129a (StGB)-Verfahren gegen Linke in Sachsen-Anhalt
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ließ am Morgen des 27. November 2002 durch Beamte des Bundeskriminalamts und des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt vier Wohnungen in Magdeburg, Quedlinburg und Berlin durchsuchen. Am selben Tag wurden Daniel in der Wohnung seiner Mutter und Marco in Magdeburg auf offener Straße von Sondereinsatzkommandos der Polizei überwältigt und festgenommen. Sie standen zu diesem Zeitpunkt in den Augen der Ermittlungsbehörden in Verdacht, bei Anschlägen am 18. März 2002 an Polizeieinrichtungen in Magdeburg beteiligt gewesen zu sein.
Es handelt sich hierbei um zwei Brandanschläge auf das Gebäude des Landeskriminalamtes (LKA) in Magdeburg und auf Fahrzeuge des Bundesgrenzschutzes (BGS). Auf das Gebäude des LKA wurden in dieser Nacht zwei Brandsätze geworfen, die laut Polizeiangaben geringen Sachschaden anrichteten. Die Anschläge auf die Einsatzfahrzeuge des Bundesgrenzschutzes schlugen fehl, da die unter den Fahrzeugen deponierten Brandvorrichtungen nicht zündeten. Dadurch konnten diese von der Polizei sichergestellt und in den folgenden Prozessen als eines der Hauptbeweismittel verwendet werden. Auf einem der Postpakete, in denen die Brandsätzen deponiert waren, wurde später bei der Untersuchung, neben denen von vielen anderen Personen, auch ein Fingerabdruck von Daniel gefunden.
Da nach einem halben Jahr Untersuchungshaft für die beiden Inhaftierten sich jedoch abzeichnete, dass die Anschuldigungen der Generalbundesanwaltschaft vor Gericht aufgrund der dünnen Beweislage nicht durchsetzbar sein werden und Daniel und Marco eine erneute Haftprüfung vor der nächst höheren Instanz beantragt hatten, war die Generalbundesanwaltschaft zum Handeln gezwungen. Um eine von ihr angestrebte Anklage nach §129a auf Bildung einer terroristischen Vereinigung überhaupt vor Gericht zu bringen, musste diesem ein 3. Beschuldigter vorgeführt werden. So wurde am 16.4.2003 ein Magdeburger Linker – Carsten – verhaftet.
In der Anklageschrift gegen Carsten, Daniel und Marco, die im September 2003, fast ein Jahr nach den ersten beiden Festnahmen, erlassen wurde, erhob die Bundesanwaltschaft Anklage nach §129a wegen des Verdachts auf „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ in deren Namen Straftaten gegen den Staat und Konzerne begangen wurden. Dieser Vereinigung, zu der nach Behauptung der Staatsanwaltschaft die drei Beschuldigten gehört haben sollen, wurden noch zwei weitere Anschläge zur Last gelegt: Zum einen ein Brandanschlag im August 2001 auf zwei Neuwagen einer Magdeburger DaimlerChrysler-Niederlassung. bei dem ein Sachschaden von 150.000 Euro entstand, zum anderen ein Brandanschlag im Februar 2002 auf zwei Fahrzeuge der Deutschen Telekom. Der Sachschaden betrug hier 30.000 Euro.
Zu den verschiedenen Taten bekannten sich jeweils verschiedene Gruppierungen. Die Staatsanwaltschaft jedoch sah hinter allen eine einzelne „Terroristische Vereinigung“, als deren Kopf sie Marco darstellte.
Die folgende erste Verhandlung…
in der alle drei inhaftierten Linken gemeinsam der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt wurden, zog sich bis zur Urteilsverkündung am 16.12.2003 über 13 Prozesstage hin. Am 21.11.2003, dem vorletzten Verhandlungstag, hob der vorsitzende Richter die Haftbefehle gegen die drei Hauptangeklagten auf. In der Begründung bezeichnete der Richter eine Verurteilung der drei Angeklagten nach § 129a als nicht wahrscheinlich. Hintergrund hierfür war die Auflösungserklärung der Gruppe, deren Zugehörigkeit sie beschuldigt wurden, mit welcher der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und somit der bisherige Haftgrund entfiel. Dennoch wurden sie mit dem Urteil vom 16.12.03 zu Freiheitsstrafen von 2 Jahren und 6 Monaten für Marco und zwei Jahren für Daniel verurteilt. Carsten wurde aufgrund der nicht ausreichenden Beweislage freigesprochen.
Der Senat, vertreten durch Richter Hennig, führte aus, dass es sich zwar um Indizienbeweise gehandelt habe, die aber in seinen Augen ein Gesamtbild ergäben, welches ihm die politische und moralische Gesinnung der Angeklagten klar zeige und für ihn als Beweis der Mitgliedschaft in einer der sich zu den Anschlägen bekennenden Gruppe ausreiche. Die Verurteilung erfolge nicht auf Grund der tatsächlichen Tatbeteiligung, sondern ihrer geistigen, die sich aus der unterstellten Mitgliedschaft ergäbe. Ihre Verurteilung erfolgte somit indirekt auf der Grundlage des Paragraphen 129a.
Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung gingen gegen dieses Urteil in Revision. Für die Staatsanwaltschaft war diese Entscheidung des Gerichts ein versteckter Freispruch im Bezug auf den Vorwurf der Bildung einer Terrorzelle. Vorwürfe, die sie im Verlauf der Verhandlung durch erpresste Zeugenaussagen und sich ständig vor Gericht widersprechende Polizeibeamte zu untermauern versucht hatte. Für die Verteidigung kam ein solches Gesinnungsurteil auf Basis von haltlosen und schwammigen Indizien selbstredend nicht in Frage.
In der Revision…
wurde dann das Verfahren in drei getrennte Verhandlungen geteilt, um so die Möglichkeit zu haben, die Angeklagten gegenseitig als Zeugen zu laden. Dies war zuvor in einem gemeinsamen Prozess nicht möglich gewesen. Das erste Revisionsverfahren gegen Daniel eröffnete im April diesen Jahres. Im Verlauf der Verhandlung wurden Marco und der vorher freigesprochene Carsten am 2. Verhandlungstag mit Beugehaft belegt, da sie sich hinsichtlich ihrer noch laufenden Verfahren, abgesehen davon jedoch prinzipiell, weigerten gegen Daniel auszusagen. Ein generelles Aussageverweigerungsrecht nach §52a (StGB), nach dem niemand gezwungen werden darf eine Aussage zu machen, die ihn selbst belasten könnte, wiesen die Richter mit Verweis auf die getrennten Verfahren als nicht gegeben ab. Somit konnte den beiden auf Grund des selben Paragraphen eine Freiheits- und Geldstrafe auferlegt werden.
In dem Verfahren, das schon wieder in zweistellige Verhandlungsrunden geht, wurde von Seiten des Gerichts durch Verschleppung der Verhandlung der gesetzliche Rahmen von 6 Monaten Beugehaft voll ausgeschöpft. Es wurden z.B. mehrere Verhandlungstage nach weniger als 10 Minuten beendet und eine einmonatige Sommerpause eingelegt, um so eine Aussage von Marco und Carsten zu erzwingen. Dieses Verfahren läuft noch immer, das heißt noch immer sind Marco und Carsten im Gefängnis, da sie die tägliche Frage nach ihrer Aussagebereitschaft im Prozess gegen Daniel verneinen.
Schon zu Beginn der Ermittlungen…
und des sich anschließenden Verfahrens wurde offensichtlich, dass es sich hier um eine Profilierungsmaßnahme der Sachsen-Anhaltinischen Ermittlungs- und Rechtsprechungsbehörden handelt. Hier wurden die nach den Anschlägen im September 2001 auch in Deutschland verschärften Gesetze zur inneren Sicherheit dazu benutzt, linke Strukturen zu observieren und zu kriminalisieren. Im Rahmen eines 129a-Verfahrens sind der Staatsanwaltschaft Möglichkeiten gegeben, Ermittlungsmethoden anzuwenden, die bei anderen juristischen Tatbeständen keiner gesetzlichen Grundlage entsprechen. So wurden z.B. die Freundinnen der Angeklagten nicht als Familienmitglieder akzeptiert, damit man ihnen kein Aussageverweigerungsrecht zugestehen musste. Zusätzlich wurde ihnen im Vorfeld der Vernehmung eine Gefängnisstrafe angedroht, sollten sie sich dennoch weigern auszusagen. Hausdurchsuchungen, Telefonüberwachungen und Personenobservierungen führten desweiteren zu einer massiven Anklage- und Vorladungswelle in den Kreisen der Magdeburger Linken. Weiterhin bestand die Strategie der Anklage darin, sämtliche Verwandte und Freunde vorzuladen um Prozesstage zu füllen, und somit dem Gericht eine Zeitaufschiebung als prozessausführendes Organ zu verschaffen. Den entscheidenden Beweis konnten diese Zeugen nicht liefern. Alles was sie zu Protokoll gaben, waren Aussageverweigerungen und Alibibestätigungen, die schon im Prozess zuvor nicht anerkannt wurden. Die Androhung der Aussageerzwingungshaft für die geladenen Zeugen und die Anwendung auf Daniel, Marco und Carsten sind fragwürdige rechtsstaatliche Mittel, die jedoch in Verfahren gegen Gruppierungen, vornehmlich aus der linken Szene, sehr oft angewendet werden.
Es ging in diesem Verfahren nie um die Wahrheitsfindung bezogen auf die Brandanschläge, sondern um die Aufrechterhaltung eines durch die Staatsanwaltschaft errichteten Konstrukts einer terroristischen linken Gruppe. Die Methoden, solche Konstrukte zu fingieren und aufrecht zu erhalten, liegen in den Händen derer, die in ihren jeweiligen Schlüsselpositionen ihre Definitionsmacht anwenden und ausführen.
Der Aufwand, der bei den Ermittlungen und den Gerichtsverfahren betrieben wurde, muss sich im Sinne der Anklage natürlich rechnen und es darf nicht passieren, dass solche Verfahren mit Freisprüchen enden.
etap
Unterstützung, aktuelle Infos, Quellen unter: www.soligruppe.de
Der Paragraph 129
Der §129 ist seit seiner Einführung 1822 ein politisches Instrument. Der §129 StGB ist über 180 Jahre alt und hat seine späten Wurzeln im Kaiserreich: 1878 wurde er bekannt als das so genannte „Sozialistengesetz“, das Bismarck zur Bekämpfung der Sozialdemokratie einführte. In der Weimarer Republik wurde die staatliche Verfassung als Schutzgut in den Paragraphen mit aufgenommen und in der BRD der 50er und 60er Jahre spielte der §129 jetzt erstmals unter der Gesetzesüberschrift „kriminelle Vereinigung“ eine wichtige Rolle im Rahmen der Kommunistenverfolgung, besonders nach dem KPD-Verbot 1956. Zur Bekämpfung der RAF wurde eigens der §129a geschaffen, bis heute die wichtigste Norm im politischen Strafrecht, der eigentlich nach den RAF-Prozessen wieder abgeschafft werden sollte. Der §129a setzt Mitgliedschaft, Unterstützung und Werben für eine „terroristische Vereinigung“ unter Strafe. 2001 wurde der §129b eingeführt und kriminalisiert ausländische „terroristische Vereinigungen“. Die Abgrenzung zu Befreiungsbewegungen obliegt der Staatsmacht und wird nach politischen Eigeninteressen vorgenommen.
Der §129-129a-129b ist ein Sonderrechtssystem
Mit dem §129 wird nicht eine Person für eine nachgewiesen begangene Straftat kriminalisiert. Um nach §129 belangt zu werden, muss gar keine Straftat begangen worden sein. Allein die Mitgliedschaft in einer zu kriminalisierenden Vereinigung reicht für eine hohe Haftstrafe aus. Als Mitgliedschaft wird bereits gewertet, wer Kontakt zu anderen „Mitgliedern“ hat. Eine Vereinigung muss aus mindestens drei Mitgliedern bestehen. Nach der Strafprozessordnung besteht bei Ermittlungen nach §129 die Möglichkeit zu großflächiger Telefonüberwachung, zu Großrazzien in Wohnblocks, zur Errichtung von Kontrollstellen im Straßenverkehr und auf öffentlichen Plätzen mit der Möglichkeit zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung auch bei Unverdächtigten sowie zur Anordnung der sog. Schleppnetzfahndung mit der Möglichkeit zur Massenspeicherung von Daten und zur Rasterfahndung. Bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts wegen §129a darf die Untersuchungshaft verhängt werden, auch wenn ein Haftgrund wie Fluchtgefahr gar nicht vorliegt.