa einen anderen Ausweg aus dem selbstmörderischen Unterfangen? Hätten die 300 Spartaner ohne den Verrat vielleicht doch das gesamte persische Heer vernichtet und wären so der eigenen Ka­ta­strophe entgangen? Vermutlich nicht, denn der ganze Pathos des spar­tanischen Königs beruht auf seiner schicksalshaften Todesweihung. Er MUSS für die Sache sterben, und damit auch der gesamte, psychologisch an ihn gekettete Kampfverband – darin besteht ja eben das Pathologische, Unentwickelte der Handlung. Die Frage des Verrates bleibt ihr so also auch äußerlich, aufgepfropft, belanglos. Aber wozu ist es dann an­gesprochen? Soll etwa darauf verwiesen werden, dass es überall, selbst bei den Ameri… ähm.. Spartanern, Verräter gibt, die mensch noch dazu an ihrer äußeren „Miß“-Gestalt identifizieren kann? Es ist nicht die Bösartigkeit der Filmemacher, sondern ihre hohle Inszenierung, die aus sprachloser, trivial-pathologischer Leere besteht – ihre inhaltslose Form, die solcherlei bösartige Aufpfropfungen ermöglicht.

Fazit: Den MacherInnen von „300“ ist ein einmaliges Kulturprodukt gelungen, dass all den Hohlköpfen dieser Welt Freude bereiten dürfte. Anstelle von komplizierten Kontexten dominiert der technische Effekt, anstelle ethischer Fragen des kollektiven Überlebens und individuellen Hoffens blinder Selbstmord-Pathos, anstelle von kritischer Aufklärung der naive Mythos. In zynischer Art & Weise liegt der Film damit voll im Trend der Zeit.

(clov)