Peter Ullrich: „Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland“, Karl Dietz Verlag 2008
Über das Verhältnis der Linken zu Israel und Palästina und dem Nahostkonflikt sind gerade in Deutschland schon viele Bücher geschrieben worden. In der Regel waren diese selbst Produkte der von den „Antideutschen“ losgetretenen Debatte, die die deutsche Linke in den letzten Jahren (seit 2001, um genau zu sein) spaltete wie keine andere. Peter Ullrich ist als politischer Aktivist in der linken Szene involviert (er ist u.a. bei der Leipziger Kamera aktiv), er kennt also nicht nur den „objektiven“ Blickwinkel des außenstehenden Wissenschaftlers. Dennoch und gerade deshalb unternimmt er in seiner 2008 als Buch erschienenen Doktorarbeit „Die Linke, Israel und Palästina“ den Versuch, die Debatte im Ganzen darzustellen und die Faktoren aufzuzeigen, die dieser ihre besondere Dynamik verliehen (und immer noch verleihen) – die kulturellen Prägungen der Akteure und die „diskursiven Gelegenheitsstrukturen“, auf die sie sich beziehen. Um die Spezifik der Diskussion in der (anti)deutschen Linken in den Blick zu bekommen, stellt er dieser den innerhalb der britischen Linken geführten Diskurs gegenüber.
Dabei wird schnell deutlich, wie groß die Unterschiede sind. So wurde die Debatte hierzulande vor allem in Bezug auf den Nationalsozialismus und die Shoah heftig geführt. Die auch in der deutschen Linken lange Zeit vorherrschende Identifikation mit den Palästinenser_innen (als Opfer der israelischen Besatzung und als „antiimperialistische“ nationale Befreiungsbewegung) wurde dabei zunehmend kritisch betrachtet. Die antisemitischen Anteile und Anschlussmöglichkeiten auch des linken „Antizionismus“ wurden problematisiert, innerhalb der Linken etablierte sich auch eine nicht mehr zu ignorierende Pro-Israel-Fraktion.
Dagegen herrscht in der britischen Linken ein weitestgehend pro-palästinensischer und antizionistischer Konsens vor. Prägend wirkt hier Ullrich zufolge vor allem die koloniale Vergangenheit des britischen Empire. Hinzu kommt ein Antiimperialismus marxistisch-leninistischer Prägung, der vor allem in den zahlreichen trotzkistischen Klein- und Kleinstparteien, die einen großen Teil der britischen radikalen Linken ausmachen, vorherrschend ist. Innerhalb dieses Teils des linken Spektrums vertritt lediglich die Alliance for Workers´ Liberty eine Position, die vom Recht beider Seiten auf „nationale Selbstbestimmung“ ausgeht. Hingegen sucht die Socialist Workers Party, die größte trotzkistische Partei, seit einigen Jahren verstärkt den Schulterschluss mit den britischen Muslimen, die nach dem 11. September verstärkt von rassistischer Ausgrenzung und Übergriffen betroffen waren. Diese Kooperation auch mit bekennenden Islamisten wird von der libertären Linken (u.a. der anarchistischen Gruppe Class War), aber auch von der eher im linksliberalen Spektrum zu verortenden Initiative Engage kritisiert.
Auch wenn es das Hauptziel der Untersuchung ist, die diskursiven Grundmuster darzustellen, welche die Debatten um den Nahostkonflikt prägen, und weniger, innerhalb des Diskurses eine eigene Position stark zu machen, verzichtet Ullrich nicht darauf, problematische Punkte als solche zu benennen. Dies sind aus seiner Sicht vor allem Tendenzen zur vollkommenen Identifikation mit einer Konfliktpartei und deren Folgen – für die britische Linke z.B. die Solidarität mit Gruppierungen wie der Hamas und die damit einhergehende Ignoranz gegenüber Antisemitismus, Homophobie und sonstigen reaktionären Einstellungen, aber auch die aus einer Überidentifikation mit Israel erwachsenden Gefahren eines anti-arabischen Rassismus. Trotz aller Zerwürfnisse innerhalb der deutschen Linken, die aus der insbesondere von den „Antideutschen“ angestoßenen Debatte resultierten, konstatiert Ullrich dabei einen Lernprozess, der zu einer Modifizierung allzu festgefahrener und starrer Überzeugungen geführt hat – insbesondere antisemitischen Elementen auch des linken Diskurses wird mittlerweile wachsamer begegnet. In diesem Sinne: Weiterstreiten!
(justus)