Kriegseinsatz im neuen Gerüst

Probleme und Folgen der Bundeswehrreform

„Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen“, formulierte Immanuel Kant schon im 18. Jahrhundert. Die vom Ex-Minister zu Guttenberg „auf den Weg gebrachte“ Bundeswehrreform bestätigt Kants Beobachtung im Besonderen. Denn selbst konservative Köpfe raufen sich nun die Haare und überlegen, wie sie die Reform reformieren und somit die Diskrepanz und inhaltliche Distanz zwischen Problemanalyse und Reformtragweite minimieren können. Die Mi­litarisierungsgegner_innen hingegen müssen derweil aufpassen, dass sie sich angesichts der erwartbaren Folgen der vermeintlich „größten Reform der Bundeswehr in ihrer Geschichte“ nicht am eigenen hämischen Grinsen verschlucken.

Doch von vorn: Dem vorerst von der Bildfläche verschwundenen Verteidigungsminister zu Gutten­berg wurde im Juni 2010 im Rahmen des Sparpaketes (siehe FA!#38) der Auftrag erteilt, im eigenen Haushalt 8,3 Milliarden Euro einzusparen. Da dies aber nicht das einzige zu bearbeitende Problemfeld auf seinem Schreibtisch darstellte, verknüpfte er kurzerhand verschiedene innen- und außenpolitische Anforderungen sowie drängende Strukturfragen und präsentierte dann eine Bundeswehrreform, die Geschichte schreiben sollte – eine Reform, die Qualitätssteigerung und gleichzeitig finanzielle Einsparung versprach. Oder auch qualitative Aufrüstung bei quantitativer Abrüstung. Kernelement dieser ist jedenfalls der Umbau der Armee weg von der Wehrpflicht hin zur Freiwilligenarmee. Gesprochen wird allerdings nur von einer (wenn auch dauerhaft vorstellbaren) „Aussetzung“, denn das Grundgesetz solle nicht gleich verändert werden, sondern als „Rückversicherung“ weiter die allgemeine Wehrpflicht führen. So wurde das vorher für CDU/CSU Undenkbare nun als Fortschritt verkündet und prompt zum Heil- und Profilie­rungs­mittel ausgebaut. Im Reformpaket enthalten sind aber nicht nur die Abkehr von der Wehrpflicht und somit die Reduzierung der Zahl der Bundeswehrbesoldeten, sondern weitreichende Veränderungen, durch die am Ende eine weit größere Anzahl an Soldat_innen für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen wird (1). Zudem sollen Führungsstrukturen um- und die allgemeine Einstellungsdauer ausgebaut werden sowie Investitionen in neueres militärisches Equipment erfolgen. Unterm Strich der Rechnung sollte damit zum einen eine immense Kosteneinsparung, zum anderen eine Steigerung der internationalen Anerkennung durch größere Hand­lungs­fähig­keit in Militär­bün­dnissen stehen.

Doch wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der nicht nur anders bilanziert, sondern auch noch auf sein Trinkgeld besteht. Denn mit dem Wegfall der Pflicht muss nicht nur das Anreiz- oder Prämiensystem aufgestockt werden, damit weiterhin viele Menschen beschließen ihr kostbares Leben an den Staat zu verkaufen. Auch für den Zivildienst – ohne den unzählige soziale Einrichtungen sprichwörtlich einpacken können, weil ihnen die kostengünstigen Arbeitsplätze abhanden kommen – müssen Ersatzregelungen gefunden und finanzielle Mittel bereit gestellt werden. Schlussendlich zählt die Bundeswehr (glücklicher Weise) nicht zu den beliebtesten Institutionen, so dass auch der Werbeetat beachtlich aufgestockt werden muss, will man das Rekrutie­rungs­problem in den Griff bekommen. So belaufen sich derzeit die unge­plan­ten, nun geschätzten Mehrkosten auf ca. 2 Milliarden Euro. Oder noch viel mehr, wie einige Reformkritiker_innen befürchten. Auch den er­warte­ten internationalen Pres­tige­gewinn stellen diese in Frage, ist doch die Reform lediglich monetär motiviert, nicht aber in ein klares sicherheitsstrategisches Konzept integriert. So fehlt ihnen die sicherheitspolitische Herleitung der Re­form­notwendig­keiten und eine Anknüpfung an die im „Weißbuch“ der Bundeswehr formulierten militärstrategischen Zielsetzungen und Aufgaben der Armee. Zwar passt der Umbau, weg von der Wehrpflicht, in das Bild der obsolet gewordenen klassischen Landesverteidigung (2). Aller­dings reicht das Argument, man wolle die deutsche Beteiligung an Auslandseinsätzen steigern, allein kaum aus, um die ge­schichtsträchtigen „Staatsbürger in Uniform“ durch Söldner_innen zu ersetzen. Insgesamt scheint also der geplante historische Meilenstein „Bundeswehrreform“ zum strategisch kopflosen Unterfangen und finanziellen Nullsummenspiel zu mutieren. Oder er schlägt als Bumerang zurück und erzwingt weitere inhaltliche und organisatorische Umbauprozesse ungeahnten Ausmaßes.

Alte Probleme, neue Brisanz

Doch diese Entwicklungen sind leider kein Grund zur Freude für Militärgegner_innen. Obgleich mensch herzlich darüber streiten kann, ob nun die Wehrpflicht oder die Freiwilligenarmee das kleinere Übel darstellt, wird doch v.a. deutlich, dass mit dieser Reform nicht abgerüstet, sondern massiv aufge­rüstet wird. Denn zukünftig wird es mehr Sol­dat_innen geben, die in aller Welt für deutsche Interessen (gewalt-)tätig werden, die Welt­politik in erschütternder Weise maßgeblich mit beeinflussen und dabei helfen, dass bestehende Konflikte zu endlos anmutenden Kriegen ausufern. So waren in den letzten 20 Jahren insgesamt über 300 000 Sol­dat_innen in 37 Auslandseinsätzen aktiv. Derzeit gibt es 12 laufende Auslandseinsätze unter der Beteiligung Deutschlands mit über 7000 Bundeswehrkräften (3). Zur lang­fris­tigen Friedenssicherung tragen die militä­rischen Interventionen aber in den seltensten Fällen bei. Zudem lehrt uns auch das Bei­spiel Afghanistan, dass die Abzugspers­pektive ein hart umstrittenes und schwieriges Thema ist, wenn die „internationale Gemeinschaft“ einmal angefangen hat mitzumischen. Es profitieren also oftmals lediglich die Rüstungsindustrie und jene Akteure, die im Schatten der aktuellen „Friedensstifter“ ihre Geschäfte abwickeln können.

Weiter wird sich durch die Reform das Klientel der deutschen Waffenträger_innen wohl zugunsten derjenigen verschieben, die keine kritische Haltung oder eine geringere Hemmschwelle gegenüber der Anwendung von Gewalt in verschiedensten Ausprägungen haben – schließlich haben sie sich bewusst (wenn auch nicht unbedingt durchdacht) für diesen Job beworben. Es ist auch erwartbar, dass der Großteil der künftigen Soldat_innen, analog zu den Entwicklungen in den USA, eher aus jenen Menschen besteht, die für sich kaum anderweitige Einkommensperspektiven sehen. Schon jetzt beträgt der Anteil der Soldat_innen im Auslandseinsatz, die aus den strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland kommen, rund 50% und liegt bei den „niederen“ Rängen sogar bei 62,5% (4).

Schlussendlich wird die Bundeswehr durch ihre Nachwuchssorgen auch im Inneren in immer unerträg­lich­erem Ausmaß auf sich aufmerksam machen müssen. Bereits jetzt bemüht sie sich um Ak­zep­tanz­steigerung und Re­krutenwer­bung: Durch Infostände auf öffentlichen Plätzen, Messen und Stadt­teil­festen; Wer­bung in Arbeitsämtern, Schulen und Universitäten; Sponsoring bei Sportvereinen; mediale Offensiven in Film, Zeitung, Radio und Internet; Anzeigen in Straßenbahnen oder durch eigene öffentliche Veranstaltungen. Eine Verstärkung der Bemühungen sich als attraktiver Arbeitgeber und kompetenter sowie kostengünstiger Ausbilder zu präsentieren (z.B. durch ein kostenfreies Studium), ist bereits beschlossene Sache. Eine besonders herausstechende Strategie ist hierbei die verstärkte und zunehmend institutionalisierte Präsenz an Schulen, wo sich Jugendoffiziere als Expert_innen im Bereich der Sicherheitspolitik und der politischen Bildung geben und Jugendlichen sowohl die vermeintliche Notwendigkeit von Militär vermitteln, als auch die Bundeswehr als coolen und „sicheren“ Arbeitgeber bewerben (siehe Kasten).

Mit Verstand zum Widerstand

Bei so viel Präsenz im Inneren und Schadensverrichtung außerhalb Deutschlands ist breiter Widerstand wichtig. Glaubte man früher, die Friedensbewegung der 60er und 70er sei „ausgestorben“, ist doch seit 1999, dem Beginn der deutschen Beteiligung an Auslandseinsätzen, eine kleine Renaissance und Zulauf bei den Friedensbewegten zu vernehmen. In nahezu jeder größeren Stadt gibt es inzwischen (wieder) Menschen die sich zusammenfinden, um gemeinsam gegen den Afghanistan-Einsatz mobil zu machen, oder der öffentlichen Bundeswehrpräsenz ihren Protest entgegen zu setzen. Zudem gibt es einige Organisationen sowie unzählige Internet­seiten und Blogs, auf denen sich vernetzt und inhaltlich diskutiert wird, Informationen zusammengestellt, Aktionsideen gesammelt und Materialien zur Verfügung gestellt werden (5). Besonders jetzt, wo durch die Bundes­wehrreform das weltweite Töten und Kämpfen im Namen „westlicher Werte“ wieder verstärkt salonfähig gemacht werden soll, ist lautstarker und unmittelbarer Protest vor der Haustür das gebotene Mittel der Stunde.

(momo)

 

(1) Die Bundeswehr umfasst derzeit ca. 250.000 Soldat_innen, von denen „nur“ ca. 7000 in Auslandseinsätze geschickt werden (können). In Zukunft soll die gesamte Armee nur noch aus ca. 180.000 Menschen bestehen, von denen dann ca. 15.000 (mindestens aber 10.000) im Ausland tätig sein sollen. Durch den Personalumbau und die Neuerung, dass alle freiwillig Wehrdienstleistenden auch ins Ausland geschickt werden können, sollen aber insgesamt über 130.000 der Soldat_innen für etwaige Auslandseinsätze ausgebildet sein. (Friedensjournal Nov. 2010 und „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 3/2011)

(2) Die Geschichte der Bundeswehr begann 1955 unter Adenauer (unter heftigen Auseinandersetzungen, ob Deutschland überhaupt je wieder über eine Armee verfügen sollte) der diese als „Verteidigungsarmee“ aus dem Bundesgrenzschutz heraus gründete. Ziel war hier die klassische Landesverteidigung im Falle eines Angriffs vom kommunistischen Gegner; Kernelement die Wehrpflicht – auch um die weltanschauliche Entfernung der Soldat_innen vom Staatsbürger zu verhindern. Mit Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall der direkten „Landesbedro­hung“, wandelte sich die ehemalige Verteidigungsarmee sukzessive zur Angriffsarmee, um deutsche Interessen in aller Welt umzusetzen.

(3) Die derzeitigen Einsätze: ISAF in Afghanistan und Usbekistan (4765 Soldat_innen); KFOR im Kosovo (1490 Soldat_innen); „Atalanta“ um Somalia (330 Soldat_innen); UNIFIL im Libanon (300 Soldat_innen); „Active Endeavour“ im Mittelmeer (215 Soldat_innen); EUFOR Bosnien-Herzegowina (125 Soldat_innen); „Statairmedevac“ mit Flugbasis in Deutschland (40 Soldat_innen); UNMIS im Sudan (32 Soldat_innen); EUTM Somalia (10 Soldat_innen); UNAMID im Sudan (5 Soldat­_in­nen); EUSEC im DR Kongo (3 Soldat_innen); UNAMA in Afghanistan (1 Soldat). (Friedensjournal Nov. 2010)

(4) Eine umfassende Analyse zu den neuen Rekrutierungsherausforderungen der Bundeswehr machte kürzlich die IMI: www.imi-online.de/2011.php?id=2257

(5) Einige wichtige Seiten zum Thema: www.imi-online.de; www.dfg-vk.de; www.kehrt-marsch.de; www.bundeswehr-wegtreten.org

Die Schuloffensive der Bundeswehr

Das Nachwuchs- und Akzeptanzproblem der Bundeswehr lässt sich am effektivsten durch eine hohe Präsenz an Schulen lösen. Diese Erkenntnis ist nicht neu und wird seit Jahren in zunehmendem Maß in die Praxis umgesetzt. Allein im Jahr 2009 führten Jugendoffiziere und Wehrdienstberater bundesweit über 17.000 Veranstaltungen in Bildungseinrichtungen durch und erreichten so knapp 400.000 (!) Jugendliche. Während sich die Wehrdienstberater direkt mit der Nachwuchsrekrutierung beschäftigen, werden die gut geschulten Jugendoffiziere als Expert_innen in Fragen Sicherheits- und Bildungspolitik eingeladen. In Präsentationen oder mit Hilfe des eigens entwickelten Planspiels „Pol&IS (Politik und Internationale Sicherheit) vermitteln sie jungen Menschen die vermeintliche Notwendigkeit von Armeen und „informieren“ über die „friedensstiftenden Maßnahmen“ der Bundeswehr im Ausland. Unterstützt wird diese Schuloffensive durch Lehrerfortbildungen und Seminare für Referendar_innen, die kostenlosen Unterrichtsmaterialien „Frieden & Sicherheit“ und Kooperationsvereinbarungen mit den Kultusministerien der Bundesländer. Letzteres ist eine besonders favorisierte Strategie, um auch künftig einen einfacheren Zugang zu Schuleinrichtungen zu erhalten: Acht Bundesländer – seit Dezember 2010 auch Sachsen – haben bereits Vereinbarungen mit der Bundeswehr abgeschlossen und wollen die Zusammenarbeit künftig intensivieren.

Auch hier lohnt und formiert sich jedoch Widerstand: Verschiedenste Organisationen mobilisieren derzeit lokal, landes- oder bundesweit gegen etwaige Kooperationsvereinbarungen und die Präsenz der Bundeswehr an Schulen. Dabei ist der „Beutelsbacher Konsens“, der die Mindestanforderungen an politische Bildung festlegt und dabei das Kontroversitätsgebot und Überwältigungsverbot aufstellt, ein wichtiges Argument, um der Bundeswehrpräsenz an Schulen Einhalt zu gebieten.

 

Infos u.a. im IMI-Factsheet: imi-online.de/download/factsheet_BW_Schule2010.pdf

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