Leipzig schwarz-rot (Teil 3)

Ein Rückblick auf 20 Jahre autonome Linke in Leipzig

Was bisher geschah: In der Wendezeit konnte sich in Leipzig-Connewitz eine starke Hausbesetzer_innenszene etablieren. Die städtischen Behörden ignorierten die Entwicklung zunächst, in manchen Punkten (etwa der Stadtteilentwicklung) waren sie auch zur Kooperation bereit. Das änderte sich, als es in der Nacht zum 28. November 1992 zu einer heftigen Straßenschlacht zwischen autonomen Besetzer_innen und der Polizei kam. Der Stadtrat einigte sich in der Folge rasch auf die neue „Leipziger Linie“: Neu besetzte Häuser sollten sofort geräumt, bestehende Projekte legalisiert und teilweise in andere Viertel zwangsumgesiedelt werden. Mit dieser Dezentralisierungspolitik wollte man das in der Connewitzer Szene vorhandene Unruhepotential entschärfen, sorgte aber gerade so für neue Unruhe.

Der Hardliner

Kurz nach den Ereignissen im November 1992 hatte sich auch ein Bürgerverein gegründet, der den Besetzer_innen das Leben schwer machte. Zentrale Figur war dabei der Hotelbesitzer Frithjof Schilling. Insbesondere das Zoro war diesem ein Dorn im Auge – auch aus geschäftlichen Motiven heraus, lag es doch in unmittelbarer Nähe des von Schilling betriebenen Hotels. Die Folgen bekam das Projekt bald zu spüren. Am 24. 8. 1993 meldete die LVZ: „Genervte Anwohner fordern kategorisch die Räumung“. Von denen kam in dem Artikel freilich nur einer zu Wort. Frithjof Schilling nämlich, der sich als Hardliner profilieren durfte: „Das Zoro muss weg“. Ansonsten, drohte Schilling, müsse man wohl eine Bürgerwehr gründen, um sich gegen die Chaoten zur Wehr zu setzen: „Ich kämpfe um meine Existenz, denn ich habe einen belegbaren finanziellen Schaden“ durch die Lärmbelästigung, besonders bei Konzerten. Richtig jammern will aber gelernt sein: Allzu groß war die Existenznot wohl nicht. Immerhin bot Schilling im selben Artikel an, das Zoro abzureißen und auf dem Gelände für stolze 10 Millionen Mark Wohngebäude hinzuklotzen. Einen entsprechenden Antrag hätte er schon bei den Behörden eingereicht.

Die gingen nicht auf dieses großzügige Angebot ein, verlangten aber vom Zoro eine deutliche Reduktion des Lärmpegels („Ab 22 bzw. 23 Uhr muss Ruhe herrschen“) und ein „tragfähiges Finanzierungs- und Betreiberkonzept“. Inwieweit es dem Bemühen des genervten Hotelbesitzers geschuldet war, wenn die vereinigten Bürokraten von Wohnungs-, Ordnungs- und Gewerbeamt nun das Zoro in Existenznot brachten, ist fraglich. Mit solchen Problemen hatte das seit Dezember 1991 bestehende Projekt schließlich von Anfang an zu kämpfen gehabt – so hatte die für das Gelände zuständige LWB bis dato alle Verhandlungen abgelehnt.

Dass die Behörden sich ihre Politik nicht von einem wildgewordenen Hotelbesitzer vorschreiben lassen wollten, hinderte Schilling nicht daran, auch künftig alle Verantwortlichen vom Stadtrat bis zum Innenministerium mit offenen Briefen zu belästigen. Letztlich hatten die Besetzer_innen aber den längeren Atem: 1997 warf Schilling entnervt das Handtuch, der Verein löste sich auf.

Bedrohte Projekte

Angesichts der rigorosen „Leipziger Linie“ verlor auch der in der Straßenschlacht vom November 1992 begründete „Mythos Connewitz“ langsam aber sicher an Glanz. Eine Besetzung in der Aurelienstraße im Leipziger Westen (aus der später das Plaque hervorging) wurde 1994 von der Staatsmacht nach kurzer Zeit beendet. Da die Bewohner_innen sich verbarrikadiert hatten, mussten die Beamten sich bei der Räumung vom Hubschrauber auf´s Dach abseilen. Sie stießen auf keine aktive Gegenwehr. Ein weiteres Haus, die Gute Quelle, wurde in völlig verwahrlostem Zustand von den Besetzer_innen aufgegeben. Und nicht nur das Zoro, sondern auch der Technoclub Distillery und das Werk II drohten von der Bürokratie zermahlen zu werden.

Ein Cee-Ieh-Artikel (1) vermutete böse Absichten dahinter: „Das Ordnungsamt wurde als ausführendes Organ an die Front geschickt. In jedem dieser Projekte fehlten plötzlich ´absolut notwendige´ Fluchtwege und projektspezifische Mängel wurden als Notwendigkeiten für den Weiterlauf der dort angebotenen Kultur erachtet.“ Beim Werk II kamen noch die unklaren Besitzverhältnisse des Geländes hinzu. Ursprünglich hatte es in ein großangelegtes „Stadtteilzentrum“ am Connewitzer Kreuz integriert werden sollen. Im März 1995 machte die Züblin AG, die den Gebäudekomplex übernehmen und sanieren sollte, aber nach langen Verhandlungen einen Rückzieher. Aufgrund des Entgegenkommens der Behörden konnte das Werk II dennoch bald darauf den Betrieb wieder aufnehmen.

Die Distillery dagegen musste sowohl der städtischen Dezentralisierungspolitik als auch dem Willen des Eigentümers weichen, der die Neubebauung des Geländes plante. Obwohl die Behörden zusicherten, so bald wie möglich eine Ausweichobjekt zur Verfügung zu stellen, fürchtete das Projekt um seine Existenz. Verbale Unterstützung bekam es für sein Anliegen nicht nur vom Leiter des Jugendamts, Wolfgang Tiefensee. Auch sonst gelang dem Technoclub eine breite Mobilisierung. Zu einer nächtlichen Partydemo am 4. März 1995 fanden sich etwa 800 Raver_innen ein. Trotzdem gelang es nicht, die Schließung zu verhindern: Das Ordnungsamt ließ die Distillery zumauern.
Am 10. März fand eine Spontandemo statt, an der „mehr als 1000 zum Teil vermummte Jugendliche“ (LVZ) teilnahmen. Im Anschluß kam es zu einer Straßenblockade am Connewitzer Kreuz, die von der Polizei „mit massivem Einsatz“ beendet wurde. Einen Tag später waren es dann schon 2000 Menschen, die bei einer von der neu gegründeten Initiative gegen Umstrukturierung organisierten Demo auf die Straße gingen.

Am 18. März wurde die Distillery von einem Sonderkommando der Polizei gestürmt. Auf Gegenwehr trafen die Beamten nicht, dafür auf drei Mitarbeiter des Ladens, die sich Zugang verschafft hatten und gerade dabei waren, für eine abends geplante Party aufzuräumen. Sie wurden prompt verhaftet. In den Abendstunden waren die Herren und Damen in Grün mit Wasserwerfern und fünf Hundertschaften in Connewitz vor Ort – der Einsatz wurde vom Landes-Polizeipräsidenten persönlich geleitet. Nach einigen weiteren Querelen fand die Distillery schließlich ein neues Domizil in der Südvorstadt.

Der Kongress

Um der Szene neuen Schwung zu geben, verfielen einige Leute Ende 1994 auf die Idee, einen BesetzerInnenkongress zu organisieren. Der Anstoß dazu ging vom wöchentlichen Offenen Antifa-Plenum im Conne Island bzw. von dem von diesem initiierten „Connewitz-Plenum“ aus, zu dem man nicht nur die Bewohner_innen des Viertels, sondern allgemein alle am Erhalt der „Freiräume“ Interessierten einlud. Ein Treffen, das laut einem Beobachter von „einen fast schon unheimlichen, weil ungewohnten Willen zur Konstruktivität“ geprägt war: „Das Harmoniebedürfnis einiger ging stellenweise sogar so weit, reale Differenzen und Unterschiede der einzelnen Projekte in regelmäßig stattfindenden `Friedensrunden` wegzutransformieren“ (2).

Mit dem Kongress wollte mensch sich nicht nur personelle Verstärkung von außerhalb holen und die überregionale Vernetzung stärken. Auch notwendige interne Debatten sollten endlich mal geführt werden. Die „theoretische Beschäftigung mit der Geschichte von Hausbesetzungen“ sollte helfen, alte Fehler zu vermeiden, Diskussionsrunden und Vorträge über den „Stand und die Perspektiven der Jetzt-Zeit“, „Kiezpolitik und Öffentlichkeitsarbeit“ sollten der Entwicklung zukunftsträchtiger Strategien dienen (3). Das praktische Hauptziel war aber, die Verantwortlichen der Leipziger Linie auf lokaler und Landesebene stärker unter Druck zu setzen.

In der Leipziger CDU-Ortsgruppe sah man deswegen Connewitz schon als künftiges „Mekka der deutschen Hausbesetzerszene“. Besonders empörend fand man es aber, dass der Kongress u.a. im von der Stadt finanziell geförderten Conne Island stattfinden sollte. Auch Ordnungsamtsleiter Tschense fürchtete sich vor Krawalltouristen (Prognosen des sächsischen Innenministeriums zufolge wurden etwa 3000 Teilnehmer_innen erwartet), versuchte aber gleichzeitig zu beruhigen: „Wir werden alles tun, um Ausschreitungen zu verhindern.“ „Wenn sich die Leipziger von Randalierern aus anderen Städten distanzieren, haben wir schon viel erreicht.“

Trotz dieser Panikmache konnte der Kongress vom 12. bis 14. Mai 1995 wie geplant stattfinden. Die Mobilisierung blieb leider weit hinter den Erwartungen zurück, die Veranstaltungen wurden nur von mageren 100 bis 300 Gästen frequentiert. Im Cee-Ieh-Newsflyer zog ein Teilnehmer kritisch Bilanz: „Viele Redebeiträge versuchten immer wieder die Gemeinsamkeit, nämlich den praktischen Akt der Besetzung, als für alle bestimmend hervorzuheben. Davon ausgehend wurde dann fröhlich aneinander vorbeigeredet und subjektive Erfahrungen gemischt mit Gesamtweltansichten verhinderten die Diskussion theoretisch zugespitzter Sachverhalte“ (4). Das war eben die Negativseite des szeneinternen Harmoniebedürfnisses, das eine produktive Debatte über unterschiedliche Motive und Ziele von Besetzungen und daraus folgende Konflikte nicht zustande kommen ließ.

An der großen Abschlussdemo, die am 14. Mai unter dem Motto „Kein Frieden ohne Häuser – Der Zukunft ein Zuhause“ über die Bühne ging, nahmen 1000 bis 1500 Leute teil, denen ein aus fünf Bundesländern zusammengekarrtes Großaufgebot der Polizei gegenüberstand. Die Demonstration verlief friedlich, bot aber insgesamt ein eher trauriges Bild: „Vielleicht wurde die Gefahr für die Leipziger Projekte (…) im Falle einer Eskalation (…) zu oft beschworen (…) Die Demo glich eher einem Trauermarsch und sich selbst bemitleidendem Wanderkessel, die vorangegangene und bestehende Bewegungsträume zu Grabe trug.“

Neuer Schwung ging von dem Kongress also nicht aus. Die Aktivitäten der Szene beschränkten sich folglich immer mehr auf business as usual, die Verteidigung und Sicherung der bestehenden Projekte – die Zeichen der Zeit standen auf Verhandlung und Legalisierung. Aber dazu mehr im nächsten Heft…

(justus)

(1) www.conne-island.de/nf/10/14.html

(2) www.conne-island.de/nf/11/17.html

(3) www.conne-island.de/nf/8/12.html

(4) www.conne-island.de/nf/12/16.html

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