Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis heute

Noch immer sind 60-65 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse Normalarbeitsverhältnisse, definiert als unbefristete und sozial- wie arbeitsrechtlich abgesicherte Vollzeitbeschäftigung. Doch wer denkt, bereits die Form Normalarbeitsverhältnis biete Schutz vor Verarmung und Niedriglohn, sollte sich die unterschiedlichen Branchen und Regionen anschauen.

„Die Köchin, die Putzfrau und der Wachmann“: In dieser ZDF-Sendung wurden am 2. September 2003 drei entsprechende ArbeiterInnen aus Berlin vorgestellt, unter dem Motto "Viel Arbeit für wenig Geld". Sie verdienen zwischen 6 und 8 Euro in der Stunde, machen Schicht- und Wochenendarbeit und kommen mit diversen „Nebenjobs“ auf eine 60h-Woche. Ihre Hauptjobs sind Vollzeitbeschäftigungen, bezahlt nach Tarif, mit Kündigungsschutz. Dass eine Vollzeitbeschäftigung zu Tariflohn nicht nur in Ausnahmefällen keine Existenzsicherung bietet, zeigen folgende Zahlen: 1999 verdienten 36 Prozent aller Beschäftigten weniger als 75 Prozent des Durchschnittslohns (…), 12 Prozent bekamen weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohns (das sind dann 800-900 Euro netto). Etwa ein Drittel aller ganzjährig Vollzeitbeschäftigten aus den Kernbereichen des tarifvertraglich abgesicherten Normalarbeitsverhältnisses gehören zum sogenannten Niedriglohnsektor: Verkäuferinnen, Putzfrauen, Wachleute, LandarbeiterInnen, Beschäftigte in Kleinstbetrieben.

Im Jahr 2002 betrug das durchschnittliche Arbeitslosengeld 737 Euro, ca. ein Drittel der ALG-BezieherInnen hatte weniger als 600 Euro. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe lag bei 522 Euro: diese Zahlen weisen auf das frühere Lohnniveau der heutigen Arbeitslosen hin (…). „Das geltende Tarifvertragssystem ist äußerst flexibel … Die Gewerkschaften haben … Abweichungen von bestehenden Tarifverträgen vielfach zugestimmt, wenn dadurch Beschäftigung gesichert und Unternehmen in wirtschaftlicher Not geholfen werden konnte.“ (aus einer Anzeige von „Betriebs- & Personalräten für den Erhalt der Tarifautonomie“, September 2003). Circa 35 Prozent aller Betriebe haben bisher Öffnungsklauseln der Flächentarifverträge genutzt: variable/verlängerte/verkürzte Arbeitszeiten, niedrigere Einstiegslöhne, Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Jenseits der Löhne haben sich auch die anderen Rahmenbedingungen des Normalarbeitsverhältnisses verändert: nur noch 65 Prozent aller Beschäftigten waren im Jahr 2001 tarifgebunden, 1996 waren es noch 70 Prozent. 58 Prozent hatten keine festen Arbeitszeiten mehr, sondern waren mit Arbeitszeitkonten oder Ähnlichem konfrontiert. Fast jede/r zweite Beschäftigte (47 Prozent; 1991 waren es 42 Prozent) muss inzwischen Wochenend-, Schicht- oder Nacharbeit leisten. Der Kündigungsschutz spielt in der öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle. (Gerade eben wurde die Mindestbeschäftigtenzahl der Betriebe, für die er gilt, wieder auf über zehn verdoppelt). Er gilt grundsätzlich nach sechs Monaten im unbefristeten Arbeitsverhältnis. Selten wird ein Entlassener wieder eingestellt, sondern der Beschäftigungsanspruch wird mit Geld abgegolten. Der Unternehmer muss, wenn er aus betrieblichen Gründen entlassen will, eine soziale Auswahl unter den Beschäftigten treffen. Existiert ein Betriebsrat, werden Massenentlassungen ausgehandelt. Je älter, je mehr Unterhaltspflichten und je länger im Betrieb, desto teurer wird eine Entlassung. Dabei ist in Deutschland keine Abfindung vorgeschrieben; Entlassene müssen vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung klagen. War die Kündigung nicht gerechtfertigt, erhalten sie eine Abfindungszahlung, andernfalls nicht.

aus: Wildcat, Nr. 68, Januar 2004, S. 47

P.S.: Wer eine Abfindung einklagen will, muss dies innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung tun. Nach Ablauf der Frist wird die Klage nicht mehr zugelassen. Also, lieber vorsorglich klagen. Kommt doch eine Abfindung, kann man die Klage, bei den langen Bearbeitungsfristen der Gerichte, ohne Kosten zurückziehen.

Bewegung

Schreibe einen Kommentar