Leipziger Drogengespräche

Man kennt die Situation aus der Kneipe: Eigentlich will mensch nur gemütlich sein Glas austrinken. Aber der Typ nebenan am Tresen hört einfach nicht auf zu reden. Zusammenhangslose Sätze. In ohrenbetäubender Lautstärke. Ohne sich drum zu kümmern, dass es keine_n interessiert. Das eigene Glas ist noch halbvoll. Also muss mensch sich notgedrungen mit dem Typen auseinandersetzen. Verbal und so weit es geht vernünftig. In der Politik passiert so was ständig und nennt sich dann „Debatte“. Eine Debatte, die gerade besonders eifrig geführt wird, ist die Leipziger „Drogendebatte“. In der Hauptrolle als Typ am Tresen: Landespolizeipräsident Bernd Merbitz (CDU). Spitzen wir mal die Ohren, denn gerade haben sich ein paar jugendlich-naive LVZ-Journalisten mit ihm auf ein Interview eingelassen… Eben hat Merbitz noch halblaut und grimmig in sein Bierglas gemurmelt, als ihn die Burschen mit besorgter Miene von der Seite ansprechen: „Herr Merbitz, müssen die Leipziger Angst haben?“*

Diese Frage kann Merbitz nur mit „Ja“ beant­worten. Ja, sie müssen, denn „schon morgen kann jeder das Opfer sein.“ Opfer von fiesen Rauschgiftkriminellen: „Seit geraumer Zeit hat Leipzig im Freistaat die meisten Straftaten, und einer der Schwerpunkte ist die Rauschgiftkriminalität. Gerade in diesem Bereich haben wir auch eine sehr hohe Dunkelziffer.“ Dunkelziffer, genau. Das macht die Rauschgiftkrimi­na­li­tät ja so gefährlich, dass man sie meist gar nicht bemerkt.

Noch schlimmer ist es, wenn sie doch mal an die Oberfläche schwappt. Dann ist sie allerdings genau genommen keine Rauschgift-, sondern so genannte Beschaffungskriminalität: „Die Täter, die wir gerade bei Einbrüchen und Raubüberfällen stellen, das sind fast alles Drogenkonsumen­ten.“ Es geht also um Einbrüche und Raub­über­fälle, und nicht direkt um Drogen. Aber egal, denn Einbrüche und Überfälle gibt es laut Merbitz immer öfter: „Überfälle un­ter Anwendung von Waffen gab es in diesem Jahr bislang 251, davon 55 auf Geschäfte.“

Da kann man natürlich nicht nur Däumchen drehen: „Wir sind als Polizei gezwungen, härter dagegen vorzugehen.“ Bisher dachte mensch immer, die Polizei müsste schon von Berufs wegen gegen Kriminelle vorgehen. Aber wenn sie jetzt dazu gezwungen ist, dann ist das natürlich auch nicht schön… Für Merbitz ist es sogar noch schlimmer. Ihn verletzt es tief, wenn seine Beamt_innen so zu Bütteln des staatlichen Gewaltmonopols herabgewürdigt werden: „Wenn versucht wird, die Polizei zu kritisieren nach dem Motto: ´Kümmert euch um eure Sachen!´, dann tut mir das auch als Landespolizeipräsident weh.“ Das ist natürlich traurig, wenn es wehtut. Aber was will Merbitz eigentlich?

Vor allem weniger „Wohlfühlpolitik“ für die Drogenabhängigen. So hält er es für grundverkehrt, wenn manche Leute in der Stadtverwaltung meinen, Sozialar­bei­ter_innen sollten vor allem Sozialarbeit machen und keine Verbrecher jagen. Denn eben weil die So­zial­arbeiter_innen so viel Sozialarbeit ma­chen, kommen doch die ganzen Abhängigen nach Leipzig! Und wenn sie erst mal da sind, dann rauben sie zwangsläufig irgendwann auch Tabakläden aus! Und die Polizei muss dagegen vorgehen – das geht doch nicht!

Ganz besonders schlimm findet Merbitz die Leipziger Drug Scouts**. Die haben nämlich eine Broschüre herausgegeben, wo Tipps für das Verhalten bei Polizeikontrollen drinstehen: „Solche Flugblätter (…) empfinde ich als Kampfansage. Es bedeutet doch nichts anderes als dass Leuten, die etwas Strafbares getan haben, geholfen werden soll, sich gegen jene zu schützen,  die für Recht und Ordnung sorgen. Ich halte das für äußerst kritisch.“ Das muss man sich mal vor­stellen: Da postieren sich Poli­zist_innen z.B. bei Open-Air-Festivals an den Zufahrtsstraßen, um die hohe Dunkelziffer der Rauschgiftkriminalität ein wenig aufzuhellen. Und dann kommen Leute, die etwas Strafbares getan haben oder noch tun könnten, ohne Strafe davon! Das ist doch wirklich gemein von den Drugs Scouts. Findet Merbitz: „Wir müssen deshalb darüber nachdenken, und haben dies auch schon teilweise getan, ob dies überhaupt ein Projekt ist, das förder­wür­dig ist.“

Und überhaupt sei die Leipziger Drogenpolitik „eine tickende Zeitbombe“. Es müssten also endlich „Taten“ her, man müsse „Probleme lösen“, „konkrete Schritte“ einleiten, also ganz konkret „gute Pläne schmieden, diese dann aber auch mit aller Konsequenz umsetzen“. Also irgen­dwie jetzt aber mal richtig hart durchgreifen: „Die Stadt muss wissen: Drogenprävention sollte auch Bekämpfung sein.“ Recht hat er! Am Besten wäre es, man würde diese ganze Kriminalität einfach verbieten.

Die andern Gäste verdrehen derweil genervt die Augen. Ja, ja, it´s a never ending story, der ewige Streit zwischen schwarz und rot, Dresden und Leipzig, CDU-Landesregierung und SPD-Bürgermeister: Wenn die nächsten Wahlen anstehen, versucht die CDU sich gegenüber der angeblich zu liberalen Leipziger SPD mit „Law-and-order“-Parolen zu profilieren. Dass Merbitz selbst CDU-intern als hoffnungsvoller Kandidat für den Posten des Leipziger Oberbürgermeisters gilt, passt da nur zu gut. So durchsichtig das Manöver ist, so wenig wundert es, dass nun alle Merbitz widersprechen: Der Sozialbürgermeister, die Suchtbeauftragte der Stadt, Abgeordnete von Grünen, der LINKEN und SPD, die Leipziger Liberalen… So ist das eben in solchen Debatten. Der Typ am Tresen redet einfach weiter. Also muss mensch sich notgedrungen mit ihm auseinandersetzen. Verbal und so weit es geht vernünftig.

justus

* Die Zitate stammen aus einem Interview, aus der Leipziger Volkszeitung vom am 14. 5. 2011.
** www.drugscouts.de

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