Dublin: Solidarnosc reloaded?

Ganz perfekt ist die Globalisierung der Konzerne noch nicht … die Supermarkt­kette Tesco etwa, die größte ihrer Art in England, ist in der BRD gerade mal mit Online-Shopping präsent … was uns vor das schier unlösbare Problem stellte, wo wir, bitte schön, unsere Solidarität zum Ausdruck bringen sollten!

Wieso Solidarität? Ihren Ausgang nahm die Auseinandersetzung in einem Dubliner Lagerhaus der Logistiksparte von Tesco. Die Situation dort ist die, dass neben der festangestellten Kernbelegschaft (ca. 140 Leute) auch etwa 60 Leih­arbeiterInnen (v.a. aus Osteuropa) im Lagerhaus schuften und für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn erhalten – die Differenz liegt bei mindestens drei Euro pro Stunde, oder 190 Euro pro Woche. Das ist eine Quelle des Firmen­gewinns, der sich 2004 auf täglich 4,4 Mio. Pfund belief.

Wenn man als ausländischer Leiharbeiter, also mit Sprachschwierigkeiten und in Unkenntnis der Rechtslage, bei Tesco anfängt, ist man über die 9,52 Euro pro Stunde erstmal ganz glücklich – immerhin liegt der gesetzliche Mindestlohn noch 2 Euro darunter. Nach einer Weile ist man aber geradezu gezwungen, die eigene Rolle im System Tesco kritisch zu hinterfragen: Denn diese „differenzierte Beschäftigung“ ist nicht durch kurzfristige Höhepunkte im Arbeitsaufkommen bedingt, mit denen die Notwendigkeit von Leiharbeitsfirmen im Allgemeinen legitimiert werden soll. Sondern sie ist Unternehmensstrategie, um die Lohnkosten zu drücken und Forderungen der ArbeiterInnen zu er­schwe­ren.

Hinzu kommt, dass die Tages­normen bin­nen weniger Monate um hundert Prozent erhöht wurden: sollte man im Frühjahr 2004 noch 500 Kartons pro Tag verladen, sollen die ArbeiterInnen nun 1.000 Kartons stemmen – wer darüber hinaus­gelangt, bekommt einen Lohnzuschlag. Diese gesundheitsschädlichen Normen werden den Beschäftigten in Einzel­gesprächen mitgeteilt und können von Person zu Person unterschiedlich sein; so war es dem Management möglich, die Anforderungen derart zu erhöhen.

Ausschlaggebend für die gegenwärtige Mobilisierung ist die Entlassung zweier polnischer Leiharbeiter, die die Norm­erhöhungen nicht akzeptiert, sondern Forderungen gestellt hatten. Der Anarchist Radoslaw Sawicki ergriff als erster die Initiative: er kam mit einem T-Shirt auf Arbeit mit dem er er­klär­te „We’re picking 800. No more.“ Die Kollegen mach­ten deutlich, dass sie die For­de­rung voll & ganz unterstützten – so blieb Radek denn auch stand­haft, als er zum Einzel­ge­spräch mit dem Management zitiert wurde. Letztlich sind es aber nur wenige „Radi­kale“, die die 800 Kartons nicht über­schreiten. Die niedrige Betei­li­gung hat wohl v.a. mit der Angst vor Entlassung zu tun. Der erste Anlauf schien also zunächst vorbei, während die größte Gewerkschaft Irlands, die Services, In­dustrial, Profes­sional and Technical Union (SIPTU) eine Klage gegen den offiziellen Arbeitgeber, die Zeitarbeits­agentur Graf­ton, vor­bereitete und sich die ArbeiterIn­nen mit der blassen Hoffnung eines juristischen Erfolgs zufriedengaben. Radeks Traum von einem selbst­organi­sierten Arbeiterkomitee war erstmal geplatzt.

Als jedoch die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza einen Artikel über den Konflikt veröffentlichte, sah das Tesco-Management das Image des Unter­nehmens geschädigt und entließ Zbigniew Bukala und Radoslaw Sawicki – und die SIPTU hielt still!

Walka Trwa! Der Kampf geht weiter!

Mit diesem Schritt hatten sie sich jedoch verkalkuliert. Zwei Tage darauf, am 21.7.05, gründeten die Betroffenen zusammen mit Dubliner AnarchistInnen ein „Komitee zur Ver­teidigung der Tesco-Zeitarbeiter“ und stellten folgende Forderungen auf:

1) sofortige Wiedereinstellung der beiden entlas­senen Leiharbeiter bei Tesco,

2) Einführung des Prinzips, dass Leih­arbeiter, die mehr als drei Monate bei Tesco arbeiten, ei­nen Vertrag bei Tesco er­hal­ten;

3) Abschaf­fung der Ta­ges­norm von 1.000 Kartons durch die Tesco-Distribution.

Ende Juli or­ga­nisierte das Komitee eine Protestaktion vor dem Lagerhaus und übergab seine Forderungen bei dieser Gelegenheit auch dem Manage­ment. Falls diese ignoriert würden, wollte das Komitee eine Reihe von Aktivitäten mit dem Ziel unternehmen, die Angele­gen­heit in der Öffentlichkeit bekannt zu machen – auch Streiks und Blockaden wurden nicht ausgeschlossen. Aus Soli­darität legten die ca. fünfzig Arbeiter im Lagerhaus zeitweise die Arbeit nieder, obwohl die SIPTU diese „illegale“ Aktion nicht unterstützte.

Zeitgleich hat es an verschiedenen Tesco-Standorten in Polen (Gdynia, Poznan, Szczecin, Warsaw) Aktionen gegeben, bei denen die OZZ Inicjatywa Pracownicza und die Federacja Anarchistyczna Infor­mationen über die Situation in Dublin verteilten. Auch in anderen Städten (Belfast, Glasgow, Leeds, London, Oxford, etc.) gab es Protest­aktionen, die u.a. vom Workers‘ Solidarity Movement, Organise! und der Industrial Workers of the World, aber auch ehem. Tesco-ArbeiterInnen organi­siert wurden – nicht wenige Kun­dIn­­nen suchten sich aus So­li­darität einen anderen Supermarkt. So konnte das Stillhalten der SIPTU in gewissem Maße aus­geglichen werden. Walka trwa…

A.E.

Weitere Infos: www.wildcat-www.de & parpatoo.w.interia.pl (auf engl.)

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