Leipzig schwarz-rot (Teil 4)

Ein Rückblick auf 20 Jahre autonome Linke in Leipzig

Trotz des steten Kleinkriegs mit den Behörden und ihrer harten „Leipziger Linie“ hatte sich die Connewitzer Szene in der zweiten Hälfte der 90er Jahre längst zu einer festen Größe entwickelt. Aber die Situation blieb unsicher, der rechtliche Status vieler Häuser war immer noch ungeklärt. Man war also dem Gutdünken der städtischen Behörden ausgesetzt, die im Zweifelsfall allemal am längeren Hebel saßen.

So stand ein Großteil der Szene der gutbürgerlichen „Außenwelt“ nach wie vor misstrauisch gegenüber. Ein Misstrauen, das mitunter zur ausgewachsenen Paranoia werden konnte, aber nicht ganz unberechtigt war. Denn umgekehrt galt Connewitz nicht nur dem örtlichen Bürgerverein, sondern auch den Hardlinern der Leipziger CDU-Fraktion und der Landesregierung nach wie vor als potentieller Krisenherd, den es mit allen Mitteln des staatlichen Gewaltmonopols zu befrieden galt. Die Rede vom angeblich „rechtsfreien Raum Connewitz“ wurde so zum wahren Mantra, das von den Fans von Ruhe und Ordnung bei jedem Anlass mahnend wiederholt wurde. Andererseits trug gerade das zum „Mythos Connewitz“ bei, der weit über die Grenzen des Kiezes hinauswirkte. Das zog neue Leute ins Viertel, die für neue Dynamik, aber auch für neue interne Konflikte sorgten.

Organisieren!

Die Leipziger Linie stellte eine permanente Bedrohung für  die „Szene“ dar. So wurde nun das Fehlen einer offiziellen Instanz, welche die Besetzer_innen bei den Verhandlungen mit der Stadt hätte vertreten können, zunehmend als Mangel empfunden. In der Wendezeit hatte die Connewitzer Alternative diese Funktion übernommen, der Verein war aber letztlich an den Alleingängen seines Vorsitzenden gescheitert (siehe FA! 35). 1995 war es Zeit für einen neuen Versuch.

Im September dieses Jahres wurde die Alternative Wohngenossenschaft Connewitz (AWC) gegründet. Die meisten der besetzten Häuser und selbstverwalteten Projekte waren daran beteiligt, 41 Personen und fünf Vereine waren bei der Gründung dabei. Die AWC verstand sich als „selbstorganisiertes Jugendprojekt zum Aufbau, zur Entwicklung und Weiterführung von alternativer Kultur im weitesten Sinne“, war also ähnlich wie die Connewitzer Alternative nicht vordergründig politisch, sondern eher lebensweltlich ausgerichtet. Die damit einhergehende implizite oder explizite Abgrenzung gegen Antifa- und sonstige Politgruppen provozierte dabei freilich auch szeneinterne Kritik. Aber immerhin: Neben den informellen internen Organisationsstrukturen bekam die Besetzer_innen-Szene damit nun einen offiziell-institutionellen Rahmen.

Auch als Folge der Erfahrungen mit der Connewitzer Alternative sollte die neue Genossenschaft auf einer breiteren Basis stehen. Die Verantwortlichkeit für alle größeren Entscheidungen wurde der Mitglieder-Vollversammlung übertragen. Während der Verein die Verhandlungen mit Stadt und Hauseigentümer_innen übernahm, blieb die Vergabe des Wohnraums den einzelnen Projekten überlassen. Dieser basisdemokratische Anspruch konnte aber nicht verhindern, dass sich auch bei der AWC bald eine informelle Arbeitsteilung herausbildete, die lästigen Routineaufgaben also an wenigen Verantwortungsträger_innen hängen blieben.

1997 wurde die AWC ins Genossenschaftsregister eingetragen und erlangte dadurch Rechtsfähigkeit. Aber schon vorher kam die Stadt der AWC entgegen. Denn auch den Behörden war an einer Verrechtlichung der wechselseitigen Beziehungen gelegen – auch aus handfestem Interesse heraus, denn schließlich gingen mit einer Legalisierung der Häuser auch neue Möglichkeiten zur Kontrolle und Einflussnahme einher. So wurde in einem am 26. August 1996 verabschiedeten Stadtratsbeschluss (der sogenannten Connewitz-Vorlage) der Bestand der besetzten Häuser garantiert. Die Häuser sollten schrittweise von der Stadt ihren jeweiligen Eigentümer_innen abgekauft und der AWC zur Erbpacht überlassen werden.

Leipziger Bruchlinien

Diese Entwicklung wurde nicht nur freudig aufgenommen. So interpretiert z.B. ein im Szeneblatt Klarofix (6/96) erschienener Artikel die „OBM-Vorlage“ als weiteren Versuch, die Szene politisch ruhigzustellen: „Spaltung, der Rückzug des einen Teils in Teilbereichspolitik oder das Private und die repressive Zerstreuung des ´unsozialisierbaren´ Restes sind vorprogrammiert.“ Damit ist die Zielsetzung der städtischen Politik, die Trennung von „braven“ und „bösen“ Besetzer_innen, wohl treffend beschrieben.

Die AWC wurde dabei nur als Teil eines größeren Problems gesehen: Der zunehmenden Entpolitisierung und Entsolidarisierung innerhalb der Szene, die der Artikel am Beispiel der Stockartstraße verhandelt, wo sich im halb verfallenen Hinterhaus der Stö 3/5 eine Clique von Jugendlichen eingerichtet hatte. Die Alteingesessenen standen den Kids eher ablehnend gegenüber. Nicht ganz ohne Grund. Der Artikel zitiert die Aussage einer anonymen Connewitzerin: „Die Inhalte, die hier in Connewitz vorherrschend waren, fallen hinten runter, durch die Beschäftigung mit Kleinkriminalität und Dealerei (…) Heute gehst du an der Stö vorbei und wirst von Leuten, die du nicht mal kennst mit ´eh du Votze´ belegt. Früher wären solche Leute rausgeflogen, heute ist das ganz normal.“

Das scheint tatsächlich eine allgemeine Tendenz wiederzugeben, denn etwa zur selben Zeit wurde im Klarofix rege über die homophoben Ausfälle von Connewitzer Punks debattiert. Ein Teil der „ersten Generation“ der Connewitzer Szene hatte sich in der einmal erkämpften Nische häuslich eingerichtet, ein weiterer Teil wieder in alle Himmelsrichtungen zerstreut, die ursprünglichen personellen Zusammenhänge zerfielen also teilweise. Gleichzeitig zog die einmal etablierte Nische neue Leute mit anderen Motiven und Hintergründen an. So ging auch der ursprünglich (vielleicht) vorhandene gemeinsame Grundkonsens nach und nach verloren.

Das Fazit des Artikels ist dementsprechend düster: „Wenn aber der Freiraum zum Leerraum wird, wenn Möglichkeiten immer mehr ungenutzt bleiben“, dann verwandle sich der Mythos Connewitz „spätestens jetzt in eine Bedrohung, wird doch dadurch notwendige Analyse verhindert. Die Genossenschaft, derzeit Hoffnungsträger Nummer eins, wird an den bestehenden Problemen genauso wenig ändern können, wie die Resignation, die sich breit gemacht hat.“

Die Reaktionen auf den Artikel waren gespalten. „Es gibt einen Weg, und dieser Weg heißt Genossenschaft, und die wiederum macht nur Sinn mit einer umgesetzten OBM-Vorlage. Wie viele Häuser müssen denn noch den Bach runtergehen, bevor auch der letzte kapiert, dass man mit den brachialromantischen Revoluzzerkonzepten (…) nicht weiter kommt?“ Andere begriffen die Connewitz-Vorlage eher pragmatisch als „einzige Chance, von Connewitz zu retten, was noch zu retten ist“. Andere dagegen sahen die AWC (entgegen der ursprünglichen Intention) schon als „verlängerter Arm der Stadtverwaltung“ enden.

Weltfestspiele

Während die Szene in Connewitz so vor sich hinkriselte, gab es in anderen Stadtteilen neue Bewegung. In Plagwitz zum Beispiel, ähnlich  wie Connewitz ein altes Arbeiterviertel mit vielen leerstehenden Häusern und Industriebrachen. Am 19. April 1997 machte eine Gruppe von jungen Menschen mit einer Aktion auf sich aufmerksam: Eine symbolische Hochzeit mit einer Villa in der Karl-Heine, die sie sich als künftiges Domizil ausgesucht hatten. Die anschließende Besetzung wurde zwar von der Polizei in der üblichen rabiaten Weise beendet, aber immerhin brachte die Performance Aufmerksamkeit und Sympathien ein – selbst die sonst eher obrigkeitstreue LVZ berichtete wohlwollend. Im Februar 1998 ging der Protest mit einer Aktionswoche in die zweite Runde. Die Plagwitzer errichteten in der Innenstadt ein Zeltlager, um gegen die Leipziger Linie zu protestieren, die sie trotz des hohen Leerstandes im Leipziger Westen vom eigenen Wohn- und Kulturprojekt trennte. Die Verhandlungen mit Behörden und Eigentümer_innen sollten sich noch eine Weile hinziehen, bis 1999 aus dieser Initiative die Gieszer 16 hervorging (siehe FA! 20).

Der letzte größere Anlauf zur Durchbrechung der „Leipziger Linie“ wurde mit den „Weltfestspielen der Hausbesetzer“ im April 1998 unternommen. Das Ordnungsamt sah sich deswegen sogar genötigt, eine allgemeine Verfügung für das Wochenende zu erlassen: „Es ist verboten, im Stadtgebiet offene Feuer zu entfachen, Barrikaden zu errichten und Straßenfeste zu veranstalten.“

Aus dem angestrebten Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde für die meisten Hausbesetzungen in 24 Stunden wurde leider nichts. Zwar beteiligten sich etwa 250 Leute, in Connewitz, der Südvorstadt, Plagwitz, Neuschönefeld, Eutritzsch und Kleinzschocher wurden Häuser besetzt, die aber nicht gehalten werden konnten. „Meist gingen die Leute vorn rein, hängten Plakate aus und verschwanden hinten wieder raus“, erläuterte ein Polizeisprechen gegenüber der LVZ die Taktik.

Bei einem Haus in der Südvorstadt hatte sich eine Gruppe von 15 Besetzer_innen auf dem Dach verschanzt und verteidigte sich mit Steinwürfen gegen die Polizei. Die setzte schließlich Wasserwerfer ein, um die Besetzer_innen zum Verlassen des Daches zu bewegen. Gegen die Besetzer_innen wurden Strafverfahren eingeleitet, u.a wegen „versuchten Totschlags“. Die Polizei vermeldete insgesamt 88 Festnahmen, 11 Häuser seien geräumt, weitere 22 auf Aufforderung von den Besetzer_innen wieder verlassen worden. Die Veranstalter_innen sprachen dagegen von 120 besetzen Häusern.

Holger Tschense, Dezernent für Ordnung, Umwelt und Wohnen, wertete die Festspiele als „Provokation“. Die hätte als gelungen gelten können, wäre die Aktion nicht durch einen tragischen Zwischenfall überschattet worden: Ein Besetzer stürzte beim Anbringen eines Transparents vom Balkon und kam dabei ums Leben.

Im nächsten (und voraussichtlich letzten) Teil dieser Serie nähern wir uns schnurstracks dem Ende der 90er Jahre. Dann erfahrt ihr u.a., warum das Connewitzer Kreuz bei der Polizei als „gefährlicher Ort“ gilt und wo Christian Worch die Inspiration für seine regelmäßigen Aufmärsche hernahm. 

(justus)

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