Archiv der Kategorie: Feierabend! #30

LibeLLe: Libertärer Laden Leipzig

Fünf Jahre selbstorganisiertes Projekt

„Zuerst waren wir ganz wenige und haben uns privat getroffen. Die Ortsgruppe der FAU hatte sich gerade erst gegründet und suchte nach einem Raum, um die Grup­pen­­arbeit leichter in die Öffent­lichkeit zu tragen. Die FAUist@s haben den Prozess deshalb am meisten getrieben“, so charak­terisiert einer der Aktiven die Ent­steh­ungs­phase des Ladens in der Kolon­na­den­straße nahe der Leipziger Innen­stadt.

Mitte Juni 2008 feierte das Laden­projekt Li­belle seinen fünften Geburtstag. Anlass für uns, einige Nutzer_innen nach ihrem vor­läufigen Resümee zu befragen. Grün­dungs­­­mit­glieder und Spät­ein­stei­ger_in­nen, Work­aholics und Nutz­nießer_innen zogen für uns hier Bilanz aus einem halben Jahrzehnt (versucht) selbst­organisierter libertärer Struktur.

Nach ihrer Motivation aus der Grün­dungs­zeit befragt, ging es den Ve­te­ran_innen „von Anfang an mehr um die Mög­lichkeiten, Leute in den Laden zu ziehen und mit anarchistischen und kom­munistischen Ideen vertraut zu machen“ beziehungsweise „die Idee war, eine Schnittstelle für ganz ‚normale‘ Leute zu schaffen, um diese an linke Politik heranzuführen“. Was auch einer der Grün­de war, nicht in eines der üblichen Szene­viertel wie Connewitz zu gehen.

„Das Interesse an einem Freiraum und auch die Vorstellung einer anarchistischen Or­ganisation des Raumes nach den Prin­zipien der Gegen­seitig­keit und Selbst­bestimmung waren eher aka­demi­schen Ur­sprungs als das Produkt der Er­fah­rungen und Diskurse der Szene.“

Die Schnittmenge mit Leuten aus der eingesessenen Szene war deshalb zunächst eher gering. Dennoch kam es auf­grund ähn­licher Inhalte schnell zu vielen Synergie­effekten. Der Laden bot einen offenen Raum für Menschen und Grup­pen, die sich bereits engagierten oder erst neue Projekte starteten: „Wir wussten gar nicht, wie wir die ganzen regel­mäßigen Plena-Termine der Gruppen und die Ver­an­stal­tungen unter einen Hut bringen sollten. Freie Arbeiter/innen-Union, Feierabend!, Linke Student­Innengruppe (LSG), die Schach­gruppe des Roten Stern Leipzig, die Engagierten Wissenschaft­lerInnen und so manche Gruppe, die nur eine kurze Blütephase hatten, wie das Bühne-Kollektiv oder die ‚Bur­schenschaft‘ Fä­kalia“. Später kamen unter anderem die Umtauschinitiative, die Gruppe LUST, Ya Basta!, Antispe Leipzig und die Erwerbs­loseninitiative Leipzig hinzu.

Die Frage der Offenheit

Zum Selbstverständnis gehörte, zuerst einmal für alle offen zu sein. So sollte der Laden ein „Anlaufpunkt für Menschen [sein], die sich einbringen wollen, die sich unabhängig von Staatszugehörigkeit, Konfessionen, Gender oder Bildungs­hintergrund eine bessere Welt vorstellen können und sich dafür engagieren“. Doch auch in der Libelle kennt die Auf­ge­schlos­sen­heit Grenzen, gemäß der Weisheit „wer für alles offen ist, ist nicht mehr ganz dicht“ mussten auch schon mal Personen wegen sexistischen oder rassistischen Äußerungen des Raumes verwiesen werden. „Letztlich kann man das aber nur am Einzelfall entscheiden, und das finde ich einen offenen Umgang miteinander. Dagegen zum Beispiel einfach zu sagen: Du trägst ein Pali-Tuch, Du kommst hier nicht rein! – das ist das genaue Gegenteil einer offenen Politik.“

Neben solchen „inhaltlichen“ Gründen, war die Auseinandersetzung mit so­genannten Außenseitern der Gesellschaft (Menschen mit argen psychosozialen Problemen) ein häufiger Dis­kussions­punkt. „Viele ver­gessen bei ihrem An­spruch auf Offenheit oft, dass die Libelle weder über den Raum noch über die Möglichkeiten einer sozialtherapeutischen Station verfügt“. Wie mit solchen Kon­flik­ten umzugehen sei, wurde letztlich nicht festgeschrieben, aber mit Kontakten zu Beratungsstellen eine Handlungs­option geschaffen.

Was lief, läuft und geht

Von Anfang an wurde dazu aufgerufen, sich mit Ideen und Kreativkraft ein­zubringen, wie schon der erste Ver­an­staltungsflyer zeigt: „Das (…) Ladenlokal ist eine Welt der Möglichkeiten, kein fertiges Angebot, kein Freizeitpark Belantis und keine ‚Leipziger Freiheit‘ der Ein­kaufsmeile.“ Getreu dem Motto „wir sind Riesen, die von Zwergen zu Zwergen erzogen wurden“, werden Menschen angeregt, über sich selbst hinaus­zu­wachsen. Dies fand in den ersten Jahren vor allem bei Studistreiks, den Montags­demonstrationen gegen Hartz IV und auch bei Antifa-Demos seinen Ausdruck.

Neben praktischer Kritik an der Tages­politik wurde der anarchistische Ansatz der Libelle mit der ersten inhaltlichen Ver­an­stal­tung verdeutlicht. Abel Paz, der über seine Erlebnisse aus dem Spa­nischen Bürgerkrieg berichtete, zog über 70 Leute an, die nur auf Bierbänken in dem win­zigen Raum unter­zu­brin­gen waren. Außer Vor­trägen, Film­­vor­führ­ungen und Info­ver­an­stal­tun­gen gab es Le­sungen, Spie­leabende, Work­shops bis hin zu Rock­kon­zerten. Krea­tive Energie wurde in Pup­pen­theater, cock­tail­las­tigen Soli-The­ken oder Zwi­schen­­decken­däm­mungs­­maßnahmen umgesetzt. Einen be­son­deren Raum für Diskussionen bieten die wöch­ent­lichen Voküs, wo unbefangen über Politik und Gesellschaft debattiert werden kann. Für politisches Engagement ist heutzutage der Anschluss an das Com­puter­zeitalter unabdingbar. Die PC-Arbeitsplätze ermöglichen nicht nur die virtuelle Kontaktpflege, sondern auch die Ge­stal­tung und Verbreitung von In­formationen.

Wie kommt mensch rein?

„Das erste Mal bin ich vor zwei Jahren zur Veranstaltung „Venezuela – Sozialismus des 21. Jahrhunderts?“ in die Libelle gekommen – das Thema war gerade mal wieder en vogue“, sagt einer, der über einen E-Mail-Verteiler aufmerksam wurde. „Und wie es halt so ist, diskutierten wir noch bis zum Morgen­grauen über Chavez und Anar­chist_innen in Venezuela“.

Ein anderer meint: „Ich bin durch Anregung eines Freundes eines Samstags mit zur VoKü gegangen, dort bin ich auf Leute getroffen, die mich gefragt haben, ob ich Interesse hätte, mich auch per­sönlich einzubringen. So hab ich mir die verschiedenen Gruppen und ihre Tätig­keitsfelder angesehen und bei Gelegenheit hier und da mal mitgemacht“.

Aber auch politische Gruppen brachten Zulauf. So meinte jemand: „Ich habe durch die LSG zur Libelle gefunden. Vorher trafen wir uns immer in der Uni, aber die Libelle machte die wöchentlichen Plenas erst zu einer gemütlichen und intensiven Zeit“.

Häufig waren es unmittelbar Bekannte, die im Gespräch auf diese Plattform hingewiesen wurden, doch mitunter gelang es auch durch Proteste auf der Straße: „Ich bin durch die Anti-Hartz-IV-Demos in die Libelle gekommen. Einige Leute aus dem Laden waren da sehr aktiv, und deren u.a. durch Redebeiträge und Flugblätter vermittelten Inhalte waren mir sehr sympathisch. Ein Großteil der Demo und das organisierende Sozialforum gingen doch sehr stark in so eine „Wir-wollen-Arbeit!“-Richtung, als ob Lohn­arbeit nun nicht nur eine Möglichkeit wäre, über die Runden zu kommen, sondern wer weiß was Gutes… Auch waren die Libellistas fast die einzigen, die sich gegen die BüSo-Leute engagierten, die mit ihren wirren Ver­schwörungs­theorien zu der Zeit massiv versuchten, Einfluss bei den Demos zu gewinnen“. Eines der Gründungsmitglieder bestätigt: „Zu der Zeit war die Libelle ein wertvoller Ausgangsort für Aktionen. Darüber sind auch viele Leute, vor allem Studis po­li­ti­siert worden bzw. in das Projekt rein gezogen worden. Heute – und hier spreche ich schon aus der beobachtenden und nicht mehr aktiven Perspektive – kommen vor allem junge Leute aus der Antispe- und Tierrechtsbewegung in die Libelle.“

Zwischenstand

Es war natürlich unvermeidlich, dass sich mit den Aktiven auch der Laden im Lauf der letzten fünf Jahre geändert hat, was nicht ohne Reibungsverlust vonstatten ging. „Folge ist sicher ein Schwinden des gemeinsamen politischen Profils, da sich viele eben nur als Einzelpersonen in der Libelle engagieren (ohne diese Menschen dafür jetzt kritisieren zu wollen). Ein gemeinsamer Grundkonsens ist sicher da, wird aber zu selten diskutiert und sicher auch zu wenig nach außen getragen.“

Die Finanzierung dieses selbst­or­ga­ni­sier­ten Projektes gestaltete sich schon immer schwierig, „obwohl die finanzielle Lage nach wie vor (und wieder mal) prekär ist. Aber es sind auch positive Entwicklungen zu sehen. So läuft seit einem knappen Jahr der Veranstaltungsdienstag, wobei einige ebenso inhaltlich gute wie gut besuchte Veranstaltungen dabei waren. Die Außen­wirkung ist derzeit also wohl um einiges besser als noch vor einem Jahr. Wün­schens­wert wäre es, sich künftig noch stärker in innerlinke Diskussionen in Leipzig einzubringen, eigene Akzente zu setzen und dabei auch immer noch bestehende Vorurteile gegen die Libelle (vor allem im ‚antideutschen‘ Spektrum) abbauen zu können. Dass andere Leute andere Meinungen und Schwerpunkte haben, ist okay, aber es wäre schön, nicht von vornherein, d.h. vor einer wirklichen Auseinandersetzung mit den von ‚uns‘ vertretenen Inhalten, in eine Schublade gesteckt zu werden.“

Obwohl die Situation also nicht un­bedingt als „rosig“ beschrieben werden kann, wurde nach einem halben Jahrzehnt eine Menge erreicht; politische und kulturelle Initiativen wurden gegründet, Augen für die unzähligen kritikwürdigen Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft geöffnet und konkreten Bedürfnissen mit praktischer Unter­stützung begegnet.

Das Team des Fei­er­abend! wünscht auf dem wei­ter­en Weg alles Gu­te für die nächs­ten fünf Jahre!

Braucht Leipzig einen Friedenspreis?

Was passt besser zum Weltfriedenstag am 01. September als ein Friedens­preis? So zumindest dach­ten wohl die Ini­tia­toren des in diesem Jahr erstmalig aus­ge­lobten Preises „LEIPZIG GEGEN KRIEG“. Immerhin wurden im Vorfeld zahl­reiche Wahlurnen an Gruppen und Ini­tiativen verteilt und man konnte so 32 Vor­schläge von Einzel­per­sonen, Vereinen und Ini­tiativen sammeln, die damit zur Wahl standen. Auch noch positiv zu sehen ist, dass die VeranstalterInnen sich für eine öffentliche Jurydiskussion entschieden, so dass sowohl dem Aspekt der Transparenz als auch dem der Partizipation genüge ge­tan wurde. Dass der dreistündige Diskus­sions- und Entscheidungsprozess dann je­doch eher einem mathematischen Teil­sum­menspiel glich, als einer in­haltlichen Aus­­ein­an­dersetzung, trübt das Bild und ist schon Symptom des Zustandes der Frie­dens­bewegung hier­­zulande. Zwar wur­de der Zusammenhang von Krieg mit Militaris­mus und Faschis­mus durchaus gesehen und der Friedens­preis stand auch aus­drücklich inhaltlich unter diesem Drei­schritt. Dennoch wurden bei der Auswahl der eingereichten Vorschläge mit Verweis auf schon ausreichend bestehende anti­faschistische Aus­zeichnungen zu allerst alle antifaschistisch orientierten Initia­ti­ven/Personen aus den Vorschlägen aus­sortiert und deren Zahl damit deut­lich reduziert. Und nach der im zwei­ten Schritt voll­zogenen Elimi­nierung aller mit der veranstaltenden Initiative asso­ziier­ten Gruppen/Personen blieben so nur noch 16 Vorschläge übrig. Als nächstes ent­­schied sich die Jury, auch jene von der Wahl auszuschließen, deren Friedens­enga­ge­ment eher beruflichen als ehren­amt­li­chen Tätigkeiten entsprang, was eine wei­te­re formale Halbierung der Aspiran­ten be­deutete. Danach wurde die Ver­zichts­fra­ge aufgeworfen, die letztlich darin mün­dete, dass nur noch drei Kandidaten in den „Endlauf“ gelangten: Johannes Schroth (attac) und die Vereine Medizin für Gambia und Lebendiges Kongo. Da nun ersterer nicht anwesend war und das Ge­rücht kursierte, dass Herr Schroth auch zu Gunsten anderer von einer Preisver­lei­hung zurücktreten würde, reduzierte die Ju­ry die tatsächliche inhaltliche Abwägung auf eine 1:1-Entscheidung zwischen den bei­den letztgenannten Vereinen. Dabei gab schließlich die Aktivität von Leben­di­ges Kongo den Ausschlag, der noch im letz­ten Jahr symbolträchtig zwei aus­ge­muster­te Feuer­wehr­fahrzeuge in den Kongo ver­schickt hatte, um nach eigener Aus­sage da­ran ehemalige Kinder­soldaten zu Feuer­männern aus­zu­bilden. Die bei dem diesjährigen Ostermarsch aus einem Schwert geschmiedete Sichel ging so­mit an die Initiatoren des Vereins Le­ben­­­diges Kongo.

Herzlichen Glück­wunsch!

Doch so begrüßenswert die erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit auf diese sicher lobens­werte Intitiative ist, so schwer wiegt auch die Frage, ob man denn in Leipzig überhaupt einen sol­chen „Friedenspreis“ braucht bzw. aus­­loben sollte. Zumal ja schon vor­der­hand einsichtig ist, dass es wohl eher den betroffenen Men­schen im Kongo zustände, zu beur­tei­len, in­wie­weit ei­ne Ini­tia­tive wie Le­­ben­diges Kongo dem Frieden vor Ort wir­klich zu­träg­lich ist. Und un­ter dieser Maß­gabe ver­steht sich eben ge­ra­de nicht, warum gerade an­ti­fa­schistische und anti­mili­taristische Initiati­ven zurück­gestellt wurden und die Jury statt­dessen ihr Heil in der Ent­­wicklungs­zu­sammen­arbeit suchte. Si­cher, Leipzig ist als Messestadt selbst zu DDR-Zeiten welt­offen gewesen. Aber ak­tuell gehören auf die „Agenda für den Frie­den“ viel mehr die forcierte Militari­sie­rung an den Stadt­rän­dern, die neofaschi­stischen Zusam­men­rottungen in einigen Stadt­vierteln, die Gentri­fi­zierungsträume der Stadtoberen oder auch die verschärften Ar­beits­bedin­gun­gen vieler Leipziger­In­nen. Global zu den­ken, heißt hier nicht, sich in ferne Kriegs­­szenarien ein­zu­spin­nen, sondern zu erkennen, dass ein antifa­schi­stischer, an­ti­militaristischer Kampf – der selbst­ver­ständ­lich auch gegen Aus­beu­tung, Kon­kur­renz, Selektion und Segrega­tion ge­rich­tet sein muss – lokal vor Ort, hier in Leipzig, das mit Abstand Beste ist, was tat­sächlich für eine friedlichere Welt getan wer­den kann.

Zum Schluss: Was Leipzig derzeit fehlt, ist also nicht ein Friedens­preis, selbst wenn damit Geldmittel verbunden wären, son­dern eine ernsthaft inhaltliche Kritik, die zu allerst einmal das Selbstverständnis der „Friedensbewegten“ hinterfragt, das was un­ter „Frieden“ überhaupt verstanden wird. Eine Kritik, die damit die Voraus­set­zun­gen für eine wirksame Friedens­be­wegung erst schafft, deren Prota­go­nis­ten man dann im Nach­gang einer fernen Zu­kunft mit Gold über­häufen möge. Sofern, ja sofern das dann überhaupt noch Sitte ist.

(clov)

www.leipzig-gegen-krieg.de

www.lebendiges-kongo.org

www.medizin-fuer-gambia.de