Folgend sind Hintergründe und Berichte zu einem Volksfest der besonderen Art ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder formale Objektivität – vom Auge in die Tastatur – zusammengefasst.
No entry – nationalsozialistische Unkultur.
Dem Anmelder des „Fest der Völker“ (1) für den 11.06.05 auf dem Jenaer Marktplatz, Ralf „Notdung“ Wohlleben (Jenaischestr.25, Jena-Lobeda), NPD-Kreisvorsitzender, selbsternannter Thüringer Heimatschützer, bzw. gewalttätiger Neonazi, wurde sicher noch wohler, als er kurz vor der Angst doch noch einen Platz an der Jenaer Sonne für seine „Glatzenparty“ zugesprochen bekam. Ein Großevent war (zumindest dieses) dann aber nicht, nur einer von 10 erwarteten Nazis, also zwischen 400 und 800 Nazis durften für 6h auf einem Platz an der Autobahn bei Jena-Lobeda eine Veranstaltung mit 4 Nazi-Bands, 4 Nazi-Rednern und einigen Nazi-Ständen (ohne Eintrittsgeld) geniessen. Davon abhalten wollte oder konnte sie niemand, dazu weiter unten. Im Mobilisierungstext, der in 15 Sprachen übersetzt, durch internationale websites im Internet ging, war zur Erklärung u.a. zu lesen, „dass jeder Mensch und jede Kultur ihren angestammten Platz in dieser Welt hat, dieser muss auch von jedem respektiert werden.“
Von den 9 angekündigten europäischen (2) Bands mit Namen wie Before the war (vor dem Krieg), Legion of Thor (Legion Thors, eines Obergottes des Wikingerstammes) und den unsäglichen Block 11 sind mind. 6 dem „Netzwerk mit einem hochgradig militanten und terroristisch ambitionierten Potential“ (3) Blood and Honour (BH) zuzurechnen. In dem 11. Block im Stammlager bei Oswiecim („KL Auschwitz I“), dem „Todesblock“, wurden unter anderen verdächtigte oder „konspirativ tätig“ gewesene Häftlinge verhört und grausamst zu Tode gequält oder vor dem Block an der „Todesmauer“ erschossen.
Neben BH-Vertretern aus Ungarn, Schweden, England, Italien und den Niederlanden sollten der (gerade aus knapp 3jähriger Haft entlassene) Eisenacher Obernazi Patrick Wieschke, der ´00 einen Sprengstoffanschlag auf einen Dönerladen in Eisenach verübte, und Frank Schwerdt auf dem Volksfest reden; auch der Bundesgeschäftsführer und Thüringer Landesvorsitzende der NPD ist vorbestraft: aufgrund von Herstellung und Verbreitung von Gewalt- und NS-Verherrlichung saß er zwischen ´98 und ´00 zweimal insgesamt 15 Monate ein. In durch ihn verbreiteten Liedtexten heißt es z.B., dass man „sich besser fühlt“, wenn man „Bunte aufklatscht“ und weiter: „Mitten im Gefecht hörst du auf zu denken, du willst nur noch töten, keiner kann dich lenken“. Wer gespielt und gesprochen hat, ist nicht bekannt, von den Infoständen ganz zu schweigen.
Milch und Reue statt Blut und Ehre! Was war los?
Nach intensiver Mobilisierung und Aufklärung durch die Jenaer Antifa entstand in Jena schon vor Wochen ein Klima, das sich mit „Alle gegen Nazis“ umschreiben lässt, wenn selbst der FDP-Oberbürgermeister zum lippenbekennenden Antifaschisten wird. Alternativ-Feste wurden angemeldet, vom deutsch-französischen Bläserchor über ein Studentensportfest bis zum obligatorischen Hardcore-Konzert. Diskussionen und bunter Konsens bildeten sich, Widerstands-Strukturen wurden organisiert. Anfang April fand im nahe gelegenen Pößneck, wo „Wotan-Recke“ Jürgen Rieger kürzlich eine weitere Nazi-Immobilie für ein Kameradenschulungszentrum erwarb, im übrigen ein von 1500 (!) Rechten besuchtes Konzert statt (5).
Ende April hatte die Stadt den Marktplatz für das Fest der Völker verboten, allerdings nur mit der wackeligen Begründung untermauert, das Versammlungsrecht damit für eine Vergnügungsveranstaltung missbrauchen zu wollen. Nach einer Verbotsbestätigung durch das Verwaltungsgericht Gera vom 31.Mai kam das Oberverwaltungsgericht Weimar zum Zuge, da die NPD geklagt hatte. Am Tag vor dem „Fest“ hat es – wieder mal typisch – ein Treffen im Gericht mit Stadtverwaltung und Nazis gegeben, auf dem beschlossen wurde, die Veranstaltung zu genehmigen, nur nicht auf dem Markt. Der Griesplatz in Jena-Ost war am 18. Februar (!) für eine Gedenk-Kundgebung (!) und zudem Anfang Juni als Startpunkt einer antifaschistischen Demonstration angemeldet worden. Durch Redebeiträge sollte an die sich in diesen Tagen jährenden Massaker der deutschen Wehrmacht und SS in Lidice (6) (Tschechien), Distomo (Griechenland), Oradour-sur-Glane und Tulle (beide Frankreich), aber auch an den d-day (06.06.1944-Landung der Aliierten in der Normandie) erinnert werden. Statt dessen sollte also nun ein BH-Konzert am selben Ort sein und damit keine Kundgebung und auch keine Demo. „Eine der Begründungen des Gerichtes [für die Ablehnung des eingelegten Widerspruches hier der Erstanmelder, die zum Treffen nicht geladen wurden] lautete, das nicht mehr zu erkennen wäre, wer Erstanmelder für den Platz war und es darüber hinaus eine Verständigung über den Ausweichplatz gegeben hätte.“ (7) Schon das war ein Fanal.
Da die Aufbauarbeiten für 6 Uhr angekündigt waren, versammelten sich ab 5 Uhr in der Früh um die 600 Leute, die beide Zufahrtswege entschieden blockierten (sogar die hiesigen Parteipolitiker von Links bis Mitte standen vor den Sitzblockaden). Aber der Staat hatte mitgedacht und einen Mann gesandt, das Verwaltungsdezernat zu repräsentieren. Er entschied nach 3h gegen eine hässliche Räumung und für eine Umverlegung der Nazis, die noch nicht da waren, hinter das 8km entfernte Jena-Lobeda. Diese Information wurde jedoch nicht verlautbart, im Gegensatz zu vielem anderen Geschwätz. In die richtige Richtung ging es erst wieder mit einem ca. 4000 Menschen großen Demozug um die Mittagszeit (größtenteils aus Antifa und oder Studierenden bestehend). Nach Lobeda liefen dann noch mind. 3000 Menschen auf verschiedensten Wegen, ein großer Teil blieb jedoch bei einer Kundgebung am „braunen Haus“ in Altlobeda, NPD-Zentrale und Wohnung des Anmelders. Schätzungsweise 1km vor dem Nazifest ging dann für rund 500 Leute aber rein gar nichts mehr, Wasserwerfer und Hundertschaften standen bereit. Gegen 16 Uhr löste sich jeder Widerstand in Nichtgefallen auf.
Am Abend rockten politisch korrekte Bands die Abgekämpften in den Schlaf. In Altlobeda sind 4 AntifaschistInnen verletzt worden, ein paar Naziautos fegten durch die Strassen und ein paar NPD-Aufkleber wurden hier und da für eine Nacht angebracht. Die Jenenser Burschenschaften veranstalteten nach ihren Stiftungsfesten am Sonntag ab 11 Uhr Frühschoppen in der vielzitierten „guten Stube Jenas“ auf dem Marktplatz und konnten nur kurz gestört werden.
Rockst du noch oder schon?
Antifa hieß also wieder mal nicht schlafen, dafür Existenzrechte ausüben, den ganzen Tag laufen und die Ohnmacht zu spüren, die im Moment der Tat über allem steht: Staat, Volk und Faschisten befriedigt, Häppchen für die übrig gebliebenen, Repressionen für Entschlossene. Wenn sich Parteifunktionäre, Gerichtsvertreter und „Team Green“ verständigen, und sei es auch nur kurz, gibt es nur noch eins: selbstorganisiert und unabhängig Handeln. Und eigentlich ist nicht nur das Orga-Treffen wichtiger als Deutschland, sondern auch Vertrauen nötiger als Hysterie.
Feste völkisch
Meine Vorstellung von Kultur umfasst jedes Leben. Nur leider wird ein völkischer Konsens der „guten Kultur“ in dieser Gesellschaft konstruiert; kollektive Traditionen mögen die Menschen eben mehr oder weniger. Trotzdem: Ich kenne kein einziges Volk außer der Menschheit. Weder Nazis noch BürgerInnen haben ihre Volksfeste von Blut und Boden frei gemacht, vermeintliche Wurzeln, aber auch „Blumen des Bösen“ wachsen aus den Köpfen, ein neues altes europäisches „Volk“ geistert durch den Identitäten-Äther, der so manchen Menschen verschlingt, weil er Leben kategorisieren will. Und in der Präambel des Deutschen Grundgesetzes steht es auch: „Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“ und weiter im Artikel 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
Im nächsten Jahr will Ralf Wohlleben es erneut „krachen lassen“.
„Die fast unlösbare Aufgabe besteht dann, weder von der eigenen Ohnmacht noch von der Macht der anderen sich dumm machen zu lassen.“ (Adorno: Minima Moralia, 1951.)
RABE
Blood and Honour (4)
Mit diesem Namen hatten 1987 in England zwei für rassistische Gewaltverbrechen Vorbestrafte eine fatale Idee: an die SS „anzuknüpfen“ und sich endlich mit den Brüdern in Deutschland in „weißem“ Stolz zu vereinen. Schon im darauffolgenden Jahr konnten Verbindungen zur ehemaligen SS sowie zum Ku-Klux-Klan nachgewiesen werden und wurde vom Sänger der Band Skrewdriver I.S. Donaldson im Sunday-People-Magazin ein bevorstehender „Rassenkrieg“ verkündet! Bis heute veranstaltet das weltweite Geflecht aus Bands, Zeitschriften, Labels, Vertrieben und anderen NationalistInnen internationale Vernetzungstreffen bzw. Konzerte. Im militanten Untergrund der Szene (wenn es noch Steigerungen gibt) organisiert sich (v.a. in Skandinavien und England) das Combat 18 (Kampf, Adolf Hitler) als bewaffneter Arm von BH (Erkennungszeichen ist der „SS-Totenkopf). Sektionen von BH existieren in Argentinien, Bulgarien, Chile, Großbritannien, Litauen, den Niederlanden, Schweden und Skandinavien insgesamt, der Slowakei, der Ukraine, Ungarn und den USA.
Die deutsche Sektion, mit dem Berliner Stefan „Pinocchio“ Lange an der Spitze und mind.17 Untersektionen, die sich seit den frühen 90ern im Umfeld „freier“ Kameradschaften bildeten, um „Patrioten verschiedener Stilrichtungen zu sammeln und zu einen, nicht nur in der Musik, sondern im Kampf“ wurde 2000 offiziell als terroristische Vereinigung verboten. Namenlos, bzw. mit dem Bekennungskürzel „28“, werden jedoch weiterhin Tourneen von BH-Bands, europäische Handelsstrassen für indizierte Waren aller Art (z.B. Musik und NS-Propagandamaterial) und Treffen organisiert.
Aus der sächsischen Sektion sind die meisten zwar angeblich 1999 ausgetreten, aber es gibt ja auch genug andere Gruppen: Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), 2001 verboten, „freie“ Kameradschaften (siehe auch S.7 und 10) und NPD (S.11), die nach jeder Verbotswelle gerne als Auffangbecken bereitsteht.
Z.B. der vielleicht einigen bekannte Hallenser Nazikader Sven Liebich aber war und ist samt seiner „politischen“ Aktivität, seines „Ultima“-Tonträgervertriebes in Halle und einem ´99 in Leipzig eröffneten (und ´02 abgebrannten) Naziladen „Midgard“ ein BH-Aktivist.
(1) Begriff u.a. angelehnt an Leni Riefenstahls Film „Olympia – Fest der Vöker“ von 1938.
(2) aus Ungarn, Schweden, England, Frankreich, Italien, Slowakei, Niederlande, Sachsen-Anhalt und Berlin.
(3) “White Noise: Rechtsrock, Skinhead-Musik, Blood&Honour” herausgegeben u.a. von Searchlight, Hamburg 1999. Dort wird auch von Bombenbaukursen, Mordaufrufen, Waffen- und Sprengstoffkunde, paramilitärischen Übungen und kriminellen Lebensläufen berichtet.
(4) „Blut und Ehre“ stand auf Fahrtenmessern der HJ und in den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 „zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“.
(5) Die Bremer Antifa-Journalistin Andrea Röpke warnte in Jena vor bevorstehenden Szenarien wie z.B. Schuloffensiven und Kaderzentren der Kameradschaften in Ostdeutschland.
(6) In der Nacht vom 9. auf den 10.06.1942 wurden dort alle Männer erschossen, alle Frauen und Kinder in Konzentrationslager verschleppt, jeder Stein des Dorfes abgetragen und weggebracht.
(7) www.jg-stadtmitte.
NazisNixHier