Die Großstadtindianer (Folge 7)

Hitzefrei!

Nach dem ganzen Hin und Her wegen Kalles Geschichte, der Nacht auf dem Dach und dem Umstand, dass Schlumpf, Moni und Boris sich von nun an an dem Projekt beteiligen, die ein oder andere Geschichte in das kleine schwarze Büchlein mit den rotschimmernden Seiten schreiben wollten, war es irgendwie wieder bei mir gelandet. Und ich beschloss, in aller Kürze noch eine kleine Anekdote zu skizzieren, bevor ich das Buch weitergab.

„Pfui, pfui! s ist viel zu heiß.“ Moni lugte über ihrer Sonnenbrille zu mir herüber. „Findest du nicht auch, Finn?“ „Mhm…“, ich sah von meinem Buch auf und suchte mir eine bequemere Liegeposition in Kalles Hängematte: „Selbst im Schatten treibt einem jede Bewegung den Schweiß auf die Stirn. Unerträglich.“ Sie überlegt: „Sollen wir Baden gehen? Hast du Lust?“ Keine schlechte Idee, dachte ich, bei der Gluthitze war eh nichts mit Konzentrieren, und die dicke Luft trieb nur bunte Blasen ins Gehirn, „Warum nicht, ich …“

Kalle kam um die Ecke und unterbrach mich. „Auf dem Feld sieht´s echt nicht gut aus. Ist kein Seemannsgarn, was die Bauern sagen. Die Dürre setzt den Pflanzen ziemlich zu. Das gibt eine magere Ernte, sag ich euch. Verflixt und zugenäht. Da müssen wir uns für den Winter noch was überlegen.“ ,Nicht heute, Kalle“, ich mochte nicht dran denken und drehte mich ein wenig von ihm Weg. „Hallo Herr Faulpelz!“ Kalle rüttelte kräftig an der Hängematte, „Wollten wir nicht“, er betonte das Wort extra, „HEUTE das Eingeweckte zu Oma Lotte brin­gen? Sie wird sicher warten. Auf, auf Ma­trose, eine Maid in Seenot heldenhaft zu retten.“

In seinem Überschwang bewegte er die Hängematte so heftig, dass ich auf Boden und Nase landete. „Au, KALLE“, ich rappelte mich auf, während Moni ihr Schmunzeln zu verbergen suchte. „Ver­dammt noch Mal. Es ist viel zu heiß, um zu arbeiten. Und für Deine Neckerein ist es das auch“, ich las etwas missmutig das Buch vom Boden auf. „So unrecht hat Finn nicht, Kalle. Mit den Holzkiepen bis zu Oma Lotte, bei der Brüterei!“ Moni sah zu mir herüber, und ich sank wie zur Bestätigung auf die Hängematte zurück.

„Mhm…“ Kalle überlegte. „…ach Potzblitz, wozu gibt’s die Telekommunikation. Ich meld´ uns für morgen an.“ Er sah mich erwartungsvoll an. Ich nickte schwächlich, um ihn bei seiner Entscheidung zu unterstützen. „Aye, aye.“ Kalle verschwand. „Puh, das hätte beinahe ein böses Ende genommen. Danach wäre ich sicher nur noch eine Pfütze mit Mineralien und Spurenelementen gewesen.“ Ich dehnte meine Glieder. „Daß das den Kalle nicht juckt, mit der Hitze, meine ich.“

„Tja, was so ein richtiger autonomer Freibeuter ist, der ist die schattenlosen Planken seines Schiffs ge­wohnt.” Moni versuchte dabei das Gesicht so zu verziehen, wie Kalle es bei einem solchen seiner Lehrsätze über Piraten tat. Ich grinste: „An dir ist auch eine richtige Seemannsbraut verloren gegangen.“

Sie sah mir kurz in die Augen, schob sich dann die dunklen Gläser wieder weit über ihre Augen, lehnte sich zurück und sagte trocke­ner als die Luft: „Ich bin niemandes Braut. Damit du das weißt. Ich …“

Diesmal un­terbrach Kalle Moni, als er wieder um die Ecke bog: „Habt ihr Lust, schwimmen zu gehen? Ich sehne mich nach weiten Was­sers Wogen. Und da wir ja für heute ar­beitslos sind, können wir doch auch glatt Spaß haben. Also wie sieht’s bei euch aus?“ Aber Kalle kam nicht mehr dazu, uns genauer auszufragen. Vom Eingang her ertönte kurz Gebell und ein schriller Pfiff.

Unverkennbar. Schmatz und Schlupf. Letzterer ruderte breitärmig durch die Luft und begann schon von Weitem im Laufen zu reden: „Ich komme gerade vom Bade­see …“, er holte Luft, als wollte er uns von jedem Einwand abhalten. „Da wollen wir hin.“ Kalle nickte Moni und mir zu. Schlumpf war kurz irritiert, fand aber dann gleich seinen Faden wieder. „Das ist gut. Sehr gut. Wir müssen uns da echt um was kümmern. Da gibt´s so `ne Brigade, die bau­en doch seit zwei Wochen den neuen Ki­osk. Direkt am Wasser. Im Rahmen des Beschäftigungsprogramms der Stadt. Wo sie Azubis, Frauen,Migranten, Drückis usw. an die Volksfront zwingen. Ich sag euch: Ich komme heute dahin. Die Sonne steht im Zenit, mensch kann sich kaum bewegen, und da steht doch so´n Affe von Vorarbeiter am Kiosk und triezt die Leute. So richtig mit ’schneller‘, ‚das muss heut noch fertig werden‘, ‚hier gibt’s keine Pausen‘ und so. Unglaublich! Und der macht dabei nicht einen Handschlag.“

Schlumpf hatte sich bei den Gedanken sichtlich erregt. „Die brauchen unbedingt eine Abkühlung, und der Großkotz eine Abreibung, das sag ich euch. Mir ist da auch schon was eingefallen.“ Alle nickten zu­stimmend und Schlumpf weihte uns in seinen Plan ein. Den in Taten einzuspan­nen wir uns wenig später Richtung Badesee in Bewegung setzten. Die Sonne brann­te. Immer noch.

Die Holzbaracke, in die der Kiosk einzie­hen sollte, war schon fast fertig und lag ca. 30m vom Badesee auf abschüssiger Anhö­he. Daneben türmten sich allerlei Bau­geräte und Materialien, unter anderem auch ein riesiger Stapel aufgeschichtetes Palisadenholz. Wir trennten uns. Boris und Kalle gingen zum Wasser. Schwimmen. Ich und Moni machten einen kleinen Spazier­gang zum Holzstapel, und Schlumpf und Schmatz tummelten sich am Strand. Es sollte alles ganz normal aussehen und dann möglichst schnell über die Bühne gehen. Die Sonne glitt gleißend über das ruhige Wassern uns lief stöhnend eine Frau in voller Berufsbekleidung vorbei und schleppte ein Palisadenholz in die Baracke hinein. Moni schüttelte den Kopf und ihre Augen kühlten merklich ab. Aus dem In­neren des Hauses hörten wir eine tiefe Stimme brüllen: „Die Großen, Mann, nicht die Kleinen. So kriegste nie `nen rich­tigen Job… Außer du kommst mich mal besuchen.“ Als sein widerwärtiges Lachen Moni erreichte, musste ich sie zurückhal­ten. „Gleich bekommt er sein Fett, Moni. Mach’s nicht kaputt.“ Der Funke Zorn, der ihren Körper spannte, ließ mich ein wenig schaudern. Ich zog sie schnell hinter den Palisadenhaufen. Die Halterungen hatten wir flugs gelöst und als sich unser gegen seitiges Zwinkern in der Mitte traf, eins zwei drei, war der ganze Haufen mit riesigem Getöse Richtung Wasser unterwegs.

Die ganze Brigade lief vom Lärm geschreckt vor der Baustelle zusammen. Während wir uns hinter einen Sandhaufen verdrückten, waren Boris und Kalle schon dabei, das im Wasser ankommende Holz weiter hinaus, in die Mitte des Sees zu schieben. Das hysterische Schreien des Vorarbeiters hackte in lan­gen Salven über den Strand. „Verdammt! Ihr Nichtsnutze. Muss man denn hier al­les selber machen. Holt das Holz zurück! Sofort! Los! Zack! Zack!! Das gibt’s doch nicht!!! Hey, und ihr da! Hände weg vom Holz! Los, Los! Oder soll ich euch Beine machen!“ Die versammelte Brigade setzte sich in Richtung Wasser in Bewegung, streifte die Arbeitskleidung ab und tauch­te in das kühlende Nass, um die mittler­weile über den halben Badesee verteilten Palisaden wieder einzufangen. Der Vorar­beiter blieb wild wetternd und gestikulie­rend an der Baracke zurück. Jetzt kam Schlumpfs Auftritt. Schmatz stürmte auf den lästig Geifernden zu, bellte und fletschte die Zähne. Der sah Schlumpf und schrie ihn an: „Nimm das Mistvieh weg, du oller Punker.“

Der antwortete prompt: „Vergiss es, Schinder.“ Schlumpf war zwar zwei Köpfe kleiner, ließ sich aber nicht ins Bockshorn jagen. Der Vorarbeiter griff zu einer Latte. Schmatz entfernte sich ein wenig, und Schlumpf stürmte Lattenschwingenden vorbei ins Innere der Baracke. „Na warte,“ er folgte ihm. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Ich trat schnell in Richtung Tür, kraulte Schmatz kurz und dann kam Schlumpf auch schon aus dem Haus gehechtet. Wir verrammelten schnell die Tür, und als der Gelackmeierte von Innen dagegen stieß, wurde ihm klar, dass er in der Falle saß. Wild trommelten seine Fäuste gegen das feste Holz und sei­ne Flüche verhallten im Haus. Schlumpf und ich klatschten ab. Der kleine Egon grinste breit vor Freude und wandte sich dann mit tiefgefärbter Stimme an den Eingeschlossenen. „Lass dir das eine Leh­re sein, andere Menschen zu verachten und zu misshandeln. Wir werden dich beob­achten. Das war nur eine Warnung.“ Schweigen. Ich wollte mich gerade um­drehen und zu Kalle und Boris gehen, als hinter uns im Haus ein spitzer Schrei er­tönte. „Au.“ Schlumpf sah mich an, wir zuckten beide zeitgleich mit den Schultern und drehten uns dann zum

Der Anblick des Badesees war eine Augenweide. Überall schwammen die Palisaden­hölzer herum und mittendrin die gesam­te Brigade als Badegruppe. Alle schienen etwas erleichtert, nicht nur wegen der Ab­kühlung, auch weil das Gezeter des Vor­arbeiters nicht mehr zu hören war. Boris und Kalle kamen die Böschung hinauf. „Und?“ Kalle sah mich fragend an. „Er brütet im Haus. Auf unbestimmte Zeit.“ Schlumpf nickte bekräftigend. „Bei den Winden der sieben Meere, gut gemacht!“ Wir wechselten zufriedene Blicke. Da viel mir plötzlich auf: „Wo ist eigentlich Moni?“ Keiner wusste es. Als wir zur Ba­racke zurückschlenderten, kletterte sie ge­rade von einem nahestehenden Baum. Die Zwille zwischen den Zähnen. „Moni?“ Ich sah in ihre Augen. Der zornige Schleier war einer heimlichen Freude gewichen. „Das Dach war noch nicht ganz fertig. Durch das Loch hatte ich ihn ganz genau im Visier.“ Ich schüttelte den Kopf, „Aber Moni, warum?“ Sie spitzte keck die Lip­pen, drehte sich auf ihren nackten Fersen Richtung Badestrand und sagte trocken: „Er hatte es verdient. Und jetzt lasst uns Baden gehen.“ Die Sonne brannte immer noch. Nur im Wasser war es einigermaßen erträglich.

(Fortsetzung folgt.)

clov

Lyrik & Prosa

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