Krieg Um Welt

Welcome all Refugees from capitalist War

Fluchtursachen und ihre „Bekämpfung“

Weltweit sind ganze Regionen zu Kriegsgebieten verkommen. Hier wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen ZivilistInnen und KombattantInnen. Massaker an eben Unbeteiligten dienen der ethnischen Mobilmachung und so der Verlängerung der für die (staatlichen und privaten) Warlords einträglichen Konflikte. Es gibt Zwangsrekrutierungen selbst von Kindern und durch die gewaltsame Zerstörung ziviler Lebensgrundlagen und die allgemeine Unsicherheit und Militarisierung bleibt vielen nichts anderes übrig, als zur Waffe zu greifen und sich einer Miliz anzuschließen. Oder eben die Flucht. In diesen Regionen leben Millionen Menschen in gewaltigen Flüchtlingslagern, die aber zugleich Ziel und Operationsbasis der Milizen sind. Eine weitergehende Flucht wird von den potentiellen, reicheren Zielländern militärisch und durch Zusammenarbeit mit humanitären Organisationen und dem UNHCR (UN-Flüchtlingshilfswerk) unterbunden.

Andere Gebiete und Schichten sind auch ohne blutige Konflikte durch eine anhaltende und wachsende Armut geprägt. Durch die Privatisierung der Grundversorgung und des Landes wird den Menschen die Möglichkeit selbst zur eigenständigen Grundversorgung genommen, sie werden proletarisiert und vertrieben, ohne dass ihnen die Möglichkeit auf ein einträgliches Einkommen gegeben würde. Viele versuchen es dennoch und siedeln in die Vorstädte der nächstgelegenen Großstädte, aus denen gewaltige Slums werden, die teils durch unerträgliche Lebensumstände geprägt sind. Dort fristen sie ihr Dasein oder machen sich auf die Weiterreise dorthin, wo sie bessere Lebensperspektiven sehen. Entweder sie passieren illegal die Grenzen in die Wohlfahrtszonen und führen dort ein Schattendasein das sie sich mit illegaler Arbeit zu Niedrigstlöhnen finanzieren, oder sie treiben irgendwo genug Geld auf, um sich ein Visum zu erkaufen und probieren dann, über Eheschließung, Arbeitsverträge oder ähnliches einen längerfristigen Aufenthaltsstatus zu erlangen.

Zudem gibt es überall auf der Welt bedrohte und diskriminierte Minderheiten oder Bevölkerungsgruppen. Frauen ist in religiös-fundamentalistisch geprägten Gesellschaften ein selbstbestimmtes Leben verwehrt und ihnen drohen drakonische Strafen wie die Steinigung. Wer nicht für seine Rechte kämpfen will oder kann, dem bleibt nur ein Ausweg: die Flucht.

Zahlreiche dieser Fluchtursachen werden mittlerweile als Grund für militärische Interventionen der Großmächte genannt, die aber stets eigene Interessen verfolgen und die Lage der Bevölkerung durch weitere Militarisierung und die Provokation militärischen Widerstands meist noch weiter verschlechtern. Die gute Schwester der militärischen Intervention, die staatliche Entwicklungshilfe, gibt vor, sich mit zivilen Mitteln dieser Probleme annehmen zu wollen. Dies geschieht immer häufiger durch die Finanzierung und den Aufbau neuer Polizeieinheiten, kann die Unterstützung eines Gewaltregimes bedeuten (z.B. EUPOL KINSHASA (1) in der Demokratischen Republik Congo). Oft geht es bei Entwicklungshilfe auch nur darum, Länder und Regionen für die Anbindung an den Weltmarkt vorzubereiten oder internationalen Unternehmen den Aufkauf der zivilen Infrastruktur und der profitträchtigsten Wirtschaftsbereiche zu ermöglichen (So haben BMZ und die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) gemeinsam mit USAID im Windschatten des Afghanistankrieges die Agentur AISA gegründet, die mit Werbung für profitträchtige Anlagen und der Privatisierung von Wasser- und Stromversorgung deutschen und internationalen Konzernen den Ausverkauf Afghanistans ermöglichen soll, siehe aisa.org.af ). Im besten Falle sind Entwicklungshelfer meist kleinerer Organisationen damit beschäftigt, die sozialen Härten der kapitalistischen Globalisierung abzufedern und den Menschen in neu kolonialisierten Gebieten Tipps für das Überleben im globalen Markt zu geben – meist, das soll hier gar nicht geleugnet werden, in bester Absicht und manchmal mit ansehnlichem Erfolg.

Migration ist Entwicklungshilfe – von Unten

Dennoch ist Entwicklungshilfe als Bekämpfung der Fluchtursachen, wie sie gerade v.a. mit Blick auf Afrika propagiert wird – sofern dies ernst gemeint ist – in mehrfacher Hinsicht Paradox. Wenn das Ziel lauten sollte, die globale Ungleichheit an Wohlstand, Sicherheit und Rechten abzumildern, dann müsste zunächst das wesentliche Instrument angegangen werden, welches diese Ungleichheit territorial festschreibt, nämlich die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Menschen aus Armuts- und Konfliktgebieten. Denn wenn Menschen aus unerträglichen Lebensumständen fliehen und wo anders tatsächlich ein besseres Leben finden, dann hilft das nicht nur konkret all diesen Menschen, sondern auch den Regionen, aus denen sie stammen. Nicht nur, dass Migration aus kargen oder überbevölkerten Regionen das Überleben dort schon deshalb erleichtert, weil vom selben Boden weniger Menschen zu ernähren sind und damit auch das Konfliktpotential wesentlich sinkt. Die meisten Migrant- Innen bleiben den Gesellschaften, aus denen sie stammen, die ihnen oft auch die Wegreise ermöglicht haben, weiterhin verbunden. Allein die registrierten Rücküberweisungen von MigrantInnen, sog. Rimessen, an Familien und Freunde im Herkunftsland, übersteigen weltweit die Summe der offiziellen Entwicklungshilfe aller Staaten zusammen – und kommen meist direkter an. Zusätzlich besuchen die MigrantInnen, soweit es ihnen möglich ist, ihre Herkunftsgesellschaften, was dort eine touristische Infrastruktur und den Aufbau von Verkehrswesen begünstigt. Andererseits wollen Viele auch im Land, in dem sie sich gegenwärtig aufhalten, nicht auf traditionelle Lebensmittel und kulturelle Güter verzichten, was dazu führt, dass es in jeder großen Stadt mittlerweile Spezialläden für Produkte aus diesem und jenem Land gibt und dies den Export kultureller Güter (mit enormen Profiten) aus ärmeren Regionen fördert.

Diese „Entwicklungshilfe von Unten“ (2) funktioniert allerdings auch jenseits rein kapitalistischer Dynamiken. So schließen sich in größeren Städten die MigrantInnen aus denselben Gemeinden oder Regionen zusammen und organisieren beispielsweise Kulturveranstaltungen, deren Erlös sie für Infrastrukturprojekte in ihre Herkunftsgemeinden schicken (3). Diese Gelder können bspw. in Projekte wie eine kommunalen Krankenversicherung fließen, die sonst nicht denkbar wären. Vor allem Menschen, die vor Unterdrückung und Krieg geflohen sind, verfolgen hier meist weiter die Lage in ihrem Herkunftsland. Viele übersetzen Artikel und machen so auf die dortige Unterdrückung aufmerksam. Manche organisieren sich in Exil- oder Menschenrechtsgruppen und engagieren sich von hier aus für die Rechte ihrer GenossInnen im Ausland. Das ist die Voraussetzung für internationale Aufmerksamkeit und Solidarität und hat schon so manche Freilassung politischer Gefangener erwirkt, wie es Folter und Steinigungen verhindert hat. Auch weniger politisch engagierte MigrantInnen werden in ihrem Zielland mit anderen Werten konfrontiert sein, als sie es aus ihrer Kindheit und Jugend kennen. Sie werden von diesen das übernehmen, was ihnen sinnvoll erscheint und sie auch in ihre Herkunftsgesellschaften kommunizieren, wo sie dann erörtert, angenommen oder abgelehnt werden. Dies ist eher die Überzeugung beim Familienfest, als die aus dem Gewehrlauf. Wenn nicht nur Europäern zugestanden wird, dass Menschen ihre Werte auf der Grundlage von Vernunft aushandeln, dann müsste diese Form globaler Zivilgesellschaft langfristig zu einer vielfältigen, sich gegenseitig argumentativ herausfordernden Wertelandschaft führen.

MigrantInnen als Arbeitskräfte

Solche Entwicklungen sind jedoch nur Nebeneffekte einer kapitalistischen Dynamik, die seit der Entstehung der Nationalstaaten deren Drang nach Ab- und Ausgrenzung immer wieder aufbricht. Für den globalisierten Kapitalismus ist nicht nur die freie Zirkulation von Kapital und Waren, sondern auch von Dienstleistungen und Arbeitskräften notwendig. Der Nachkriegsboom in den 50er und 60er Jahren hing ebenso vom Zustrom von Arbeitskräften ab, wie zuvor der Aufstieg der USA zur Weltmacht nur durch beständigen Zuzug aus aller Welt möglich war. Auch heute beruht der Wohlstand der „entwickelten“ Staaten (auch der reichen Öl-Staaten) wesentlich darauf, dass Arbeitsprozesse, die nur bei enorm niedrigen Löhnen profitabel sind, sich aber nicht ins Ausland verlagern lassen – namentlich Dienstleistungen wie Gebäudereinigung, Billig-Gastronomie, zunehmend auch Alten- und Krankenversorgung – von migrantischen Arbeitskräften erledigt werden, die niedrigere Löhne in Kauf nehmen. Da vor allem die Macht europäisch geprägter Staaten vom Nationalismus abhängt, der dementsprechend andauernd geschürt werden muss, und es zu ihrem Verständnis von Souveränität gehört, die Grenzen aufrecht zu erhalten und zu kontrollieren, befinden sie sich hier in einem Interessenskonflikt mit ihrer mächtigsten Lobbygruppe, dem Kapital, das generell zur Öffnung der Grenzen, auch für Arbeitskräfte, drängt. Der Kompromiss, von dem beide profitieren, ist die weitgehende Öffnung der Grenzen bei gleichzeitiger rassistischer Diskriminierung der MigrantInnen. Dadurch entsteht ein für die Industrie sehr nützliches entrechtetes Subproletariat, das bei Belieben zu niedrigsten Löhnen angeheuert und wieder gefeuert bzw. deportiert werden kann und, spekulierend auch auf nationalistisch-rassistische Tendenzen innerhalb der Arbeitnehmerschaft, diese spaltet, in die relativ privilegierten einheimischen Arbeiter und eben dieses Subproletariat.

Machtdemonstrationen

Genau dies geschah beispielsweise in Deutschland mit der faktischen Abschaffung des Asylrechts, der Illegalisierung weiter Teile der MigrantInnen und durch die vielfältige rechtliche Diskriminierung von „Ausländern“: Essenspakete und Residenzpflicht bei Asylbewerbern, biometrische Erfassung, Rasterfahndung, Sicherheitsverwahrung und Gesinnungsprüfung und Kettenduldung, d.h. Die immer nur kurzfristige Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen, die die MigrantInnen dauerhaft in einem prekären Schwebezustand hält und langfristige Perspektiven verhindert. Dass die Grenzen gleichzeitig geöffnet würden, mag der alltäglichen Wahrnehmung widersprechen. Werden die Zäune in Melilla und Ceuta nicht eben verstärkt, nachdem dort auf Flüchtlinge geschossen wurde, die versuchten, sie zu überwinden? Finden nicht gegenwärtig völlig sinnlose Abschiebungen von hier geborenen Kindern und ihren Familien in (Bürger-)Kriegsgebiete wie den Kosovo und Afghanistan statt? Entstehen nicht überall in der EU und jenseits ihrer Grenzen Auffang- und Abschiebelager? Wird nicht gar in den Kriegsgebieten selbst Militär eingesetzt, um die Flüchtlinge an der Weiterreise Richtung EU und Deutschland zu hindern?

Doch! Aber zugleich werden die Möglichkeiten für Arbeitgeber beständig erweitert, Arbeitskräfte ins Land zu holen. Die Visabestimmungen für Mittel- und Osteuropäer werden gelockert, und in den Zäunen werden bewusst Löcher gelassen, abgefangene Boat people aus Nordafrika oder dem Mittleren Osten werden freigelassen, während die „Schwarzen“ aus Südafrika deportiert werden. Die Abschottung ist gar nicht möglich, zu vielfältig sind die Möglichkeiten und Wege, in die EU zu gelangen. Die repressive Grenzpolitik ist lediglich der Versuch, diese Migration biopolitisch zu steuern: Lieber Osteuropäer als Afrikaner, lieber Studenten als Flüchtlinge. Dieser offen von den Staaten ausgeübte Rassismus soll nach Innen das Privileg der Staatsbürgerschaft deutlich zum Vorschein bringen. Die offene und symbolkräftige Diskriminierung derer, die nicht zur Nation gehören soll diejenigen, die dazugehören, noch enger an den Staat binden, damit sie immer weitere Einschnitte akzeptieren. Abschiebungen lohnen sich finanziell überhaupt nicht, geben den Bürgen des Staates aber das Gefühl, dass es anderen noch dreckiger geht, dass ihnen das nicht passieren kann. Im übrigen ein Fehlschluss: Denn die Herrschaftstechniken, die zunächst gegenüber MigrantInnen angewandt werden, werden immer schneller auch auf unterprivilegierte Schichten der nationalen Bevölkerung angewandt, freilich bei gleichzeitiger Verschärfung der Schikanen gegenüber den MigrantInnen. So folgte die biometrische Erfassung der gesamten Bevölkerung in Deutschland durch die Einführung neuer Pässe einer Art Probelauf, in dem alle Einreisenden und Asylbewerber erfasst werden sollten. Die Techniken, mit denen seit Hartz IV die Arbeitslosen durch die Bundesagentur verwaltet werden, erinnern stark an die Praktiken, mit denen zuvor Asylbewerber konfrontiert waren.

NO LAGER

Es gibt also keinen Interessengegensatz zwischen „einheimischen“ und migrantischen Lohnabhängigen, sondern gemeinsame Kämpfe. Was heute an Diskriminierung von „Ausländern“ verhindert werden kann, wird langfristig für die gesamte Gesellschaft abgewehrt. In diesem Zusammenhang ist die weltweite Ausdehnung von Lagern zu sehen, die von staatlichen Akteuren als Reaktion auf unkontrollierte Bewegung und nicht-verwertbares Leben vorangetrieben wird. In Krisen- und Kriegsgebieten leben Millionen von Menschen in Lagern, hunderttausende in den Lagern an den Rändern der EU und ebenso viele innerhalb der EU. Lager erlauben die ideale Kontrolle der Insassen und isolieren sie vom Rest der Gesellschaft so wie von den Insassen anderer Lager. Die Menschen werden hier am nackten Leben erhalten, von privaten oder staatlichen Sicherheitsagenturen kontrolliert und gepeinigt, bis sich eine kurz- oder langfristige Verwertungsmöglichkeit ergibt. Eine Vision mit Zukunft. Dass sich diese Herrschaftspraktik auf immer weitere Teile der Weltbevölkerung ausdehnen lässt, zeigt sich daran, wie leicht es den Nationalstaaten stets gefallen ist, per Gesetz Gesellschaften, die alle auf Migration beruhen, in Bürger und Entrechtete zu trennen.

maria

(1) Diese EU-Mission besteht darin, mit Geldern aus dem Europäischen Entwicklungs-Fond neue Polizeieinheiten in Kongo-Kinshasa aufzubauen, welche die „Regierung des Übergangs“ schützen sollen. Diese besteht ausnahmslos aus Warlords und Kriegsverbrechern und sollte im Juni 2005 durch erste freie Wahlen abgesetzt werden. Die Wahlen wurden verschoben, die Proteste niedergeschossen. Die EU dürfte davon nicht überrascht gewesen sein, denn die Mission begann Anfang 2005 und war für mindestens ein Jahr geplant…
(2) Siehe hierzu: APUZ (Aus Politik und Zeitgeschichte) 27/2005: Entwicklung durch Migration
(3) exemplarisch am Fall El Salvador: Helen Rupp: Migration als Wirtschaftsmodell: Die remittances in El Salvador, in Prokla (Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft) Nr. 140

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