Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum
Wir sehen, hören oder lesen es täglich in den Medien: Die weltweite Armut wächst. Die Erkenntnis ist allerdings ist nicht neu und wurde zuletzt vor acht Jahren – passend zum Jahrtausend-Wende – als nötiger Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik verkündet. Zu dieser Zeit erklärte der Weltentwicklungsbericht auch, dass extreme Armut und Einkommensdifferenzen in der Welt wachsen. Dementsprechend Gehör fand auch internationale Kritik an althergebrachten Entwicklungsstrategien, die nur auf wirtschaftliches Wachstum als Entwicklungsmotor bauten. Armutsminderung als „Durchsickereffekt“ und Nebenprodukt von Wachstum hatte sich offensichtlich nicht eingestellt und so kehrten internationale Entwicklungsinstitutionen zur alten Parole der Armutsbekämpfung zurück, um sie als neue Errungenschaft zu verkaufen. (1) Neu gestecktes Ziel ist die Halbierung der weltweiten Armut bis 2015. Die UN-Generalversammlung verkündete hierfür die Millennium-Entwicklungsziele, die als Meilenstein ob der Konsensfähigkeit vieler Staaten gefeiert wurden. Die EU zog noch im gleichen Jahr nach und verortete Armutsbekämpfung als oberstes entwicklungspolitisches Ziel. Ebenso verabschiedete die BRD 2001 auf dieser Grundlage ihr Aktionsprogramm 2015. Verblüffend hierbei war auch die Rolle des internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank: Die einstigen Propagandisten von Wirtschaftswachstum und Handelsliberalisierung, die seit den 80ern hochverschuldeten Entwicklungsländern Strukturanpassungsprogramme (SAPs) aufzwangen (siehe Kasten), verwandelten sich in eine ‚Bank der Armen‘ und arbeiten jetzt auch ganz im Sinne der Armutsbekämpfung. Ihre neuen Strategiepapiere – die zweifelsfrei innerhalb der Entwicklungshilfe im Vergleich zu Maßnahmen einzelner staatlicher Akteure mehr Einfluss besitzen – heißen PRSP (poverty reduction strategy papers) und versprechen Wachstum im Dienste der Armutsbekämpfung. Inwiefern diese Papiere tatsächlich einen Politikwechsel andeuten und ob diese Versprechungen mehr als hohle Phrasen sind, soll im Folgenden vor allem am Beispiel der PRSP kritisch betrachtet werden.
Theorie ohne Praxis
Die acht Millennium-Entwicklungsziele der UN verhandeln vor allem allgemeine Grundsätze, die den sozialen Menschenrechten erstaunlich ähneln, jedoch mit Zeitzielen versehen sind. So soll bis 2015, neben der Halbierung der extremen Armut und des Hungers, die allgemeine Grundschulbildung für alle Kinder der Welt sichergestellt werden, die Geschlechtergleichheit auf allen Bildungsebenen gewährleistet und die Verbesserung der Gesundheit von Müttern gefördert werden. Zudem soll die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt und Infektionskrankheiten wie HIV, Malaria u.a. zum Stillstand gebracht werden. Auch die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit spielt erstmals eine herausragende Rolle, es soll z.B. der Anteil der Menschen halbiert werden, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Schlussendlich ist auch vom ‚Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft‘ die Rede, die u.a. durch ‚nicht-diskriminierende Handels- und Finanzsysteme‘ und Schuldenerleichterung umgesetzt werden soll.
Soviel zu den hehren Zielen, die allein schon wegen ihrer zeitlichen Festschreibung von vielen NGOs als utopisches Lippenbekenntnis ohne festen Umsetzungswillen kritisiert werden. Angesichts der Tatsache, dass die einzelnen Staatsausgaben für Entwicklungshilfe größtenteils nicht (wie seit Jahren von nicht-staatlichen Institutionen gefordert) auf 0,7% des BIP angehoben werden, stellt sich zudem die Frage, wie denn die Armutshalbierung bis 2015 finanziert und erreicht werden soll. Auch bei der Zieldefinition der ‚nicht-diskriminierenden Handels- und Finanzsysteme‘ fragt Mann oder Frau sich nach der Ernsthaftigkeit der verfassten Papiere, wenn in der EU gleichzeitig eine Agrarsubventionierung fortgeführt wird, die den Absatz bestimmter Agrarprodukte aus den Entwicklungsländern auf dem europäischen Markt de facto verhindert. Weil der Export landwirtschaftlicher Produkte für viele ärmere Länder die Haupteinnahmequelle bildet, kann den Folgen der ungleichen Chancen nur dadurch entgegengewirkt werden, dass sich die ohnehin schon armen Bauern noch mehr selbst ausbeuten und unter ihrem Existenzminimum produzieren. Dass Armutsbekämpfung dem widerspricht, ist offensichtlich.
Was dennoch an den Millenniumszielen als fortschrittlich gewertet werden kann, ist dass Armut nicht mehr nur an Einkommen gemessen wird, sondern vor allem am Mangel von Chancen und Möglichkeiten. Dies verdeutlicht eine Abkehr von Monetarismus und klassisch ökonomischer Ausrichtung in den Entwicklungszielen. Der Mensch mit seinen Entwicklungspotentialen scheint wieder stärker in den Vordergrund zu treten und der Aspekt der Verteilung des Wachstums darf nun wieder (mit) diskutiert werden.
Praxis ohne Theorie
Diese Millenniumsziele wurden von einzelnen Entwicklungsakteuren in spezielle Strategien umgesetzt, die beschreiben, wie die Ziele konkret zu erreichen sind. Während das Aktionsprogramm 2015, das vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) erarbeitet wurde, ein Strategiepapier für die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit ist, sind die PRS-Papiere von IWF und Weltbank initiiert und bilden Richtlinien für Entschuldungszustimmungen hochverschuldeter Entwicklungsländer. Letztere ernteten für ihre Abkehr von den Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) viel Lob, da auch sie sich damit scheinbar von langjährig praktizierten neoliberalen Zielen abwenden und die Kritik an den sozialen Folgen der SAPs ernst nehmen. Konkret wurden die PRSP 1999 erstmalig beim Kölner G7-Gipfel eingebracht und bilden seitdem für die größten Gläubiger Weltbank und G7 die Grundlage für Entschuldungskampagnen, wie HIPIC (2). Mit Hilfe der neuen Strategie sollen die durch Schuldenerlass freiwerdenden Mittel im Entwicklungsland nun gezielt zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Neu daran ist vor allem, dass die PRSP von den Entwicklungsländern selbst und unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure erarbeitet und vorgeschlagen werden. Damit wird auch dem Ziel einer ‚gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft‘ Rechnung getragen und die Schlagworte ‚Partizipation‘ und ‚Ownership‘(3) sollen so mit Leben gefüllt werden.
Dennoch gibt es v.a. seitens der NGOs wie z.B. weed (4) beträchtliche Kritik am angeblich neuen Kurs, denn die von den Entwicklungsländern selbst erarbeiteten Strategien setzen weiterhin primär auf wirtschaftliches Wachstum und behandeln die Armutsbekämpfung nachrangig, statt sie mit wirtschaftlichen Reformen zu koppeln. Rhetorisch wird sich zwar auf Armutsbekämpfung als Ziel bezogen, die Umsetzungsstrategien allerdings vernachlässigen dies und setzen weiterhin auf die altbekannten Wachstumsstrategien, wie z.B. den Ausbau des Exportsektors im Bereich der Landwirtschaft oder im arbeitsintensiven Textilbereich. Dass diese einseitige Förderung neue Abhängigkeiten schafft und insbesondere für die Landarbeiter durch den hohen Weltmarktdruck zu größerer Armut führt, ist eigentlich hinreichend bekannt. Hier fällt v.a. auf, dass es offenbar versäumt wurde, sich mit den negativen Folgen der SAPs auseinanderzusetzen und eben bisher kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, Armut wirklich zu bekämpfen. Gerade im Bereich der Landwirtschaft wäre dies möglich, wenn man z.B. die Nahrungsmittelknappheit des jeweiligen Landes durch die Förderung der Produktion für den einheimischen Markt bekämpfen würde, anstatt weiterhin auf den Export von Bananen und Kaffee zu setzen, die ohnehin schwankenden Weltmarktpreisen und hoher Konkurrenz ausgesetzt sind. Auch die Frage der ungleichen Landverteilung wird größtenteils ausgespart, obgleich sich hier Potentiale zur Armutsbekämpfung auftun. Mit Großgrundbesitzern lassen sich exportorientierte Wirtschaftsstrategien eben besser umsetzen, als mit Kleinbauern oder Kooperativen, die v.a. ihre eigene Ernährung durch die landwirtschaftliche Nutzung sichern wollen.
Bezüglich der Arbeitnehmer/innenrechte wird in den PRSP oftmals sogar von höherer Flexibilisierung gesprochen, was nicht nur der Vorstellung sicherer Beschäftigungsverhältnisse widerspricht, sondern auch die Forderung nach Einkommen zum Auskommen unterhöhlt, wenn Heuern und Feuern das Alltagsgeschäft bleiben kann. Dummerweise bilden Handelsliberalisierungen und Privatisierungen weiterhin Grundsäulen der PRSP-Strukturreformen. Bemerkenswert dabei ist auch, dass Grundgüter wie Wasser- und Stromversorgung sowie Sektoren wie Bildung und Gesundheit zunehmend privatisiert werden sollen und dementsprechend für die wirklich Bedürftigen real zum Luxusgut werden. Diesen Prozess gibt es zwar auch in den Industrieländern, allerdings regt sich hier Widerstand, der im Gegensatz zu den Entwicklungsländern eine größere Lobby hat und dementsprechend die Privatisierung der Grundgüter verlangsamt.
Auch nachhaltige ökologische Zielsetzungen, Gender-Fragen und Verteilungsaspekte werden in den PRSP zwar als allgemeine Ziele definiert, bleiben allerdings bei der konkreten Strategieplanung oft unbeachtet. In den Papieren wird generell eine Analyse der bisherigen Entwicklungsstrategien und ihrer sozialen Folgen ausgespart, so dass auch nicht aus bereits gemachten Erfahrungen gelernt werden kann. Nicht gespart wird hingegen mit Rhetorik und hehren Zielen, mit Hilfe der PRSP sowohl das Wirtschaftswachstum zu steigern, als auch die Armut bekämpfen zu können. Dass die durch Schuldenerlass frei werdenden Mittel im Verhältnis zu den benötigten Geldern für die Umsetzung der PRSP im krassen Missverhältnis stehen, scheint die „Bretton-Woods-Zwillinge“ IWF und Weltbank hingegen nicht zu stören. Da wirkliche Armutsbekämpfung in der konkreten Planung sowieso – kaum beachtet – zum Surplus des Staates degradiert ist und lediglich Strategien, die Wirtschaftswachstum bringen, ausbuchstabiert werden, ist sowohl den Entscheidungsträgern des Entwicklungslandes, als auch IWF und Weltbank sicherlich klar, wo gekürzt wird, wenn die Gelder nicht reichen.
Stellt sich die Frage, warum die Entwicklungsländer nun ihre Chance nicht wahrnehmen, um mit internationaler Legitimation (durch selbst verfasste PRSPs), die eigene Armut wirklich zu bekämpfen. Zum einen kann mensch dies an der fehlenden Bereitschaft der Entscheidungseliten im Entwicklungsland festmachen, die selbst sicher nicht an Hunger leiden und eher Profiteure der wirtschaftlichen Reformen sind. Dafür spricht die Beobachtung, dass es zwar angedacht war, die zivilgesellschaftlichen Akteure in den Entwicklungsprozess einzubeziehen, dieses aber oftmals in der Praxis nicht ausreichend stattfindet, sondern lediglich finanzstärkere Institutionen mit hauptamtlichem Personal integriert wurden.
Eine andere Erklärung ist das Vetorecht von IWF und Weltbank selbst: Denn trotz des Geredes von „Ownership“ sind es schlussendlich diese beiden, die dem Papier zustimmen müssen, auf dessen Grundlage es erst zur Entschuldung kommt. Da man als Entwicklungsland auch nicht erst seit gestern mit diesen ‚global Playern‘ zu tun hat und um ihre wirtschaftspolitische Einstellung weiß, werden die Papiere dementsprechend wirtschaftsliberal verfasst, so dass sie der Entschuldung auch zustimmen. So verkommt selbst das hehre Ziel der „Entwicklungspartnerschaft“ zum Hohn, denn das Entwicklungsland selbst wird nicht, wie beteuert, aus seiner Rolle des Almosenempfängers heraus ermächtigt, sondern bleibt Spielball der Interessen der Industriestaaten.
Alter Wein in neuen Schläuchen
So entpuppen sich die PRS-Papiere schlussendlich doch als billige Rhetorik, um Kritiker/innen etwas zu erwidern, ohne den eigentlichen Kurs zu verändern. Armutsbekämpfung klingt toll und weltweit freut man sich über die moralisch guten, neuen Ansätze. Die alte Politik vom bloßen Wirtschaftswachstum als Entwicklungsziel ist hingegen jenseits der Rhetorik nach wie vor Praxis, auch wenn offiziell Wachstum nur als Mittel zur Armutsbekämpfung deklariert wird.
Das ist angesichts der Geschichte von entwicklungspolitischen Theorien im Grunde nicht verwunderlich. Blicken wir auf die Zeit vor dem Fall des Ostblockes, so gab es vor allem zwei große Theorieströmungen, die sich in ihrer Armutsanalyse und den darauf aufbauenden Strategien diametral gegenüber standen: Die Modernisierungstheorien bzw. Wachstumstheorien und die Dependenztheorien (5). Dabei spiegelten sie gleichzeitig den politischen Ost-West-Konflikt und Kalten Krieg zwischen den zwei Weltsystemen wider.
Die in den 50ern und 60ern vorherrschende Modernisierungstheorie ging davon aus, dass „Unterentwicklung“ ein selbstverschuldetes Problem der Länder sei, hervorgerufen durch Mangel an dynamischen Impulsen ihrer Kultur, Wertordnung und Schichtenstruktur. Nur eine Befreiung aus dem Traditionalismus hin zur Moderne könne der Theorie nach zu Entwicklung führen. Die Strategie dahinter ist relativ simpel: Entwicklung nach westlichem Vorbild, einhergehend mit Individualisierung, Leistungsorientierung und Kapitalismus.
Als politisches Pendant entwickelte sich im sog. Osten Ende der 60er Jahre die Dependenztheorie, die die Ursachen von Armut in den (außenwirtschaftlichen) Abhängigkeitsstrukturen der Entwicklungsländer sah. Dabei wurde die strukturelle Abhängigkeit an mehreren, auch historischen Ereignissen festgemacht: Kolonialismus, ungleiche Weltmarktchancen, dominante Handels- und Kapitalströme, die Schuldenproblematik, aber auch Klassen- und Herrschaftsverhältnisse wären demnach verantwortlich für Unterentwicklung. Als Gegenstrategie wurde die Abkapselung vom kapitalistischen Weltmarkt und eine autozentrierte, nach innen gerichtete Entwicklung empfohlen. Der große Theorienstreit endete Anfang der 90er, wo man zum Einen erkannte, dass die großen Globaltheorien angesichts der rasanten Entwicklung der asiatischen Tigerstaaten – die nicht dem westlichen, modernen Werten folgten, sich aber auch nicht vom Weltmarkt abkoppelten – Erklärungsdefizite aufwiesen und zum Anderen dem Diskurs durch den Fall des Ostblockes die Brisanz abhanden kam. Während vorher die Staaten entsprechend ihrer vorherrschenden Ideologie versuchten, soviel wie möglich Einfluss auf die sog. ‚Peripherie‘ zu nehmen und dort für ihre Systeme Stellvertreterkriege führen ließen, war nun der Weg frei für mehr Selbstkritik an den bisher verfolgten Strategien und neuen, weniger ideologisch verhärteten Ansätzen. Man sprach fortan vom „Ende der großen Theorien“ und legte den Fokus auf sog. Strategien mittlerer Reichweite, wie z.B. Nachhaltigkeit und Armutsbekämpfung. Stellt man die Lupe – wie im Falle der Armutsbekämpfung – hingegen genauer ein, fällt auf, dass sich hinter den neuen Schlagworten trotzdem die alten Theorien verbergen. Freilich nur die eine, denn die Modernisierungs- bzw. Wachstumstheorie besitzt ja inzwischen keinen nennenswerten Gegenspieler mehr und muss dementsprechend auch nicht um die ideologische Herrschaft in der Welt buhlen. Es muss ja auch kein aufwendiger Theorie-Diskurs mehr bemüht werden, um die alte Wachstumsstrategie hinter den neuen Teilzielen wie z.B. Armutsbekämpfung verstecken zu können.
Dass sich Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung in einigen Bereichen (wie z.B. bei Exportorientierung landwirtschaftlicher Produkte) konträr zueinander verhalten, ist dann wahrscheinlich ein „Schönheitsfehler“ bei der Fusion beider Strategien. Allerdings ist das insofern unproblematisch, wie sie ohnehin nicht ausreichend miteinander verknüpft sind und somit das Problem der Armut im Konfliktfall nachrangig behandelt werden kann. Natürlich ist man sich weltweit einig darüber, dass Armut ein Problem ist und fast jedeR würde wohl zustimmen, dass allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu wünschen ist. Dennoch kann staatliche und multilaterale Entwicklungshilfe nicht altruistisch verstanden werden, solange wir uns im Kapitalismus befinden. Da spielen zum einen (insbesondere seit dem 11.9.01) sicherheitspolitische Erwägungen eine Rolle, andererseits wird natürlich auch ein Geschäft gemacht mit der Unterlegenheit bestimmter Länder. Eine Exportorientierung der Entwicklungsländer zum Beispiel ist für die Industrieländer von Vorteil, wenn dadurch billig eingekauft werden kann und gleichzeitig neue Absatzmärkte geschaffen werden. Solange keines der Entwicklungsländer in der Lage ist, bspw. die Agrarsubventionierung des Westens abzuschaffen, werden die Industrieländer davon einseitig profitieren. Entwicklungspolitische Maßnahmen geschehen also immer im Interesse der Geber, auch wenn der Nutzen kurzfristig nicht immer deutlich wird.
Ein Interesse, aus den Entwicklungsländern wirtschaftliche Größen zu machen, gibt es hingegen nicht. Diese könnten ja dann, wie im Falle Chinas, plötzlich zum Konkurrenten werden. Da bleibt es lohnenswerter, nur Sektoren zu entwickeln, die im Industrieland von Nutzen sind und vor allem Abhängigkeiten erhalten. Einseitige Exportorientierung seitens der Entwicklungsländer ist diesem Ziel dabei ebenso dienlich, wie die generelle Schuldenproblematik und damit verbundene Strukturanpassungsprogramme – die jetzt statt SAP einfach PRSP heißen. Letztere sorgen v.a. dafür, dass sich der Kapitalismus umfassender etabliert und die Konkurrenz zwischen den Menschen frei wirken kann. Von ‚Entwicklungspartnerschaft‘ kann angesichts dieser Politik jedoch keine Rede sein, auch wenn die neue Rhetorik (die sich auch in ‚Entwicklungszusammenarbeit‘ ausdrückt) ein Zugeständnis an die Dependenztheorie darstellt und der eurozentristische Blickwinkel der Vergangenheit damit eingeräumt wird. Solange es jedoch nur ein sprachliches Spiel bleibt, um die real existierenden Abhängigkeitsverhältnisse zu kaschieren, wird sich auch praktisch nichts verändern. Die Dependenztheorie hat zwar kaum noch eine Lobby, ist aber insofern nicht obsolet, da sie genau diese Nutzen- und Abhängigkeitsverhältnisse zu den Industrieländern anklagt. Abhängigkeiten haben Armut geschaffen. Dementsprechend nötig sind auch alle Bemühungen diese Abhängigkeiten zu beenden.
(momo)
(1) Armutsbekämpfung ist allein schon deshalb nicht wirklich neu, da sich sowohl zahlreiche NGOs seit Jahrzehnten an diesen Zielen orientieren, als auch internationale Organisationen wie Weltbank, ILO, WHO in den 70ern Grundbedürfnisstrategien verfolgten. Diese wurden allerdings in den 80ern angesichts der Schuldenkrise und Zahlungsschwierigkeiten vieler Entwicklungsländer, wieder durch neoliberale Strategien abgesetzt, die vor allem Kürzungen von Sozialausgaben zugunsten von Privatisierung und Liberalisierung vorsahen.
(2) HIPC steht für „heavily indebted poor countries“ (hoch verschuldete arme Länder). Die HIPC-Initiative wurde erstmals 1996 (auf Betreiben der G8) von IWF und Weltbank ins Leben gerufen und 1999 mit HIPCII neu aufgelegt. Insgesamt geht es um ein Entschuldungsvolumen von 70 Mrd. US-Dollar, das sich bei den hochverschuldeten Ländern hauptsächlich auf Handelsschulden sowie Schulden aus der Entwicklungszusammenarbeit bezieht.
(3) Die entwicklungspolitischen Konzepte, die hinter einer ‚gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft‘ stehen und worauf sich v.a. die PRSP beziehen, sind ‚Partizipation‘ und ‚Ownership‘. Die neuen Schlagwörter in der Entwicklungszusammenarbeit werden als Konzept verstanden, bei dem die betroffenen Länder selber aktiv Anstrengungen zur Armutsbekämpfung unter- und zudem Verantwortung und Rechenschaftspflicht übernehmen. Sie sollen aus ihrer passiven Rolle herauswachsen und z.B. Pläne für die Armutsreduzierung selbst formulieren.
(4) weed, „Word Economy, Ecology and Developement“, ist eine 1990 gegründete deutsche NGO, die sich v.a. mit kritischer Informationsarbeit in Deutschland beschäftigt. Kennzeichnend ist vor allem ihre Kritik an den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, der sie durch die Erstellung zahlreicher Publikationen und Durchführung von Seminaren Ausdruck verleihen.
(5) Die Vertreter der Modernisierungs- bzw. Wachstumstheorien (z.B. D. Lerner) beziehen sich ursprünglich auf die Väter der klassischen Nationalökonomie wie A. Smith und D. Ricardo, aber auch auf die Theorien der frühen Soziologen wie Weber und Parsons. Grob gesprochen spalten sie sich noch einmal in das neoklassische und das keynesianistische Lager. Vertreter der Dependenztheorie (z.B. D. Senghaas) kommen eher aus dem linksliberalen, neomarxistischen Lager und beziehen sich in ihrer Theoriebildung hauptsächlich auf Theorien von Marx, Lenin (Imperialismustheorie) und/oder strukturalistische Ansätze.
Hintergrund: IWF & Weltbank
Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) wurden 1945 auf der internationalen Wirtschaftskonferenz von Bretton Woods gegründet. Originäre Aufgabe des IWF ist die Verhinderung erneuter Weltwirtschaftskrisen, durch die Überwachung von Währungsstabilität, Inflationsraten und Finanzpolitik einzelner Länder. Die Weltbank, die ursprünglich für den Wiederaufbau des nach dem 2. Weltkrieg zerstörten Europas gegründet wurde, vergibt heute langfristige Kredite und Darlehen an Entwicklungsländer. Wegen der Schuldenproblematik und zunehmender Zahlungsunfähigkeit vieler Länder, wurden in den 80ern von Weltbank und IWF Strukturanpassungsprogramme (SAPs) entwickelt, die an die Vergabe von Krediten gekoppelt waren. D.h. um einen Kredit zu bekommen, war das Land verpflichtet, durch bestimmte Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Staatsbankrotte zu verhindern. Durch Reformen wie der Liberalisierung vom Finanzmarkt und Außenhandel, Erhöhung der Exporte, Privatisierung von Staatsbetrieben, Reduzierung der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung, Abbau von Subventionen und Zöllen, Abwertung der Währung und dem Verbot staatlicher Eingriffe in den Handel sollten diese Ziele erreicht, Wirtschaftswachstum gesteigert und die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Wegen der z.T. verheerenden Auswirkungen der SAPs, vor allem für die armen Bevölkerungsteile, stehen diese seither unter starker Kritik und werden nun zunehmend von PRS-Programmen abgelöst.