Der Clara-Zetkin-Park

Ein kleines Stück Leipziger Kolonialgeschichte.

Wenn Leipziger den Namen Clara Zetkin hören, verbinden sie damit meistens zwei Dinge: ein kleines Stück historische Revolution und einen wunderschönen Park. Was die meisten nicht wissen ist, dass die imposanten Bäume nicht nur im Herbst schön aussehen und Schatten spenden, sondern wachsende Produkte einer dunkel-deutschen Kolonial-Geschichte sind. Tatsächlich wurde „unser Clara-Park“ für eine Garten-Ausstellung entworfen, dessen zentraler Teil eine großzügig angelegte Menschenschau war. Informationen darüber zu bekommen, ist noch immer nur über alternative Quellen (1) möglich. Beispielhaft dafür liest sich der Text zur Geschichte des Clara Zetkin-Park auf der Homepage der Stadt Leipzig:

Wer sich mit den genannten Parkanlagen etwas näher beschäftigt, begibt sich auf einen interessanten Streifzug durch die Leipziger Geschichte der Gartenkunst von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.“ (2)

Die Frage, weshalb die Leipziger Geschichte der Gartenkunst für die Besucher_innen/Bürger_innen von Interesse sein sollte, aber nicht die Kolonialgeschichte, bleibt so unbeantwortet wie die Frage, weshalb der Bundestag das Thema deutsche Kolonien in seinen Diskursen gekonnt ignoriert. Grund genug weiter zu forschen und Informationen zu teilen.

Als Clara Zetkin (1857-1933) in Leipzig eine Ausbildung zur Volks­schullehrerin machte, knüpfte sie Kontakte mit der revolutionären, antimilitaristischen Arbeiter_innen- und Frauenbewegung. Sie gehörte bis 1917 der marxistischen Fraktion der SPD an, die sich später in den Spartakus-Bund (USPD) abspaltete. Wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht übte Zetkin massive Kritik an der Deutschen Kolonialpolitik. Mit dieser Position machte sich die Frauenrechtlerin in der Mehr­heitsbevölkerung nicht beliebt. Das wurde spätestens durch die so genannten „Hottentottenwahlen“ 1907 deutlich. Dort verlor die SPD ein Drittel ihrer Reichstag-Sitze, weil sie sich nach dem Genozid an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwest“ (heutiges Namibia) gegen die Gewährung weiterer Gelder für die Kolonialtruppen entschieden hatte.

10 Jahre zuvor eröffnete die Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung im heutigen Clara-Zetkin-Park unter der Leitung von Leutnant Blümcke, der zuvor unter Gouverneur Hermann von Wissmann in der „Schutztruppe“ in Deutsch-Ostafrika diente. Sie war Teil der Sächsisch-Thüringischen Gewerbe-Ausstellung und eine von vielen Ausstellungen, die zu Beginn des Deutschen Kolonialismus auch das Fußvolk für die „Koloniale Idee“ begeistern sollte. Und das Fußvolk kam in Scharen. Denn die als Sensationen angepriesenen Kolonialausstellungen erfreuten sich zu einer Zeit, zu der es noch kein Fernsehen oder Billigflüge gab, großer Popularität.

Ziel der Ausstellung, zu der insgesamt rund 635.000 Gäste pilgerten, sollte es sein „…neben die hoch entwickelte moderne europäische Kultur die eigenartig gestaltete afrikanische, welche die ersten Stufen unseres Kulturlebens etwa erst zu erreichen bestrebt ist, zum Vergleich zu setzen.“ (3).

Auch Fabrikanten und Unternehmer sollten durch die Ausstellung angeregt und auf die neuen deutsch-kolonialen Absatzmärkte aufmerksam gemacht werden. Gesponsert wurde der massentauglich verbreitete Sozialdarwinismus von Leipziger Unternehmern, dem Stadtrat und dem Staat. Um sich mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie zu brüsten wurden keine Kosten und Mühen gescheut. So sollte das „Schutzgebiet“ möglichst originalgetreu nachgebaut werden. Dazu zählten zwei Kolonialstationen (Usungula und Mquapua), ein militärisches Expeditionslager, eine evangelische Missionsstation und die Haupthandels-Straße Barra-Rasta in Dar es Salaam, die in der Ausstellung als Souvenir- und Cafémeile diente.

In den Gebäuden selbst fanden die Besucher_innen unzählige ethnographische Gegenstände, landestypische Produkte und Bilder. Darunter auch

einige sehr interessante Stücke aus der Sammlung des Herrn Gouverneur v. Wissmann, von ihm (…) in den Gefechten gegen die Wawamba erbeutet.“ (4).

Um den Besuchern ein „wahrhaftiges“ Antlitz der „schützenswerten“ Zone zu verleihen, wurden auch Menschen aus Fleisch und Blut ausgestellt. Für dieses „authentische“ Erlebnis reiste der Beamte Karl Kaufmann am 27. Dezember 1896 mit Erlaubnis der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes und des Gouverneurs DOAs nach Dar es Salaam. Sein Auftrag: Anwerbung von „Eingeborenen“. Vier Monate später erreichte Kaufmann mit 47 Bewohner_innen DOAs Leipzig. Bei der Auswahl der „Eingeborenen“ achtete Kaufmann darauf, dass sie vorher mög­lichst wenig Kontakt mit Europäern hatten. Schließlich ging es laut seinem Auftrag darum

„…Vertreter der innerafrikanischen Stämme zu gewinnen, da die Suaheli als etwas Bekanntes – wie viele Suaheli-Karawanen gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu sehen! – niemals die Anziehungskraft ausüben konnten, wie Repräsentanten anderer Stämme.“ (5).

Das gesteigerte Interesse wurde durch Kannibalen-Gerüchte angeheizt. Die Ausstellungs-Zeitung verkündete am 12.April 1897:

…dass bei besonderen Festlichkeiten dort Menschen verspeist wurden, und dass auch drei Matrosen von Sr. Majestät Schiff ‚Leipzig‘, die sich im Jahre 1888 zur Zeit des Buschiri-Aufstandes vom Schiffe entfernten, von ihnen verspeist sein sollen. Herrn Kaufmann gaben die Leute auf sein Befragen die Erklärung ab, dass sie früher Menschen gegessen hätten, der drei Matrosen könnten sie sich aber nicht entsinnen…“.

Auf diese und ähnliche Weise konstruierte mensch die „Anderen“ entlang einer Differenz, die sich bis heute durch Dualismen auszeichnet: „Primitive“ vs. hochentwickelte Kulturen. „Naturkinder“, „Ungläubige“, „schwarze Teufelsanbeter“, die vor noch mehr Unheil geschützt werden müssen – durch eine als hochentwickelt geglaubte westliche Zivilisation. Ein „Schutz“, der heute auch gerne von so genannten Nicht-Regierungsorganisationen als Entwick­lungszusammenarbeit verkauft wird. Aber das nur am Rande.

Die in ihren nachgestellten Behausungen eingesperrten „Primitiven“ durften ihre „gut beheizten Räume“ nur einmal für einen Rundgang mit ihrem Fänger verlassen, wo dieser sie in Tänze, Kämpfe und traditionelles Handwerk einführte.

Trotz der „guten Beheizung“ und der medizinischen Betreuung starb ein junger Angehöriger der Wassukuma kurz nach der Eröffnung der Ausstellung an einer Lungenentzündung. Er wurde auf dem Leip­ziger Südfriedhof bestattet. Er war nicht das einzige Todesopfer. Viele der „Ausgestellten“ starben. Dokumente von ihnen gibt es nur sehr wenige. Eines davon stammt von Abraham. Er wurde in der „Eskimo-Völkerschau“ ausgestellt und starb wie alle anderen Ausgestellten dieser Schau an Pocken. In seinem Tagebuch vermerkte er:

…Donnerstag, 7 November. Hatten wir wieder betrübtes gehabt. Unser Gefährte, der led. Tobias wurde von unserem Herrn Jakobsen mit der Hundepeitsche gehauen…“ (6).

Herr Jakobsen und sein Bruder waren auch von Interesse für das Leipziger Völker­kundemuseum. Das kaufte nämlich 1885 deren ethnographische Sammlung aus Nordwestamerika. Wie die ausgestellten Gegenstände erworben wurden, wird dem Besucher_innen damals wie heute nicht verraten. Zum Völkerkundemuseum gäbe es noch viel zu sagen, doch dazu ein anderes Mal. Nur so viel: An der Fassade der Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz, das damals als Völkerkundemuseum erbaut und genutzt wurde, prangt noch heute die Amazone aus der Armee der Dahomey (heutiges Benin), das zu jener Zeit gerade von Frankreich besiegt worden war.

Koloniale Spuren in Leipzig gibt es viele. Sie führen unter anderem zu akademischen Elite-Institutionen wie dem Institut für Ethnologie, dem Institut für Geographie, sie führen aber auch zu öffentlichen Orten wie dem Grassi-Museum, dem Ring-Messehaus, zum Krystallpalast-Varité, zur Nikolaikirche, zum Völkerschlacht-Denkmal, aber vor allem zum Leipziger Zoo, dem Ort, der früher Menschenschauen bewarb wie heute neue Tiergeburten. Im Leipziger Zoo werden die kolonialen Spuren zwar geleugnet, aber weiterhin „authentisch“ reproduziert:

Abendveranstaltung ‚Hakuna Matata‘ in der Kiwara-Lodge. Erleben Sie eine spannende Tour mit den Zoolotsen durch den abendlichen Zoo, ein spannendes Programm mit afrikanischen Tänzern und Trommlern und ein Buffet im exotischen Ambiente der Kiwara-Savanne. Tickets und weitere Infos im Safari-Büro.“

Clara Fall

(1) www.engagiertewissenschaft.de
(2) www.leipzig.de/de/buerger/freizeit/leipzig/parks/clara/allg/
(3) Ausstellungs-Zeitung vom 29.4.1897
(4) D.K. Blümcke 1897, S.23
(5) Ausstellungs-Zeitung vom 29.5.1897
(6) Tagebuch von Abraham, übersetzt von Bruder Kretschmer 7.11.1880 nach Thode-Arora 1989, S. 125
Wer sich stärker für das Thema interessiert, dem sei die Homepage www.leipzig-postkolonial.de empfohlen, auf der in Kürze Texte zu postkolonialen Orten in Leipzig erscheinen. Die Seite wird von der Arbeitsgruppe Postkolonial/Engagierte Wissenschaft e.V. betrieben, die regelmäßig auch „postkoloniale“ Stadtrundgänge in Leipzig anbieten.

Kasten:

Deutschland begann mit der Kolonisierung verstärkt „erst“ Ende des 19. Jahrhunderts. Die größte Kolonie war Deutsch-Südwestafrika, auf dem Gebiet des heutigen Namibia, das von 1884 bis 1915 kolonisiert wurde. Ab 1904 kämpften deutsche Truppen gegen die Herero, die erbitterten Widerstand leisteten. Später schlossen sich auch die Nama, die im Süden des Landes lebten und von den Deutschen „Hottentotten“ genannt wurden, dem Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht an. Die meisten Historiker_innen bezeichnen den Krieg gegen die Herero und Nama als Genozid, da die Ziele nicht nur Sieg und Unterwerfung mit einschlossen, sondern vor allem Vertreibung und Vernichtung.

Schätzungen gehen davon aus, dass damals 50 bis 70 Prozent der bis zu 100.000 Herero und die Hälfte der damals rund 20.000 zählenden Nama, ums Leben kamen. Tausende von ihnen starben in Konzentrationslagern. Zu den verfolgten Völkern gehörten auch die Damara und San. Der Krieg wurde offiziell am 31. März 1907 für beendet erklärt. Erst 1908 wurden die letzten Konzentrationslager aufgelöst. Am 22.3.2012, einen Tag nach dem 22. namibischen Unabhängigkeitstag und dem internationalen UN-Tag gegen Rassismus, lehnte der Bundestag einen Antrag der Linksfraktion vom 29.2.2012 ab, in dem diese forderte, das Parlament möge den Krieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika als Völkermord anerkennen.

Lokales

Schreibe einen Kommentar