Der Auskauf der „Neuen Heimat“

Dass der aktuelle Verkauf der Gewerkschaftshäuser das bittere Ende einer über 20jährigen Ausverkaufs-Strategie des DGB an Staat und Kapital darstellt, wird deutlich, wenn mensch einen Blick in die Gewerkschafts-Geschichte wirft.

„Wohnungsbaugesellschaften“ sind heute ein Synonym für den Filz von Staat und Privatwirtschaft im kommunalen Bereich und somit Verfalls­pro­dukte des Genossenschafts-Prinzips der sozialistischen Bewegungen. Als liberal inspirierte, eher kleinbürgerliche Idee des 19. Jahrhunderts erreichten sie ihre größte Blüte und dezentrale Vielfalt auf dem deutschen Staatsterritorium zur Zeit der Weimarer Republik zwischen 1918 und 1933. Verantwortlich dafür ist das durch die SPD-Agitation verstärkte Engagement der Gewerkschaften (Zentralisierung im ADGB [Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund]) an den kommunalen Wohnungs-Märkten (Stichwort: „Gemeinwirtschaftlicher Wohnungsbau“). Die Gründung der Gemeinnützigen Klein­woh­nungs­baugesellschaft Groß-Hamburg (GKB) 1926 ist in diesem Prozeß schon eine zentralistische Regression. Den weiteren Entwicklungen machte die faschistische Machtübernahme 1933 ein jähes Ende. Alle Gewerkschaftsunternehmen wurden verstaatlicht bzw. der Deutschen Arbeiterfront (DAF) unterstellt oder verboten, und 1939 landesweit in „Neue Heimat“ (NH) umbenannt. Bittere Ironie des Schicksals: Die von den Faschisten vereinnahmten Wohnungsbaugesell­schaften der Gewerkschaften wurden nach dem Krieg unter die Treuhand gestellt, weil sie in NS-Be­sitz waren und konnten im anschließenden Rechtsstreit nur teilweise zurückgewonnen werden.

Die Köpfe wechselten, der Name blieb. Die ehemalige GKB hieß nun Neue Heimat Hamburg und wurde bereits in den frühen 50er Jahren zum Ausgangspunkt und Motor einer enormen wirtschaftlichen Expansion des DGB, insbesondere auf dem Bau-, Wohnungs- und Finanzmarkt. 1954 beschlossen die obersten Gre­mien die Fusion aller eigenen, lokalen Wohnungsbaugesellschaften in die Neue Heimat mit Sitz in Hamburg. Die Bedeutung für das „Wirschaftswunder BRD“ und die „soziale Marktwirtschaft“ des so zusammen geschweißten Großkonzern stieg stän­dig, Wiederaufbau und Sied­lungsbau weiteten sich bis zum Bau von Universitäten (Göttingen), Krankenhäu­sern, Altenheimen, Kongreßzentren (ICC Berlin), Schwimm­hallen, Schulen und ganzen Altstadtsanierungen (u.a. Hameln) aus. Insbe­sondere die NH-Siedlungen der 60er Jahre sind in vielerlei Hinsicht mit den Neubau- oder Plattenbau-Siedlungen in der ehemaligen DDR vergleichbar.

Entscheidender aber für den weiteren Weg der Neuen Heimat und letztendlich Hauptursache für ihren späteren Niedergang war die Gründung von kommerziellen, nicht gemeinnützigen Tochtergesellschaften: 1962 wurde die Neue Heimat International gegründet, 1964 folgte die Neue Heimat Kommunal. 1969 kam noch die Neue Heimat Städtebau hinzu. Der Gesamtkonzern Neue Heimat erreichte so in den 70er Jahren eine kaum noch durchschaubare, komplizierte Struktur. Die Auslandsbeteiligungen der Neuen Heimat International reichten von Frankreich bis nach Kanada und Mexiko. Wie sich später herausstellte, führten gerade einige dieser Beteiligungen zu den finanziellen Schwierigkeiten, in die der Konzern gegen Ende des Jahrzehnts geriet.

Der Skandal von 1982 wird heute von vielen Historikern als Schlüsselmoment für den einsetzenden wirtschaftlichen Niedergang der zentralen Gewerkschaften in Deutsch­land bewertet. Jahrelange systematische Korruption und persönliche Bereicherung noch am einfachen Mieter und Mitglied fliegen auf. Erschreckend sind vor allen Dingen die internen Verflechtungen von der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) bis zur DGB-Spitze selbst. Der bereits 1982 anlaufende Unternehmensverlust von 700 Millionen D-Mark wächst in den folgenden vier Jahren auf 16 Milliarden D-Mark an. Der kopflose DGB kann diese finan­ziellen Verbindlichkeiten noch nur durch den Ausverkauf der NH decken. Nachdem 1986 der Versuch scheitert, die ganze NH 1 D-Mark (!!!) an den Berliner Bäckerei-Unternehmer Schiesser zu verkaufen, übernimmt die BGAG (Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG) als Holding die stück­weise Abwicklung der Rest­bestände der NH. Ihre Hinterlassenschaft ist gewaltig. Kein anderes deutsches Un­terneh­men hat­te je so viele Wohnungen gebaut wie die Neue Heimat. Ein Großteil der Wohnungsbestände wird, teilweise mit erheblichem Verlust (BGAG-Vorstandsvorsitzender Hans Matthöfer (SPD) spricht bereits 1987 von 3-4 Milliarden D-Mark), an die Wohnungs­bau­ge­sellschaften der Bundesländer verkauft, vieles andere in pri­vat­wirt­schaftliche Hände (teil­weise so­gar per symbolischem Preis) übergeben.

Die Neue Heimat gibt es heute nicht mehr. Jahrelang gab es noch die NH-AG (später HVB-AG). Am 1998 wurde sie mit ihrer Muttergesellschaft BGAG verschmolzen. In Hamburg residiert aktuell noch die Neue Heimat Vermögensverwaltungs- und Betreu­ungs­ge­sell­schaft mbH. Aufgabe des Unternehmens ist die Betreuung der Pensionsansprüche von etwa 2000 ehemaligen Mitarbeitern der Neuen Heimat. Dem ehemaligen Großkonzern ist somit noch ein Grundstück in Bremen-Vegesack verblieben.

Auffällig: Die BGAG-Holding scheint schon seit den 80ern mit dem Verkauf der gewerkschaftlichen Vermögen beschäftigt. Neben der vollständigen Auflösung der Neuen Heimat 1998 ist sie verantwortlich für den Verkauf der BfG (1986/2000), für den gewerkschaftlichen Rückzug aus der Volksfürsorge, für die Anteilsaufgabe an der Direktbank (DiBa) 1998, wie auch für den Verkauf der Allgemeine Wohnungsver­mögens AG (ALLWO) 1996 an den AMB Generali Konzern. Derzeit hat die BGAG-H kaum noch Silber in der Schublade. Neben der BGAG Immobilien Ost GmbH (BIO), deren Tätigkeiten auf Restitutions-Ansprüche hinsichtlich der Enteignungen 1933 bzw. 1990 beschränkt sind, dem Bund Verlag und der ISA Consult verfügt sie aktuell lediglich über eine handvoll Finanzspeku­lationen und kurzfristige Inves­ti­tionsprojekte.

Angesichts dessen erscheint der jüngste Verkauf der Gewerkschaftshäuser durch die BGAG-H noch perfider: Als hätte jemand den ohnehin leeren Besteckkasten noch einmal mit Gewalt aus der Schublade der Geschichte gerissen, um dabei einen letzten, kleinen Silberlöffel zu entdecken. Und anstatt ihn zu putzen, zu pflegen, vielleicht als Andenken, vielleicht als neuen Anfang zu verwahren, hatten die Verantwortlichen des DGB nichts besseres zu tun, als schnellstens zu einem ihrer nächsten Pfandleiher zu laufen, um den kleinen Schatz möglichst unauffällig flüssig zu machen. Fragt sich bloß wofür. Eventuell droht ihnen ja in der eigenen Pensions-Kasse ein kleines Loch, das sich nicht mehr ausreichend durch die Mitgliedsbeiträge der verbliebenen GewerkschafterInnen stopfen lässt!

clov

Viele weitere Informationen über die Geschichte der NH unter:
www.architekturarchiv-web.de/nhkap1.htm
Noch mehr in:
„Die Akte Neue Heimat – Krise und Abwicklung des größten Wohnungsbaukonzerns Europas 1982 – 1998“, hrsg. von Andreas Kunz, Campus, Frankfurt (M.), 2002

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