E-Petitionen: Fluch oder Segen?

Im World Wide Web stolpern wir inzwischen ständig über die verschiedensten Petitionen. Mit unserer Unterschrift können wir fast gleichzeitig gegen Schulschließungen protestieren, versuchen konkrete Abschiebungen zu verhindern und uns gegen die GEMA stark machen. Petitionen liegen irgendwie im Trend, durch ihr „Mitmachelement“ Unterschrift sind sie Medium und Startegie zugleich. Doch ihre zweifelhafte Wirksamkeit befördert auch ihre Kritiker_innen. Entwaffnen sich damit linke Initiativen und soziale Bewegungen selbst? Oder sind E-Petitionen zur Beförderung ihrer Sache nicht doch eine (neue) Chance?

PRO:

Wer sich heutzutage erfolgreich gegen konkrete gesellschaftliche Missstände einsetzen will, kommt an Online-Petitionen nicht vorbei. So naiv eine Überschätzung der Wirkung von Petitionen zwar wäre, so fahrlässig wäre auch die generelle Ablehnung selbiger.

Ihr größtes Potential liegt in ihrer Beliebtheit, denn dadurch werden verschiedenste, aktuelle Themen und konkrete Belange in die breite Öffentlichkeit getragen. So können innerhalb kürzester Zeit Infos gestreut und Menschen mobilisiert werden – mit einer Pressemitteilung hingegen wird heutzutage kaum noch jemand hinterm Ofen vorgelockt. Zudem sind Petitionen ein Handlungsmittel „von unten“, denn jede_r kann eine Petition einrichten; dafür braucht mensch nicht einmal eine Organisation im Rücken.

Qualitativ unterscheidet sich die Petition vor allem durch ihr Unterschriftselement von der klassischen Pressemitteilung. Während man letztere lesen und wieder vergessen konnte, regt die Petition zur eigenen Positionierung an. Wird das Anliegen für unterstützenswert gehalten und die Unterschrift gesetzt, dann ist schon ein erster Schritt getan, weil Auseinandersetzung bzw. Bewusstwerdung passiert ist. Natürlich dürfen Petitionen nicht mit Engagement verwechselt werden und ersetzen dieses mitnichten. Wohl aber muss mensch diejenigen, die eine Petition unterstützen, nicht mehr vom Anliegen überzeugen – sondern kann darauf aufbauend zur weiteren Aktivierung, z.B. durch direkte Aktionen anregen, um wirklichen Druck für das konkrete Anliegen aufzubauen.

Die Petition selbst wird ja als Zeichen des Protestes und mit der konkreten Aufforderung, bestimmtes Handeln zu unterlassen/zu verändern o.ä., an den entsprechenden Schaltstellen der Macht eingereicht. Selbst wenn die Hoffnung auf Veränderung dann meist enttäuscht wird – vor allem, wenn keine begleitenden Massenproteste und Aktionen stattfanden – so hat sie dennoch einen wichtigen Effekt: Ihre Empfänger setzen sich (mehr oder weniger intensiv) mit dem Gedanken auseinander, dass ihr Handeln auf breite Gegnerschaft in der Bevölkerung stößt. Bestimmte Institutionen, wie die Ausschüsse im Bundestag, sind darüber hinaus verpflichtet aufgrund von (erfolgreichen) Petitionen den Sachverhalt erneut zu prüfen und eine weitere Stellungnahme im Bundestag abzugeben. Vor allem auf lokaler Ebene erzielen sie auch öfter ihre gewünschte Wirkung, bspw. bei der Verhinderung von konkreten Abschiebungen (1). Vor allem aber können Petitionen für uns selbst nützlich sein: zum Beispiel, um die eigene Argumentation in Alltagsdiskussionen zu untermauern. Denn es wirkt schon verstärkend, wenn nicht nur ich aus guten Gründen die EU-Richtlinie zur Wasserprivatisierung scheiße finde, sondern mit mir noch über eine Million Andere. Kurzum: selbst wenn auf die Forderungen der Petitionen nicht eingegangen wird, so spiegeln sie dennoch verbreitete Protesthaltungen und Meinungen wider und machen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung präsent. Diese zu kennen ist wiederum eine wesentliche Voraussetzung, um nicht über sondern mit den Menschen Politik zu gestalten – egal auf welcher Ebene.

Schlussendlich fördern Petitionen auch ein allgemeines kritisches Bewusstsein. Denn es gibt auch viele im Netz kursierende Petitionen, die inhaltlich fragwürdig oder problematisch sind. Angesichts ihres „Trends“ werden es sogar zunehmend mehr. Wo mensch seinen „Otto“ drunter setzt, sollte daher wohl überlegt sein.

Festzuhalten bleibt: Petitionen sind sicher nicht DAS Element, um die Verantwortlichen zu Veränderung zu zwingen, wohl aber sind sie DAS Element, um heutzutage an der Basis ansetzend viele Menschen zu erreichen und im ersten Schritt zu aktivieren. Darüber hinaus geben sie uns und den Verantwortlichen einen Einblick in die Stimmungslage der Menschen, die nicht am Machtschalter sitzen. Petitionen daher nicht als Türöffner für weiterführendes (direktes) Engagement zu nutzen, bedeutet v.a. sich viele Chancen zu vergeben.

momo

(1) Im Sommer 2012 erwirkte eine Petition, einhergehend mit Schüler-Demonstrationen, Lichterketten und Mahnwachen das unbefristete Aufenthaltsrecht von drei jungen, aus Honduras stammenden Hamburgerinnen. www.ndr.de/regional/hamburg/fabiola117.html

Pro, weil:

# schnelle & weite Infoverbreitung „von unten“

# Positionierung und erste Aktivierung von Menschen

# Bevölkerungsmeinung wird sichtbar

CONTRA:

E-Petitionen, also Petitionen, die online eingereicht und unterschrieben werden können, sind zwar Werkzeuge des digitalen Zeitalters, doch in ihrer Organisations- und Wirkungsform nicht grundlegend anders als das analoge Pendant. Die „Petition“, vom lateinischen Substantiv „petitio“ (Verlangen, Bitte, Gesuch) und dem Verb petere (zu erreichen suchen, greifen, bitten), zeugt schon in ihrer Wortherkunft vom Wesen als reines Bittwerkzeug. Eines von Bittsteller_innen also, die sich in einer Sache an den jeweiligen Souverän richten, der darüber entscheidet. So wie das landläufige Volk früher ab und an eine Audienz beim Fürsten bekam, der sich gnädig die Sorgen und Nöte anhörte und ab und an mal ein paar Krümel seiner Gnade verteilte, so darf heute jede_r deutsche Bürger_in mit einer Petition den deutschen Bundestag, genauer gesagt seinen Petitionsausschuss beknien. Und darauf hoffen, dass der sich ab 50.000 Unterzeichner_innen die jeweilige Sache zumindest einmal anhört. Und dann meist in der Schublade verschwinden lässt.

Sich einzulassen auf diese Logik von Bitten und Gnade bedeutet schließlich, den eigenen Einfluss selbst auf genau den Rahmen zu beschränken, den der Souverän ihr einräumt. Die sprichwörtliche Macht des Volkes wird also von vornherein im Sinne der Herrschenden beschränkt und dient ihnen so als antiemanzipatorisches Ventil im Dampfkessel der stetigen Interessenkonflikte. Vorrangig die, zwischen der Bevölkerung und Staat bzw. Kapital.

Seien es Widerstände gegen Überwachungs- und Zensurmaßnahmen der Bundesregierung, wie etwa die (mittlerweile wieder zurückgenommene) Sperrung von Webseiten oder die Vorratsdatenspei­cherung, oder Petitionen gegen bestimmte Wirtschaftszweige, wie bspw. eine E-Petition zur Einhaltung der Verträge zur Abschaltung der Atomkraftwerke bis zum Jahr 2023 oder zur Abschaffung der sog. GEMA-Vermutung (1) – regelmäßig werden erfolgreiche E-Petitionen (also solche mit über 50.000 Unterschriften, die überhaupt erst vor den Bundestag kommen) von den Mächtigen abgewiesen. Besonders letztes Beispiel zeigt, dass ein mehr als dubioses Geschäftsmodell wie das der GEMA (2), solange es ins politische Konzept (hier der Urheberrechtsver­wertung/des (geistigen) Eigentums) derkapitalistischen Verwaltung, also der parlamentarischen Demokratie hierzulande, passt, auch vom Gesetz geschützt ist und sich von Petitionen nichts anhaben lässt. Bei der grandiosen Zahl von 1.863 Anti-GEMA-Petitionen, die in den letzten 14 Jahren beim Bundestag eingingen, waren nur wenige Ausnahmen, wie der Widerstand gegen die zum Scheitern verurteilte 700%ige Gebührenerhöhung für Diskotheken und Clubs, erfolgreich. Warum auch? Grundsätzliches ändert sich dadurch nichts. Nur gegen übertriebene Forderungen wird – weil unpopulär und standortschädigend – vorgegangen. Da helfen auch 62.842 Unter­zeichner_innen der GEMA-Vermutungs-Petition eben nichts, wenn der politische Wille fehlt. Erfolg sollte ja kein Argument für oder gegen die Richtigkeit einer Sache sein, bei einer konkreten Hand­lung(sstrategie) jedoch sollten wir diesen Maßstab durchaus mit anlegen. Vor allem dann, wenn Zeit, Kraft und vor allem Glaube an Veränderung anders wesentlich besser angelegt wären.

Durch die „Leichtigkeit des Klicks“ kommt noch ein anderer Effekt negativ zum Tragen. Mussten Petitionen früher mühselig mit kopierten Listen in Fußgängerzonen gesammelt werden, so hatte dies auch einen entscheidenden Vorteil, der bei Online-Petitionen fast völlig wegfällt – das persönliche Gespräch und die inhaltlichen Diskussionen der zu mobilisierenden Menschen. So wurde der öffentliche Diskurs befeuert, ein Problembewusstsein bei vielen Menschen geschaffen, wo viele Themen heute oft nur noch in den sozialen Netzwerken des Internets an den Menschen vorbeiscrollen, ohne inhaltlich geschärftes Bewusstsein zu schaffen. Zwar gibt es die Möglichkeit, in angeschlossenen Petitionsforen zu diskutieren und wird diesen Beiträgen auch eine hohe Qualität bescheinigt. Doch finden die themenbezogenen Diskussionen dort fast ausschließlich unter schon überzeugten Petitionsnerds statt. Die sich dann mehr mit sich selbst und ihrer vermeidlichen Mitbestimmungsmöglichkeit beschäftigen, anstatt Menschen wirklich zu mobilisieren und Bewegungen zu schaffen. Und vor allem alternative Strukturen aufzubauen, die das Bitten der hohen Politik irgend­wann überflüssig machen und lernen, sich ihrer Interessen selbst anzunehmen.

shy

(1) Durch die Umkehr der Beweislast müssen Internetdienste, Konzerte, Clubs und Bars die GEMA-Vermutung widerlegen, um von jeglichen GEMA Gebühren befreit zu sein.
(2) DIE „SOLIDARPRINZIPIEN“ EINER SOLIDARGEMEINSCHAFT – Das geheime Finanzierungsumverteilungssystem der GEMA (bit.ly/YwJaWZ)

Contra, weil:

# Schein von Mitbestimmung, wirkt Selbstermächtigung entgegen

# Inhaltliche Oberflächlichkeit statt tieferer Beschäftigung

# Zeit- und Ressourcen wären anders wesentlich besser angelegt

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