Eine Nachbetrachtung der Umtauschinitiative
„Geld ist geprägte Freiheit“ – dies meint nicht in erster Linie, endlich aus dem breiten Sortiment eines beliebigen Supermarktes die „Lebensmittel des täglichen Bedarfs“ – so im Beamtendeutsch – auswählen zu können. Viel wichtiger erscheint, Geld überhaupt zur freien Verfügung zu haben: zum Telefonieren und für Bücher, für Straßenbahn, Zigaretten, Kinobesuch oder was sonst im Leben selbstverständlich sein sollte. Doch für all das reichen wohl kaum die 10-40 Euro „Taschengeld“ im Monat, die den hier lebenden Asylsuchenden für sogenannte „Luxusgüter“ ausgezahlt werden; vor allem wenn AnwältInnen bezahlt werden müssen, denn rechtlicher Beistand ist für das Asylverfahren oft dringend benötigt. Um dagegen vorzugehen, entstand vor inzwischen knapp drei Jahren die Umtauschinitiative anders einkaufen (s. FA! #22), die es sich auf die (nicht vorhandenen) Fahnen geschrieben hatte, die Lage von Asylsuchenden zu verbessern und die Auswirkungen der staatlichen Repressionen des Sachleistungsprinzips zu mildern.
Eine Person der Initiative erzählt: „Angefangen hat alles mit der konkreten Frage eines Freundes, ob wir nicht einen Teil seines Essen haben wollen, und ihm dafür etwas Geld geben, denn das war für ihn – mit gerade mal 40 Euro Taschengeld im Monat – immer mehr als knapp, klar. Das klappte, na und da lag die Überlegung nah, daraus ein eigenes kleines Projekt zu machen, wie man es auch schon von anderen Städten gehört hatte.“
Setzte man sich anfangs noch im kleinen Kreis über einen knitterigen Bestellkatalog der damaligen Versorgungsfirma „Kühlhaus Wüstenbrand“ und sorgte eher privat für gefüllte Speisekammern, so nahm das Projekt bald professionellere Formen an. Eine Internetseite mit mittlerweile digitalisiertem Katalog, vielen Links und Hintergrundinfos sollte mehr Menschen auf das Projekt aufmerksam machen und zum Mitmachen animieren, und bei VoKüs wie „Essen aus der Kiste“ wurde Getauschtes in großer Form verbraten. Neben der Bestellmöglichkeit per Email konnte man bald auch durch Kontaktkästen im Eine-Welt-Laden, in der Libelle und im Umsonstladen der G16 der Umtauschini schreiben und auf Zetteln Lebensmittel „ordern“. Wenn genügend Bestellungen zusammenkamen, also etwa einmal pro Woche, fuhren Aktive der Initiative gemeinsam ins Heim in Grünau, verteilten die abgegebenen Bestellungen auf die verschiedenen Familien, mit denen im Laufe der Zeit Kontakt aufgenommen wurde, überließen ihnen das Bargeld und holten die inzwischen eingetroffenen Lebensmittelpakete der Vorwoche ab.
Doch die Umsetzung war nicht immer einfach: Durch die schwankende Nachfrage auf Seiten der Menschen außerhalb des Heimes konnten die Flüchtlinge nie fest mit Bargeld rechnen. Es gab Zeiten, in denen mit vielen Wunschzetteln und Geld ins Heim gefahren werden konnte und manchmal Zeiten, in denen alle Bestellkästen leer waren – vielleicht, weil es dann doch bequemer (und oft auch billiger) ist, einfach spontan im nächsten Supermarkt einkaufen zu gehen. Allerdings bekamen diejenigen, die sich auf einen Tausch einließen, auch eine Ahnung davon, mit welchen Einschränkungen Flüchtlinge tagtäglich konfrontiert sind: sich mindestens eine Woche im Voraus überlegen zu müssen, was denn dann im Kühlschrank fehlen könnte; die mangelnde Auswahl, und auch mal gammelige Zwiebeln im Paket liegen zu haben. So wurden bestehende Zwänge – und auch die eigene bisher vielleicht kaum wahrgenommene Freiheit – bewusster.
Ansätze wie die der Umtauschinitiative stehen ja manchmal als ledigliche „Symptombehandlung einer kranken Flüchtlingspolitik“ in der Kritik, die statt politisch eher wohltätig agiere. Dies verkennt allerdings, dass der praktische Umtausch durchaus eng mit der Forderung nach Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes (und allen rassistischen Sondergesetzen) verknüpft ist und zumindest als schrittweise Verbesserung die Einführung von Bargeld statt Sachleistungen anstrebte. Es geht eben nicht, nur um eine eventuelle Verbesserung in der Zukunft, sondern um konkrete Veränderungen im Jetzt. Durch solidarisches Handeln sollen nicht nur die konkreten Lebensbedingungen verbessert werden, sondern eben auch Kritik am bestehenden System öffentlich gemacht und Diskussionen darüber ausgelöst werden.
Außerdem konnte und musste festgestellt werden, dass eine (auch indirekte) Kritik am Asylbewerberleistungsgesetz von den Behörden natürlich nicht gewünscht ist und die Heimleitung auch versucht hat, politische Aktivitäten im Heim zu unterbinden. Als beispielsweise die HeimbewohnerInnen durch AktivistInnen der Initiative über die geplante Einführung von Chipkarten informiert und dazu eingeladen wurden, mit zur Stadtratssitzung zu kommen, auf der über den entsprechenden Antrag abgestimmt werden sollte, um Stellung zu beziehen, hing die Heimleitung die Plakate gleich wieder ab und machte klar, dass ein derartiges Einwirken nicht geduldet werden würde. Sehr wichtig war auf jeden Fall der Austausch und die Vernetzung mit anderen Gruppen dieser Art, vor allem der Berliner Initiative gegen das Chipkartensystem und der Dresdner Kampagne gegen die Ausgrenzung von AsylbewerberInnen. Die im dortigem AZ Conni stattfindende „Vokü Cartonage“ wurde regelmäßig mit Paketen aus Leipzig eingedeckt, nachdem es dort bereits Bargeld gab. Und auch wenn mit der Einführung von Bargeld für Leipziger AsylbewerberInnen nun das eigentliche Ziel der Leipziger Umtauschinitiative erst einmal erreicht ist: in vielen anderen Regionen Sachsens und Deutschlands sind noch Fresspakete oder gar Kantinenessen Praxis, und dem Kampf dagegen gilt unsere Solidarität!
else