Militante Gruppe Leipzig

Jeder Albtraum nimmt ein gutes Ende

Es ist die Nacht vom 20. zum 21. Januar, der Morgen graut tief, als in kurzem Abstand drei Autos brandschlagen, das erste 3:42 Uhr – ein geparkter Kleintransporter, der völlig ausbrennt – das zweite 6:15 Uhr in einer Tiefgarage – ein Honda Cabrio – und schließlich das dritte gegen 6:35 Uhr – ein Transporter mit drei Kleinbussen auf der Ladefläche, davon zwei der Polizei; das Fahrerhaus des Lasters brennt aus, die Busse bleiben unversehrt. Die Stadt gähnt noch, als die Sirenen heulen. Der Tag 1 nach den Anschlägen beginnt sorglos, nur vier Versicherungsvertreter weinen und der Winterdienst ächzt. Die Nacht bleibt ruhig und hebt sich ihren Paukenschlag für den nächsten Morgen auf. Passend zum Frühstück meldet die LVZ den Erhalt einer E-Mail, in welcher sich eine sogenannte Militante Gruppe Leipzig bekennt, das Cabrio und den Laster angezündet zu haben. Weitere Anschläge werden angekündigt. Die Begründungen klingen dumpf und hohl. Zu eindeutig links. Darauf kolportiert der Staatsschutz die These, die rechte Szene könne ebenso hinter den Anschlägen stecken wie die linke. Auf jeden Fall Extremisten! Noch am gleichen Morgen öffnen sich an mehreren Orten die Kasernentore. Und am Tag 3, Sonntagmittag, pünktlich nach der Messe, verkündet Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal die Neue Leipziger Harte Linie: Man wolle in Zukunft Schluß machen mit dem Kuschelkurs und die „Sümpfe austrocknen“, auf denen der politische Extremismus der Linken wie Rechten gedeiht. Leipzig würde keine „menschenverachtenden Zündelein“ mehr dulden und eine „flächendeckende Brandschutzanlage“ installieren. Die Medien frohlocken, die Masse jauchzt. Zwei Sonderkommissionen sollen sich unter Federführung des Sächsischen Landeskriminalamtes und des Staatsschutzes um alle weiteren Ermittlungen kümmern. Zur Seite stehen den höheren Beamten zusätzliche Spezialeinheiten aus Berlin, Erfurt, Chemnitz und Dresden.

Die Hatz beginnt am darauffolgenden Montagmorgen. Gegen 5 Uhr stürmen Einsatzkräfte der Polizei fast zeitgleich das Lindenauer NPD-Büro und den linken Stadtteilladen Atari in Reudnitz. Beschlagnahmt werden Computer, Datenträger, Zeitungen, Plakate, Flyer, Werkzeuge und sogar Reinigungsmittel. In der nächsten Nacht schlagen die Behörden nach dem selben Muster zu. Diesmal trifft es ein Vereinslokal bekannter LOK-Hooligans und den Libertären Laden Libelle. Es gibt keine Festnahmen, die Polizei schweigt sich über Spuren aus. Im Verlaufe des Mittwochs, am Tag 6 nach den Anschlägen, kommt es zudem zu Komplexkontrollen in den Stadtteilen Reudnitz, Connewitz, Volkmarsdorf und Schönefeld. Es werden nach Dresscode gezielt Leute auf Waffen, Drogen und illegale Flugschriften durchsucht. Nachdem sich am Abend mehrere hundert Menschen am Conne Island versammeln, um das Gelände vor einer möglichen Razzia zu schützen, löst die Polizei die Versammlung kurzerhand auf. Die Flucht mehrerer AktivistInnen in die Büroräume des Projektes nehmen die Staatsbeamten dabei zum Anlass, um auch dort eine Hausdurchsuchung mit anschließender Beschlagnahme durchzuführen. Es kommt zu zahlreichen Festnahmen. Als der Gefangenentransporter provozierend langsam die Bornaische Straße Höhe Stockartstraße passiert, versuchen ca. zwei Dutzend Punker den Bus zu stürmen. Alle werden festgenommen, die Stöckertstraße abgeriegelt. Am nächsten Tag fordert der Stadtrat endlich Ergebnisse. Die Polizei schweigt sich aber weiterhin über mögliche Verdächtige aus. Abends: Solidaritätskundgebungen. Eine am Südplatz von den Linken und eine rechte in Schkeuditz. Es kommt zu Straßenschlachten und noch mehr Verhaftungen. Am darauffolgenden Freitag, also am Tag 8, erreicht zahlreiche linke und rechte Leipziger Vereine Post von den Ordnungsbehörden. Es geht um Mitgliederlisten, Fördermittel, Gemeinnützigkeit und Mietverträge. Die Nacht vom 29. zum 30. Januar wird zur Nacht der tausend Brände, die Stadt kocht bei Minusgraden. Der von der LVZ eingerichtete Auto-Counter zählt bis zum Samstagmittag 1367 gemeldete Autobrände.

Am Abend des neunten Tages endlich rührt sich auch die Militante Gruppe Leipzig wieder und kündigt über einen stadtbekannten Blog eine schnüffelsichere Online-Präsenz an. Schon am Sonntagmorgen von Tag 10 ist diese im Netz. Neuerlich bekennt sich die Gruppe zu einem weiteren Brandanschlag auf einen BMW-X5 (3:15 Uhr), droht den ermittelnden Beamten mit Ermordungen und der Veröffentlichung von einem ganzen Archiv voll von Bombenanleitungen und anderem brisanten Material. Sonntagmittag, pünktlich nach der Messe, tritt daraufhin der Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vor die Presse und verkündet seine Doktrin für die Sicherheit im Innern … dumpfes Klopfen, immer lauter. Sie sind schon da?! Nein, verdammt! So schnell??? Ich muss … aaaaaaahhhhhh!

Schweißgebadet wache ich auf und bin erleichtert. Püüh! Nur ein Traum. Ein wahrer Albtraum. Ich nehme einen Schluck Wasser und schalte die Nachrichten ein. Heute gegen Mittag, so höre ich, am Donnerstag des 04. Februar, also am Tag 14 nach den ersten Brandanschlägen, hat die Polizei einen dringend Tatverdächtigen aus der sogenannten Militanten Gruppe Leipzig festgenommen. Der 24jährige Tommy T. war bis vor ein paar Wochen noch Gesellschafter und Filialleiter einer bekannten Computerkette mit mehreren Läden in Leipzig und Umgebung. An seinen Kleidern fanden die Beamten Spuren von Brandbeschleunigern. Der ganz gewöhnliche Wahnsinn also, denke ich, und lehne mich beruhigt zurück. Nicht dumm, das Ganze politisch aufzuladen, um von sich abzulenken. Angesichts der bekannten Allergien des deutschen Staates aber auch nicht besonders klug. Ich muss schmunzeln. Fast hätte er mich reingelegt.

clov

Lokales

Schreibe einen Kommentar