Leit(di)vision

Deutschland führt wieder Krieg…

…und in der „Friedenshauptstadt“ Leipzig sitzt die Einsatz-Zentrale für den Sommer 2004 (1).Um in der neuen Weltordnung mitmischen zu können, baut Deutschland seine Armee radikal um. Seit Jahren wird das Kernstück der neuen deutschen Großmachtambitionen geschaffen: eine mit modernsten Waffensystemen ausgerüstete, global einsatzfähige Interventionstruppe. Wichtiger Bestandteil der Umstrukturierung ist der Aufbau so genannter Leitdivisionen. Eine dieser Divisionen ist die 13. Panzergrenadierdivision mit Sitz in der Leipziger Olbricht-Kaserne. Dort, im Stadtteil Gohlis, werden die Kriege mit deutscher Beteiligung im Sommer und Herbst 2004 vorbereitet und angeleitet. Doch weder die radikale Linke, noch die Friedensbewegung scheren sich bisher sonderlich darum.

Am 15. Mai starteten die ersten 700 SoldatInnen von Leipzig nach Kabul – von der Stadt mit feierlichem Zeremoniell verabschiedet und von keinen KriegsgegnerInnen gestört. Dies wird sich in Zukunft öfter wiederholen, denn hier entstand im letzten Jahr für geschätzte 40 Millionen Euro eines von bundesweit fünf Schulungs- und Koordinierungszentren für Besatzungstruppen, ohne das deutsche Auslandseinsätze über längere Zeit nicht organisiert werden könnten. Da sich bei vergangenen Einsätzen gezeigt hat, dass die auf Blockkonfrontation geschulten deutschen Truppen Schwierigkeiten haben, mit den unübersichtlichen Gemengelagen in Bürgerkriegen umzugehen, werden den Leitdivisionen umfangreiche Schulungsaufgaben auferlegt. In Leipzig bzw. auf dem Truppenübungsplatz Altmark in Sachsen-Anhalt lernen Soldaten, wie man Hausdurchsuchungen durchführt, Demonstrationen auflöst und auch bei tropischer Hitze einen kühlen Kopf behält. Doch die Hauptaufgabe der Leitdivision besteht darin, die Truppe zu koordinieren und mit Personal zu bestücken.

Auslandseinsätze sind mit enormen Stress und Verschleiß der beteiligten SoldatInnen verbunden, weswegen diese halbjährlich ausgewechselt werden. Damit die Dauerrotation von Truppenteilen nicht zum Chaos führt, wurden die beteiligten Einheiten an zentralen Standorten zu Leitdivisionen zusammengefasst, die reihum das notwendige Besatzungspersonal stellen. Im Einzelnen sind das die Panzerdivisionen in Hannover, Düsseldorf und Sigmaringen sowie die Panzergrenadierdivisionen in Leipzig und Neubrandenburg. Von Leipzig aus werden SoldatInnen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern nach Afghanistan und auf den Balkan geschickt. Nach dem „humanitären“ Dienst wird die Truppe die nächsten zwei Jahre für kommende Einsätze geschult, bis die Funktion der Leitdivision wieder an die Pleiße wechselt.

Heute am Hindukusch und morgen in der ganzen Welt

Den Hintergrund dieser Einrichtungen bildet die Bundeswehrreform, die die internationalen Einsatzmöglichkeiten der bis dato noch auf Landesverteidigung ausgerichteten Bundeswehr effektivieren und ausweiten soll. Unter dem Motto „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“ erfolgt deshalb seit Dezember 2002 die tiefgreifendste Umstrukturierung der Bundeswehr seit ihrer Gründung. Seit Mai 2003 ist dies in neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) verbindlich festgeschrieben: „Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren (…) stellt Deutschland (…) Streitkräfte bereit.“

Deutschland wird in den VPR v. a. als Opfer von Bedrohungen dargestellt, ebenso deutlich wird aber auch, dass es um Wirtschaftsinteressen geht, die militärisch durchgesetzt werden, denn: „die deutsche Wirtschaft ist aufgrund ihres hohen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen (…) Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen (…) zusätzlich verwundbar.“ Aus der Schlussfassung der VPR wurde zwar das im Entwurf enthaltene Präventivkriegskonzept gestrichen, die gewählte Formulierung lässt aber alle Interpretationen zu: „Die sicherheitspolitische Lage erfordert eine auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen und Konflikten zielende Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Instrumente und Handlungsoptionen umfasst.“

Die Bundeswehr ist diesen Anforderungen schon nachgekommen, die Reform ist in vollem Gange. 130.000 SoldatInnen sind insgesamt für Auslandseinsätze vorgesehen. Derzeit ist Deutschland mit 7.640 SoldatInnen der zweitgrößte Truppensteller nach den USA. Den Großteil stellt das Heer. Als Eingreifkräfte stehen eine Division für Luftbewegliche Operationen und die Division Spezielle Operationen bereit. Teil der letzten ist auch das Kommando Spezialkräfte, welches in Afghanistan erstmals ins Blickfeld der Öffentlichkeit geriet. Die Leitdivisionen, z.Z. also Leipzig, dienen als so genannte Stabilisierungskräfte für längerfristige Einsätze.

Maulhelden? Nicht mal das!

Wie verhält man sich in Leipzig dazu? In der Stadt, die während des Irakkrieges zur Hauptstadt der Friedensbewegung gemacht wurde, herrscht beim Thema „Ausbau Leipzigs zur internationalen Interventionszentrale“ Desinteresse und Schweigen. Ein Großteil der „KriegsgegnerInnen“ sieht in den Stadtoberen die größten Friedensengel. So durfte OBM Tiefensee schon zu Beginn des Irakkriegs auf den Montagsdemos gegen die USA wettern und gleichzeitig das friedliebende Wesen der Stadt preisen. Währenddessen treibt Parteifreund Struck die Aufrüstung der Bundeswehr zur global einsatzfähigen Armee weiter voran. Tiefensee hat auch kein Problem damit, zur Olympiabewerbung und demnächst bei den anstehenden 15-Jahr-Feiern das Phantom der „friedlichen Revolution“ zu beschwören, während sich SoldatInnen in der Olbricht-Kaserne auf die nächsten Auslandseinsätze vorbereiten. In Leipzig stehen Militär und Stadtobere Seite an Seite. ‚Die Olbricht-Kaserne liegt nicht nur im Herzen der Stadt, sie liegt den Bürgern auch am Herzen“, chirurgt der OBM in der Leipziger Volkszeitung.

Doch auch linke Gruppen haben sich bisher kaum mit den Kriegsstrukturen vor ihrer Haustür auseinandergesetzt. Die Zusammenarbeit während des Irakkrieges überstand die inhaltlichen Differenzen nicht lange. Insbesondere über das strategische Verhältnis zur Friedensbewegung, zerbrach das recht breite Bündnis, welches linksradikale Anti-Kriegs-Arbeit leisten wollte. Die beiden Hauptorganisatoren waren das Bündnis gegen Krieg und das Bündnis gegen Rechts. Ersteres fiel unter anderem wegen der enttäuschten Hoffnung auf linke Intervention in die Friedensbewegung in Lethargie und scheiterte jüngst bei dem Versuch, eine Handvoll Leute zur Störung des ersten Truppenauszugs aus Leipzig zu mobilisieren, letzteres macht derzeit in Ideologiekritik und will „Die neue Heimat Europa verraten“. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird also die Bundeswehr in Leipzig beim Kriegführen auch weiter nicht gestört werden.

Matthias Bernt, Andreas March, Torsten Schleip und Peter Ullrich

(1) Dieser Artikel ist eine überarbeitete Variante von „Kriegerische Leitkultur“, jungle world Nr.31, 21.7.2004

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