Archiv der Kategorie: Feierabend! #44

Schillernd verdunkeln

Neofolk, Neonazis, Medien und Experten

„Als Nazi versteht hier sich keiner an diesem Abend“. So begann der Bericht der Leipziger Internet-Zeitung (L-IZ) über das Konzert der amerikanischen Neofolk/Industrial-Band Blood Axis, das am 20. August 2011 in der Theaterfabrik stattfand (1). Eine Veranstaltung, die schon im Vorfeld für Kontroversen sorgte. Schließ­lich gelten Blood Axis nicht ohne Grund als Neonazi-Band. Wer sich z.B. stilecht schwarz-weiß-rot gestaltete Kruckenkreuze (das Symbol der österreichischen Faschisten) aufs Plattencover packt, braucht sich über Kritik nicht wundern.

Ebenfalls auf der Bühne der Theaterfabrik stand am 20. August der britische Musiker Andrew King. King hatte vormals bei Sol Invictus gespielt, musste die Band aber verlassen, nachdem er für rassistische Äußerungen in einem Interview öffentlich in die Kritik geraten war (2).

Auch der Merseburger Uwe Nolte trat im Vorprogramm auf, ein Musiker, der allem Anschein nach gute Kontakte zur Hallenser Neonazi-Szene pflegt (3). Aber so genau wollte es der L-IZ-Reporter vermutlich gar nicht wissen.

Neovölkische Realitätsverluste

Nicht so genau wissen wollte es auch der Leipziger Kulturwissenschaftler Alexander Nym (u.a. Autor des Buches „Schillerndes Dunkel – Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene“), der in mehreren Artikeln für die L-IZ den Experten vom Dienst machte.

So erklärte Nym, die Vorwürfe gegen Michael Moynihan, den Frontmann von Blood Axis, seien zwar irgendwie gerechtfertigt. Es sei aber so, „dass der Mann solche Aktionen zusammen mit Boyd Rice als agents provocateurs unternommen hat“, wobei er leider nur ein wenig die „Ironie vermissen ließ“ (4).

Stimmt. So veröffentlichte Michael Moynihan in seinem Verlag z.B. 1992 die gesammelten Werke des US-amerikani­schen Neonazis James Mason – eine Aktion, die wirklich jede Ironie vermissen lässt. Wie der Mangel an Ironie sich bei Moynihans langjährigem Koopera­tions­partner, dem Sozialdarwinisten und Industrial-Musiker Boyd Rice, äußert, werden wir gleich sehen (5). [zu Moynihan und Rice siehe unten, Exkurs 1]

Bleiben wir vorher noch ein wenig bei Alexander Nym. Dieser meint, erst in den Neunzigern, und gerade wegen der antifaschistischen Kritik seien „echte Rechte in die Post-Industrial-Szene reingekommen, zum Großteil aus dem NSBM [National Socialist Black Metal], die von Industrial Culture und deren Schocktradition keine Ahnung hatten und tatsächlich glaubten, Neofolk und Death In June etc. sei ‚racially conscious music’. Die Kritiker haben nichts begriffen, aber die Szene unangenehmer gemacht, die Anfang der Neunziger dezidiert antifaschistisch eingestellt war, aber ihre Faszination und das historische wie ästhetische Interesse am Dritten Reich nicht verleugnet hat.“ (6)

Es gilt also: Lieber nicht kritisieren – sonst kommen die Nazis! Was das Neofolk-Publikum angeht, so sei es dahingestellt, inwiefern dieses Anfang der Neunziger dezidiert antifaschistisch eingestellt war. Was die Haltung der prägenden Bands und Künstler betrifft, war diese jedenfalls keineswegs antifaschistisch, von ‚dezidiert’ ganz zu schweigen. An diesem Punkt zeigt Nym ein Maß von Realitätsverleugnung, dass man bei einem Experten eigentlich nicht erwarten sollte.

Bleiben wir nur mal beim Stichwort der ‚racially conscious music’: Schließlich äußerte sich der bereits erwähnte Boyd Rice schon Mitte der 80er Jahre sehr ausführlich zum ‚Rassenbewusstsein’ der Neofolk-Szene – in einem von etwa 1986 stammenden TV-Interview mit dem US-amerikani­schen Neonazi Tom Metzger.

Auf die Bitte Metzgers, doch ein paar „rassenbewusste Sänger oder Bands in Europa oder Großbritannien“ zu nennen, antwortete Rice: „Es gibt zum Beispiel einen Typen namens David Tibet. Er hat eine Band namens Current 93, die sich mehr und und mehr in eine rassenbewusste Richtung bewegt. Und er ist befreundet mit ein paar Leuten, die sich Death In June nennen, die sehr rassisch orientiert sind. Und es gibt eine andere Band, Above The Ruins, mit einem Typen, der auch bei Skrewdriver spielt.” [siehe unten, Exkurs 2]

Es folgte ein etwas wirrer Exkurs zum Thema Industrial-Musik: Diese sei (so Rice) wirklich „weiße” Musik, im Gegensatz zu einem Großteil der populären Musik, die viele Einflüsse von den Schwarzen übernommen hätte.

Metzger: „In dem Sinne, dass moderne Musik im Großen und Ganzen ein Propa­gan­da­instrument jüdischer Interessen, der Schwarzen usw. ist, während wir jetzt eine Form von Propagandakunst für die weißen Arier entstehen sehen?“

Rice: „Ja, ja, das denke ich auch.“

(Mit den Suchbegriffen ‚Boyd Rice’ und ‚Tom Metzger’ lässt sich dieses Interview übrigens problemlos bei Youtube finden – für eventuelle Übelkeit übernimmt die Redaktion keine Haftung.)

Sieht so aus, als müsste Alexander Nyms Neofolk-Geschichtsschreibung drastisch revidiert werden. Der angebliche agent provocateur Boyd Rice war schon 1986 ein lupenreiner Neonazi und Rassist. Irgendein Hintersinn von ‚Provokation’ oder ‚satanisch-nietzscheanischer Amoralität’ lässt sich seinem stumpfen Geblubber beim besten Willen nicht unterschieben. Und gerade Rice bemühte sich offenbar eifrig, Neofolk als ‘racially conscious music’ darzustellen – wogegen der „Experte“ Alexan­der Nym heute lieber antifaschistischen Initiativen die Schuld zuschieben will.

Und was die angebliche Unterwanderung durch ‚echte Rechte’ angeht: Richtig ist daran nur, dass es ab Mitte der Neunziger eine Annäherung von Neofolk- und NS-Black-Metal-Szene gab.

Es ist allerdings schon ein wenig dreist, auf diese Weise ausgerechnet Michael Moynihan rechtfertigen zu wollen. Eben jener hatte schließlich großen Anteil an dieser Annäherung und bemühte sich z.B. mit seinem Label Storm Records eifrig, der NSBM-Szene bessere Vertriebsmög­lichkeiten zu eröffnen.

Hoppla! Neonazis!

Wir lernen: Alexander Nym ist eben kein Experte, sondern leider nur ein Insider, was in dem Fall ein riesiger Unterschied ist – in der Neofolk-Szene kann man sich eben nicht unbedingt darauf verlassen, was ein Musiker einem erzählt.

Gerade wegen Nyms Insider-Status lohnt es sich allerdings, genauer hinzuhören, was er sagt. Und schließlich ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn nachdem er im Fall von Blood Axis noch eifrig bemüht war, jedes Problem zu leugnen, zeigte sich Nym plötzlich umso betroffener von den „offen aggressiven Verhaltensweisen, die bei der neujährlichen ‚Neofolk-Rauhnacht’ in der Leipziger Theaterfabrik gezeigt wurden“. [zur ‚Neofolk-Rauhnacht‘ siehe unten, Exkurs 3]

Zu diesen Verhaltensweisen zählt Nym z.B. das „wiederholte Zeigen des Hitlergrußes während des Auftritts von Triarii“. (Genau gesagt machte ein Musiker auf der Bühne den ‚römischen Gruß’, aus dem Publikum wurde mit Hitlergrüßen geantwortet.) Desweiteren pöbelten „österrei­chische ‚pan-germanische’ Schlägertypen einen Konzert­gänger an, weil dieser kein Deutsch sprach (nicht der einzige Zwischenfall dieser Art). Andere brachten Trinksprüche für ein ‚judenfreies neues Jahr’ aus, ohne das kleinste Anzeichen von Selbstironie, politischer Satire oder schwarzem Humor (nicht, dass irgend­was davon etwas so Geschmackloses rechtfertigen würde).“

Die Zitate stammen aus einem englisch­sprachigen Text, den Nym Mitte Februar unter dem pathetischen Titel „Ruf zu den Waf­fen“ auf der Website des Industrial Culture Research Net (7) veröffentlichte. Die Neofolk-Szene, so der Tenor, drohe von Neonazis unterwandert zu werden. Da müsse man jetzt aber doch mal was tun.

Denn eigentlich hatte die Szene mit Nazis nie was am Hut, die ganze Nazisymbolik sei immer nur Provokation gewesen, und überhaupt seien die Neofolker, so Nym, seiner langjährigen Szene-Erfahrung nach „eher gefühlsbetont, verletzt, unkonventionell, die Ausgestoßenen und Verbannten, insgesamt intelligenter und emotionaler als das übliche testosterongeladene Rockpublikum.“ Zumindest, wenn man die bösen NS-Black-Metaller vergisst, die die Szene unterwandert haben…

Wenn jedoch Zwischenfälle wie bei der „Neofolk-Rauhnacht“ zur Norm würden, so Nym, würde es der „eher gesittete, freundlich gesinnte Neofolker (der sehr oft über hohe Bildung und ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt) vielleicht eher ver­meiden, in potentiell gefährliche Situationen zu geraten. Er würde nicht hunderte Ki­lometer reisen und die Hotelkosten zahlen, um obskure Bands zu sehen und Gleich­ge­sinnte zu treffen, um dann dafür angegriffen zu werden, dass er ‚nicht Nazi genug’ sei.“

Man merkt, hier spricht ein Snob. Statt politische Überzeugungen zu kritisieren, stößt Nym sich nur an schlechten Umgangsformen und schlechtem Geschmack. Oder um es mal polemisch zu verkürzen: Gegen Nazis hat er gar nichts einzuwenden – er hat nur was gegen Naziproleten. Wer über Abitur und gutes Einkommen verfügt, muss jedenfalls nicht befürchten, von Nym als Neonazi oder Rassist erkannt oder gar kritisiert zu werden.

Schließlich gedeihen seiner Meinung nach „Rassismus, Bigotterie und Ignoranz vor allem unter einfachen Gemütern, den Ungebildeten und sozial Benachteiligten“. Also vor allem unter den arbeitslosen Bewohnern ostdeutscher Plattenbausiedlungen. Als Rassismusexperte bewegt Nym sich damit locker auf dem Niveau der Bild-Zeitung von ungefähr 1992.

Mehr Widersprüche!

Freilich ist nicht alles falsch, was er sagt. So betont Nym zu Recht, dass die Szene seit langem stagniert, sowohl was ihre Größe, als auch was ihre Inhalte betrifft: „Philosophisch beschränkt sich der Referenzrahmen des Genres zunehmend auf einen ‚provokanten’ Kanon von Figuren der konservativen Revolution, des 2. Weltkriegs und der Neuen Rechten […] Ästhetisch gesehen war der Zug schon abgefahren, als der Begriff ‚Neofolk’ geprägt wurde. Neue Impulse sind nicht zu erkennen.“

Bahnbrechend avantgardistische Werke sollte mensch von der selbsternannten ‚konservativen Avantgarde’ eben nicht erwarten. Und was die Provokation angeht, ist die Neofolk-Szene mittlerweile unge­fähr so provokant wie eine Schnabeltasse – vor allem an­gesichts eines Publikums, dass exakt so eine ‚Provokation’ erwartet.

Folgerichtig beklagt auch Nym die lähmende Langeweile, die nicht nur ihn während des Triarii-Konzerts ergriff: „Was die Band vor einem Publikum spielen ließ, dass sich nicht im Geringsten provoziert fühlte, noch irgend etwas von den angeblichen Widersprüchen bemerkte, auf welche die Neofolk-Szene so stolz ist. Vielleicht, weil es keine solchen Widersprüche gab? Während die Musiker dafür bekannt sind, Sympathien für die Nazi-Diktatur zu hegen, bot ihre Performance keine ästhetischen Brüche oder Denkanstöße, um jene zu verstören oder zu verwirren, die vor der hohlen Simulation monumentaler Heldenhaftigkeit in platter Bewunderung versanken.“

Tja, so was kommt von so was. Wer mit dem Dritten Reich sympathisiert, der will mit der Verwendung von Nazi-Symbolik nun mal keine Verstörung, sondern Zustimmung erreichen, zielt also nicht auf Provokation, sondern auf Propaganda ab. Dass das Ergebnis dann furchtbar eindimensional ist, versteht sich von selbst – um genau diese eine Dimension geht´s bei Propaganda ja gerade. Es wäre witzlos, ihr das vorzuwerfen.

Genau das tut Nym aber, der mit Blick auf Triarii klagt: „Es wäre viel interessanter (und lustiger) gewesen, wenn sie sich selbst nicht als platt affirmative, sondern widersprüchliche Künstler präsentiert hätten, nicht als reine Verkörperungen ihrer Lieblings-Ästhetik, und dem Publikum etwas zum Nachdenken gegeben hätten, statt eine muffige Feier [des Dritten Reichs].“

Klar. Wenn Landser keine Nazi-Band wären, dann würden sie auch bessere Texte schreiben… Aber weil Nym eben glaubt, es ginge im Neofolk irgend­wie um Provokation und Denkanstöße, unterstellt er der Band, sie würde es eigentlich nicht so meinen, sie könnte und wollte doch eigentlich intelligente, herausfordernde Kunst machen, die über blanke Affirmation hinausreicht. Es braucht vermutlich langjährige Szene-Erfahrung, um das für logisch zu halten…

So ist es auch gut gemeint, aber wenig aussichtsreich, wenn Nym dazu aufruft, doch zum eigentlichen Gehalt der Sache, zur Provokation zurückzukehren, und rhetorisch fragt: „Wie würdest du reagieren, wenn beim nächsten Neofolk/Martial-Industrial-Gig jemand in deiner Nähe den römischen Gruß machen oder auf der Bühne Sieg Heil! rufen würde? Richtig, du würdest dich nicht drum kümmern. Vielleicht würdest du mit den Schultern zucken bei solch einem deplatzierten Zeichen des Mangels an eigenständigem Denken. Aber du würdest dich wohl nicht trauen, dem entgegenzutreten“…

Wir erinnern uns: Einige Zeilen weiter oben wurde noch gewarnt, Hitlergrüße und ähnliche „Geschmacklosigkeiten“ könnten von der Ausnahme zur Norm werden – jetzt sagt Nym, dass Hitlergrüße bei Neofolk-Konzerten ganz alltäglich sind. Aber natürlich ist auch das Hit­lergrüßen eigentlich nicht so gemeint, nur Ausdruck eines „Mangels an eigenständigem Denken“ und nicht etwa von politischer Überzeugung. Weil die geäußerten Gedanken so furchtbar doof sind, können es eben nicht die eigenen Gedanken der Leute sein.

Na gut, auch Nym hat es eigentlich nicht so gemeint: ‚Mangel an eigenständigem Denken’, das ist so ähnlich wie ‚geschmacklos’, nur eine Phrase. Das sagt man eben so, wenn man politische Einstellungen kritisieren will, ohne inhaltlich darauf einzugehen. Mit Inhalten will Alexander Nym sich nicht beschäftigen, folglich muss er das Problem als reine Formfrage behandeln. Im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten der Szene haben die bei der ‚Neofolk-Rauhnacht’ anwesenden Neonazis eine eindeutige Aussage gemacht – diese ‚Geschmacklosigkeit’ ist das einzige, was Nym ihnen vorzuwerfen weiß.

justus

(1) www.l-iz.de/Kultur/Musik/2011/08/Neofolk-in-der-Theaterfabrik-Barditus-Andrew-King-Blood-Axis.html
(2) So klagte King, der Westen habe seine „kulturelle und moralische Überlegenheit“ verloren, und sprach von einem „Rassengedächtnis“, an das er mit seiner Musik appelliere. Mehr dazu unter www.whomakesthenazis.com/2011/06/andrew-king-and-traditionalism.html
(3) siehe newdawnfades.blogsport.de/2008/04/03/rechte-neofolk-konzerte-in-halle/
(4) www.l-iz.de/Kultur/Musik/2011/06/Theaterfabrik-Leipzig-Neofolk-Band-Blood-Axis.html
(5) Moynihan, Rice und Mason traten Anfang der 90er auch gemeinsam in der Show des TV-Predigers Bob Larson auf. Eine Audiodatei davon ist auf der Website von Boyd Rice leicht zu finden.
(6) www.l-iz.de/Kultur/Musik/2011/06/Blood-Axis-in-der-Theaterfabrik-Extremismusstelle-Veranstalter-Stimmen.html
(7) siehe icrn.blogspot.com/2012/02/alexander-nym-call-to-arms.html

Exkurs 1: Boyd Rice & Michael Moynihan

Der Industrial-Musiker Boyd Rice hat durch sein seit 1975 bestehendes Projekt NON einen gewissen Kultstatus in der Szene. Rice ist Mitglied der Church Of Satan. 1984 gründete er die Abraxas Foundation, einen ‚satanistisch-faschistischen think tank’, dem auch Michael Moynihan 1989 beitrat. Im selben Jahr ging Moynihan mit Rice auf Japantournee, und arbeitete auch in der Folge eng mit diesem zusammen. Eine Zeitlang teilten sich die beiden sogar ein Appartement *.

Anfänglich eher dem Satanismus und Nazi-Okkultismus zugeneigt, wandte Moynihan sich später dem Heidentum zu. In politischer Hinsicht vertritt er mittler­weile einen völkischen Regionalismus, eine Ordnung von „kleinen, homogenen Stammesgesellschaften“ jenseits des Nationalstaats**.

Mit der NSDAP hat das nur bedingt etwas zu tun, vielmehr bewegt Moynihan sich damit voll im Mainstream der US-amerikanischen Rechten. Diese hegt seit jeher großes Misstrauen gegenüber der Washingtoner Zentralregierung, die verdächtigt wird, sich mit fremden Mächten gegen das eigene Volk verbündet zu haben – die ‚ZOG’, die ‚zionist occupation government’ ist ein fester Begriff in der amerikanischen Rechten. So ist der wichtigste Bezugspunkt für die rechten Militias auch nicht der Nationalstaat, sondern vielmehr die eigene Scholle, die man notfalls auch mit der Knarre verteidigen will.

* siehe oraclesyndicate.twoday.net/stories/605560/
** www.radicaltraditionalist.com/tyr.htm

Exkurs 2: Death In June, Current 93, Above The Ruins…

Die Band Death In June wurde 1981 von Douglas Pearce und Tony Wakeford gegründet. Diese beiden waren zuvor in trotzkistischen Gruppen aktiv gewesen, begannen aber nun, sich für den ‚national-bolschewistischen’ Flügel der NSDAP zu interessieren. 1982* trat Tony Wakeford der National Front bei. Nachdem dies 1984 publik wurde, stieg Wakeford bei Death In June aus und gründete noch im selben Jahr die Band Above The Ruins.

Ein Mitglied dieser Band war Gareth Smith, zeitgleich in den Neonazi-Organisationen Blood & Honour bzw. Combat 18 aktiv. Parallel zu Above The Ruins spielte Smith bei der Naziskin-Band No Remorse (nicht bei Skrewdriver). Smith war auch noch dabei, als Above The Ruins sich 1987 in Sol Invictus umbenannten.

Ein weiteres Mitglied von Above The Ruins/Sol Invictus war Ian Read. Read spielte parallel auch bei Current 93 und Death In June mit. Um 1990 herum leitete er den Wachschutz bei diversen Neonazi-Kongressen**.

Etwa 1988 trat Tony Wakeford bei der National Front aus . Smith und Read mussten Sol Invictus verlassen. Wakeford, pflegte aber noch lange nachher Kontakte, etwa zum NF-Aktivisten Richard Lawson. Dieser machte z.B. bei Wakefords Hochzeit 1998 den Trauzeugen.

David Tibet gründete 1983 Current 93. Ab 1985 wirkte er bei Death In June mit, später auch bei Sol Invictus. Eine Zeitlang wohnte er auch mit Ian Read und Douglas Pearce zu­­sammen, 1988 teilte er sich eine Wohnung mit Tony Wakeford, der zu der Zeit bei Current 93 den Bass übernahm***. Trotz dessen hat Tibet sich später vehement und durchaus glaubwürdig von Fa­­schismus und Rassismus distanziert.

* www.whomakesthenazis.com/2010/09/tony-wakeford-on-manoeuvres.html
**siehe www.stewarthomesociety.org/wakeford.html bzw. FA! #33
***siehe www.stewarthomesociety.org/wakeford2.htm

Exkurs 3: Neofolk-Rauhnacht

Bei diesem Neujahrskonzert traten rechtsoffene Bands wie Dernière Volonté und Triarii auf. Organisiert wurde das Konzert von der Equinoxe Organization*, einer Veranstaltungsgruppe, die nicht nur politisch unbedenklichen Bands (etwa Brighter Death Now und Gerechtigkeits Liga im November 2011) ein Forum bietet, sondern auch zwielichtigen bis neonazistischen wie Death In June oder Der Blutharsch.

Neofolk-Silvesterpartys wie die ‚Rauh­nacht’ haben in Leipzig schon eine gewisse Tradition. Ähnliche Veranstaltungen wurden vom rechten Label Eis & Licht über mehrere Jahre im Leipziger Hellraiser-Club organisiert. Als unange­kün­digter „Special Act“ traten dort auch Von Thronstahl auf – eine Band, deren Frontmann Josef Klumb u.a. durch seinen Hang zu antisemitischen Verschwö­rungstheorien und seine Kontakte zu organisierten Neonazis bekannt ist (s. FA! #34).

*siehe dazu auch www.conne-island.de/nf/182/21.html

Lokales

Bundeswehr rüstet auf und ab

Schießanlage im Zeitzer Forst geplant

Zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt, nahe Zeitz müssen bald ca. 7000 qm Wald einer neuen Schießanlage weichen. Satte 10 Millionen Euro lässt das Bundesverteidigungsministerium springen, um künftigen Soldat_innen in Auslandseinsätzen das scharfe Schießen unter mög­lichst geringer Wegezeit beizubringen. Die Bürgerinitiative „Kein Schuss im Zeitzer Forst“ macht dagegen mittels Unterschriftensammlung und geplantem Ostermarsch (9.4.2012) mobil. Sie bringen dabei den ganzen Zeitzer Forst als Natur- und Naherholungsgebiet in Stellung – obgleich große Teile unbegehbar sind, weil sie entweder schon von der Bundeswehr für die Übungen genutzt werden oder noch durch die ehemalige Nutzung der Sowjetsoldaten „munitionsbelastet“ sind.

Die geplanten Investitionen in Waffentechnik in Zeitz sind übrigens nur ein Bruchteil von den 1,3 Milliarden Euro, die der Verteidigungsminister Thomas de Maizière ausgeben wird, um künftig effizienter und stärker in Auslandseinsätzen agieren zu können. Die infrastrukturelle und technische Ausstattung der Bundes­wehr­standorte ist Teil einer sog. „qualitativen Aufrüstung“ der Bundeswehr (siehe FA!#40). Und sie ist die Kehrseite einer vermeintlichen Abrüstung, wie sie auch im Oktober letzten Jahres mit der Bekanntgabe der Standortschließungen suggeriert wurde. Denn von 400 Standorten werden tatsächlich 136 geschlossen und die Anzahl der Dienstposten soll von 281 500 auf 197 500 sinken. Ein Großteil dessen wird im Norden Deutschlands und in NRW abgezogen.

Die General-Olbricht-Kaserne in Leipzig bleibt uns indes leider auch in Zukunft erhalten – dafür ist ihre geografische Lage nahe dem Militärflughafen (Nato-Drehkreuz) Halle-Leipzig nur zu günstig. Allerdings soll dort die 13. Panzergrenadierdivision aufgelöst werden – das Hauptquartier quasi, das über eine ca. 11.000 Menschen umfassende Truppe sog. Stabilisierungskräfte verfügt hat, die bspw. in Afghanistan eingesetzt werden. Aber da auch hier Ab- und Aufrüstung zwei Seiten der Medaille sind, wird aus der Dienststelle eben auch gleich eine neue gebildet: das Ausbildungskommando für das Heer.

Ja, in der Bundeswehrwelt bewegt sich was – verbessern tut sich jedoch nichts. Da lohnt es sich doch mehr mit dem Ostermarsch am 7. April gegen Kriegseinsätze auf und ab zu radeln – und zwar vom Leipziger Bahnhof ab 12 Uhr über die Olbricht-Kaserne zum Nato-Flughafen.

momo

Denk ich an Dessau in der Nacht…

Ob mit Nazi-Demonstrationen, rassistischen Vorfällen, einem rechtslastigen Fußballverein, polizeilichem Fehlverhalten oder fragwürdigen Gerichtsent­schei­dungen – die Vielfalt und die Hartnäckigkeit mit der sich die Stadt Dessau in den Negativschlagzeilen hält ist beachtlich, wenn nicht gar rekordverdächtig. Traurige Höhepunkte bildeten zwei Todesfälle, die auch überregionale Beachtung fanden: Alberto Adria­no, der im Jahr 2000 von Neonazis zu Tode geprügelt wurde und Oury Jalloh, der 2005 unter weiterhin ungeklärten Umständen im Gewahrsam in einer Polizeizelle verbrannte.

Diese „Dessauer Verhältnisse“, so die Sammelbezeichnung im lokalen linksalternativen Spektrum (1), lassen auch hartgesottene Kenner der (ost)­deu­­tschen Provinzgesellschaft schockiert und kopfschüttelnd innehalten. „Den rassistischen Konsens brechen, Dessauer Verhältnisse angreifen!“ war dann auch das Motto einer Demo, an der Ende Februar diesen Jahres einige hundert Leute teilnahmen. Es hätten einige Tausende sein müssen. Verdient wäre es in jedem Fall.

Vorangegangen waren zwei Ereignisse, die in keinem direkten Zusammenhang miteinander stehen, die aber eben genau dort gründen, wo in Dessau so vieles verortet ist: im ganz banalen einvernehmlichen Rassismus.

Das eine Ereignis bezieht sich auf den Polizeieinsatz bei der diesjährigen Demonstration zum Gedenken an Oury Jalloh am 7. Januar. Hier war die Polizei massiv gegen Personen vorgegangen, die die Parole „Oury Jalloh – das war Mord!“ skandierten. Dabei wurde unter anderem der Anmelder der Demonstration, der Guineer Mouctar Bah, bewusstlos geschlagen. Dieser hatte sich in den vergangenen Jahren sehr offensiv in einer Initative für die Aufklärung der Todesumstände Jallohs eingesetzt. Und diese Forderung beinhaltet nun einmal, dass von Seite der ermittelnden Behörden auch die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, dass Jalloh sich damals 2007 nicht selbst angezündet hat, wie immer behauptet, sondern von den anwesenden Beamten getötet wurde. Eine schwerwiegende Forderung angesichts der möglichen Konsequenzen, der wohl auch deshalb bis heute nicht nachgekommen wurde. Und eine Forderung, die bei der Polizei auf wenig Gegenliebe stößt. Weshalb diese nun offenbar den Zeitpunkt für gegeben sah, zurückzuschlagen und den Störenfrieden mal zu zeigen, wo der Hammer hängt.

Das hier gezeigte Ausmaß polizeilicher Repression hat nicht nur szeneintern für Empörung gesorgt. Der direkte Zusammenhang mit dem immer noch laufenden Prozess zum Fall Oury Jalloh hat auch verschiedene NGOs und einige Parteipolitiker zu deutlicher Kritik angeregt. Diesen zufolge hat die Dessauer Polizei willkürlich und ohne irgendeine rechtliche Handhabe die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Demonstrant_innen missachtet. Es werden zudem rassistische Motive vermutet. Das einzig Gute an der ganzen Sache: Neben der Kennzeichnungspflicht von Beamten im Einsatz wird nun von verschiedenen Seiten auch die Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungsinstanz im Falle von polizeilichem Fehlverhalten gefordert.(2)

Das zweite Ereignis, das den Auslöser für die Demonstration im Februar lieferte, war eine Messerstecherei Mitte Januar in der Dessauer Innenstadt. Hier soll ein afrikanischer Asylbewerber einen Mann schwer verletzt haben – ausgerechnet einen Spieler eben jenes lokalen Fußballvereins ASG Vorwärts, bei dem sich Neonazis nicht nur im Fanblock tummeln, sondern auch im Verein, als Trainer und Spieler (3). In Folge des Vorfalls kam es gleich zu zwei Demonstrationen, die von stadtbekannten Angehörigen des rechten Spektrums initiiert wurden und an denen auch viele Neonazis teilnahmen, die sich mit Sprechchören auch deutlich zu erkennen gaben. Zu diesen gesellten sich auch unzählige vermeintlich „normale Dessauer Bürger“ , die die Gelegenheit nutzten, ihrer Wut gegen Gewalt und Kriminalität von Ausländern im Besonderen und Allgemeinen Luft zu machen.

Das ohnehin schon abweisende Klima gegenüber Minderheiten und ganz besonders gegenüber „den Negern“ – sowas hört man in Dessau häufiger – hat sich also nochmal verschlechtert. Und so schloss der Aufruf zur Februar-Demo auch folgerichtig: „Angesichts dieser neuen Dimension des rassistischen Normalzustandes ist eine klare, antifaschistische und antirassistische Intervention in der Stadt von Bauhaus und Zyklon B bitter nötig.“ Dem ist wenig hinzuzufügen. Außer Unterstützung. Ja, die hat Dessau verdient. Nicht weil es Dessau ist, sondern weil sich hier ein paar Menschen weiterhin gegen die herrschenden Zustände auflehnen, sich nicht mit ihrer Opferrolle abfinden, sondern sich zusammenschließen und ihren Ansichten Ausdruck verleihen. Vor allem auch deshalb, weil es in unserer zersplitterten, zerstrittenen und von Zweifeln geplagten Szene so selten passiert, dass Mi­grant_innen, Antifa und antirassistische Initiativen nicht nur das gleiche fordern, sondern tatsächlich gemeinsam aktiv werden.

teckla

(1) dessauerverhaeltnisse.blogsport.de
(2) u.a. Amnesty International: www.amnestypolizei.de
(3) Hintergründe dazu bspw. www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1183521/

Lokales

Die Erwerbsloseninitiative Leipzig informiert:

Sozialgericht Leipzig stellt fest: Die Richtlinie der Stadt zur Übernahme von Kosten der Unterkunft (KDU) ist rechtswidrig

Viele Alg-II-Empfänger in Leipzig werden zu Unrecht aufgefordert, in billigere Wohnungen umzuziehen. Sie stehen dann vor der Wahl zwischen Pest und Cholera – entweder umzuziehen in eine kleinere Wohnung oder aber einen Teil der Miete aus den sowieso spärlichen Regelleistungen tragen zu müssen.

Dabei ist ein Umzug meist nicht notwendig und das Jobcenter ist zur Übernahme der gesamten Kosten der Wohnung auch weiterhin verpflichtet. Denn die von der Stadt Mitte 2011 mit viel Pomp eingeführte neue Richtlinie zu den Kosten der Unterkunft ist rechtswidrig. Ohne rechtmäßige Richtlinie muss das Jobcenter aber weit höhere Kosten tragen, als in der KDU-Richtlinie vorgesehen.

Die Rechtswidrigkeit der Richtlinie hat nun auch das Sozialgericht Leipzig bestätigt.

Dies führt leider aber nicht dazu, dass das Jobcenter nun auf die Anwendung dieser Richtlinie verzichten würde. Dies zeigt schon ein Blick in die Vergangenheit: Bereits die alte KDU-Richtlinie der Stadt war rechtswidrig. Dies musste das Bundessozialgericht sogar in zwei Entscheidungen feststellen. Trotzdem wendete das Jobcenter diese Richtlinie noch mehrere Jahre an, zwang also eine Vielzahl von Alg-II-Empfängern rechtswidrig zu Umzügen oder zahlte ihnen weniger für die Miete. Erst nach massivem öffentlichen Druck wurde im Mai 2011 eine neue Richtlinie erlassen.

Grund für das Verhalten des Jobcenters ist eine eiskalte wirtschaftliche Berechnung: Die meisten Betroffenen werden sich mit den rechtswidrigen Zwangsumzügen oder der nicht vollständigen Übernahme der Miete abfinden. Spätestens wenn der Widerspruch, der ebenfalls durch Jobcentermitarbeiter entschieden wird, kein anderes Ergebnis bringt. Nur ein kleiner Teil wird sein Recht vor den Sozialgerichten geltend machen. Die Mehrkosten, die durch das gerichtliche Verfahren entstehen, sind im Vergleich zu den Geldern, die das Jobcenter durch die Anwendung der rechtswidrigen KDU-Richtlinie einspart, verschwindend gering.

Wir nennen das Sozialbetrug an den Hartz-4-Empfängern!

Wer ist betroffen?

a) Alle, die nicht die volle Miete mit Heizkosten vom Jobcenter gezahlt bekommen.

b) Alle, die eine Aufforderung zum Umzug bekommen haben.

c) Alle, die sich gerade auf Wohnungssuche befinden und die Zustimmung zum Umzug auf Grund der Kosten der neuen Wohnung nicht erteilt bekommen haben.

Was ist zu tun?

Lasst Euch möglichst schnell von einem Rechtsanwalt beraten. Der Rechtsanwalt sollte entweder ein Fachanwalt für Sozialrecht sein, oder sich schon mit dem Thema befasst haben. Auf jeden Fall braucht ihr nicht mehr als 10,- Euro für die Beratung und die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezahlen. Denn für Alg-II-Empfänger gibt es Beratungs- und Prozesskostenhilfe.Wird mehr von Euch verlangt, geht zu einem anderen Rechtsanwalt.

Überprüfungsantrag

Falls Euch das Jobcenter schon jetzt nicht die volle Miete zahlt, Eure Alg-II Bescheide aber schon älter als einen Monat sind, ist auch für die Vergangenheit noch nicht alles verloren. Ihr könnt nämlich einen Überprüfungsantrag stellen. So sind alle Alg-II-Bescheide, die bis Anfang 2011 eingegangen sind, noch überprüfbar! Bitte achtet darauf, dass ihr die Überprüfungsanträge belegbar beim Jobcenter abgebt. Am besten ist der Eingangsstempel auf einer Kopie. Falls das Jobcenter Euch den verweigert, dann werft den Überprüfungsantrag zusammen mit einem Bekannten ein und lasst Datum und Uhrzeit des Einwurfes von dem Bekannten auf einer Kopie des Schreibens bestätigen.

Treffen unserer Erwerbsloseninitiative

Wir laden Euch herzlich ein zu unseren Treffen zu kommen, um gegen die rechtswidrigen Praktiken des Jobcenters gemeinsam aktiv zu werden. Mehr Informationen findet Ihr unter: elo.blogsport.de

Lokales

Kommt Zeit, kommt Arbeit

Leiharbeit bei BMW Leipzig

Wo wäre Deutschland bloß ohne seine Leiharbeiter_innen? 75% der Arbeitsverträge, die im letzten Jahr abgeschlossen wurden, betrafen sog. „atypische Arbeitsverhältnisse“. Rund ein Viertel aller Beschäftigten werkelt heute im Niedriglohnsektor vor sich hin. Deutschland zeigt, wie man es machen muss: Wenn die Löhne nur tief genug sind, dann klappt´s auch mit der Konjunktur.

Was im Großmaßstab recht ist, ist im Kleinen nur billig: Auch bei BMW Leipzig spielen die Leiharbeiter_innen eine wichtige Rolle. Seit Eröffnung des Werkes im Jahr 2005 ist ein knappes Drittel der dortigen Belegschaft in Zeitarbeit tätig – derzeit 1100 von gesamt 3800 Angestellten, in allen Bereichen der Produktion von der Fließbandarbeiterin bis zum Ingenieur. Die Verträge sind jeweils auf ein Jahr befristet und werden nach Bedarf verlängert.

Im Dezember 2011 verweigerte der Betriebsrat aller­dings seine Zustimmung, als die Geschäftsleitung 33 neue Zeitar­bei­ter_innen anheuern wollte. Die Zeitarbeit müsste endlich reduziert werden, fand der Betriebsrat, die Leute bräuchten feste Verträge. Die BMW-Geschäftsleitung klagte daraufhin beim Leipziger Arbeitsgericht, um ihren Willen auf diesem Wege durchzusetzen.

Am 15. Februar 2012 hat das Gericht nun in einem ersten Verfahren der Geschäftsleitung recht gegeben: Der Betriebsrat sei nicht befugt, auf diese Weise gegen die Besetzung von Stellen mit Leiharbeitern vorzugehen.

In einer anderen, für den Betriebsrat entscheidenden Frage erklärte sich das Gericht schlicht für nicht zuständig: Das Verfahren sei nicht geeignet, um zu klären, wie lange jemand legitimerweise in Zeitarbeit beschäftigt werden dürfe. Im §1 des Ende 2011 novellierten Gesetzes zur Arbeit­nehmerüberlassung wird Leiharbeit als „vorübergehende Beschäftigung“ definiert – die genaue Bedeutung des Wortes „vorübergehend“ bleibt dabei allerdings unklar.

So sind manche BMW-Beschäftige schon seit acht Jahren in Leiharbeit tätig. Der Betriebsrat konnte zwar durchsetzen, dass die Leiharbeiter_innen mittlerweile den gleichen Lohn wie die Festangestellten erhalten – allerdings abzüglich der weiteren Zuschläge wie z.B. Weihnachtsgeld. Auch vor möglichen Entlassungen sind sie deutlich schlechter geschützt.

Von gewerkschaftlicher Seite wird aber auch die Ausglie­de­rung bestimmter Teilaufgaben in Logistik- und Zulieferfirmen kritisiert. Bei diesen Firmen arbeiten in Leipzig etwa 2000 Menschen, wovon die Festangestellten meist deutlich schlechter bezahlt werden als die direkt bei BMW Beschäftigten. Und auch diese Zulieferfirmen beschäftigen Leiharbeiter_innen, die wiederum schlechter bezahlt werden als die Festangestellten.

justus

Lokales

Rote Beete? – Selbstorganisiertes Gemüse in Leipzig…

Eine andere Landwirtschaft ist möglich!

Ernährung ist ein riesiges und komplexes Thema. Darüber was gesund ist, gibt es viele Mythen, Überzeugungen und Grabenkämpfe. Bezieht mensch dazu noch die Produktionsbedingungen, die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Anbaus mit ein, so bleibt auch das etablierte „Bio-Siegel“ kein fester Anhaltspunkt. Immer mehr Firmen geben sich zwar „grün“, sind es aber deswegen noch lange nicht. Durch Monokulturen, Dumping-Löhne und den erdölverschlingenden Transport- und Verpackungswahn unterscheidet sich die Bio-Produktion teilweise von der konventionellen immer weniger, gerade bei den Discountern. Vollends verwirrend wird es, wenn Bio-Äpfel aus Südamerika von „Experten“ eine bessere CO-2 Bilanz bescheinigt bekommen als die Äpfel vom Kleinbetrieb in der Region (1) und Tomaten, Erdbeeren und Co. das ganze Jahr über als “Bio” in den Läden stehen.

Auf der anderen Seite ist es für die produzierenden Landwirte quasi unmöglich unter den Marktzwängen ein gutes Produkt herzustellen, in bäuerlicher Landwirtschaft, die keinen Raubbau am Boden betreibt, sondern die Natur- und Kulturlandschaft pflegt. Meist bleibt nur die Wahl entweder die Natur oder sich selbst auszubeuten. Ihre Existenz bleibt im Kapitalismus jedenfalls immer abhängig von Subventionen und den (Welt-) Marktpreisen.

Ein anderer Anbau ist möglich

Um sich sicher zu sein, wie das Gemüse produziert wurde und woher es kommt, gibt es nicht nur den individualistischen Weg des eigenen Anbaus. Sich teilweise selbst zu versorgen, verspricht Muße, gesundes Gemüse und einen Schritt zu mehr Unabhängigkeit. Da dies aber im Alleingang für viele weder sinnvoll noch machbar ist, wollen wir es gemeinsam versuchen. Dadurch wird nicht nur der Grad der Versorgung gesteigert, sondern es kann auch eine kollektive Selbstorganisation gelebt werden. Das ist unsere Idee der „solidarischen Landwirtschaft“, die wir auf 5 Hektar Land in Sehlis (bei Taucha) umsetzen wollen. Wir leben teilweise in einer Kommune vor Ort, teilweise in der Stadt und suchen nun Menschen die mit uns eine Gemüsekooperative beginnen möchten. In Deutschland bestehen bereits 23 Höfe, die sich zu mehr als 50% über die solidarische Produktion finanzieren (2) und in Japan, wo das Prinzip in den 60er Jahren entstanden ist, sind etwa ein Viertel der Haushalte an einem solchen Projekt beteiligt (3).

Um den anonymen Markt zu umgehen, organisieren sich GärtnerInnen und „VerbraucherInnen“ gemeinsam und entscheiden so ohne Konkurrenzdruck über Aspekte, die ansonsten fast unmöglich sind. Zum Beispiel die Entscheidung samenfeste Sorten zu verwenden, um von großen Saatgutfirmen und biotechno­logisch hergestellten Hybridsaatgut unabhängig zu werden und ein Sortenspektrum zu erhalten, dass an die Bedingungen vor Ort angepasst ist (4). Ein weiteres Anliegen ist es uns, die Bodenfruchtbarkeit durch Gründüngung, Kompostwirtschaft und Zwischenfrüchte gezielt zu fördern. Damit ist der Anbau kein Raubbau am Boden, sondern unterstützt das Bodenleben und den Humusaufbau.

Sich gemeinsam selbst organisieren

Der Schritt Richtung Ernährungssouverä­nität und nicht-entfremdeter Produktion verlangt natürlich eigene Mitarbeit, Zeit und Willen zur Selbstorganisation – Gemüseanbau ist eine langfristige Angelegenheit. Das Ziel ist es, den kompletten Gemüse-Bedarf der Mitglieder abzudecken. Im ersten Jahr wird die Ernte allerdings erst im September beginnen und deswegen vor allem aus Wintergemüse bestehen (für einen genaueren Überblick siehe Kasten). Die Abneh­merInnen verpflichten sich jeweils für eine ganze Saison. Denn nur so kann die nötige Pla­nungs­sicherheit erreicht werden, kann überhaupt bestimmt werden wie viel angebaut wird. Sich zu verpflichten muss nicht heißen das Gemüse das ganze Jahr auch selbst zu essen, sondern Verantwortung für die Abnahme und den Mitgliedsbeitrag zu übernehmen. Das kann beinhalten, eine Ersatz-Person zu finden oder im Falle einer WG, die neuen Bewohner­Innen an dem Projekt teilnehmen zu lassen. Gemeinsam anzubauen heißt auch wirklich auf dem Feld mitzuarbeiten, oder eine der anderen Aufgaben zu übernehmen, die in der Kooperative anfallen. Drei Tage im Jahr soll jedes Mitglied beim Anbau helfen, schließlich geht es nicht um eine Dienstleistung. Die Mitarbeit schafft nicht nur den direkten Kontakt zum eigenen Gemüse, sie ist auch ganz einfach nötig, um die Kosten zu senken. Außerdem wird auch alles gewachsene Gemüse konsumiert, sei es nun die zweibeinige Möhre oder auch mal ein etwas geplatztes Kohlrabi. Ohne Erfahrung in der Landwirtschaft ist es schwer vorstellbar, wie viel Gemüse aussortiert wird und dann verrottet – sei es durch zu kleines Wachstum, „unschöne“ Optik, oder einfach mangelnde „Nachfrage“.

Vom Hof in Sehlis wird das Gemüse einmal die Woche in die Verteilstationen gebracht, die von den abholenden Personen vor Ort organisiert werden. Im Sommer wird klar werden wie groß der Bedarf in den einzelnen Stadtvierteln ist, und falls ihr über Räume verfügt die dafür geeignet wären, freuen wir uns über eine Nachricht (5). Die Ausgestaltung der Verteilung liegt natürlich bei den Mitgliedern, doch wollen wir der „Verteilung mit der Feinwaage“ eine bedürfnisorientierte und rücksichtsvolle Verteilung entgegenstellen. Niemand soll Gemüse nehmen müssen, dass er/sie nicht mag und begehrte Produkte sollen rücksichtsvoll geteilt werden.

Geld und Politik

Trotz all dieser Vorteile kostet das Ganze natürlich Geld. Nicht nur brauchen die GärtnerInnen Geld für ihr Leben, auch die Maschinen und der Boden wollen finanziert werden. In der Zukunft ist es das Ziel, die Produktionsmittel vom Besitz der Kooperative zu entkoppeln und sie in eine Stiftung zu überführen, um sie unwiderruflich zu entprivatisieren. Um den Zugang zur Kooperative trotzdem nicht vom Geldbeutel abhängig zu machen, ist der Umgang mit Geld für uns ein zentraler Aspekt der Projekt-Gestaltung. Zum verfolgten Anspruch, Lebensmittel nicht mehr als Waren zu behandeln, gehört nicht nur die Loslösung vom „Kilopreis“, sondern auch ein flexibler Mitgliedsbeitrag, der bei der Gründungssitzung am 22. April 2012 in einer anonymen Bietrunde selbst bestimmt wird. Nach einer Übersicht über die anfallenden Kosten werden die Mitglieder ihren möglichen monatlichen Beitrag verdeckt aufschreiben. Falls die Beiträge nicht reichen, geht es in die zweite Runde und jedeR muss sich überlegen wie viel mehr ihm/ihr das Gemüse wert sein kann. Bei bestehenden Projekten klappt diese Form der Eigenverantwortlichkeit gut und so sind wir überzeugt, dass wir uns gemeinsam das gute Gemüse leisten können, ohne Menschen auszuschließen.

Eine besondere Möglichkeit ist bei uns nun im ersten Jahr mitzumachen. Das gibt die Möglichkeit, Teil des Anfangs der Kooperative zu sein und damit die Struktur direkt auszugestalten. Je nach eigener Kapazität kann sich mensch auch stärker in die Organisation einbringen. Gerade sind wir vor allem damit beschäftigt unsere Home­page und die internen Informationswege auszubauen und den Grundstein für die spätere Rechtsform zu legen.

Auch wenn sich alles um Gemüse dreht, geht unser Selbstverständnis darüber hinaus. Wir verstehen uns als ein politisches Projekt, was für uns bedeutet, bewusst eine Alternative zum kapitalistischen Markt zu schaffen um diese Alternative auch Menschen anbieten zu können, die selbst nicht die zeitlichen oder persönlichen Möglichkeiten dazu haben. Dazu gehört auch die Unterstützung von sozialen Initiativen. Sei es der Anbau von Lebensmitteln für Camps oder Treffen, oder einfach die Abgabe unserer „Überschüsse“ an Voküs. Die Selbst­organi­sation ist natürlich ein Mittel zum Zweck, dennoch hoffen wir auch auf die verändernde Erfahrung der Zusammenarbeit. Wir wollen das Erfolgserlebnis gemeinsam unser Gemüse gepflegt zu haben, anstatt es nur passiv zu kaufen. Dabei machen wir uns keine Illusionen darüber, dass solidarische Landwirtschaft eine Möglichkeit innerhalb des kapitalistischen Normalbetriebs bleibt, aber wir halten es für eine Möglichkeit, die es sich zu ergreifen lohnt. Die Kontrolle über unsere Bedürfnisse und ihre Erfüllung muss auf allen Ebenen und gemeinsam erkämpft werden. Für Lebensmittel halten wir unseren Ansatz für durchführbar und sinnvoll.

Wir hoffen Euch einen Einblick vermittelt und Euren Hunger auf solidarisches Gemüse geweckt zu haben. Weitere Informationen und unseren Newsletter findet Ihr auf www.gartencoop.org/Leipzig.

Rote Beete

Gemüsekooperative im Aufbau

(1) „Äpfel werden mit großen Containertransporten verschifft. Pro Container ist der Energieaufwand extrem niedrig, und in einen Container gehen 20 Tonnen Äpfel. Der weite Transport ist kein Klimakiller.“ „Die Betriebsgröße ist viel entscheidender als die Marktnähe […] Viele Klein-Betriebe verbrauchen mehr Energie als ein größerer Betrieb. Wir empfehlen als Betriebs-Mindestgröße eine Jahresproduktion von 1000 Tonnen Äpfel, das entspricht 40 Hektar Anbaufläche“ (Elmar Schlich, Professor für Prozesstechnik in Lebensmittelbetrieben an der Uni Gießen, auf www.jetzt.de)
(2) Liste der Höfe auf www.solidarische-landwirtschaft.org/angebot
(3) de.wikipedia.org/wiki/Landwirtschaftsgemeinschaftshof
(4) Samenfestes Gemüse ermöglicht Saatgut selbst nachzubauen und ist zwar nicht so uniform wie das vom großen Markt geforderte, aber dafür sehr schmackhaft. Der Nachbau von eigenem Saatgut ist allerdings arbeitsintensiver und daher wird es auch uns nicht möglich sein, komplett auf Zukauf von samenfestem Saatgut zu verzichten.
(5) Wichtig ist für den Raum, dass er gut für die Mitglieder zugänglich ist und idealerweise handelt es sich dabei um einen Kellerraum ohne Fundament. Dort ist es feucht genug, damit eventuell auch größere Mengen Gemüse eingelagert werden können.
Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Landwirtschaftsgemeinschaftshof
www.solidarische-landwirtschaft.org/
jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/439709 – „Der Apfel vom nächsten Bauern – das ist Öko-Romantik pur!“

Antispe Reloaded?!

Flanierte mensch am 25. Januar diesen Jahres die Grimmaische Straße entlang, so bot sich dort ein fast schon vergessenes Protestbild. Blutverschmierte Pelze und Kreidezeichnungen mit dem hervorgehobenen „MORD“ zeigten dem_der interessierten Stehenbleiber_in, dass Galeria Kaufhof wieder in den Pelzhandel eingestiegen war.

Die Offensive gegen die Pelzindustrie (OGPI) hatte zu bundesweiten Aktionstagen aufgerufen und auch etwa 15 Personen aus Dresden und Leipzig beteiligten sich. Sie zeigten Transparente, verteilten Flyer und verspritzten fleißig Kunstblut. Ähnlich zu sehen war dies in Leipzig 2005/06 vor Peek & Cloppenburg und 2008/09 vor Breuninger. Bei letzterem blieb die regionale Kampagne erfolglos, was am allgemeinen Nachlassen des Widerstandes gelegen haben dürfte. Nicht nur das aktionistische Element verschwand. Nach den teils heftigen Debatten der Vorjahre innerhalb der linken Szene um die (Un)Sinnhaftigkeit antispeziesistischer Kritik, also die Kritik an der Ungleichwertigkeit zwischen Menschen und (anderen) Tieren, war es still um die „Bewegung“ geworden. Die jungen idealistischen Aktivist_innen der Antispeziesistischen Aktion und (anderer) Tierrechtsgruppen schienen dem Diskurs entwachsen, entpolitisiert, in materialistische oder esoterische Gefilde entschwunden.

Aber ob nun Nachwuchs oder wieder entflammte alte Hasen, der Widerstand gegen Tierausbeutung war nie ganz fort und erschöpft sich nicht im Konsumieren bei veganen Voküs, Brunches und in veganen Fressläden. Neben Kaufhof in Leipzig waren der Zirkus Aeros in Mag­deburg und die Messe „Reiten, Jagen, Fischen“ in Erfurt Ziele anti­spe­ziesistischen tier­rechts­fokussierten Pro­testes. Ein ostdeutscher Start in ein womöglich wärmeres Jahr des stellvertretenden Widerstandes.

Auch auf theoretischer Ebene tat und tut sich etwas. Im Lesecafé der Gieszer16 stellte die Leipziger Gruppe alfred* zusammen mit dem FSR Soziologie der Uni Leipzig das Buch „Human-Animal Studies – Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen“ vor. Und am 4. April hält der Psychologe und Tierrechtler Dr. Colin Goldner im Rahmen der Ringvorlesung „Wo steht der Mensch?“ an der HTWK Leipzig einen Vortrag zum Thema „Unsere haarige Verwandtschaft: Zum Verhältnis Mensch-Menschenaffe“. Über Sinn und Unsinn des Antispeziesismus gestritten wird also weiterhin. Jedenfalls solange, bis in Leipzig der erste vollvegane Supermarkt eröffnet, dann wird erstmal eingekauft.

shy

Lokales

Editorial FA! #44

Die Tage vergehen, und ehe mensch sich’s versieht, klopft der Frühling an die Tür…

F: „Ey, gute Laune! Ich bin der Frühling!“

(allgemeiner Jubel und Applaus in den FA!-Redaktionsräumlichkeiten)

F: „Ey, danke, danke, ey! Aber sagt mal, wo bleibt denn das neue Heft?“

k.mille: „Fast fertig. Siehste ja… Muss bloß noch hier das Interview abtippen.“

F: „Wow, krass! Na dann dran bleiben, Alter! Wollte ja schon immer wissen, wie das bei euch läuft! Was gibt´s denn diesmal so für Inhalte?“

momo: „Voll der bunte Frühlingsstrauß: ALG II und GMF, Schule…“

justus: „China, queere Kneipen, Nazis und Gemüse…“

F: „Wow, ich platz gleich vor Spannung!“

wanst: „Wird’s dann noch wärmer hier?“

teckla: „Dann hol ich mir lieber ‘n Bier.“

F: „Au ja, Bier wär toll! Und wo kann man das Heft kaufen?“

gundel: „Oh, da gibt´s viele Möglichkeiten. Aber Verkaufsstelle des Monats ist diesmal der Infoladen in der Gieszer16.“

F: „Das merk ich mir gerne! So, muss jetzt aber los. Wir sehen uns dann draußen in der Sonne wieder!“