ESF 2008: Ist die andere Welt noch möglich?

Ein Bericht vom Europäischen Sozialforum in Malmö, Schweden

Vom 17.-21.9. fand das Europäische Sozialforum (ESF) im schwedischen Malmö statt. Zum fünften Mal luden ver­schiedenste Organisationen, wie Frauen-, Um­welt- und Friedensbewegungen, Ge­werkschaften und auch Parteien ein, um über soziale und ökonomische Alternati­ven zum herrschenden kapitalistischen Sys­­tem zu diskutieren, Netzwerke zu stär­ken und Erfahrungen auszutauschen. Hi­sto­risch entstanden Sozialforen als sozial­kri­tische Gegenveranstaltung zu den all­jähr­lich stattfindenden Weltwirtschaftsfo­ren: 2001 fand das erste Weltsozialforum in Porto Alegre (Brasilien) statt und bereits 2002 gab es das erste Europäische Sozial­forum in Florenz (Italien). Die ca. 70.000 Teil­nehmenden fanden dort ihren Kon­sens im Protest gegen den Irakkrieg und streu­ten so Aktionismus, Mut und Auf­bruch­stimmung, dass eine andere Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Doch wie sieht es heute mit der Bewegung in den Sozialforen aus?

Dabei sein ist alles?

Unter dem gleichbleibenden Motto „Eine andere Welt ist möglich“ folgten ca. 10.000 Aktivist/innen dem diesjährigen Auf­ruf nach Malmö, um an den mehr als 200 Workshops teilzunehmen und über The­men­gebiete wie Migration, Militari­sie­rung, soziale Rechte, Nachhaltigkeit, Par­ti­zipation und Freiheit, Diskri­mi­nierung, ökonomische Alternativen, Massen­me­dien und soziale Bewegungen zu diskutie­ren. Obwohl doppelt so viele Menschen er­wartet wurden und die Zahl der Teilneh­menden persönlich schwer einzuschätzen war, da die Veran­stal­tungsorte quer durch die Innenstadt gestreut lagen, schienen die Workshops relativ gut besucht zu sein. Die hohe Anzahl der international teilneh­men­­den Organisationen sorgte für eine brei­te Mischung aus Menschen, die sich in verschiedenen Themenbereichen enga­gieren – das Spektrum im deutschen Kon­text reichte dabei bspw. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Friedensrat über die IG Metall und Attac bis hin zu Greenpeace und der Interventionistischen Linken.

Abgesehen von einer international getra­genen Gewerkschaftsjugend-Initiative, die im Rahmen des Forums erstmalig einen Ju­gendbereich mit verschiedenen Veran­staltungen einrichtete und mobilisierte, traf man jedoch verhältnismäßig wenig ba­sisengagierte junge Menschen auf dem offiziellen Forum. Wenn vorhanden, kon­zentrierten sich diese vielmehr beim Action-Network das sich hauptsächlich aus anarchistischen, autonomen und links­radikalen Gruppen und Aktivist/in­nen zusammensetzte und ebenfalls ver­schie­dene Workshops und Aktionen durch­führte. Um dem Einfluss der fi­nanzstarken Organisationen zu entgehen und trotzdem den ESF-Rahmen für die Thematisierung eigener, radikalerer In­halte zu nutzen, organisierten sie sich außer­halb des offiziellen Programms. Mit dieser Ab­spal­tung – die nicht gegen die Themen oder basisorientierte Aktivist/in­nen des ESF gerichtet war – wollten sie ihren Protest an der zunehmenden Büro­kra­tisierung und Vereinnahmung der ESF-Vor­be­reitung durch etablierte Großorga­nisationen verdeutlichen, die oftmals Hie­rar­chiefreiheit, Selbstorganisation und ra­di­kalere Systemkritik mit dazugehörigen Protestformen nicht billigten.

Nur eine Frage der Methode?

So organisierte das Action-Network eine Demo gegen Abschiebung mit Picknick-Blockade vor dem Migrationsbüro, eine Straßen- und Autoblockade gegen den wirtschaftlich und gesellschaftlich geför­derten Klimawandel und eine „Reclaim the streets party“, bei der ca. 700 Aktivist/innen musikalisch begleitet durch die In­nenstadt zogen, Graffiti sprayten, Straßen bemalten und auch die ein oder andere Fensterscheibe der umliegenden Banken ein­warfen. Auffällig hierbei war das Ver­halten der Polizei, die sich nahezu unbe­merkt in den Seitenstraßen positionierte, die Menschenmasse bis zum monumen­ta­len Hilton-Hotel gewähren ließ und nicht durch offensive Präsenz provozierte. Erst als sich viele Stunden später die Mu­sik­wagen und Leute zunehmend verab­schie­deten und sich die Straßenparty dem Ende neigte, eskalierte die Konfrontation zwischen den maximal 100 übrig gebliebe­nen Vermummten und den nun agieren­den Beamten. Sogar mit Pferdestaffel aus­ge­rüstet, wurde den Prophezeiungen der schwe­dischen Presse – die bereits seit Wo­chen die wahrscheinlichen Gewaltausein­an­dersetzungen auf dem ESF hochstili­sier­te – nun Genüge getan. Die entstandenen Bilder von schwarz gekleideten Aktivist/in­nen reichten dann auch aus um das So­zialforum medial zu kritisieren, statt über die Inhalte zu berichten. Neben diesen Ak­tio­nen, die vom Action-Network ini­tiiert wurden und die im Grunde gegen den Kapitalismus und für die Zurück­er­oberung des öffentlichen Raumes für die Menschen gerichtet waren, boten selbige auch einige Workshops an, bei denen Er­fahrungen über die Situation der Frauen, Pre­karisierung und Kämpfe am Arbeits­platz, Besetzungen und soziale Zentren aus­­getauscht wurden und Möglichkeiten zukünftiger Mobilisierung – wie z.B. zum Klimagipfel in Kopenhagen (Dänemark, Dez.2009), dem Natogipfel in Straßbourg (Frankreich, Apr. 2009) und dem G8-Gip­fel in Italien 2009 – diskutiert wurden. Im Gegensatz zu vielen Seminaren und Work­shops im offiziellen ESF-Programm gab es bei diesen „radical assemblies“ keine ausschweifenden Podiumsdiskussionen. Vielmehr wurden nach kurzen Einfüh­run­gen kleinere Stuhlkreis-Runden gebildet, in denen sich die Teilnehmenden – sofern sie der englischen Sprache mächtig waren – austauschen konnten und jede/r auch zu Wort kam und eigene Erfahrungen ein­brachte. Atmosphärisch gemütlich war zu­dem die Räumlichkeit des alternativen Zen­trums, in denen die Veranstaltungen statt­fanden, die stark an die G16 in Leip­zig erinnerten.

Den Höhepunkt des ESF sollte die ge­mein­­same Abschlussdemo bilden, zu der tat­sächlich weitere 5000 Menschen an­reisten und die unter dem Motto „Power to the people – against capitalism and environmental destruction. Another world is possible“ stand. Ein bunter und strec­ken­weise lauter Demozug mit ca. 15.000 Teil­­nehmenden aus allen linken Spektren zog dabei mehrere Stunden und Kilometer „fried­lich“ quer durch Malmö hin zu ei­nem großen Waldstück, auf dem eine Büh­ne stand und verschiedene Musiker/innen und Künstler/innen den Abend aus­klingen ließen.

Wo liegt das Problem?

Alles in allem ein interessantes Happe­ning. Doch kann man beim ESF nun noch von einer Veranstaltung sprechen, die deut­liche Zeichen setzt und dem Protest gegen die herrschenden Verhältnisse Ausdruck verleiht? Was bringen solche Konferenzen noch und wie wirken sie? Natürlich bietet das Sozialforum die Möglichkeit, mit Menschen aus verschiedenen Hintergrün­den über wichtige politische Themen zu diskutieren. Auch sollte die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Netzwerke zu stär­ken, nicht unterschätzt werden. Den­noch haben die Sozialforen seit Florenz 2002 an Wirkmächtigkeit und Auf­bruch­stimmung verloren. Während da­mals der Irakkrieg im Mittelpunkt stand und die zahlreichen Teilnehmenden auf das gemeinsame Aktionsziel einte, zu ei­nem globalen Protesttag gegen den Irak­krieg aufzurufen, dem am 15.2.2003 welt­weit ca. 30 Millionen Menschen folgten, haben die Sozialforen heute nicht mehr die­se Außenwirkung. Symptomatisch da­für ist die allgemeine internationale Presse, die mittlerweile nicht einmal mehr vom ESF berichtet. Die relativ geringe Anzahl von 10 000 Teilnehmenden spricht dabei ebenfalls Bände. Ursachen hierfür lassen viel Interpretationsspielraum, allerdings den­ke ich, dass auch die Art der Organisa­tion und Be­tei­li­gung hierbei eine Rolle spielt. Seit der sukzessiven Abspaltung von Gruppen, die seit dem ESF in London 2004 sichtbar ist, sind auch die offiziellen Teil­nehmer­zahlen zurück­ge­gan­gen und es kommt zu we­niger inter­na­tionaler und ge­mein­schaft­licher Praxis. Das ESF hat schein­bar für diejenigen an Reiz verloren, die tatsächlich in der Welt was bewegen wol­len und Impulse dafür – aufgrund der Versteifung durch Institutionalisierung – dort vermissen. Die Folge davon ist ein Fo­­rum ohne Output in Form von z.B. wirk­­mächtigen, inter­na­tio­na­len Großak­tio­­nen. Das Action-Network hat im Mal­mö den Rahmen sinn­voll genutzt und nicht gegen das ESF gearbeitet, sondern mit den Interessierten ge­mein­sam andere Me­thoden und In­halte probiert. Und sei­ne Attraktivität rührte nicht zuletzt aus dem Interesse an wirksamen Aktionen mit Basis­enga­gierten. Zwar gab es diesmal ei­nen Jugendbereich auf dem Forum, in denen vielfach junge, ehrenamtlich enga­gier­te Gewerkschafter/innen Veranstal­tun­gen zu ihren Themen durchführten, al­ler­dings blieben die Podien des restlichen Forums oftmals von Funktionär/innen be­setzt. Und auch die Parteienpräsenz war ein Thema, das meines Wissens, außer vom Action-Network nicht einmal mehr kritisch diskutiert, geschweige denn unter­bunden wurde. Jedoch zeigt vor allem die Ak­ti­vität dieses Netzwerkes, welches das So­zialforum nutzte, um sowohl nach außen zu wirken, als auch nach innen Kon­takte zu knüpfen, dass solche interna­tio­nalen Treffen wie das ESF weiterhin sinn­voll sind. Gleich­zeitig bereicherten sie dieses nicht nur durch ihr Aktions- und Be­wegungspotential, sondern er­mög­lich­ten zudem, durch ihre Offen­heit den „offi­ziellen“ ESF-Teil­nehmer/innen ge­gen­über, auch Einblicke darin, wie Works­hops und Ak­tionen basisdemokratisch, kreativ und selbst­bestimmt durch­geführt werden kön­nen.

Vielleicht sind es auch diese beiden, sich ge­gen­seitig beein­flussen­den Faktoren, die zur Er­lah­mung von solch inter­nationa­len Treffen geführt haben: Die Insti­tutio­nali­sie­rung und Büro­kra­ti­sierung auf der ei­nen Seite, die zur Abspaltung aktio­ni­stischer und ra­di­ka­lerer Grup­pen führte und deren Ab­spal­tung auf der ande­ren Sei­te, die eine ver­stärkte Institutio­nalisie­rung des ESF durch Groß­orga­ni­sationen (die ja die übrig ge­blie­benen sind) zur Folge hatte. Bei einer der­ar­tigen Teilung, die in einem „offi­ziellem“ und „in­offiziellem“ Pro­gramm mündet, werden wechselseitige Lern­prozesse natürlich erschwert und jeg­licher Be­wegungs­charakter, der sich eben auch durch Vielfalt auszeichnet, wird im Keim erstickt. Obgleich in Malmö auch eine Vermischung stattfand und die Dif­fe­renzen zwischen Action-Network und ESF nicht im Vordergrund standen, kann von einer dort ausgehenden Aufbruchs­stimmung im Moment trotzdem nicht die Rede sein. Dennoch bringen solche Tref­fen etwas, denn sie bieten den Raum, um über den eigenen Tellerrand zu schauen und Erfahrungen und Kontakte auszu­tau­schen, die in zukünftigen Auseinander­setzungen von Relevanz sein können. Ge­rade die hier mögliche breite Vernetzung von verschiedenen Menschen, Gruppen und Organisationen macht das ESF zu einer sinnvollen Veranstaltung. So wird auch ein stückweit das Bewusstsein ge­stärkt, nicht allein zu sein mit den Vor­stellungen, dass eine andere Welt tatsäch­lich möglich und von vielen Menschen auch gewollt ist.

momo

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