Free the Radio

Den Freien Radios in Sachsen – Radio Blau aus Leipzig, Radio T aus Chemnitz und coloRadio aus Dresden – droht zum Ende des Jahres die Abschaltung: Es fehlen 40.000 Euro jährlich oder der „politische Wille“.

Am Montag, dem 26. Oktober kam es deshalb zu einer ersten gemeinsamen Protestaktion in Leipzig. 100-150 Freie-Radio-Fans trafen sich von 12-14 Uhr zu einer Kundgebung vor der Sächsischen Landesmedienanstalt (SLM), um den Medienräten einen offenen Brief mit Hunderten von Unterschriften aus Politik, Medien und Kultur zu überreichen. Bei Kaffee und Keksen wiesen diese dann aber jede Verantwortung von sich und feierten sich gleichzeitig selbst für die Gönnerhaftigkeit, je einen Vertreter der drei Freien sowie eine Vertreterin des Bundesverbandes der Freien Radios überhaupt zur Ratssitzung zugelassen zu haben.

Konstruktiver ging es dagegen vor dem Gebäude zu. Ca. 70 Menschen nahmen am Radioballett zum Thema Körperkult teil – und suchten wohl eine Antwort auf die Frage: Wie kann die SLM als Behörde zur Entwicklung des Privatrundfunks den Freien Radios überhaupt helfen, wenn gleichzeitig krampfhaft am Sächsischen Mediengesetz festgehalten wird, welches das eigentliche Problem ist?!

Anders als übertrieben gut gelaunte Radio­sprecher­_innen, Promi-Klatsch, konsum­­an­regende Glücks­ver­sprech­en, immer­gleiche Sende­formate, usw. bereiten freie, nicht­kommer­zielle Rund­funk­­sen­der den Weg für mehr Selbst­orga­nisation, kritisches Hinterfragen, musikalische Experimente sowie mehr Partizipation an öffentlicher Kommunikation und Diskussion v.a. auf lokaler Ebene. Warum also wird ernsthaft erwogen, diesem Medium die Basis zu entziehen, indem Sendefrequenzen aufgegeben und Sendekosten erhoben werden, die vom Million­en­budget der SLM eigentlich problemlos gedeckt werden könnten?

Hintergründe

Der private, kommerzielle Radiosender Apollo teilt sich mit den Freien Radios ihre drei Frequenzen. Apollo ging im November 2004 auf Sendung und hat die Geschäftsführer aller privaten Radios in Sachsen (1) erstmals gemeinsam an einen Tisch gebracht. Zusammen wurde Apollo Radio als Sächsische Gemeinschafts­pro­gramm GmbH & Co KG gegründet, mit dem ursprünglichen Ziel, den lokalen Markt für „fremde“ Konkurrenz zu blockieren. Einnahmen und Arbeitsplätze in Sachsen sollten gefälligst auch in Sachsen bleiben. Die SLM war damals gesetzlich gezwungen, die Lizenzen für frei werdende Radiofrequenzen bundesweit auszuschreiben, doch mit der Gründung eines neuen privaten Hörfunksenders konnte die gefürchtete „Marktübernahme“ verhindert werden. Der Medienrat der SLM entschied, dass die auf 8 Jahre begrenzte Lizenz an Apollo und nicht an ein Klassik-Radio aus Hamburg ging.

Seitdem wird den drei nicht­kommer­ziellen Lokalradios (NKL) wöchentlich 49h Sendezeit zugestanden und die dafür jährlich anfallenden 40.000 Euro Sende- und Betriebskosten von den Apollo-Betreibern mitgetragen. Doch Apollo entwickelte sich nicht zu einem gewinnbringenden Geschäft und so wurde am 13. Oktober 2009 die „Kooperationsverein­barung“ mit den Freien Radios gekündigt. Das Schicksal der NKL scheint somit besiegelt und die Zukunft von Apollo hängt nun von neuen Ver­handlungs­gesprächen mit dem Sende­anlagen­betreiber Media Broadcast GmbH (2) ab. Es geht darum, Kosten zu sparen, Umsätze zu steigern und somit mal wieder nur um’s Geld.

Diesmal hält die SLM sich jedoch raus. Wurde damals noch politisch Druck ausgeübt, verweisen die Medienräte heute auf fehlen­de recht­liche Kompe­ten­zen. Me­dien­­­gesetz ist Ländersache und in Sachsen (im Unterschied zu Sachsen-Anhalt) ist die finanzielle Förderung Freier Radios nicht gesetzlich festgeschrieben.

Viele Unterstützer_innen der NKL sprechen vom „Fehlen des politischen Willens“ und fordern eine Gesetzesänderung. Das „Sächsische Privatrundfunkgesetz“ aus dem Jahre 2008 weist jedoch in eine andere Richtung. Zukünftig werden nämlich keine Lizenzen mehr für freie Radio­fre­quenzen ausgeschrieben, mit der Begründung der Digitali­sierung des Hörfunks bis 2015 (und nicht wie geplant bereits zum 1. Januar 2010). Somit darf die SLM auch keine weiteren Lizenzen für analoge Frequenzen mehr vergeben, da diese immer eine Mindestlaufzeit von 8 Jahren haben. Ob nun in den nächsten fünf Jahren eventuell frei werdende Frequenzen genutzt werden oder nicht, ist politisch und anscheinend auch wirtschaftlich nicht relevant, da zumindest der Standort Sachsen gegenüber auswärtiger Radio­kon­kurrenz abgesichert ist.

Aussichten

Die Zeit rennt davon und Ungewissheit bleibt. Welche Optionen gibt es also? Apollo und Broadcast könnten sich über eine Kostensenkung einigen oder die SLM hält sich an ihr politisches Bekenntnis, die Medienvielfalt in Sachsen zu fördern. Im Dresdner Landtag wird das Privatrundfunkgesetz geändert und den NKL eine eigene 24h Frequenz zugestanden. Alternative Rundfunkgebühren könnten erhoben werden oder die NKL ziehen sich aus dem UKW-Betrieb zurück, Apollo wird abgeschaltet und die frei werdenden Frequenzen bleiben in Zukunft ungenutzt oder bereits für Testläufe digitalen Hörfunks besetzt.

Eine populäre Forderung an die SLM ist die Sicherung des bisherigen Modells der Kostenübernahme. Der Medienrat, Apollo oder ein anderer kommerzieller Radioveranstalter sollen die Kosten der Freien Radios übernehmen. Begründet wird diese Argumentation durch eine oberflächliche Rhetorik: „Bürgerradios“ seien „ein wichtiger Teil des demokratischen Me­dien­systems“ und würden zur „Meinungs- und Medienvielfalt“ beitragen. Es sei die „Pflicht“ der SLM, die NKL zu fördern. Macht sie aber nicht, und wen wundert’s? Die Medienräte zeigen lieber mit dem Finger auf andere und halten schützend das Gesetzbuch wie die Bibel vor sich. Es hat System, wenn der Gesetzgeber sich einmal in die Wirtschaft einmischt und ein anderes Mal den Markt sich selbst regulieren lässt. Auch dem Freien-Radio-Fan muss klar sein, dass mit Geschwafel von „Verantwortung den Bürgern gegenüber“ oder „Pflicht und Anstand“ vom Rechtsstaat oder profitorientierten Unternehmertum nichts zu erwarten ist.

Die Freien Radios kämpfen indes weiter um’s nackte Überleben. Die drei NKL sind eine Kooperation eingegangen, verhandeln weiter mit Apollo, üben Druck auf die SLM aus, organisieren Proteste und führen medienwirksam direkte Aktionen durch. Wenn alle Schnüre reißen, würde es ein Zurück auf Los bedeuten und somit ein Neuanfang als Piratenradio. Doch soweit ist es noch nicht und sollte es auch nicht kommen. Unabhängiges Hörfunken muss weiter gehen – fern vom Mainstream wie z.B. der Einflussnahme durch Werbung, Zugangsbeschränkungen für zukünftige Radioproduzent_innen oder die ständig gleiche Hitmusik – und die Freien Radios bie­ten da­für eine Alternative: ob Themen­­sen­dung­en zu Gentri­fizierung oder Heavy Metal und Gender, Informa­tionen zur Subkultur in Leipzig, Live-Berichterstattung von antifaschistischen Gegendemonstrationen, nie gehörten Klanginstallationen und vieles mehr. Freie Radios können noch den eigenen Regeln folgen. Die Stimmen, die nicht im Konsumrausch oder Parteilinienzwang verstummen, gilt es zu unterstützen. Du kannst dich im Internet informieren (3), finde die Bald Funkstille?-Postkarte und schreibe der SLM deine Meinung, gehe Dienstags 19 Uhr zum offenen Aktionstreffen von Radio Blau, sei bei Protestaktionen dabei oder werde selbst Freie_r Radioproduzent_in! Es ist einfacher als du denkst. In diesem Sinne: free the radios – für eine kritische und aktive Gegenöffentlichkeit.

droff

 

(1) Die privaten Radios in Sachsen werden von den Rundfunkketten Regiocast, BCS und Energy Sachsen betrieben.

(2) Media Broadcast GmbH ist der größte deutsche Dienstleister für Bild- und Tonüber­tragungen. 2006: 500 Mio. Umsatz. Im Januar 2008 von der Deutschen Telekom an die französische TDF-Gruppe verkauft.

(3) u.a. siehe radio.fueralle.org

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