Kriegspropaganda statt Sportjournalismus

Fußballdeutschland macht´s möglich

Es gab sie schon immer – hysterische und reißerische Mediendebatten, in denen vor lauter Aufbauschen und Skanda­lisieren jede Differenzierung vergessen wird. Müßig also, mit Plädoyers für besonnenen und reflektierten Journalismus mal wieder an die Verantwortung der Medien zu appellieren. Müßig – aber nichtsdestotrotz notwendig. Womit das Fazit vorweggenommen wäre. Jetzt also zur Einleitung:

Bevor der Nationalsozialistische Untergrund seinen direkten Durchmarsch an die alleinige Spitze, den Thron der medialen Öffentlichkeit vollzog, beherrschte für mehrere Wochen ein Thema die Berichterstattung der Republik, welches ansonsten eher marginal in der Presse auftaucht: Fußballfans. Gewalttätige Fußballfans. Zündelnde Fußballfans. ‘Sogenannte’ Fußballfans. Gefährliche Fußballfans. Eine ganz schlimme Sache, der plötzlich vom hinterwäldlerischen Käseblatt bis zur renommierten überregionalen Wochenzeitung, vom öffentlich-Rechtlichen bis zum Privatsender nachgegangen wurde. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Gefährdung unser aller Sicherheit sowie der Fortexistenz des Lieblingssports der Nation in Gestalt des marodierenden Fans zum vielbeschworenen Horrorszenario, dem sich dann folgerichtig nicht mehr nur das Medieninteresse widmete. Auch Politi­ker_innen allerorts richteten ihre empörten Blicke auf die besorgniserregenden Bilder. Gefordert wurde resolutes Durchgreifen und man überbot sich in Ankündigungen harter Sanktionen, die schnell den Rahmen des geltenden Rechts zu sprengen drohten.

Anstoß für diesen Hype gaben die Vorkommnisse im Rahmen des DFB-Pokalspiels zwischen Dynamo Dresden und Borussia Dortmund. Hier wurde vor, bei und nach dem Spiel recht kräftig randaliert, es gab gewaltsame Auseinandersetzungen vorwiegend zwischen Fans und Polizei, es gab kaputtes Stadioninterieur und Verletzte, verstörte Unbeteiligte und unschuldig Betroffene. Das soll als Zusammenfassung reichen. Sich damit ganz bewusst dem Vorwurf der Relativierung und Verharmlosung aussetzend, kann man anfügen: solche Szenarien hat fast jeder Fußballfan und regelmäßige Stadion­besucher egal welcher Liga, welches Vereins und welchen Alters schon erlebt. Was der ganzen Sache jetzt aber eine, vermutlich sogar die, besondere Dosis Brisanz verlieh, war der Fakt, dass das Spiel live im ZDF übertragen wurde und damit jeder Fernsehzuschauer Zeuge des „Gewalt-Wahnsinns“ werden konnte. Das Spiel war ohnehin sehr gut besucht, die Livesendung vergrößerte das Publikum dann aber doch ganz wesentlich und lud die Krawallmacher nochmal extra ein, diese Bühne auszunutzen. Wofür? Um ihre sinnlose Gewalt quasi in die Wohnzimmer der Menschen zu tragen. Schließlich handelt es sich bei diesen Fußballfans um ausgemacht rücksichtslose Gestalten. Bestes und viel bemühtes Beispiel dafür: der Umgang mit Pyrotechnik. Verwerflich genug, dass diese Personen Feuerwerkskörper benutzen, obwohl dies verboten ist und sie damit gegen die geltenden DFB-Vorschriften und die Stadionordnungen verstoßen. Sie nehmen auch die Gefährdung von Gesundheit und Leben ihrer Mitmenschen in Kauf, indem sie eben dieses illegal eingeschmuggelte pyrotechnische Teufelszeug während ihrer Gewaltorgien abfackeln und umherschleudern. Da wird der Fanblock zum Schützengraben.

Dass Dresdner Fans beim besagten Skandalspiel dann auch neben all den anderen Exzessen bengalische Fackeln zündeten, bot somit auch zuerst dem ZDF und dann vielen anderen eine hinreichende Grundlage für Diffamierung und Kriminalisierung.

Die mehrwöchige „Krawall-Krise“ führte mitunter zu absurden Höhepunkten: So wurde das Kreisligaspiel Westfalia Weth­mar – Blau-Weiß Alstedde irgendwo im Ruhrgebiet aufgrund der aufgedeckten Ankündigung von Bengalos durch Weth­marer Fans zum Hochsicherheitsspiel: „Im Internet sollen die Ultras zum Bengalo-Einsatz aufgerufen haben. Die Vereine reagieren geschockt“, so die Lünener Regionalausgabe der Ruhrnachrichten. Hier schmunzelt man noch, während einen andere Meldungen dann doch ärgern.

So schafft es der Autor in einem Kommentar der Süddeutschen, die Zwickauer Fans, die beim Spiel mit dem Gesang „Terrorzelle Zwickau, olé olé olé“ ihrer rechten Gesinnung Ausdruck verschafften, als „Brandstifter“ zu bezeichnen, gegen die eben genauso couragiertes Vorgehen vonnöten sei, wie gegen solche Fans, die Pyrotechnik nutzen – gegen „Brandstifter“ eben, die unseren schönen Sport kaputtmachen.

Und gänzlich verfehlt kommt zwischen­zeitlich der Focus daher, der unter dem unsäglichen Titel „Zeichen gegen Gewalt. Dortmund schickt Ultras nach Ausch­witz“ vom vorbildlichen pädagogischen Umgang der Borussia zu berichten weiß. Deren Geschäftsführer erläutert die bewährte Methode, den offenbar problematischen Anhänger_innen, die sich als nicht ganz so regelkonform erweisen, eine Bildungsfahrt nach Auschwitz zu zahlen und wird mit den Worten zitiert: „Dort haben alle vor Augen geführt bekommen, wo Ge­waltexzesse hinführen.“ Hallo?

Wie eingangs festgestellt: Das ist alles nichts Neues. Empörungsjournalismus und dumme, undifferenzierte, hysterische, skandalisierende, verallgemeinernde mediale Ausgeburten sind alltäglich. Die Themen ändern sich, die Methoden bleiben. Aber das ist nicht nur kein Grund, es ist vielleicht sogar der Grund, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen. Und einen besseren Journalismus einzufordern, der auch der Aufgabe gewachsen ist, sich der realen Probleme in den Fußballstadien anzunehmen, die es tatsächlich gibt und die sich eben nicht auf Gewalt und Feuerwerk herunterbrechen lassen. Ein Nazi, der nicht zuschlägt oder mit Böllern herumspielt, ist immer noch ein Nazi. Der Familienvater, der den Schiedsrichter als „schwule Sau“ beschimpft, braucht immer noch Nachhilfe in Sachen Homofeind­lichkeit und Diskriminierung. Und die Presseleute, die in ihrer VIP-Lounge von afrikanischen Spielern als „schwarzen Perlen“ schwärmen, während Affenrufe durch Fanblocks schallen, ja, die sind leider auch immer noch da.

teckla

Schlandort

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