Hacia La Esparanza

Richtung Hoffnung

Am 28. Mai veranstaltete die Gruppe L.U.S.T. in der Gießerstrasse einen Chiapas-So­li-Abend, an dem u.a. ein Vortrag der Gruppe B.A.S.T.A. aus Münster über die dortige Situation informierte. Die eingenommen Spenden von ca. 200 Euro gehen an Bür­ger­kriegs­flücht­linge im autonomen zapatistischen Landkreis Polhó, die nicht mehr vom Roten Kreuz­ versorgt werden, aber auch nicht auf ihre Felder zurück können. Das In­terview wurde im Anschluss per E-mail geführt und gibt die persönlichen Antworten ei­nes B.A.S.T.A.-Aktivisten wieder.

FA!: 10 Jahre Gruppe B.A.S.T.A. – Wo seid ihr heute sicher und wo nicht?

Luz: Wir sind uns bei vielen Dingen über­haupt nicht sicher – wir haben mehr Fragen als Antworten… Wo es so etwas wie „Sich­er­­heiten“ gibt, das sind die Sachen, die wir ab­lehnen. Das umfasst alle Formen von Aus­beutung, Ausgrenzung, Bevor­mun­dung und Unterdrückung. Leicht ge­sagt, aber wir maßen uns nicht an, für an­dere zu sprechen und ihnen sagen zu kön­nen, was gut für sie ist. (..) Als wir uns vor 10 Jah­ren gegründet haben, um gemein­sam ein Hinter­grund­wissen zum Aufstand der Za­patistas in Chiapas/Mexiko zu er­ar­beiten, kamen wir alle schon aus außer­par­­lamentarischen linken Kreisen: Auto­no­­me, Punks, PazifistInnen und Umwelt­be­­wegte. Wir hatten von Anfang an einen pro-feministischen und libertären An­spruch, der uns viel bedeutet – ob wir das er­­reichen, ist natürlich fraglich(..) Unsere Ar­beit in den 10 Jahren besteht aus zwei Säu­len: einerseits die konkrete Unter­stüt­z­ung der zapatistischen Rebellion in Chia­pas gegen Ausbeutung, Marginali­sierung und Gewalt. Viel wichtiger ist uns da­bei aller­dings die Tatsache, dass die Com­pa­ñe­ras und Compañeros für etwas kämp­fen: für eine Welt, in der viele Welten Platz ha­­ben, wie sie es sagen. (..)

In der Praxis fahren wir u.a. als Menschen­rechts­­beobachterInnen nach Chiapas. Dies war 1997 eine Idee der von Mili­tari­sie­rung und Aufstandsbekämpfung betrof­fen­en Gemeinden, keine Initiative von „wohl­tä­tigen“ Menschen aus der ersten Welt. (..) Außerdem schreiben wir Be­richte, sam­meln Spenden und organisieren Pro­test­ak­tionen, die z.B. auf unserer Home­page doku­mentiert werden. Die zwei­­te Säule um­fasst Wider­standsaktionen hier. Denn schon 1994 äußerte die EZLN, dass die best­mögliche Solidarität der Kampf gegen jede Unter­drückung im eigenen Umfeld sei. Das Kon­zept, das die EZLN sicher nicht er­funden, sondern vielleicht aus­ge­weitet hat, be­deutet also, dass es keine Hier­­archi­sierung zwischen den verschie­den­en emanzi­patorischen Kämpfen gibt: der Gueril­lero im Dritt­welt­land ist also nicht „coo­ler“ als die Haus­frau, die sich ge­gen ihre Scheiß­situation wehrt, oder als der Schwule, der kei­nen Bock mehr auf Dis­kriminierung hat. (..)

FA!: Wie wird in Mexiko versucht, neoli­beralen Interessen und Projekten, wie dem Plan Puebla Panamá (PPP), ent­ge­gen zu wirken?

Luz: Der Widerstand basiert auf regionalen (und einem supranationalen) Netzwerken ver­­­schiedener Gruppen, die ganz klar gegen die neoliberalen Zumutungen sind und sich zum Teil auf einem hohen organisa­to­­­rischen Niveau bewegen, d.h. sie richten sich im Alltag dagegen. Zunächst einmal ver­­­suchen diejenigen, die Zugang zu Infor­ma­­tionen und Medien haben, eine kri­tische Gegen­öffentlichkeit aufzubauen. Das übernehmen oft linke Organisationen, bei ­denen auch Studierte teilnehmen. (..)

Doch oft müssen gerade die Menschen in den ländlichen Gemeinden die alltägliche Si­­tuation ertragen. Sie organisieren Bloc­kaden, verweigern „Hilfslieferungen“ und „Ent­­wicklungsprojekte“, sie besetzen Län­der­eien, sie demonstrieren, sie machen Fie­stas. Von krassen Sabotage-Aktionen muss­­ten sie bisher keinen Gebrauch mach­en. (..) Was es durchaus gab, war die Lahm­le­gung oder das Zurückbringen von Bag­gern und anderen Baumaschinen, die Zer­stör­ung bedeuten. Parallel dazu wird eine mas­si­ve Öffent­lichkeitsarbeit nach „auß­en“ betrieben, auch international. (..) Die EZLN selbst hat gesagt, dass die Reali­sie­rung des PPP in ihren Einflusszonen für die Herrschenden einem „Gang durch die Höl­­le“ gleichkommen würde. Bisher ha­ben sie meist Wort ge­halten…

Nichts­destotrotz wird der PPP weiter vor­an­­getrieben, teilweise agieren die Regie­rungen sehr geschickt und verschleiern die ein­­zelnen Teilprojekte, wie z.B. Elektri­fi­zie­rung und Straßenbau als lokale, gut ge­mei­nte Hilfsmaßnahmen. Insgesamt geht es beim PPP aber darum, Südmexiko und Zen­tral­amerika weiter für einen radi­kalen Kapi­ta­lismus zu erschließen und die Re­gionen aus­beutbar zu machen, die bisher nur schwer zu­gänglich waren. Es wird Stau­däm­me, Billig­lohnfabriken, kos­ten­pflichtige Privat­straßen, industrielle Gar­ne­lenzucht und Mo­no­kulturen geben, was zu massiver Um­welt­zer­störung und zu Auf­­lösungs­er­schei­nungen in den indigenen und länd­lichen Gemeinden führen wird. Die Bevöl­kerungsmehrheit wird haupt­­säch­lich Nach­teile erfahren, daher geht ihr Wi­­derstand weiter.

FA!: Was kannst du zu den Na­tiona­lis­mus-, bzw. Militarismus-Vorwürfen ge­gen die Zapatistas sagen?

Luz: Beim Hören des Namens „Zapa­ti­s­ti­sche Armee zur nationalen Befreiung“ wer­­den wir in Europa, besonders in Deut­sch­land, zu Recht hellhörig. Allerdings kann mensch den Begriff „national“ nicht ein­­fach von „hier“ nach „dort“ übersetzen. Die europäischen Staaten haben eine im­peria­listische Ge­schichte, Mexiko und viele an­­dere eine kolonialistische. (..) Das Land hat meist Territorium verloren und im mi­li­­tärischen Sinne keinen aggressiv-expan­siven Na­tionalismus ausgeübt. Der mexi­kanische Staat hat aber stets ein natio­na­listisches „Gebräu“ benutzt, um eine schein­­bare „Einheit“ aller MexikanerInnen zwi­schen allen Klassen und „inneren“ Gren­­zen zu manifestieren, obwohl er gleich­zeitig die Armen, Indígenas, Frauen, Homo­sexuellen und „Anderen“ ausge­schlos­sen hat. (..)

Die Zapa­tistas als größte antirassistische Be­­wegung Mexikos haben mit ihrem „Na­­tionalismus“ zunächst einmal auf eine In­k­lusion beharrt. „Wir“ kennen Na­tio­nalismus immer nur als ausschließend. Die za­patistische Bewegung besteht zu über 90 Pro­zent aus Indígenas ver­schie­dener Sprach­gruppen. Sie waren immer die Al­ler­­letzten auf der Agenda des Staates und ver­­langen nun eine Einbeziehung unter Res­­pektierung ihrer Unterschiede. Sie for­dern übrigens die Respektierung aller Mar­gi­­nalisierten!

Sie schlagen die Selbstorganisation der Men­­schen in allen Bereichen vor: Fami­lien, Straßenzüge, Stadtteile, Betriebe, Fab­ri­ken, Schulen, Universitäten, Land­wirt­schaft etc. Dies würde im europäisch ver­steh­­baren Sinne eine Art Räterepublik er­ge­­ben – ein totaler Gegensatz zu einem her­köm­­­mlichen Nationalstaat. Das meinen sie ernst. Aber vor allem sagen sie: „wir ge­h­en erst los, wir wissen noch nicht ge­nau, was kommt, lasst uns gemeinsam se­hen!“ Für linke Euro­päerInnen ist der Be­zug der EZLN auf die Nation eine harte Nuss. Für uns auch! Aber im Vorschlag der EZLN würde die „Ver­teidigung der Na­­tion“ vor allem einige staatliche Kon­trol­lmöglichkeiten gegenüber dem globali­sier­­ten Markt bedeuten. Inner­halb des Staa­­tes würden wir, wenn es denn jemals so­­weit käme, eine nie gekannte Dezentrali­sie­r­ung und Demokratisierung – eben ein Rä­­te­system – vorfinden. Hier finden sich die inneren Widersprüche zwischen in­di­ge­nen Traditionen, anarchis­tisch-sozia­lis­ti­schen Konzepten und dem Be­zug auf den Staat. Von Anfang an haben die Za­pa­­tistas außer­dem global gedacht und schlagen eine „Internationale der Hof­f­nung“ vor, ein Netzwerk von autonomen Be­­wegungen, die sich global gleichbe­rechtigt und ohne Zentrale zusammen­schlie­ß­en, ohne ihre Eigenständigkeit zu ver­lieren. 1996 gab es ein Treffen mit über 3.000 Menschen aus rund 40 Staaten im Auf­standsgebiet. Darauf­hin entstanden vie­­le Bewegungen, viele zerstrittene linke Sek­ten haben danach erstmals wieder mit­ein­­ander geredet und sich z.T. neu or­ga­ni­siert. Zusammengefasst: im europäischen Sin­­ne ist die EZLN nicht nationalistisch.

Ei­­ne Anmerkung noch: der Begriff „pue­blo“, der hier mit „Volk“ übersetzt wird, be­­deutet dort eben nicht eine völkische Ein­­heit, die bei über 50 Sprach- und Kul­turgruppen eh absurd wäre, sondern be­zeichnet das ge­sell­schaf­t­liche Unten.

Zu Militarismus kann ich sagen, dass die EZLN auf Wunsch der Unter­stüt­z­ung­s­basen existiert, die seit Jahrzehnten unter ex­­tremer Gewalt leiden. Es gibt keinen Rechtsstaat, alle friedfertigen Aktivitäten wur­­den mit Mord und Folter beantwortet. Aus dem winzigen Kern städtischer Guerilla-Kader entstand dann in einem zehn­­jährigen Prozess diese besondere Or­ga­­nisation einer basis­demokratisch organi­sier­ten Guerilla. Inner­halb der Guerilla geht es natürlich militärisch zu. Es ist be­stim­mt kein „Spaß“, in der Truppe in­vo­l­viert zu sein, es gibt einen gewissen Drill wie in militärischen Orga­nisationen und das Leben in den Bergen ist hart und un­ge­­sund. Aber die Leute wollen es. Sie er­hal­­ten dort viel Bildung und der Grad an Gleichberechtigung zwischen Frauen und Män­­­nern ist dort höher als in den Dörfern. Die EZLN hat übrigens kaum Vorwürfe we­­gen Men­schen­rechts­ver­let­zungen er­hal­ten, nur im Januar 94, als Menschen vor ihr flüchteten. Die EZLN baut keine Dro­gen an und führt auch keine Zwangs­rekru­tier­­ungen durch. Im Mom­ent machen sie vor allem Radio, was sehr gut bei der Be­völ­­kerung, auch bei Nichtzapatistas, an­kommt. Natürlich sind militärische Ver­bände trotzdem immer äußerst kritisch zu be­­­obachten. Sie sagen jedoch: „Wir sind Sol­­daten, damit es eines Tages nicht mehr nö­­­tig ist, dass es Soldaten gibt“.

FA!: Inwiefern kann die zapatistische Be­we­gung auch als libertäre gesehen werden?

Luz: Libertäre Aspekte sind vor allem in der Organisation der Gemeinden zu fin­den: Wichtige Entscheidungen werden auf Voll­­versammlungen getroffen. Wer dort ei­ne Funktion innehat, kann jederzeit ab­ge­­setzt werden, wenn er oder sie die Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Betroffenen macht. D.h., dass Funktionen vor allem eine Last, ein Dienst an der Allgemeinheit sind und außer Respekt keine materiellen Pri­­vilegien mit sich bringen. Die zapatisti­schen Ge­meinden praktizieren über die Ge­­mein­deräte, die autonomen Landkreise und die fünf politisch-organisatorischen Zen­­­tren, die „caracoles“ (Schnecken­häu­ser), in denen die „Juntas (Räte) der Guten Re­­gier­ung“ arbeiten, eine reale Selbstver­wal­t­ung. Vor allem im Bereich der Bildung und der Gesundheitsversorgung haben sie be­­achtliche Fortschritte gemacht. Ein zweiter Punkt ist, dass sie die Macht nicht do­minieren wollen. Sie kämpfen für ei­ne ba­sisdemokratische Gesellschaft, in der sie nur Teil, aber nicht Avantgarde sind. Ein drit­ter Aspekt ist das Motto „pregun­tando cami­namos“, „fragend gehen wir vo­ran“.

Dies bedeutet, dass sie nicht sagen, „wir-ha­­ben-hier-eine-Bibel-von-unserem-Ober­guru, wenn-alle-die-lesen-und-befolgen-wird-die-Menschheit-glückselig-werden“, (..) d.h. die Praxis bestimmt die Theorie.

An­­dererseits gibt es viele Dinge, die nicht an­­archistisch sind: der Bezug auf die öko­no­mischen Regulationsaufgaben des Staates z.B. Selbstverständlich ist ihre Gue­ril­la, die seit Mitte Januar 1994 nicht mehr gekämpft hat, aber noch existiert, in­­tern keineswegs libertär. (..) Sie steht im Hin­­tergrund bereit, um die Gemeinden im Extremfall zu verteidigen und sie hat bis­­her immer die politischen Entschei­dun­gen der Dörfer respektiert. Auf Gemeinde­eb­ene halten wir die Frage der Gleich­be­rech­tigung von Frauen und Män­nern noch für unbedingt verbesser­ungs­würdig. Al­ler­dings sollte gesagt werden, dass die EZLN das ­selbst öffent­lich an­ge­prangert hat und stark an einer Ver­besserung arbeitet.

FA!: Was hast du aus deinen Erfahrungen in Mexiko für Widerstand und Emanzi­pa­tion hier gelernt?

Luz: Beeindruckend ist die Offenheit der Be­­wegungen und die Bereitschaft zur Zu­sammenarbeit mit der Bevölkerung. Wenn sie Flugblätter schreiben, sind sie viel besser ver­­ständlich als hier, vielmehr am Alltag der Menschen orientiert. (..) Vor allem die in­­digenen Organisationen sind stark ver­ankert. Vielleicht können wir von dort ler­nen, dass der Kampf um Emanzipation un­ser ganzes Leben dauert, wahrscheinlich mehr­ere Generationen. (..) Viele Leute, die in Europa die obercoolen Autonomen sind, sind nach fünf Jahren wieder weg und füh­ren ein völlig angepasstes Leben. (..)

Den­­noch finden wir längst nicht alles, was die Zapatistas machen oder sagen „super“, wir begleiten sie kritisch-solidarisch! Wir kön­­nen ihr Projekt nicht einfach nach hier über­­tragen, das wäre absurd.

clara

www.gruppe-basta.de
www.chiapas.ch
www.cafe-libertad.de

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