Endlich Theater im Osten!

Initiative: Ost-Passage Theater im Entstehen

Ein Ort. Ein Gebäude. Viele offene Fragen. Enorm viel Arbeit. Kleinere und größere Sorgen. Eine spannende Suche. Ein sich entwickelndes Konzept. Verschiedene Persönlichkeiten, Mitwirkende. Unterschiedliche Meinungen, Geschmäcker, Vorlieben. Doch schließlich ein Konsens, eine Leidenschaft, auf der alles aufbaut: THEATER. Theater kann und muss so verschiedene Gesichter haben, wie die Gesellschaft aus unterschiedlichen Menschen besteht. Ein Theater, das sich an den Menschen orientiert, die um den Ort herum leben – den Nachbarn. Sie geben die Themen für die Stücke und bilden letztlich das Publikum. Ein Theater, das für die Nachbarschaft ausgelegt ist.

Nachbarschaftstheater eben. Das ist der Konsens der sieben Menschen, die in der Eisenbahnstraße aus dem alten Kinosaal im Gewölbedach über dem Aldi ein Theater machen, das neue Wege sucht: Das Ost-Passage Theater (OPT). Ich habe mich mit Zweien von den Sieben über das OPT unterhalten. Zuerst mit Matthias Schluttig:

Es geht um die Kunst

„Im Vordergrund stehen selbst erarbeitete Stücke, die von den Theatermachern des Hauses konzipiert und aufgeführt werden. 60% sollen sie im Spielplan einmal übernehmen. 40% sollen andere Gruppen, Künstler und auch Bands ausfüllen.“, stellt er sich vor. „Freiberuflich Theaterschaffende brauchen eine Struktur.“ Also gründet mensch ein eigenes Theater. Wobei die Kunst ebenso wichtig ist wie die Klientel, die Thema der Stücke sein soll. Eine Nische ist gefunden: Hier steht weniger das Ergebnis der Produktion im Vordergrund, als vielmehr der Prozess um die Theaterarbeit. „Die Theatermacher öffnen sich, probieren aus, geben viel Leidenschaft und Engagement rein. Aber sie nehmen schließlich auch immer etwas für sich wieder mit raus und lernen daran.“ Das OPT soll für Schluttig Soziokultur werden. Es geht nicht nur darum Kultur anzubieten, sondern auch das Publikum zu beachten und mit einzubeziehen – eben nicht nur als Publikum, sondern auch als Mitwirkende. So hat Schluttig schon einige Projekte initiiert und durchgeführt, die sich an bestimmte Zielgruppen (bspw. Arbeitslose) richtete.

Das inhaltliche Konzept wird intern stetig diskutiert. Aber Schluttig sieht das entspannt: „Gerade wird an vielen Ecken gleichzeitig gearbeitet. Das muss man dem Flow überlassen.“ Jetzt wird viel organisatorisches Geschick verlangt. Da ist es schwierig erst darauf zu warten, bis die Gruppe das inhaltliche Konzept ausformuliert hat. „Deswegen wird der Spielplan zu Anfang wahrscheinlich sehr projektorientiert sein – aus rein pragmatischen Gründen.“

Außerdem ist der Gruppe wichtig, dass das Konzept für neue Ideen offen bleibt. Somit kann es kein Ausschlussverfahren geben, bei dem es heißt: „Diese oder jene künstlerische Form wird es im Ost-Passage Theater nicht geben.“

Was ist das für ein Ort?

Der gefundene und perfekt erscheinende Ort ist ein alter Kinosaal – oder vielmehr die Schillerdecke desselben. „Wenn man da drin steht, sieht es aus wie in einem umgedrehten Schiff. Ein Schuhkarton mit Wölbung.“, beschreibt Schluttig den Raum begeistert. Es ist ein Aufführungsraum. Eine Unterteilung in mehrere kleine Probebühnen wird es nicht geben. Das beeinflusst natürlich auch den Spielplan. Für mehrere Projekte gleichzeitig sind die Probemöglichkeiten nicht vorhanden. „Mensch wird sich reinteilen müssen. Die Kapazitäten strukturiert nutzen.“

Die Idee, ein eigenes Theater als Nachbarschaftstheater zu gründen, bestand schon lange. Vor zwei Jahren fing dann die aktive Suche nach einem geeigneten Objekt an. Doch schließlich war es – wie so oft – der Zufall, der die Gruppe auf den alten Kinosaal brachte. Schluttig ging regelmäßig an dem Gebäude vorbei. Er wurde schließlich neugierig: „Da muss was drunter sein, unter diesem Kuppeldach.“ Er recherchierte, ob der Saal noch zu haben sei, wer ihn besitze und ob Möglichkeiten bestünden, das Objekt zu nutzen. Zuerst sah es leider gar nicht gut aus, da von der Volkssolidarität geplant wurde in dem Raum eine Art Seniorenzentrum zu integrieren. Doch der Plan scheiterte durch die unterschiedlichen Interessen von Stadt, Eigentümer und Volkssolidarität. Und so begannen also für das OPT die Verhandlungen mit dem Besitzer. Auch diese erwiesen sich leider immer wieder als schwierig. Denn „der ist natürlich Kapitalist, nicht einer von den ganz Schlimmen, aber dennoch mit gewissen Interessen.“ Trotzdem ist er der Idee gegenüber offensichtlich aufgeschlossen, obwohl bekannt ist, dass Theater nicht viel Geld einbringt. Schließlich befinden sich die beiden Parteien seit etwa zwei Wochen in der „heißen Phase“: Die Gespräche zur Nutzungsvereinbarung laufen und befinden sich im Endspurt. (Anm. d. Red.: Inzwischen sind die Nutzungsverträge unterschrieben und die Schlüssel wurden ausgehändigt) Somit steht einer inoffiziellen Eröffnungsparty für Freunde des OPT nichts mehr im Wege. Bis das Theater aber offiziell den Einlass öffnen kann, wird es noch dauern. Denn das Brandschutzkonzept ist noch nicht abgesegnet.

Aber Schluttig ist erfreut über die Resonanz, die die Gruppe jetzt schon bekommt. Obwohl sie doch noch gar nicht offiziell werben können. Menschen aus der Nachbarschaft kommen neugierig und aufgeschlossen auf die Gruppe zu. Außerdem bietet sich der Osten als Standort sehr gut an. Der Kiez entwickelt sich gerade besonders stark: „Das kann in Zukunft wie Plagwitz oder Schleußig werden. Und schließlich sind wir die ersten, die den alten Kinosaal entdeckt haben.“ Wie es sich entwickeln wird steht in den Sternen – auch das muss mensch dem Flow überlassen. Von dieser Gruppe, die einen ganz neuen Ansatz versucht und gleichzeitig ein so offenes Konzept hat, will ich noch eine Perspektive kennenlernen. Eine Ahnung davon bekommen, was das Ost-Passage Theater ist. Also habe ich mich mit Verena getroffen. Sie ist noch gar nicht so lange in der Gruppe aktiv, dafür aber schon stark involviert.

„Wir brauchen ein Theaterhaus, eine Spielstätte, um das Theater von der Hochkultur runter zu holen!“

Das ist Verenas Vision und Ansatz, warum sie sich für das Ost-Passage Theater engagiert. Sie sieht sehr viel Potenzial in der Idee „das Theater, aus einem soziokulturellen Blickwinkel betrachtet“ weiterzuentwickeln. „Gerade in Leipzig! In der Stadt wo Gentrifizierung ein großes Thema und gerade heute sehr stark erfahrbar ist.“ Verena denkt daran, wie sie einen Jungen kennengelernt hat, der wegen Mobbingerfahrungen nicht mehr zur Schule geht, sich dafür aber im soziokulturellen Wohnprojekt Erythrosin engagiert. Solchen Menschen soll das Theater auch eine Anlaufstelle bieten – ein neuer Ansatz für das Theater, dafür aber „kein Hipstergehabe“. Außerdem hat sie selbst als Jugendliche erfahren, wie hilfreich Theater für sie war, aus einer belastenden Lebenssituation herauszufinden. Sie gewann dadurch wieder Struktur und auch Freude am Alltag, das Leben ging wieder leichter.

„Leider gibt es ein Überangebot!“

Verena macht gerade ihren Master in Kulturwissenschaften. Mit dem OPT verbindet sie neben dem Spaß am Engagement auch eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Denn das ist sehr schwer: „Gerade in Städten wie Leipzig gibt es zig Theater, Schauspielgruppen und andere Möglichkeiten in Vereinen oder Clubs aktiv zu sein. Trotzdem und auch gerade deswegen braucht es neue soziokulturelle Projekte.“ Mensch muss an Problempunkten ansetzen. Es gibt einige solcher Projekte in Leipzig. Aber Theater wird selten angeboten, insbesondere mit einem solch stark künstlerischen Anspruch. Dabei ist die aufklärerische Arbeit und das Verständnis für die künstlerische Arbeit und für die Menschen, die Nachbarn, die damit unweigerlich verbunden sind, ebenso wichtig! Elemente des Streetworks sind also unabdingbar. Aber auch der künstlerische Prozess soll nicht zu kurz kommen! Verena versteht das OPT auch als einen Experi­mentierraum für Künstler. „Der kreative Prozess soll und muss gefördert werden!“ So will sie beispielsweise auch Schriftstellern Raum geben – eine Gruppe, die sehr wenig Aufmerksamkeit bekommt, gerade im Theater. Verena verspürt ein starkes Bedürfnis, aus einem sozialen Aspekt heraus künstlerisch-kulturell tätig zu sein. Darin steckt ein großes Potential: „Es sollen gemeinsame Lernprozesse über Kunst und Gesellschaft im links-politischen Rahmen entstehen.“, wünscht sie sich. „Das konventionelle Regietheater wird hinterfragt, wodurch Denk- und Handlungsstrukturen aufgebrochen werden. Neue Möglichkeiten und Alternativen werden gefunden und ausprobiert, die dem Bisherigen entgegengesetzt werden.“ Gerade neue Formen, wie beispielsweise die Performance, müssen eine Chance bekommen! Dabei bleibt aber das Konzept ungenau, das Detail fehlt: „Es muss schwammig sein! Ansonsten besteht ja die Gefahr des Ausschlusses!“ Dabei ist sie sich sicher, dass es verschiedene Gruppen mit verschiedener Ausrichtung geben wird. „Inwiefern diese aber miteinander Kooperationen eingehen, wird sich entwickeln und entwickeln müssen.“ Neben den Tätigkeiten im organisatorischen Bereich und Management will sie auch als Darstellerin in der Theater-gruppe tag, die diese Bühne nutzen wird, aktiv sein.

„Die Leute, die das Theater gerade aufbauen, kommen aus verschiedenen Richtungen. Das ist viel wert!“ Stark Theorieverhaftete sind ebenso vorhanden wie die Praxisorientierten. Und gerade das macht den Reiz der Gruppe aus. Hier zeigt sich nochmals: Es kann kein fertiges Konzept geben! „Das OPT ist wie ein roher Speckstein. Bei dem jeder und jede eine Feile hat und ein wenig dran arbeitet. Es kann jeder mitmachen. Zwischenzeitlich legt der eine oder die andere seine Feile mal zur Seite, jemand nimmt die Arbeit an anderer Stelle wieder auf. Wie die Form letztlich aussehen wird, ist ungewiss. Nur eines ist sicher: Schließlich soll ein Theaterhaus daraus geformt sein.“

Zwei Gespräche, die mir die Idee des OPT näher gebracht haben. Ich bin schon sehr auf den Moment gespannt, wenn es hinter den Kulissen heißt: „Alle Schauspieler zur Bühne, bitte! Noch fünf Minuten zum Vorstellungsbeginn! Noch fünf Minuten! Alle Schauspieler zu Bühne, bitte!“ Und vor den Kulissen: „Wir bitten Sie Ihre Handys nach der Vorstellung wieder einzuschalten.“ – obwohl: Wird es solch konventionelle Sätze in einem Theater wie dem Ost-Passage Theater überhaupt geben?

Vogel

Lokales

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