Die Autodidaktische Initiative

Freie Bildung und kritische Wissenschaft im Leipziger Westen

Im Juli werden in der Georg-Schwarz-Straße 19 die Räume der Autodidaktischen Initiative eröffnen. Bildung für alle und zwar umsonst!

Das heutige Verständnis von „Bildung“ beschränkt sich oft auf ein reines Aneignen von Faktenwissen. Gebunden an feste Strukturen und offizielle Institutionen dient dieses dann dem Erwerben von Abschlüssen und Titeln. Diese Qualifikationen versprechen neben dem Zugang zu einem möglichst gut bezahlten Beruf auch noch gesellschaftliche Anerkennung. „Bildung“ wird somit zum „Lernen“ in einem rein funktional-technischen Sinne, weshalb von den „Bildungs-Institutionen“ ein hoher Erfolgsdruck ausgeht. Ihre didaktische Struktur ist auf das „Herantragen“ der Bildung von „außen“ ausgerichtet. Dadurch ist ein genormtes Vollzeitstudium ungeeignet für Menschen mit anderen Interessen und Fähigkeiten als sturem Auswendiglernen oder mangelnden institutionellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Außerhalb der Institutionen fehlen die strukturellen Möglichkeiten um sich gemeinsam mit Themen auseinanderzusetzen oder sich Fähigkeiten anzueignen und weiterzuentwickeln, die außerhalb dieser festen Anforderungen liegen.

Vor diesem Hintergrund ist das autodidaktische Selbststudium aus dem Blick geraten und wird selten gesellschaftlich anerkannt. Wir wollen einen Beitrag für dessen Aufwertung leisten und auch eine gemeinsame Umsetzung unterstützen. Dazu schafft die Autodidaktische Initiative (e.V.) einen Ort der Wissensaneignung, des Ideenaustauschs und der Ideenproduktion für Selbstlernende. Umfasste die Gruppe der InitiatorInnen zunächst fünf Personen zwischen 22 und 29 Jahre, ist mittlerweile ein engerer Kreis um die A.D.I. von etwa 15 Personen entstanden. Dieser heterogene Personenkreis setzt sich aus Studierenden, HochschulabsolventInnen, Auszubildenden und AutodidaktInnen aus unterschiedlichen Fachbereichen (Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Umweltwissenschaften, Informatik, Kunst und Psychologie) zusammen. Sie verbindet die Liebe zur Wissensaneignung, Bildung und Philosophie, der Drang sich zu organisieren, sowie der Wille, mit ihrer Arbeit und ihren Ideen die Kultur und das gesellschaftliche Leben in Leipzig positiv zu beeinflussen.

Die Autodidaktische Initiative wird einen Raum mit entsprechender Infrastruktur (Internet, Gruppenarbeitsplätze, Materialien) zur Verfügung stellen. Darüber hinaus versuchen wir auch ein Netzwerk von Selbstlernenden („Mitlerngelegenheit“) im Internet zu schaffen. Unser Anspruch ist es, einen neuen Typ von Wissenschaft zu fördern: integrativ, kollektiv, kritisch. Auf der Basis von Arbeitsgruppen, bisher hauptsächlich zu gesellschaftswissenschaftlichen Themen, später auch zu Kunst und Psychologie, soll eine inhaltliche und methodologische Weiterbildung erfolgen.

Als Raum dient ein bisher ungenutztes und frisch renoviertes Ladengeschäft in der Georg-Schwarz-Straße 19. In diesem Mietshäuser-Syndikats-Haus (1) KunterBunte 19 (KuBu), stehen neben den 60m² Ladenfläche noch 20m² Arbeitsraum im ersten Stock zur Verfügung. Die Räume bieten Platz für Lesekreise, Diskussionsrunden und individuelle Studien. Die Sanierung des Raumes ist in vollem Gange, die Eröffnung ist Anfang Juli geplant, im Anschluss an das erste größere Projekt der Initiative, der Ausstellung „Europa im Cluster“ (2) (siehe Kasten). Eine Kommunikationsplattform („Mitlerngelegenheit“) ist bisher auf Riseup (3) entstanden. Die Gruppe auf dieser aktivistischen Plattform dient als Ort der Materialsammlung der einzelnen Arbeitsgruppen, der Lesekreisvermittlung bzw. dem Verabreden zum gemeinsamen Lernen. Zu den ersten Arbeitsgemeinschaften der A.D.I. gehören die AG „Weltpolitik, Weltökonomie, Imperialismus“ sowie die AG „Anarchismus“. Eine AG, die Deutsch-Kurse anbieten möchte, befindet sich in der Entstehungsphase. Bereits anhand dieser Beispiele lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten der A.D.I. erkennen.

Hintergrund

Unsere Herangehensweise beruht auf der Bedeutung, des Begriffs „Bildung“ – dies allerdings in einer kritischen Auseinandersetzung. Der Begriff der Bildung hat eine lange Geschichte und ist erst in jüngster Zeit so stark auf den reinen Wissenserwerb und die Aneignung von Fähigkeiten beschränkt worden. Wir beziehen uns mehr auf die ursprünglichere Bedeutung des „sich Bildens” im Sinne einer Arbeit an sich selbst. Aus einem christlichen Ursprung im 13. Jahrhundert entwickelte sich über Jahrhunderte das Ideal des wissenden Menschen. Die Aufklärung idealisierte die Logik und Rationalität und machte das Lernen des „richtigen“ Denkens sogar zum Maßstab der Kultur (4). Immer ging es dabei auch um die Veränderung, die Verbesserung des eigenen Selbst. Diese Ebene des Begriffs ist nur noch im breiteren Diskurs der Selbstoptimierung erkennbar. Die Verbesserung meines Selbst soll und muss einer Verwertbarkeit dienen, also mir helfen einen guten Arbeitsplatz zu finden. Dabei entsteht der Konkurrenzdruck, der dann auch in der Bildung die Menschen zu Einzelkämpfer macht.

Gemeinsam statt einsam

Dieser Erziehung zum isolierten Einzelnen wollen wir unser Verständnis von Bildung als sozialem Prozess entgegensetzen. Einer Erziehung von Oben nach Unten begegnen wir mit gemeinsamer intellektueller Arbeit. Anregungen, Auseinandersetzungen und ein kontinuierlicher Austausch sollen nicht nur einfach „motivieren”, sondern die eigene Veränderung rahmen und katalysieren. Anschließen wollen wir uns dem Begriff der Bildung also, indem wir versuchen „das zu werden, was wir noch nicht sind“ – und zwar ganz bewusst im Plural. In der Ich-Form führt der Gedanke einer Veränderung des Selbst gefährlich nahe an die bereits erwähnten Anforderungen von Selbstoptimierung und geistigem Wettbewerb. Es gilt die herrschende Sicht von Erkenntnissen als rein persönlicher Leistung aufzubrechen. Wir wollen dieses Verständnis ersetzen durch den Gedanken, der Positionen als Ausdruck gesellschaftlicher Selbst-Reflexion begreift. Es sind zwar die einzelnen Menschen die Meinungen und Theorien aussprechen, aber diese werden nicht von ihnen ursächlich hervorgebracht. Vielmehr sind Ideen und Gedanken die Frucht von unzähligen Anregungen in verschiedenster Form. Inspiration kommt aus der Kommunikation mit Menschen (oder anderen Lebewesen) und daher sollten auch ihre Folgen als der Verdienst vielerlei Einflüsse angesehen werden. Diese Ansicht soll Schluss machen mit dem Wettbewerb um das genialste Ego und uns eine Diskussions-Kultur ermöglichen, die weniger von persönlicher Eitelkeit getragen wird, als vielmehr von dem Bewusstsein der gemeinsamen kulturellen Produktion. Wir fassen diese Herangehensweise unter dem Konzept der „kollektiven Autodidaktik“.

Neben dem universitären Wissen, den sozialwissenschaftlichen Theorien, sollen in unserer Initiative marginalisierte Stimmen und Positionen Gehör finden. Im Anschluss an die Strömung der „peoples science“ (5) möchten wir einerseits mehr Menschen sozialwissenschaftliche Werkzeuge nahebringen und andererseits Auseinandersetzungen auch mit lokalem Wissen der „einfachen Bevölkerung“ bereichern.

Anspruch und Anstöße

Unsere Pläne sind ehrgeizig und es wird sich zeigen wie unsere Überlegungen sich in der Praxis verwirklichen lassen. Überhaupt eine dauerhafte Basis zu errichten ist eine große Leistung für gegen-hegemoniale Bildungsräume. Die Motivation zur freien Bildung reicht selten für einen kontinuierlichen Betrieb von Räumen, zu denen auch immer rein koordinierende und organisatorische Tätigkeiten gehören. Viele Initiativen zur freien und kritischen Bildung gehen auch schnell wieder ein. Deshalb ist der Betrieb eigener Räumlichkeiten ein zentraler Bestandteil des Konzepts. In dem Raum kann sich unser Bestreben auch wirklich materialisieren, kann ein sozialer Raum entstehen, in dem sich der Wunsch zu lernen mit der „Liebe zur Weisheit“ (Philo-sophia) verbindet. Schon der Glaube an die verändernde Macht der Philosophie und Theorien widerspricht ganz klar dem Zeitgeist. Quer durch die ideologischen Lager zieht sich eine Geringschätzung von nicht direkt „verwertbaren“ Gedanken. Aktionen scheinen der Theorie immer überlegen, da sie durch ihren unmittelbaren Charakter direkte Ergebnisse mit sich bringen. Diese Annahme, also die Idee, dass auch Gedanken und Theorien unmittelbar „zu etwas gut“, direkt benutzbar sein müssen, füttert allerdings einen gefährlichen Funktionalismus. Dieser brandmarkt abstrakte Gedankengänge als ineffizient und nutzlos. Dabei wird die grundlegende Rolle bestritten, die die Philosophie bei der Wahrnehmung und Einordnung der Realität hat. Jede Bewertung und jede Meinung beruht auf Weltbildern und Werturteilen. Diese grundlegenden Annahmen sind meist umso problematischer je natürlicher sie uns erscheinen. Der positivistische, bürgerliche Mythos einer neutralen Wahrnehmung und des nüchternen Urteils hat sich tief eingeschrieben – wird aber dadurch nicht „wahrer“.Diesen und anderen hegemonialen Mythen unserer Zeit werden wir in unserem gemeinsamen Arbeitsraum auf die Pelle rücken. Mit unserer theoretischen Arbeit wollen wir Denk-Räume öffnen. In den Räumen soll ein anderes Denken möglich werden, das dann nach Außen wirkt. Offen genug, um neue Menschen mit niedrigschwelligen Veranstaltungen einzuladen, aber auch organisiert genug, um einen gut organisierten Betrieb aufrechtzuerhalten.

AdI

(1) www.syndikat.org
(2) europa-cluster.net
(3) we.riseup.net
(4) Eine genauere Herleitung findet ihr auf unserer Homepage.
(5) Bewegung, die sich für die Überbrückung der Kluft zwischen Wissenschaft und „normalen Menschen“ einsetzt, z.B. www.thepeoplesscience.org

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