Der Kampf geht weiter…

… um Wohnraum und Arbeit in Rio de Janeiro

Im Dezember 2003 wurde im Hafenviertel von Rio de Janeiro, Brasilien, ein mehr als zehn Jahre leer stehendes Gebäude von einer Gruppe armer Familien besetzt, organisiert vom Comitê de Resistencia Popular. Das Gebäude wurde in der Zeit, als es noch „in Gebrauch“ war, als Einnahmequelle benutzt, indem es für verschiedene Zwecke vermietet wurde. Laut einiger Nachbarn/innen diente das Gebäude zuletzt als Garage für Privatfahrzeuge.

Weniger als eine Woche nach der Besetzung beantragte die Besitzerin des Gebäudes, die Irmandade de Santissimo Sacramento da Candelária (eine Bruderschaft der katholischen Kirche), die Rückgabe ihres Eigentums. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Bruderschaft handelt, die sagt, sie würde christliche Vorbilder predigen. Die Familien aber leisten mit Unterstützung von Organisationen aus der sozialen Basisbewegung (movimento popular) tapfer Widerstand im Kampf für ihr Recht auf Wohnraum und ein würdiges Lebens.

Die Situation der Familien, von denen viele aus allein stehenden Müttern, alten Menschen und Kindern bestehen, ist dieselbe wie die eines großen Teils der Bevölkerung des Bundesstaates und des gesamten Landes: Geschlagen durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Anstieg der Lebensunterhaltungskosten, wird ihnen das Recht auf Wohnraum und auf Arbeit verweigert. Und dafür wird sogar Polizeigewalt angewendet, wie sie eben in diesem Fall auch von der Bruderschaft beantragt wurde.

Wir wissen, dass dies das Ergebnis tief gehender sozialer Ungleichheit ist, die im Staat Rio de Janeiro als auch in ganz Brasilien vorherrscht. Die Familien, die heute das Gebäude besetzen, sind nicht schuld daran, arm geboren worden zu sein, keine Wohnung zu haben und, wie es oftmals vorkommt, Hunger zu leiden. Die Situation dieser Familien ist der hemmungslosen Ausbeutung ihrer Arbeit und ihrer Vorfahren seit 500 Jahren geschuldet. Enterbte Söhne und Töchter eines reichen Landes besitzen heute nur ihre Arbeitskraft, die von Mal zu Mal mehr entwertet wird.

Das Comitê de Resistencia Popular ist eine Organisation des armen Volkes. Es vereint die armen Bewohner/innen der Städte (Arbeiter/innen, Obdachlose, Arbeitslose, Straßenhändler/innen etc.). Ziel des Komitees ist es, für die Garantie und Ausweitung der Rechte des Volkes sowie der Eroberung der vollen Bürgerrechte zu kämpfen – beides wird dem Großteil der Bevölkerung verweigert. Das Comitê de Resistencia Popular gibt es, um an den Kämpfen des Volkes teilzunehmen und diese zu intensivieren. Es geht um den Kampf für Arbeit, Wohnung, Soziale Gerechtigkeit und Freiheit.

Bis heute ist bereits viel an dem Gebäude verändert worden. Als die Besetzer/innen es betraten, war es in einem sehr schlechten Zustand: dreckig, kaputt, ein wahrer Hort zur Vermehrung von Insekten. Heute bietet es Wohnraum für arme Familien und außerdem will das Comitê de Resistencia Popular den Raum für diverse andere Aktivitäten nutzen, die sich an die Einwohner/innen der näheren Umgebung wenden. So wollen die Familien unter anderem Raum für ein Projekt zur Alphabetisierung von Erwachsenen, für Vorbereitungskurse für die Uniaufnahmeprüfung sowie für Veranstaltungen und Versammlungen der Bewohner/innen der Umgebung und anderer Basisbewegungen zur Verfügung stellen.

Die Bruderschaft Irmandade de Santissimo Sacramento da Candelária, die eine Unmenge an Immobilien und Geschäften verwaltet, welche indirekt mit dem Erzbistum der katholischen Kirche von Rio de Janeiro verbunden sind, hat sich direkt an die Justiz gewendet, um mit diversen Rechtsanwälten/innen für ihr Recht auf Eigentum zu klagen. Die Familien wurden von Gewerkschaften, Basisbewegungen, Fachschaften, Schülervertretungen und Schüler- bzw. Studentenbewegungen unterstützt. Gegen die unmittelbare Räumung und gegen eine gewaltsame Aktion seitens der Polizei wurden bereits solidarische Öffentlichkeitsaktionen gegenüber der Kirche der Bruderschaft (Igreja Candelária) organisiert. Als verzweifelte Aktion am Vorabend einer Entscheidung seitens der Justiz im März, haben sich zwei Mitglieder des Comitê de Resistencia Popular und Bewohner des Gebäudes an die Kirche gekettet und dort einen viertägigen Hungerstreik durchgeführt. Dieser wurde nach einem teilweisen Sieg gegenüber der reaktionären Bruderschaft beendet. Die Entscheidung nämlich sah so aus: Die Familien sollten bis zum 14. April, Tag einer gerichtlichen Anhörung, nicht geräumt werden.

Während des Hungerstreiks der Genossin und des Genossen haben Student/innen und Gewerkschafter/innen und Mitglieder der Presse der Basisbewegungen das Büros des Erzbischofs von Rio de Janeiro besetzt: Damit sollte das Erzbistum aufgefordert werden, gegenüber der Bruderschaft zu intervenieren und sie dazu zu bringen, die juristische Vorgehensweise zu beenden und die Familien in dem Gebäude wohnen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit wurde klar, dass das Erzbistum von Rio de Janeiro mit den konservativsten und reaktionärsten Sektoren der Gesellschaft verbunden ist – so steht es auf der Seite des Eigentums und nicht auf der des armen Volkes. Der Monsignore Abílio, der den Polizeieinsatz zur Räumung der Demonstranten/innen gefordert hatte, war im übrigen bereits in seiner Jugend Mitglied des „Kommando Jagd auf Kommunisten“ (Comando de Caça aos Comunistas) – eine Gruppe, die in der Zeit der Diktatur aktiv war. Heute ist er Teil der reaktionären Organisation, die sich „Tradition, Familie und Eigentum“ (Tradiçao, Família e Propiedade) nennt.

Genossinnen und Genossen, die Situation ist ernst. Es ist absolut nicht sicher, dass die Familien in dem Gebäude wohnen bleiben können – im Gegenteil. In diesem Sinne ruft das Comitê de Resistencia Popular alle Aktivisten/innen in allen Teilen der Welt auf, den Kampf auf das Recht auf Wohnraum und Arbeit dieser armen Familien zu unterstützen. Es ist notwendig, dass die Katholische Kirche unter Druck gesetzt wird, damit sie die Unterstützung, die sie der Bruderschaft bislang entgegen gebracht hat, zurückzieht. Es ist notwendig, dass Solidaritätsaktionen mit der Besetzung organisiert werden, denn letztlich kann nur der Kampf zum Sieg führen, so wie es bis zu diesem Zeitpunkt schon geschehen ist. Das Ziel bleibt weiterhin, die Kirche dazu zu bringen, eine günstige Position bezüglich der Rechte der Besetzer/innen einzunehmen.

Ebenso braucht der Kampf des Comitê de Resistencia Popular die Unterstützung aller Organisationen und Gruppen der Basisbewegung (movimento popular) sowie der Gesellschaft, um die Bruderschaft und das Erzbistum von Rio de Janeiro unter Druck zu setzen, da letztere bislang für eine gewaltsame Räumung der Familien eingetreten ist. Die Heuchelei des Kirchenklerus, der im Namen Gottes Geld verdient, steht die Solidarität von Gemeindemitgliedern gegenüber. Mehr als 600 Unterschriften zur Unterstützung des Comitês wurden in kleinen Kapellen und Kirchen gesammelt. Wir hoffen, dass die Situation noch stärker öffentlich bekannt wird. Wer kann, soll helfen, die Kirche (in Brasilien und anderswo) unter Druck zu setzen (per e-mail, Demonstrationen, Unterstützungsaktionen). Die Besetzer/innen haben versprochen, den Kampf so oder so fortzuführen und, wenn es nötig sein sollte, Widerstand zu leisten, um das Recht auf Wohnraum durchzusetzen. Sie haben versprochen, für einen Sieg im Kampf des Volkes (Luta Popular) zu kämpfen.

Um zu fordern, dass die Familien nicht geräumt werden und in dem Haus wohnen bleiben können, schreibt Protestbriefe an das Erzbistum:

Mitra Arquie-piscopal do Rio de Janeiro

Rua Benjamin Constant, nº 23

Gloria, Rio de Janeiro,

CEP: 20241-150, Brasil.

Telefon/Fax: 0055-21-2292-3132

Um eure Solidarität und Unterstützung für die Besetzung zu zeigen, tretet in Kontakt mit:

Comitê de Resistência Popular

Rua Pedro Alvares, nº 29,

Santo Cristo, Rio de Janeiro, Brasil

CEP: 20220-281 Tel: 0055-21-8834-8174

(September 2004)

Soziale Bewegung

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