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Entwicklungshilfe im Spannungsfeld von Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum

Wir sehen, hören oder lesen es täglich in den Medien: Die weltweite Armut wächst. Die Erkenntnis ist aller­dings ist nicht neu und wurde zuletzt vor acht Jahren – passend zum Jahrtausend-Wende – als nötiger Paradigmenwechsel in der Ent­wick­lungs­­poli­­­­tik verkündet. Zu dieser Zeit erklärte der Weltentwicklungsbericht auch, dass extreme Armut und Einkommensdifferenzen in der Welt wachsen. Dementsprechend Gehör fand auch internationale Kritik an althergebrachten Entwicklungsstrategien, die nur auf wirtschaftliches Wachstum als Ent­wick­lungsmotor bauten. Armutsmin­de­rung als „Durchsickereffekt“ und Neben­pro­dukt von Wachstum hatte sich offensichtlich nicht eingestellt und so kehrten internationale Entwicklungsins­titutio­nen zur alten Parole der Armutsbekämpfung zurück, um sie als neue Errungenschaft zu verkaufen. (1) Neu gestecktes Ziel ist die Halbierung der weltweiten Armut bis 2015. Die UN-Generalversammlung verkündete hierfür die Millennium-Entwick­lungs­­ziele, die als Meilenstein ob der Konsensfähigkeit vieler Staaten gefeiert wurden. Die EU zog noch im gleichen Jahr nach und verortete Armuts­be­­käm­pfung als oberstes entwick­lungs­politi­sches Ziel. Ebenso verabschiedete die BRD 2001 auf dieser Grundlage ihr Aktions­programm 2015. Verblüffend hierbei war auch die Rolle des internationalen Wäh­rungs­­­fonds (IWF) und der Weltbank: Die einsti­gen Propagandisten von Wirtschafts­wachs­­tum und Handelsliberalisierung, die seit den 80ern hochverschuldeten Ent­wick­lungs­­län­dern Strukturanpassungsprogramme (SAPs) aufzwangen (siehe Kasten), verwandelten sich in eine ‚Bank der Armen‘ und arbeiten jetzt auch ganz im Sinne der Armutsbekämpfung. Ihre neuen Strategiepapiere – die zweifelsfrei innerhalb der Entwicklungshilfe im Ver­gleich zu Maßnahmen einzelner staatlicher Akteure mehr Einfluss besitzen – heißen PRSP (poverty reduction strategy papers) und versprechen Wachstum im Dienste der Armuts­be­käm­­pfung. Inwiefern diese Papiere tatsäch­lich einen Politikwechsel andeuten und ob diese Versprechungen mehr als hohle Phrasen sind, soll im Folgenden vor allem am Beispiel der PRSP kritisch betrachtet werden.

Theorie ohne Praxis

Die acht Millennium-Entwicklungsziele der UN verhandeln vor allem allgemeine Grund­sätze, die den sozialen Menschen­rech­­­ten erstaunlich ähneln, jedoch mit Zeit­zielen versehen sind. So soll bis 2015, ne­ben der Halbierung der extremen Armut und des Hungers, die allgemeine Grund­schulbildung für alle Kinder der Welt sichergestellt werden, die Geschlech­ter­­gleichheit auf allen Bildungsebenen ge­währ­leistet und die Verbesserung der Ge­sund­heit von Müttern gefördert werden. Zu­dem soll die Kindersterblichkeit um zwei Dri­t­tel gesenkt und Infektions­krank­­hei­ten wie HIV, Ma­laria u.a. zum Stillstand ge­bracht wer­den. Auch die Sicherung der öko­­­­lo­­­gi­­schen Nach­­hal­tig­­­­keit spielt erst­­­­­­­­mals ei­ne he­r­aus­ra­gen­de Rol­le, es soll z.B. der An­­teil der Men­schen hal­­­­biert wer­den, die keinen Zu­gang zu sauberem Trinkwasser haben. Schluss­­end­lich ist auch vom ‚Aufbau einer globalen Entwick­lungs­­part­ner­schaft‘ die Rede, die u.a. durch ‚nicht-diskrimi­nie­rende Handels- und Finanzsys­teme‘ und Schulden­er­leich­terung umgesetzt wer­den soll.

Soviel zu den hehren Zielen, die allein schon wegen ihrer zeitlichen Fest­schreibung von vielen NGOs als uto­pi­sches Lippenbekenntnis ohne festen Um­setzungswillen kritisiert werden. An­ge­­sichts der Tatsache, dass die einzelnen Staats­ausgaben für Entwicklungs­hilfe größ­tenteils nicht (wie seit Jahren von nicht-staatlichen Institutionen gefordert) auf 0,7% des BIP angehoben werden, stellt sich zudem die Frage, wie denn die Ar­mutshalbierung bis 2015 finanziert und er­reicht werden soll. Auch bei der Zielde­fi­nition der ‚nicht-diskriminie­renden Han­dels- und Finanzsysteme‘ fragt Mann oder Frau sich nach der Ernsthaftigkeit der ver­fassten Papiere, wenn in der EU gleich­zei­tig eine Agrarsubventionierung fortgeführt wird, die den Absatz bestimmter Agrar­pro­dukte aus den Entwicklungsländern auf dem europä­ischen Markt de facto ver­hindert. Weil der Export landwirt­schaft­licher Produkte für viele ärmere Länder die Haupt­ein­nahme­­­quelle bildet, kann den Folgen der ungleichen Chancen nur da­durch entgegen­ge­wirkt werden, dass sich die ohnehin schon armen Bauern noch mehr selbst ausbeuten und unter ihrem Existenzminimum produ­zie­ren. Dass Ar­muts­­be­kämpfung dem widerspricht, ist offensichtlich.

Was dennoch an den Millen­niums­­zielen als fort­schrittlich gewertet werden kann, ist dass Armut nicht mehr nur an Einkommen gemessen wird, sondern vor allem am Man­gel von Chancen und Möglich­kei­ten. Dies verdeutlicht eine Abkehr von Mone­ta­rismus und klassisch ökonomischer Aus­rich­tung in den Entwick­lungs­zielen. Der Mensch mit seinen Ent­wick­lungs­poten­tia­len scheint wieder stärker in den Vor­der­grund zu treten und der Aspekt der Ver­teilung des Wachstums darf nun wieder (mit) diskutiert werden.

Praxis ohne Theorie

Diese Millenniumsziele wurden von einzelnen Entwicklungsakteuren in spezielle Strategien umgesetzt, die beschreiben, wie die Ziele konkret zu erreichen sind. Während das Aktionsprogramm 2015, das vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) erarbeitet wurde, ein Stra­tegie­papier für die bundesdeutsche Entwicklungszusammenarbeit ist, sind die PRS-Papiere von IWF und Weltbank initiiert und bilden Richtlinien für Entschuldungszustimmungen hochverschuldeter Entwicklungsländer. Letztere ernteten für ihre Abkehr von den Strukturan­passungs­pro­grammen (SAPs) viel Lob, da auch sie sich damit scheinbar von langjährig praktizierten neoliberalen Zielen abwenden und die Kritik an den sozialen Folgen der SAPs ernst nehmen. Konkret wurden die PRSP 1999 erstmalig beim Kölner G7-Gipfel eingebracht und bilden seitdem für die größten Gläubiger Weltbank und G7 die Grundlage für Entschuldungskam­pagnen, wie HIPIC (2). Mit Hilfe der neuen Strategie sollen die durch Schuldenerlass freiwerdenden Mittel im Entwicklungsland nun gezielt zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Neu daran ist vor allem, dass die PRSP von den Entwicklungsländern selbst und unter Einbeziehung zivilgesellschaftli­cher Akteure erarbeitet und vorgeschlagen werden. Damit wird auch dem Ziel einer ‚gleichberechtigten Entwicklungspartner­schaft‘ Rechnung getragen und die Schlagworte ‚Partizipation‘ und ‚Ownership‘(3) sollen so mit Leben gefüllt werden.

Dennoch gibt es v.a. seitens der NGOs wie z.B. weed (4) beträchtliche Kritik am angeblich neuen Kurs, denn die von den Entwicklungs­ländern selbst erarbeiteten Strategien setzen weiterhin primär auf wirtschaftliches Wachstum und behandeln die Armutsbe­kämpfung nachrangig, statt sie mit wirt­schaft­li­chen Reformen zu koppeln. Rhetorisch wird sich zwar auf Armutsbe­kämpfung als Ziel bezogen, die Umsetzungs­strategien allerdings vernachlässigen dies und setzen weiterhin auf die altbekannten Wachs­tums­­strategien, wie z.B. den Ausbau des Exportsektors im Bereich der Landwirtschaft oder im arbeitsintensiven Textilbereich. Dass diese einseitige Förderung neue Abhängigkeiten schafft und insbesondere für die Landarbeiter durch den hohen Weltmarktdruck zu größerer Armut führt, ist eigentlich hinrei­chend bekannt. Hier fällt v.a. auf, dass es offenbar versäumt wurde, sich mit den negativen Folgen der SAPs auseinanderzusetzen und eben bisher kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, Armut wirklich zu bekämpfen. Gerade im Bereich der Landwirtschaft wäre dies möglich, wenn man z.B. die Nahrungs­mittel­knapp­heit des jeweiligen Landes durch die Förderung der Produktion für den einhei­mischen Markt bekämpfen würde, anstatt weiterhin auf den Export von Bananen und Kaffee zu setzen, die ohnehin schwankenden Weltmarktpreisen und hoher Konkurrenz ausgesetzt sind. Auch die Frage der un­gleichen Landverteilung wird größtenteils ausgespart, obgleich sich hier Potentiale zur Armutsbekämpfung auftun. Mit Großgrund­be­sitzern lassen sich exportorientierte Wirtschaftsstrategien eben besser umsetzen, als mit Kleinbauern oder Kooperativen, die v.a. ihre eigene Ernährung durch die landwirtschaftliche Nutzung sichern wollen.

Bezüglich der Arbeitnehmer/innenrechte wird in den PRSP oftmals sogar von höherer Flexibili­sie­rung gespro­chen, was nicht nur der Vorstellung sicherer Beschäftigungsverhältnisse widerspricht, sondern auch die Forderung nach Einkom­men zum Auskommen unterhöhlt, wenn Heuern und Feuern das Alltagsgeschäft bleiben kann. Dummerweise bilden Handelslibera­li­­sie­rungen und Privatisierungen weiterhin Grundsäulen der PRSP-Strukturreformen. Bemerkenswert dabei ist auch, dass Grund­güter wie Wasser- und Stromversorgung sowie Sektoren wie Bildung und Gesundheit zunehmend privatisiert werden sollen und dementsprechend für die wirklich Bedürf­tigen real zum Luxusgut werden. Diesen Prozess gibt es zwar auch in den Industrie­ländern, allerdings regt sich hier Widerstand, der im Gegensatz zu den Entwick­lungs­­ländern eine größere Lobby hat und dementsprechend die Privatisierung der Grundgüter verlang­samt.

Auch nachhaltige ökologische Ziel­setzungen, Gender-Fragen und Vertei­lungs­­aspekte werden in den PRSP zwar als allgemeine Ziele definiert, bleiben allerdings bei der konkreten Strategieplanung oft unbeachtet. In den Papieren wird generell eine Analyse der bisherigen Entwicklungs­strategien und ihrer sozialen Folgen ausge­spart, so dass auch nicht aus bereits gemachten Erfahrungen gelernt werden kann. Nicht gespart wird hingegen mit Rhetorik und hehren Zielen, mit Hilfe der PRSP sowohl das Wirtschaftswachstum zu steigern, als auch die Armut bekämpfen zu können. Dass die durch Schuldenerlass frei werdenden Mittel im Verhältnis zu den benötigten Geldern für die Umsetzung der PRSP im krassen Missverhältnis stehen, scheint die „Bretton-Woods-Zwillinge“ IWF und Weltbank hingegen nicht zu stören. Da wirkliche Armutsbekämpfung in der konkreten Planung sowieso – kaum beachtet – zum Surplus des Staates degradiert ist und lediglich Strategien, die Wirtschaftswachs­tum bringen, ausbuch­stabiert werden, ist sowohl den Entschei­dungs­trägern des Entwicklungslandes, als auch IWF und Weltbank sicherlich klar, wo gekürzt wird, wenn die Gelder nicht reichen.

Stellt sich die Frage, warum die Entwick­lungs­länder nun ihre Chance nicht wahrneh­men, um mit internationaler Legitimation (durch selbst verfasste PRSPs), die eigene Armut wirklich zu bekämpfen. Zum einen kann mensch dies an der feh­len­den Bereitschaft der Ent­scheidungseli­ten im Entwick­lungs­land festmachen, die selbst sicher nicht an Hunger leiden und eher Profiteure der wirtschaftlichen Reformen sind. Da­für spricht die Beobachtung, dass es zwar angedacht war, die zivilgesellschaftlichen Akteure in den Entwick­lungs­prozess einzubeziehen, dieses aber oft­mals in der Pra­xis nicht aus­­reichend statt­findet, son­­­dern le­dig­lich finanzstär­kere Institutionen mit haupt­­­­­amtli­chem Personal integriert wurden.

Eine andere Erklärung ist das Vetorecht von IWF und Weltbank selbst: Denn trotz des Geredes von „Ownership“ sind es schluss­end­lich diese beiden, die dem Papier zustimmen müssen, auf dessen Grund­lage es erst zur Ent­schul­­­dung kommt. Da man als Ent­wick­­lungs­land auch nicht erst seit gestern mit diesen ‚global Playern‘ zu tun hat und um ihre wirtschaftspolitische Einstellung weiß, werden die Papiere dementsprechend wirtschaftsliberal verfasst, so dass sie der Entschuldung auch zustimmen. So verkommt selbst das hehre Ziel der „Entwick­lungs­part­ner­schaft“ zum Hohn, denn das Entwick­lungs­land selbst wird nicht, wie beteuert, aus seiner Rolle des Almosenempfängers heraus ermächtigt, sondern bleibt Spielball der Interessen der Industriestaaten.

Alter Wein in neuen Schläuchen

So entpuppen sich die PRS-Papiere schluss­end­lich doch als billige Rhetorik, um Kritiker/innen etwas zu erwidern, ohne den eigentlichen Kurs zu verändern. Armutsbekämpfung klingt toll und weltweit freut man sich über die moralisch guten, neuen Ansätze. Die alte Politik vom bloßen Wirtschaftswachstum als Ent­wick­lungs­ziel ist hingegen jenseits der Rhetorik nach wie vor Praxis, auch wenn offiziell Wachstum nur als Mittel zur Armutsbekämpfung deklariert wird.

Das ist angesichts der Geschichte von entwick­lungs­­poli­tischen Theorien im Grunde nicht verwunderlich. Blicken wir auf die Zeit vor dem Fall des Ostblockes, so gab es vor allem zwei große Theorie­strömun­gen, die sich in ihrer Armutsanalyse und den darauf auf­bauen­den Strategien diametral gegenüber standen: Die Modernisie­rungs­theorien bzw. Wachs­tums­theorien und die Dependenz­theorien (5). Dabei spiegelten sie gleichzeitig den politischen Ost-West-Konflikt und Kalten Krieg zwischen den zwei Weltsyste­men wider.

Die in den 50ern und 60ern vorherrschende Modernisierungstheorie ging davon aus, dass „Unterentwicklung“ ein selbstverschuldetes Problem der Länder sei, hervorgerufen durch Mangel an dynamischen Impulsen ihrer Kultur, Wertordnung und Schichtenstruk­tur. Nur eine Befreiung aus dem Traditiona­lis­mus hin zur Moderne könne der Theorie nach zu Entwicklung führen. Die Strategie dahin­ter ist relativ simpel: Entwicklung nach westlichem Vorbild, einhergehend mit Individualisierung, Leistungsorientierung und Kapitalismus.

Als politisches Pendant entwickelte sich im sog. Osten Ende der 60er Jahre die Dependenztheorie, die die Ursachen von Armut in den (außenwirt­schaft­li­chen) Abhängigkeitsstrukturen der Entwicklungsländer sah. Dabei wurde die strukturelle Abhängigkeit an mehreren, auch historischen Ereignissen festgemacht: Kolonialismus, ungleiche Weltmarktchan­cen, dominante Handels- und Kapital­ströme, die Schuldenproblematik, aber auch Klassen- und Herrschaftsverhältnisse wären demnach verantwortlich für Unter­ent­wick­­lung. Als Gegenstrategie wurde die Abkap­selung vom kapitalistischen Weltmarkt und eine autozentrierte, nach innen gerichtete Entwicklung empfohlen. Der große Theo­rien­streit endete Anfang der 90er, wo man zum Einen erkannte, dass die großen Globaltheorien angesichts der rasanten Entwicklung der asiatischen Tigerstaaten – die nicht dem westlichen, modernen Werten folgten, sich aber auch nicht vom Weltmarkt abkoppelten – Erklärungsdefizite aufwiesen und zum Anderen dem Diskurs durch den Fall des Ostblockes die Brisanz abhanden kam. Während vorher die Staaten entspre­chend ihrer vorherrschenden Ideologie versuchten, soviel wie möglich Einfluss auf die sog. ‚Peripherie‘ zu nehmen und dort für ihre Systeme Stellvertreterkriege führen ließen, war nun der Weg frei für mehr Selbstkritik an den bisher verfolgten Strategien und neuen, weniger ideologisch verhärteten Ansätzen. Man sprach fortan vom „Ende der großen Theorien“ und legte den Fokus auf sog. Strategien mittlerer Reichweite, wie z.B. Nachhaltigkeit und Armutsbekämpfung. Stellt man die Lupe – wie im Falle der Armutsbekämpfung – hingegen genauer ein, fällt auf, dass sich hinter den neuen Schlagworten trotzdem die alten Theorien verbergen. Freilich nur die eine, denn die Modernisierungs- bzw. Wachstumstheorie besitzt ja inzwischen keinen nennenswerten Gegenspieler mehr und muss dementsprechend auch nicht um die ideologische Herrschaft in der Welt buhlen. Es muss ja auch kein aufwendiger Theorie-Diskurs mehr bemüht werden, um die alte Wachstumsstrategie hinter den neuen Teilzielen wie z.B. Ar­muts­­be­käm­­pfung verstecken zu können.

Dass sich Wirtschaftswachstum und Ar­muts­be­käm­pfung in einigen Bereichen (wie z.B. bei Exportorientierung landwirt­schaft­­li­cher Produkte) konträr zueinander verhalten, ist dann wahrscheinlich ein „Schönheitsfehler“ bei der Fusion beider Strategien. Allerdings ist das insofern unproblematisch, wie sie ohnehin nicht ausreichend miteinander verknüpft sind und somit das Problem der Armut im Konfliktfall nachrangig behandelt werden kann. Natür­lich ist man sich weltweit einig darüber, dass Armut ein Problem ist und fast jedeR würde wohl zustimmen, dass allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu wünschen ist. Dennoch kann staatliche und multilaterale Entwicklungshilfe nicht altruistisch verstan­den werden, solange wir uns im Kapitalismus befinden. Da spielen zum einen (insbeson­dere seit dem 11.9.01) sicherheitspolitische Erwägungen eine Rolle, andererseits wird natürlich auch ein Geschäft gemacht mit der Unterlegenheit bestimmter Länder. Eine Exportorientierung der Entwicklungsländer zum Beispiel ist für die Industrieländer von Vorteil, wenn dadurch billig eingekauft werden kann und gleichzeitig neue Absatz­märkte geschaffen werden. Solange keines der Entwicklungsländer in der Lage ist, bspw. die Agrarsubventionierung des Westens abzuschaffen, werden die Industrie­länder davon einseitig profitieren. Ent­wick­lungs­po­li­­tische Maßnahmen geschehen also immer im Interesse der Geber, auch wenn der Nutzen kurzfristig nicht immer deutlich wird.

Ein Interesse, aus den Entwicklungsländern wirtschaftliche Größen zu machen, gibt es hingegen nicht. Diese könnten ja dann, wie im Falle Chinas, plötzlich zum Konkurrenten werden. Da bleibt es lohnens­werter, nur Sektoren zu entwickeln, die im Industrieland von Nutzen sind und vor allem Abhängig­keiten erhalten. Einseitige Exportorien­tierung seitens der Entwicklungsländer ist diesem Ziel dabei ebenso dienlich, wie die generelle Schul­den­­pro­ble­matik und damit verbundene Strukturanpassungsprogramme – die jetzt statt SAP einfach PRSP heißen. Letztere sorgen v.a. dafür, dass sich der Kapitalismus umfassender etabliert und die Konkurrenz zwischen den Menschen frei wirken kann. Von ‚Entwicklungs­part­ner­schaft‘ kann angesichts dieser Politik jedoch keine Rede sein, auch wenn die neue Rhetorik (die sich auch in ‚Entwicklungs­zu­­sammen­arbeit‘ ausdrückt) ein Zugeständnis an die Dependenztheorie darstellt und der eurozentristische Blickwinkel der Vergan­gen­heit damit eingeräumt wird. Solange es jedoch nur ein sprachliches Spiel bleibt, um die real existierenden Abhängigkeitsverhältnisse zu kaschieren, wird sich auch praktisch nichts verändern. Die Dependenz­theorie hat zwar kaum noch eine Lobby, ist aber insofern nicht obsolet, da sie genau diese Nutzen- und Abhängigkeitsverhältnisse zu den Indus­trie­län­dern anklagt. Abhängig­kei­­ten haben Armut geschaffen. Dement­spre­­chend nötig sind auch alle Bemühungen diese Abhängigkeiten zu beenden.

(momo)

 

(1) Armutsbekämpfung ist allein schon deshalb nicht wirklich neu, da sich sowohl zahlreiche NGOs seit Jahrzehnten an diesen Zielen orientieren, als auch internationale Organisationen wie Weltbank, ILO, WHO in den 70ern Grundbedürfnisstrategien verfolgten. Diese wurden allerdings in den 80ern ange­sichts der Schuldenkrise und Zahlungsschwie­rig­keiten vieler Entwicklungsländer, wieder durch neoliberale Strategien abgesetzt, die vor allem Kürzungen von Sozialausgaben zuguns­ten von Privatisierung und Liberalisierung vorsahen.

(2) HIPC steht für „heavily indebted poor countries“ (hoch verschuldete arme Länder). Die HIPC-Initiative wurde erstmals 1996 (auf Betreiben der G8) von IWF und Weltbank ins Leben gerufen und 1999 mit HIPCII neu aufgelegt. Insgesamt geht es um ein Entschul­dungs­­vo­lumen von 70 Mrd. US-Dollar, das sich bei den hochverschuldeten Ländern hauptsächlich auf Handelsschulden sowie Schulden aus der Entwick­lungs­zusammenarbeit bezieht.

(3) Die entwicklungspolitischen Konzepte, die hinter einer ‚gleichberechtigten Entwicklungs­partner­schaft‘ stehen und worauf sich v.a. die PRSP beziehen, sind ‚Partizipation‘ und ‚Ownership‘. Die neuen Schlagwörter in der Entwicklungszusammenarbeit werden als Konzept verstanden, bei dem die betroffenen Länder selber aktiv Anstrengungen zur Armutsbekämpfung unter- und zudem Verantwortung und Rechenschaftspflicht überneh­men. Sie sollen aus ihrer passiven Rolle herauswachsen und z.B. Pläne für die Armutsreduzierung selbst formulieren.

(4) weed, „Word Economy, Ecology and Develope­ment“, ist eine 1990 gegründete deutsche NGO, die sich v.a. mit kritischer Informationsarbeit in Deutschland beschäftigt. Kennzeichnend ist vor allem ihre Kritik an den weltwirtschaftlichen Rahmenbe­dingun­gen, der sie durch die Erstellung zahlreicher Publikationen und Durchführung von Seminaren Ausdruck verleihen.

(5) Die Vertreter der Modernisierungs- bzw. Wachstumstheorien (z.B. D. Lerner) beziehen sich ursprünglich auf die Väter der klassischen Nationalökonomie wie A. Smith und D. Ricardo, aber auch auf die Theorien der frühen Soziologen wie Weber und Parsons. Grob gesprochen spalten sie sich noch einmal in das neoklassische und das keynesianistische Lager. Vertreter der Dependenz­theorie (z.B. D. Senghaas) kommen eher aus dem linksliberalen, neomarxistischen Lager und beziehen sich in ihrer Theoriebildung hauptsächlich auf Theorien von Marx, Lenin (Imperialismustheorie) und/oder strukturalistische Ansätze.

Hintergrund: IWF & Weltbank

Der Internationale Währungsfond (IWF) und die Internationale Bank für Wiederauf­bau und Entwicklung (Weltbank) wurden 1945 auf der internationalen Wirtschaftskonferenz von Bretton Woods gegründet. Originäre Aufgabe des IWF ist die Verhinderung erneuter Weltwirtschaftskrisen, durch die Überwachung von Währungsstabilität, Inflationsraten und Finanzpolitik einzelner Länder. Die Weltbank, die ursprünglich für den Wiederaufbau des nach dem 2. Weltkrieg zerstörten Europas gegründet wurde, vergibt heute langfristige Kredite und Darlehen an Entwicklungsländer. Wegen der Schuldenproblematik und zunehmender Zahlungsunfähigkeit vieler Länder, wurden in den 80ern von Weltbank und IWF Strukturanpassungsprogramme (SAPs) entwickelt, die an die Vergabe von Krediten gekoppelt waren. D.h. um einen Kredit zu bekommen, war das Land verpflichtet, durch bestimmte Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Staatsbankrotte zu verhindern. Durch Reformen wie der Liberalisierung vom Finanzmarkt und Außenhandel, Erhöhung der Exporte, Privatisierung von Staatsbetrieben, Reduzierung der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit und Bildung, Abbau von Subventionen und Zöllen, Abwertung der Währung und dem Verbot staatlicher Eingriffe in den Handel sollten diese Ziele erreicht, Wirtschaftswachstum gesteigert und die Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Wegen der z.T. verheerenden Auswirkungen der SAPs, vor allem für die armen Bevölkerungsteile, stehen diese seither unter starker Kritik und werden nun zunehmend von PRS-Programmen abgelöst.

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