Die GroßstadtIndianer (Folge 13)

Kein Krieg, Kein Gott, kein Vaterland  IV

Tnnng. Tunng. Tung. Hahh. Schmerz. Togg. Hh! – stechend – am Schädel. Meine Fingerspitzen tasten vorsichtig über die Schläfen. Die aufgeplatzte Stelle ist noch feucht. Chch. Die Berührung beißt sich ins Fleisch. Ich schaue an mir hinunter und sehe den nackten Körper in Fetzen gehüllt. Ein Mensch. Eine Wunde. Übelkeit würgt mir die Luft, ich speie den Ekel heraus. Nach dieser schnellen Bewegung, schießt frisches Blut in die Risse der Haut, ich spüre genau den Druck auf dem Schorf. Togg. Togg. Mei­ne Hände tasten nach Halt. Vorsichtig. Chchch. Dieser stechende Schmerz. Taub und schwer. Langsam, den zertrümmerten Rücken an der Wand hochschiebend, richtet mein Körper sich auf … und sackt sofort wieder in sich zusammen. Cch-ah. Das rechte Bein unansprechbar, baumelt leblos am Becken hinunter. Tauber Klump. Der Gedanke dreht Wirbel im Magen. Erneute Übelkeit. Erbrechen. Was­ser schießt in meine Augen. Luft! Ein heftiger Atemzug zwingt mich auf den intakten Fuß. Chaaah! Die Schulter prallt knirschend gegen den Putz. Warm! Ich spüre den blutenden Lauf, der mir die verbliebenen Fetzen mit dem Leib neu verklebt. Wo bin ich? Was ist geschehen? Der Schmerzbrei löst sich jetzt langsam in lokali­sierbaren Reiz, Sinfonien des Leidens synchronisiert in meinem Ner­ven­system. Togg. Togg. Verdammt, was ist nur passiert! Die Dämmerung beginnt sich zu lichten. Erste Gedanken suchen nach Helle. Ich schiebe mir die Hand erneut über die Schläfen, aber die Berührung ist halb. Kalter Schock erschüttert die Glieder. Den Blick starr auf die Finger gerichtet: Der kleinste kaum mehr als ein Stumpf. Der Würgreiz verebbt in den tauben und lahmenden Muskeln. Der Magen ist leer. Dafür steigt Kälte in jeden Winkel dieser Wunde aus Mensch. Erinnere Ich? Taumel. Abwesenheit. Togg. Togg. Das ver­zerrt grinsende Fletschen einer alten Frau springt mir entgegen. Ein weiß-greller Blitz. Schatten huschen über den trüben Augenschein. Angst! Wo? Der Schwindel taucht sich in Farben, und ich sehe brennende Reifen, Chaos und Menschengemalme. Uniformen, Schreie nackter Körper. Kalle!?! Bleifüßig senkt sich die lähmende Schwärze auf meine Augenlider. Togg.Toggtogg. Togg. Dann erneut diese gräßlichen Bilder. Der kleine Finger springt von mir – glatter Schnitt, vom Stumpf getrennt. Ein Goldzahn mit schlechtem Geruch grinst gegen mich, näher als nah! Ich drehe den Kopf, während das monotone Hacken immergleicher Stimmgewalt mir den Schädel spaltet, meinen Leib immer tiefer in die Wand presst. Die wunde Hand tastet hilflos nach Halt. Ohnmacht. Togg. Togg. Als mir Metall unter die Haut fährt, holt mich der Schock zurück. Ich schreie. Dunkelheit. Warten. Ein Lichtpunkt dringt vom Ende des Tunnels. Unruhiges Licht. Flackern. Der grundlose Boden schleift über die kraftentzogenen Glieder. Widerstand regt sich aus dem aufbäumend schlagenden Herz. Befehle. Wütende Hiebe. Der willfährige Trampelpfad führt direkt über das zerstampfte Bein. Ich schreie wieder. Togg. Togg. Togg. Eisengeklirr. Dumpfes Knarren. Das Geräusch fährt mir unter die Haut. Ich lenke alle Kraft gegen die erdrückenden Lider, stemme sie auf und starre hinaus. Gespenstische Schreckgestalt! Unbild­liche Fratze!! Ihr fragender Ton dringt durch meine Schädelplatte, wie eine Nadel durch Stoff. „B-o-o-r-i-ssss. Borrrriissss??? Booories? Boriss!? Boris, Mensch, wach auf!“ Ein kalter Schauer kommt von den Schläfen, reißt ruckartig die Maske des Fiebers herunter, löst die taubträge Zunge: „Ich…“ – „Boris, hallo! Kannst du mich hören!?“ Plötzlich bin ich wach. Ich greife reflexartig nach meinem Bein und sehe dann auf. Vor meinen Augen erscheint Kalles Zahn­lückenlachen. „Na Matrose, wieder unter den Lebenden?“ „Kalle? Ich – ich weiß nicht… was… was??“ „Bleib mal ganz ruhig!“, auch Schlumpf taucht jetzt in meinem Blickfeld auf. Moni und Finn stehen daneben. Kalle ditscht mir mit einem unerträglich nassen Lappen auf die Stirn. „Aua, laß den Scheiß!“ Ich reibe mir über die Schläfen und stoße gegen eine riesige Beule: „Verdammt!“ „Er ist eindeutig gesund, er flucht wieder! Gute Arbeit, Genossen.“ Kalle wendet sich zurück zu mir: „Wünscht denn unser Patiuent noch etwas?“ „So mütterlich kommt der Kalle echt schlecht!“ Schlumpf lacht. Die anderen stimmen ein. Ein saures Gefühl stößt in mir auf und ich lasse es heraus: „Was soll das Theater? Was ist eigentlich passiert!? Ich erinnere mich nur noch bruchstückhaft. Auf der Demo am Montag. Nazialarm und Unmengen Polente! Dann: Barrikaden, brennende Reifen, Straßenschlachten, Gas! Schlumpf, du wolltest mir doch noch helfen?!“, noch bevor ich den letzten Satz zu Ende spreche, brustet es aus allen heraus. Kalle zuerst: „Die Alte hat dir wohl die Birne weichgekloppt!“, „Das muß ja ein Traum gewesen sein!?!“, „Aber das Bein …“, „WAS hast du denn im Fieber erlebt!?“, „Mensch Boris, du hast Wahnvorstellungen!!“ Ich blicke verständnislos in die Runde: „Kann mich mal jemand aufklären!“ – „Also Boris,“ Kalle räuspert sich, „das war so: Da kommt doch so ein altes Muttchen, denkt, die Flyer der Nationalisten sind von dir und zieht dir so voll eine mit dem Stock über den Kopf. Du sackst sofort zusammen. Ohnmächtig und so. Wir haben natürlich mit der Frau diskutiert und ihr die Sachlage erklärt. Sie läßt sich entschuldigen und kommt morgen mit Kuchen. Sahnefrau, sag ich dir! Pico-bello-Ansichten! War halt ein Miß­verständnis zwischen Euch.“, er grinst süffisant, „Dann haben wir dich in zwei Transparente gewickelt und den ganzen Berg hoch bis hierher geschleppt. PotzBlitz­undWelle bist du schwer, Mann!“ – „Aber, ich meine, was war mit der Demo? Keine Barrikaden? Kein Widerstand? Nichts?“ „Nichts.“ Kalle steht auf. „Hast du was anderes von unseren guten Bürgern erwartet?“ „Nein, nur davon geträumt, geträumt leider nur.“ Ich runzle die Stirn und nicke wieder ein.

(Fortsetzung folgt…)

clov

…eine geschichte

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