JOIN THE UNION ?!?

Über die Bedeutung des Streiks und das Elend gewerkschaftlicher Organisierung*

Die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei! So proklamieren derzeit die Funk­tio­nä­re der deutschen Gewerkschaften an allen Ecken des Landes. Man will doch ernst­haft an dem deutschen Apfelbäum­chen namens Volkswirtschaft rütteln, damit mal wieder ein kleiner Goldregen die Ba­sis da­rüber belehrt, warum die Mit­glieds­beiträge sich eigentlich noch lohnen. Und wahrlich, der Konkurrenz-Kampf um die Mitglieder ist in den letzten Jahren auch schlecht gelau­fen! Man hatte sich soweit vom Wahrnehmen der aufgetragenen Interessen „zurück­ge­halten“ und die Zeit mit dem Erfinden von Werbege­schen­ken zur Mitgliederbe­loh­nung ver­geu­det, dass Basis und gewerk­schaft­liche Be­wegung mit den Gletschern Grön­lands um die Wette schmolzen. Statt die landläufige Politikverdrossenheit positiv zu nutzen und Vielfalt und Stärke zu de­mon­­strieren, versuchte man die internen Impulse kleinzuhalten, deckelte lokale Initiativen, boote­te kleinere Gewerkschaften aus und paktierte mit dem politischen Geg­ner. Passend zum deutschen Kleingeist erfand man dem „passiven Widerstand“ da­bei eine völlig neue Bedeutung, den ‚sym­bo­lischen Streik ohne ökonomische Wir­kung‘. Eine mediale Groteske, die nicht we­nige mit Austritt quittierten und viele davon ab­schreckte, ein gewerkschaftliches Engagement überhaupt zu erwägen.

Kein Wunder, dass es da gerade die rückschrittlichsten Kleingewerkschaf­ten wie Cockpit, Marburger Bund oder die Gewerkschaft deutscher Lokführer (GDL) waren, die aus diesem nationalen Kuschel­kurs aus­scherten, um ihre Partikular-Interessen mit eigenen Fäusten durchzusetzen. Die relativ gute Streikorganisation und Kampf­­bereit­schaft hat die Funktionäre auf­geschreckt. Die Angst geht um, noch mehr Mitglieder könnten sich von den zen­tralen Verbänden abwenden. Und so kommt es zu so abstrusen Folgen wie zum Bei­spiel bei der Bahn, wo nun die Organi­sations­freiheit der Belegschaften im Rahmen von Tarifverträgen (!!!) eingeschränkt wird. Die GDL hat das selbständige Verhandlungsmandat nämlich nur um den Preis der Isolierung von der Ba­sis erhalten. Und Transnet plus die Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDBA) haben quasi per Ta­rif­verhandlung ihre Ver­bandsinteressen durch­gesetzt. Selbst wenn die Mitglieder wechseln wollten, sie könnten‘s nicht mehr.

Oh welch blend­ne­rischer Schleier des Nicht­­wissens zieht da durch die Köpfe der Ge­nos­senbosse! Welch Hohn der Ge­schich­­te und allem, was sie in sich als Solidarität jemals begriff! Diese Senke des Be­wußtseins nennt sich Solidarpakt und der Wald, der sie um­gibt, das ist das dichte Dickicht der Selbst­er­hal­tungs­interessen der Verwaltung. Solidarisch Handeln heißt ja auch immer die Be­­reitschaft, eigene Interessen hintan zu stel­len, beizuspringen und zu helfen, offen sein. Doch stattdessen: Wird für die ei­ge­nen Interessen nur taktiert, sind die Mit­glieder nichts als Zahlen in Bilanzen, die man sich dann beim Sektchen eitel un­ter die Nasen reibt. „Organizing“ heißt das neue Zauberwort. Völlig neuartige, dezentral und konkret ansetzende Werbe­stra­te­gien, um Mitglieder mit Konzepten aus der Kun­den­wer­bung zur Unterschrift zu locken. Natürlich alles ganz heiß aus Amerika! Die Gewerkschaft als moderner Dienst­­­­leister, flexibel, innovativ und natürlich völlig kostenlos … für Mitglieder. Es biegen sich die Balken und die vielen Toten der Geschichte stöhnen unter dieser dreisten Pos­sen­reiterei! Es gab mal Zei­ten, da war die Or­ga­nisation in der Ge­werk­schaft eine ge­sell­schaftspolitische Not­wendigkeit, und als Kampforgane der sozialistisch-kommunistischen Bewegung waren diese deren progressivster Teil. Die Mitgliedschaft war selbst­­verständlich und be­durfte keiner spiel­theoretischen Kalküle rationaler Wahl, keiner Kosten-Nutzen-Akro­batik, um Ent­schei­dungen für oder gegen eine Mit­glied­schaft aufs Niveau gewöhnlichen Kaufver­haltens zu reduzieren, und dann pro­gno­stizieren zu können, dass schwarze Werbekugelschreiber dreimal häufiger zu einer Mit­gliedsunterschrift füh­ren als die üblichen roten.

Nur für Mitglieder !?

Die Gewerkschaft als privatwirt­schaft­lich „organizster“ Dienstleistungsbetrieb!? Oh­ne Umschweife lässt sich sagen, dass die Gewerkschaften als Rechtdienstlei­stungs-Unternehmen ins­besondere in Sachen deutschem Arbeitsrecht einen Marktvorsprung hätten. Aller­dings ist fraglich, ob eine sol­che kapitalistische Unternehmung sich aus Mitgliedsgeldern sinnvoll finanzieren lässt und es überhaupt nicht effizienter wä­re, bei der nächsten Ver­waltungsreform die or­gani­sierte Basis einfach abzuschütteln, wie die Mutter das lästige Kind. Die für einen Rechts­dienstleister prekäre Lage von sinkenden Mitgliedszah­len und damit verkoppelt, sinkenden Einnahmen, wä­re ohne umfangreiche und kostenintensive „Orga­nizing“-Kampagnen mit einem Schlage auf­gehoben. Und die Herren Funk­tionäre hät­ten es endlich geschafft, das gewerk­schaft­liche Konzept von den Beinen derart auf den Kopf zu stellen, dass So­lidarität sich zur Konkurrenz verkehrt, dass die Offenheit zur Ab­schot­tung gerät, und die eminent wichtige länderübergreifende Ausrichtung endgültig zum Nationalismus degradiert wird. Anstelle eines basisnah orientierten Kampforganes für die sozialen Interessen Aller wäre die Gewerkschaft nicht mehr als ein kapitalistischer Normal­be­trieb, bezweckt durch die Partikular-Inte­ressen seiner Unternehmer, anstatt auf re­vo­lutionären Gestaltungswillen mit hu­ma­nistischem Anspruch & Gehalt aus-, wür­de sie auf reine Marktanpassung ab-ge­rich­tet. Es überreizt das Bild noch nicht, wenn man der zukünftigen Firma „Ge­werk­schaft“ einen zweiten Sektor vorstellt, in dem sie marktbeherr­schend werden könn­te, nämlich im Bereich der Polit-Dienstleistung, als Instrument des Konkurrenzkampfes zwischen den Konzernen. Und einige haben diesen rentablen Weg ja auch längst eingeschlagen. Die langjährige Kampferfahrung und das Netzwerk von Informanten in vielen Be­trieben – ach was könnte man da an Dividende für die Mitglieder ausschütten?! Am Ende würde man die alljährlichen Lohn­anpassungen ans Preis­niveau gar selbst bezahlen können … nur für Mitglie­der, versteht sich. Streiks wären völlig über­flüssig und dazu noch kostenneutral.

Für die Zukunft der gewerkschaftlichen Zen­­tralverbände werden also goldene Zeiten kommen, solange sie nur auf das beru­hi­­gende Wispern ihrer Markt- und Fi­nanz­be­rater hören. Doch was geschieht mit den Interessen, die die Gewerkschaft von einst re­präsentierte? Was hat die Arbeitnehmerschaft innerhalb und außerhalb der Ge­werk­schaften noch zu erwarten? Die Tarif­run­den des Jahres 2008 werden ohne Zweifel und trotz aller Rhetorik Nullnummern sein. Was man auf dem Papier als Lohner­höhungen verkaufen wird, sind nur die drin­gend notwendigen Anpassungen auf der Nachfrageseite des Binnenmarktes. Wenn nicht so, dann wären diese anders, über Steuererleichterungen etwa, gekommen. Bitter dabei ist, dass diese national-ökonomische Maßnahme faktisch immer nur eines nach sich zieht: Steigende Preise. Es erfolgt also gar keine klassische Umver­teilung von oben nach unten, von wenigen dicken Firmenkonten zu vielen prallen Geld­­beutelchen. Im Gegenteil, die akku­mu­lierten Kapitalien der Unternehmen blei­­ben völlig unangetastet. Vielmehr finanziert das Heer der Konsumenten die „Kon­sum­fähigkeit“ der jeweiligen lohnabhän­gi­gen Gruppe, indem die notwendigen Kosten über den Preis auf eine anonyme Gruppe möglicher KäuferInnen umgelegt werden, die ihr Beutelchen dann enger schnallen müssen. Deswegen haben die Unternehmer und Arbeitgeberverbände ja auch ein Inte­resse an möglichst geringen Löhnen, da­mit sie den Preis im Kampf gegen andere Kon­kurrenten als Waffe noch einsetzen kön­nen. Wären die Lohnumlagen zu hoch, müssten die Bosse nämlich wirklich ran ans dicke Konto und das würde kurzfristig die für frisches Geld unersetzliche, finanzielle Performance beeinträchtigen und langfristig, oh heiliger Mammon, sogar an der Rendite kratzen.

Zwischen Standort-Logik und Nationalismus

Während also die Funktionäre die Basis mit den Zahlen der Lohnforderungen einlullen und ihre mageren 6- bis 10-Prozent-Abschlüsse feiern, wird das Jahr 2008 auf der realen sozialen Ebene für viele Lohnabhängige weitere spürbare Verschlechterungen mit sich bringen. Steigende Mobilitäts- und Grundversorgungskosten und insbesondere verlängerte Arbeitszeiten, die bei den diesjährigen Tarifrunden ganz selbstverständlich und fraglos fast überall mit unterschrieben werden. Das ist offenbar der Preis, den die Un­ter­nehmer für das Erstumpfen ihrer Preis­waffe fordern. Von Widerstand dagegen kaum Spu­ren. Dabei dürfte doch jedem und jeder einleuchten, dass die größte Frucht der Industrialisierung und modernen rationalen Planung der Arbeit die Frei­setzung von der Arbeit, und nicht die Ver­sklavung unter selbige, ist. Doch nichts hört man mehr von der 35-Stundenwoche, mehr Urlaub, Lohnfortzahlung, verkürzter Le­bens­ar­beits­­zeit etc pp.

Klar, der Unternehmer hat nur sei­ne Ver­wal­tungsinteressen und sein internes Lei­stungs­niveau im Auge, aber gerade gegen diese Eng­­stirnigkeit, als „Bewusst­seins­stüt­ze“ so­zu­sagen, waren Ge­werk­schaften ein­mal gedacht, um genau diesem Schießschar­tenblick aus staatlichen und privatwirt­schaft­lichen Interessen eine soziale und offene Perspektive entgegen zu stellen. Die Ver­kürzung der (Lebens)Ar­beits­zeit, die Frei­setzung der Menschen von routinierten Prozessen unter fremdbe­stimm­ten Interessen, die Schonung der Kör­per und Geister, das Ende der Erniedrigung durch Arbeit; nach­haltiges Produzieren und der Aufbau wirksamer und stabiler sozialer Institutionen schließlich – das sind aktuelle Übersetzungen dessen, wofür die Gewerkschaften einst angetreten sind. Und genau wegen einer solchen sozial offenen Politik hat­te man damals auch kein Mitglieder­prob­lem. Es ist gerade die Reduzierung des gewerkschaftlichen Engagements auf be­triebs­interne bzw. branchenspezifische Poli­tik, das Fernbleiben allgemeinpolitischer Per­spektiven und außerbetrieblicher Ak­tionen, der reformistische Kurs und das So­zialpartnerschafts-Ge­schwafel, was starke Ge­werkschaften hierzulande verhindert.

Und dass wir hier alle in dem gleichen morschen Kahn namens Deutschland-AG sitzen, für diese Einsicht brauchts kein Abitur. Zu wenig Bildung des Bewusstseins scheint dagegen vorhanden zu sein hinsichtlich der offensichtlichen Missstände bei der Verteilung der unterschiedlichen Aufgaben und Chancen. Die einen schrubben immer nur die Planken, während andere nur rudern, Dritte lediglich steuern und ein weiterer Teil allein das Sonnendeck belebt usw. Letztlich nicht zu vergessen jene, die, bis zum Kopf unter Wasser, sich gerade mal an den Rumpf krallen können. Die sogenannte „deutsche Solidargemeinschaft“ findet ihre Wirklichkeit doch höchstens in dem Zwangssubjekt mit Namen „Steuerzahler“. Ein ernsthafter, starker und schließlich wirksamer Syndikalismus kann die Beseitigung dererlei gesellschaftlicher Missstände deshalb nicht an die staatlichen Institutionen delegieren, das ist die immer gleiche Lehre aus der Geschichte der Sozialdemokratie. Also Schluss mit diesen alten Reflexen!

Die bürgerliche Klasse der Unternehmer spielt gerade, vom neoliberalen Siegesrausch der „goldenen Neunziger“ nach dem Ende des Kalten Krieges noch ganz ergriffen, vor, wie man die juristischen Regelsätze umdeuten, auslegen und nach Belieben än­dern kann. Und die SPD hält dabei auch noch die Steigbügel. Und schon bröckeln die alten Errungenschaften wie das Arbeitsrecht oder die Betriebsverfassung. Denn sind wir ehrlich, wie wirksam ist denn das Arbeitsrecht aktuell? Ist es nicht vielmehr Richter der ka­pi­talistischen Arbeitsverwalter als An­walt der durch Arbeit Unterdrückten und Ausgebeuteten? Und wie hoch ist die orientierende Bindung an die abgeschlossenen, rechtlich abgesicherten Lohntarife wirklich? Mensch muss kein Prophet sein, um einzusehen, dass es beiderseits bergab geht; eben­so wenig, um hinter dem schnöden Rechtssatz die interessensgeleitete Auslegungspraxis windiger Winkeladvokaten auszumachen. Die syndikalistische Initiative mit humanistischem Inhalt und progressiver Gestalt kann deshalb nicht einhalten vor den Gesetzgebungen nationaler Interessen, sie beschwört keine „nationale Solidarität“, sondern entlarvt die Nations-Beschwörer als das Kartell der Profiteure, welches es realiter ist. Sie kennt keine ‚Stammbelegschaften‘, keinen nationalen ‚Kundenstamm‘, keine Standort-Ausrichtung. Denn um die durch die kapitalistische Marktkonkurrenz verursachten Probleme nachhaltig zu bekämpfen, gibt es keine nationalen Insel-Lösungen. Wenn man so will, ist diese späte Einsicht doch ein mahnendes Erbe der kommunistischen Revolution und des anschließenden Kalten Krieges.

Eine Zwischenbilanz

Es dürfte klar geworden sein, mit den gegenwärtigen Zentralgewerkschaften ist der­zeit nicht viel anzufangen. Bestenfalls ausgenommen von der Kritik ist das Engagement im Bereich von Bildungs-Sponsoring und bei der Finanzierung einiger Basisgruppen und -initiativen. Obwohl nach wie vor den Interessen breiter sozialer Schichten kei­ner­lei allgemeinpolitische Bedeutung bei­gemessen wird und die verschärfte soziale Lage die Menschen mobilisiert und radi­ka­lisiert, die Streikbereitschaft erhöht, ist die Macht der syndikalistischen Organisationen auf einem historischen Tief. Ist also die Zeit der gewerkschaftlichen Organisie­rung an ihr Ende gelangt? Nein, keines­wegs! Denn wie schon gezeigt, gibt es sowohl die Mög­lichkeit, eine empanzipative sozialpoli­tische Perspektive zu denken, als auch die Not­­wendigkeit, diese in sozialen Einrichtungen und Institutionen der Ge­sell­schaft zu verwirklichen. Dass man für solche Um­ge­staltungen der gesellschaftlichen Verhältnisse allerdings Macht organisieren muss, ist ebenso einsichtig. Und dafür ist der orga­nisatorische Zusammen­schluss der Einzelnen zu einem Kollektiv nun mal unerlässlich. Weiterhin: Dass auch eine ungeheure Macht aus der sozialen Stellung erwachsen kann, von der sich die bürgerliche Gesellschaft stets bemüht zu behaupten, sie wäre völlig ohnmächtig, weil ohne Kapital und Einfluss, diesen Weg wies Marx, und zeigte damit einen, vielleicht den entscheidenden gesellschaftlichen Kampfplatz um die richtigen Verhältnisse an: Den Arbeitsplatz, den wir in einer arbeitsteilig aufgebauten und funktional differenzierten Gesellschaft einnehmen, die nach den Zwecken der ständigen Mehrwert-Spekulation (Wachstum!!!) durch kapitalistische Unter­neh­mungen vorangetrieben wird. Eine solche ist nämlich aus­­gesprochen empfindlich gegen Arbeitskämpfe, Arbeitsverweigerung und das Stocken der weit verzweigten Pro­duk­tions­ket­ten. Zwar halten Chefs in der Re­gel jeden Einzelnen für ersetzbar außer sich selbst, aber ganze Belegschaften auszutauschen, das geht nun mal nicht von heut auf morgen. Und von daher haben auch diejenigen gute Karten beim Poker um die zeit­weise Verbes­serung der Arbeits­be­d­in­gun­gen, die soli­da­risch ge- und kämp­ferisch entschlossen für ihre Interessen am Ar­beits­platz einstehen.

Soweit zum Ein­malEins der Ge­werk­schaf­ten und Betriebs­rä­te. Doch ist das schon ge­nug? Reichen sol­che partiell und lokal zeit­weise erfolgreichen Ar­beits­kämp­fe aus? Nein, das tun sie eben nicht, das wuss­ten schon die fin­digen Köpfe der Gewerkschaftsbewegung an ihrer Wie­ge. Denn ein noch so progressiv eingerichteter Betrieb muss sich auf kurz oder lang der durch die Ka­pitalinte­ressen ent­fachten Konkurrenz wie­der stellen, will er seine Produkte als Wa­ren über den staatlich eingehegten Markt an Mann & Frau brin­­gen. Und ein eher an so­zialen Gesichtspunkten der Produktion orien­tierter Betrieb wird hier letztlich im­mer einer knallharten Aus­beutungs-Unternehmung unterliegen, da ersterer weder die Ef­fi­zienz noch das Lei­stungsniveau des zwei­teren erreichen kann und am Ende beim Preis­wettlauf um die Kon­sumenten verliert. Um also endgültig Schluss zu machen mit dem konkret a-sozialen Arbeitsleben, muss auch Schluss sein mit den allgemeinen Rah­menbedingungen, die dieses zuallererst bedingen. Es geht deshalb bei ernsthaften Ar­beits­kämpfen um nichts weniger als das Gan­ze, um ein revolu­tionär neues Gesicht der Ar­beitswelt und da­­ran gekoppelt, um ge­sell­schaftliche Ver­häl­tnisse, die dies ermöglichen. Dieses poli­tische Ziel, so selbst­ver­ständ­lich wie oft vergessen, ist aber weder durch einen reformistischen gewerk­schaft­lichen Kurs noch über den Gang in die Parlamente zu erreichen, das sollte jeder und jedem klar geworden sein, der oder dem es schwer fällt, die Sozialdemokratie von heute von der Zentrumspartei von gestern noch zu unterscheiden. Denn was diese in Jahr­zehnten parlamenta­rischer Gräben­kämp­fe am grünen Tisch erreicht hat, kassierte sie selbst in nicht we­ni­ger als zwei Re­gierungsperioden größten­teils wieder ein. Der einzig lohnenswerte Syndikalismus von morgen wird also sowohl außerparlamentarisch, antinational und antistaatlich, als auch antikapitalistisch aus­zu­richten sein, oder er wird nicht sein, was immer er auch von sich im Namen von Tradition und Institution behaupten mag.

Warum Streiks so wichtig sind und warum sie nicht ausreichen

Eines der gängigsten Argumente, das die bürgerliche Gesellschaft in den jüngsten Tagen den streikbereiten Belegschaften immer wie­der entgegenhält – erinnert sei nur stellvertretend an die juristische Farce des letzten Bahnstreiks, bei dem der GDL monatelang das staatlich zugesicherte Streikrecht entzogen wurde – ist jenes Ar­gu­ment vom volkswirt­schaft­lichen und damit gesellschaftlichen Schaden, die die Streiks immer wieder heraufbeschwören sollen. Und ja, insofern mit diesem „Schaden“ der Zusammenbruch der bürgerlichen Illusion einer bereits realisierten glücklichen Ar­beits­welt gemeint ist, trifft dies auch zu. Die Streikenden hingegen kann der Rech­nungs­saldo des Finanz­mi­nisteriums oder die Fir­men­bilanz so wenig interessieren, wie umgekehrt ihre Inte­res­sen in der Herren Häuser keine Rolle spie­len. Ein Streik ist kein Zahlenspiel und lässt sich auch nicht darauf reduzieren. Die reinen ökonomischen Kosten, die er verursacht, werden im Rahmen der kapitalistischen Verwertung und unter Einfluss diverser Interessenslagen umgelegt. Wohin, lässt sich nicht in ab­strac­to vorherbestimmen. Im schlimmsten aller Fälle schlägt die Ko­sten­falle sogar auf die Strei­kenden zurück, das sollte man durch­aus bei allem Aktionismus immer mit bedenken. Dennoch liegt im Streik das Au­gen­merk nicht auf den Kosten, sondern auf dem Gewinn, und der ist durchaus nicht nur ökonomischer Natur. Der Streik schafft nämlich direkt am Ar­beitsplatz einen Freiraum, der es dem durch die routinierten Arbeitsprozesse ein­ge­spannten Individuum erlaubt, sich mit anderen auszu­tau­schen und zu organisieren, und damit erst die Voraussetzung, um die gemeinsam be­treffenden Missstände durch kollektives Handeln aufzuheben. Und bei hohen Ar­beits­zeiten steigt auch die Bedeutung solcher selbstbestimmten Freiräume direkt am Arbeitsplatz und damit die Bedeutung eines Streiks. Wer kennt nicht das „Ausgepumpt-Sein“ nach 10-12 Stunden Arbeit, die Burn-Out-Symptome, die Schwierigkeiten beim Versuch, die gemeinsamen Interessen in der „Freizeit“ zu organisieren. Und genau deshalb ist der Katechismus von prosperierender Wachstumsgesellschaft und Vollbeschäftigung auch nicht das rechte Lehr­buch für eine eman­zipative gesell­schaft­liche Ent­wick­lung unter humanistischem Vorbild. Denn wie bitte schön soll der Mensch sich in der Wahrneh­mung seiner politischen Rech­te befleißigen und kollektiv für seine Inte­ressen einstehen können, wenn die Arbeit dafür weder die Zeit noch den Raum lässt? Auf die nationale Po­litik der (Lebens)Ar­beits­zeitver­län­gerung kann es deshalb auch nur eine syndikalistische Antwort geben: Verstärkte Streiks!

Dennoch wird man auch feststellen müssen: Befristete, lokale Streiks und die zeit­weise Freisetzung von der Arbeit reichen nicht aus, um die eiskalte Logik der kapitalistischen Konkurrenz ein für alle mal zu bre­­chen, und an deren Stelle den transnatio­nalen, solidarischen Zusammenschluss aller Menschen zu setzen, sowie neue Formen des nachhaltigen Produzierens in einer nach sozialen Gesichtspunkten eingerichteten, humaneren Arbeitswelt. Um die mehrwert­orien­­tierte Wirtschaftsweise als solche zu verändern, wird mensch auch die bedingenden gesellschaftlichen Co-Faktoren ändern müssen. Und diese lassen sich durch eine be­triebsinterne Politik, temporäre Arbeits­nie­­­derlegungen und zeitweise Verbesserung lokaler Arbeitsbedingungen eben nicht so einfach beeinflussen. Der Streik in der Form vorübergehender Arbeitsaus­setzung, ob nun als subversive Raucherpau­se, bloßer Warnstreik, harmloser Flexi-Streik oder komplett wilder Streik, kann des­halb nur ein Anfang, ein früher Freiraum, eine erste Experi­men­tier­stätte dessen sein, was es als ge­samtgesell­schaftlichen und sozialen Zusammenhang überbetrieblich erst noch zu formieren gilt. Streiks sind deshalb kein Selbst­zweck in dem Sinne, sondern vielmehr ein Mittel, um dem höheren Zweck der besseren Einrichtung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu dienen. Und die Verlagerung der Ar­beitskämpfe auf andere gesellschaftspoli­tische Felder ist für eine Ge­sellschaft um so wichtiger, je mehr der to­tale Arbeitszwang der kapitalistischen Verwertung vor dem Hintergrund eman­zipa­torischer Ansprüche zerfällt. Positiv gewendet, bieten die brüchig gewordenen Er­werbs­biographien und die schichtenübergreifende Erfahrung von Arbeitslosigkeit nämlich Freiräume, um den solidarischen Austausch über den Arbeitskampf in andere gesellschaftliche Teilbereiche auszudehnen und stabile soziale Institutionen aufzubauen. Die Chancen, die in dieser Ausweitung der Kampfzone für eine starke syndikalistische Machtbasis liegen, zu wenig zu be­rücksichtigen, und stattdessen wie paralysiert auf die betriebsinternen lokalen Ar­beitskämpfe zu starren, ist der zentrale Vorwurf, den man allen deutschen Gewerk­schaf­ten, einschließlich der Freien ArbeiterInnen-Union (FAU) machen muss. Es darf schon ein bisschen mehr Be­tonung auf dem ersten Teil des Wortes „Anarcho-Syndikalismus“ liegen.

Zentralgewerkschaften und die doppelte Organisationsfrage

Um den Kampf vom Arbeitsplatz hinaus aus dem Betrieb und in die Ge­sellschaft hin­einzutra­gen, allgemeinpolitischen Ein­fluss zu nehmen und sozialere Verhältnisse für jeden Einzelnen zu gestalten, ist zweifellos mehr nö­tig als die kurzen Bande, die sich während der Streik­­phasen zwischen den Menschen knüpfen. Es braucht Organisation und Kontinuität im Wech­sel­spiel von Arbeit und „freier Zeit“, von lokalen Be­triebspro­blemen und globalen Mißständen.

Die­se „Or­ga­nisation“ ist aber gerade nicht der zen­trale Massenverband wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder ähnliche. Vielmehr ist die ‚Organisation‘ als solche die organisierte Bewegung, die mobi­lisierbare Basis selbst, in all ihren vielschichtigen Facetten lokaler Zusammenschlüsse. Der Mas­sen­verband dagegen ist nicht mehr als ein degenerierter „Homunkoloss“, Kopfgeburt eines all zu naiven Organsations­ver­ständ­nisses dieser Bewegung. In ihm haust, wie in fast allen zentralen bürgerlichen Verbänden, das alte Gespenst des mittelalterlichen Korpora­tis­mus, bei dem die Köpfe (Funk­tionäre) den Verband als ganzen repräsentieren können, der Körper (Basis) aber nicht. Aber was man sich für frühere Zeiten vielleicht noch als durch­aus vitalen Zusammenschluss vorstellen konnte, ist heu­te zusätzlich einbetoniert in die eisernen Richtlinien der bürokratischen Verwaltung, sodass in modernen Mas­senverbänden von einer Vermittlung zwi­schen Basis und Spitze gar keine Rede mehr sein kann. Die Folgen dieser mangelnden Vermittlung zeigen sich dann am gemeinsamen Nenner: 8+x%. Wie gut, dass Zahlen gleichzeitig Alles und Nichts aussagen!

Die Organisationsfrage der gewerkschaftlichen Bewegung lautete jedoch nie: Wie kriegen wir möglichst viele zahlende Mitglieder und Stimmen? Sondern: Wie organisieren wir die lokalen Gruppen und Zusammenschlüsse bzw. genauer: Mit welchen Mitteln organisieren wir uns und auf welchen Zweck hin richten wir unsere Organi­sierung aus? Und in dieser doppelten Li­nienführung der Frage stellt sich auch her­aus, woran es den Gewerkschaften heutzutage mangelt. ‚Organ‘-isation, schon der theoretische Begriff zeigt doch auf der Ebene der Mittel eine deutliche Abkehr vom Kor­po­ratismus und der Einteilung nach hier­archischen Stände-Verhältnissen an. „Wir organisieren uns!“ – das hieß optimistisch: „Wir lassen uns nicht mehr bevor­mun­den, wir sprechen für uns selbst!“.

Orga­nizing heute, das heißt, pessi­mi­stisch gewendet, Promotion für die Palet­te an Orga­nisierungsdienstleistungen, die der Verband aktuell anzubieten hat. Die Differenz könnte größer nicht sein, denn die Zen­tralge­werkschaften haben die Frage nach den rich­tigen Mitteln der Organi­sie­rung ja längst aufgegeben. Als gäbe es keine Funktionärs-Erblinien, kein Ver­mitt­lungs­­pro­blem mit der Basis, keine Stell-Ver-und-Daneben-Treter, keine Endlosschleife der Bürokratie, keinen chronischen Mangel an partizipativen Prozessen. Die Selbstbestimmung der Mitglieder, das ist bei allem Nacheifern bürgerlicher Institu­tio­na­lisierung völlig vergessen worden. An­statt dass die Gewerkschaft hält, was sie verspricht und den eingespannten Menschen durch den Zusam­men­schluss zum kollektiven Handeln und zum Wahrnehmen seiner Interessen ermächtigt, schweigt die Zen­­trale die Interessen der einzelnen Mitglieder tot und zwingt ihnen ob­endrein das Interesse des Verbandes insbes. seiner Verwaltung zusätzlich auf. Derweil legitimiert der Mummenschanz der parlamentarischen Demokratie das, was jedeR weiß: Die da oben machen doch eh, was sie wollen.

Und in dieser Lage der mangelnden inneren Organisierung der Mitglieder-Interessen sind die zentralen Gewerkschafts­ver­­bän­de auch kein Vorbild für die Massen. Es entsteht nicht mehr der Sog, der sich durch pro­gressive soziale Institutionen bildet, die den em­anzipativen Ansprüchen der Men­schen ge­nügen, weil die Gewerkschaften als ver­ban­desmäßige Organisation in ihrer konkreten Gestaltung nirgends sichtbar aus dem Sumpf der gewöhnlichen bürgerlichen Insti­tutionen herausragen. Die zu­kunfts­wei­sen­den Antworten auf die Frage nach den rechten Organisierungsmitteln der gewerkschaftlichen Bewegung werden also eng geknüpft sein an die Aspekte der Partizipation und Transparenz, an die Probleme der Mit- und Selbst­bestimmung und an die Schwierigkeiten der dezentralen und basisnahen Ver­knüp­fung lokaler Gruppen letzt­lich.

Die eine Seite der Organisations-Medaille bildet also die Frage nach den internen Verhältnissen der Organisierung, nach den rich­tigen Mitteln, um sich sinnvoller Weise als Kollektiv selbstbestimmter Individuen aufzustellen. Denn der Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, das ist höchstens ein nichtiger Aphorismus aus den Fibeln der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die andere Seite nun betrifft die Ausrichtung, diese Organi­sie­rungs­zwecke eben. Und dabei ist gerade die geschlossene Ideologisierung bzw. der Rückzug auf Partikularinteressen der falsche Weg. Denn eine vitale Bewegung wird um­ge­kehrt immer abhängig von ihrer Offenheit sein, will sie dem Anspruch genügen, die Selbstbestimmung der basisnahen Interessen wirklich ernst zu nehmen. Das betrifft nicht nur den internen Austausch zwischen den Generationen, es betrifft auch die syndikalistische Machtbasis in ihrem Kern. Denn nur wenn es gelingt, die Bewegung auf eine breite Basis zu stellen und über die Arbeits­kämp­fe die Menschen schichtübergreifend in einen Kampf ums Ganze, um eine sozialere und emanzipative Gesellschaft zu verwickeln, kann sich das verwirklichen, worauf es schließlich ankommt: Die Aufhebung der kapitalistischen Konkurrenz. Die gewerkschaftlichen Gruppen werden sich also Ziele stecken und Aufgaben planen müssen, die über die eigenen eng begrenzten Interes­senslagen hinausragen, wollen sie offen und einladend wirken. Selbst die beste Organi­sierung nützt letzten Endes wenig, wenn sie nicht in der Lage ist, immer wieder neue Menschen, Ideen und Interessen einzubinden, sie endet schließ­lich als Papiertiger oder bürokratische Aktenleiche.

Innere Einrichtung und äußere Ausrichtung, Selbstbestimmung einerseits, Offenheit an­de­rerseits bilden also den Nerv einer richtigen Organisation. Und genau dieses dialektische Spannungsfeld muss von denen ständig beackert werden, die sich kollektiv organisieren und damit einen emanzipatorischen Anspruch auf die bessere Einrichtung der gesellschaftlichen Verhältnisse verbinden. Gibt man dagegen einen der beiden Pole auf, in dem man sich entweder auf die Interessen der Mitglieder beschränkt und ihre selbstbe­stimm­ten Interessen unterdrückt, oder die einzu­be­ziehenden Menschen auf einen nachfragenden Kunden reduziert und deren Interessen nicht wahrnimmt – dann sprechen wir vielleicht über die zur Tradition degenerierten Kontinuitä­ten deutscher Gewerkschaften, nicht jedoch über die progressive Gestalt eines (post)mo­dernen Syndikalismus.

Vom Ersten Mai, dem Generalstreik und dem Ende der Knechtschaft

Tradition versus Kontinuität ist das richtige Stichwort zum Schluss. Drei hartnäckige Missstände der gewerkschaftlichen Bewegung fallen hier besonders auf. Die Winkelemente-Zeremonien zum Ersten Mai, die romantisch-nostalgische Generalstreik-Rhetorik und der sozialstaatliche Irrsinn der So­zia­listen. Der Traditionalismus zeichnet sich nun dadurch aus, dass er sichtbar die Zeit aus­gesetzt hat und an die Stelle wirklicher Ent­wicklungen und geschichtlicher Konti­nui­täten die hohle und jedem Einspruch überhobene Einheit der Sache setzt. Und dementsprechend monoton und innova­tions­resistent erscheinen auch seine Rituale. Wie beim Ersten Mai, wo nach einem gemütlichen Spaziergang jede ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Würstchen, bunten Kugelschreibern und schmalen Wer­beheftchen untergeht – alle Jahre wieder. Als hätte ihn nie jemand (mensch lese die Protokolle nach!) zum weltweiten Kampftag, zum Beginn einer globalen Arbeitsverweigerung, zum Generalstreik erklärt. Und als solcher ist er ja wohl an einem bürgerlichen Feiertag äußerst schlecht gelegen!

Ebenso fehl geht aber auch die syndikalistische Tradition des radikalen Flügels, die den Generalstreik immer nur als Anfang einer re­volutionären Neugestaltung der Gesellschaft begreift. In einem solchen Sinne kann er aber umgekehrt nichts anderes sein, als das Ende, die Vollendung einer organisatorischen Leistung, die an der Schwelle dahin steht, der kapitalistischen Konkurrenz kollektiv und global ein Ende zu bereiten. Die Welt muss dann schon ein schier uner­schöpf­liches Reservoir an Freiräumen, eine Vielfalt an sozialen Institutionen, selbstorganisierten und aufgeklärten Individuen bieten. Denn wie sollte sonst die Solidarität zwi­­­schen den Menschen den kapitalistischen Kleinkrieg mit einem Male ersetzen? Den höchsten Zweck als bloßes Mittel auszugeben und dabei stehen zu bleiben, solche Rhe­torik ist schließlich nichts als hohler Idea­lis­mus, der sich weder den konkreten Interessen der Menschen, noch den wirklichen Hindernissen und Problemen einer solidarischen Organisierung stellen will.

Über diesem allen Übel ragt jedoch die Tradition der Sozialdemokratie und der einge­schlif­fene Pragmatismus der Staatssozia­listen. Ganz blind für das Scheitern so ziemlich aller sozial­staat­lichen Projekte beharren diese Schein-Gewerkschafter von SPD bis Linkspartei auf dem bürgerlicher Apparat loyaler Beamten, auf der bürokratischen Verwaltung und den Maßnahmen sozialer Kontrolle und polizeilicher Überwachung. Als gälte es nicht gerade, sich davon zu befreien, um besseren Verhältnissen Platz zu machen. Doch diese neuen Herren sehen in gesellschaftlichen Prozessen nichts als Erfül­lungsbedingungen für die nationale Budge­tierung, den volkswirtschaftlichen Nutzen und die kapitalistische Konkurrenz. Ganz so, als wäre der Markt reiner Selbstweck und nicht lediglich ein Mittel. Ein so staatsgläu­biger Sozialist verschiebt die Organisie­rungs­probleme nachhaltiger und solidarischer Institutionen zwischen den Menschen letztlich auf den kalten Mechanismus einer durchgeregelten Arbeitswelt, wo weder vom individuellen Glück noch vom humanen Zusammenleben ernsthaft die Rede sein kann.

Nicht aber in den Fragen der national-staatlichen Rundum-Vorsorge, nicht in den Schwär­­mereien vom plötzlichen Aufzug eines unbestimmt Besseren, auch nicht in den sozial­part­nerschaftlich ergaunerten Ruhetagen und sonstigen Freizeiten, die nicht einmal für alle gelten, und deren Möglichkeiten der Mitgliedergewinnung – sondern in den Fragen der Organisation entlang der doppelten Linie von Selbstbestimmung und Offenheit, eingerichtet zur Emanzipation jedes Einzelnen und ausgerichtet auf die Verbesserung der sozialen Verhältnisse der ganzen Welt, liegt das Geheimnis einer wirkmächtigen syndikalistischen Bewegung mit dem Anspruch, an die Stelle der globalen Konkurrenz eine weltweite solidarische Gegenseitigkeit zu setzen. Und das ist auch die einzig sinnvolle und zweckmäßige Antwort, die der Anarchosyndikalismus in Anbetracht der Geschichte auf die neoliberale Entwicklung der Welt geben kann.

(clov)

* Der Text versteht sich als inhaltliche Aktuali­sierung des bereits 1896 von Gustav Landauer im „Sozialist“ veröffentlichten Textes anlässlich der Streikwelle, die die durch den verstärkten Militarismus prosperierende deutsch-preußische Nationalökonomie damals erfasste: „Die Bedeutung der Streiks“ (28.03.1896), nachlesbar bspw. in: „Signatur: g.l.“, hrsg. v. R. Link-Salinger, edition suhrkamp 1113, Frankfurt (M.), 1986, S. 233-236.

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