No Name, No Fame, No Game?

Über den Leipziger Krieg der Farben

Leipzig hat einen neuen Aufreger – Graffiti. Jetzt werdet Ihr sagen: Aber das ist doch nicht neu! Graffiti gibt es in Leipzig schon ewig, jeder Hampelmann schmiert hier die Wände mit unverständlichen Kürzeln voll! Aber dann habt Ihr wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass jetzt in Leipzig Krieg herrscht. Ein Graffiti-Krieg. Graue Wände zu bemalen war ja schon immer schlimm, aber nun zittert die ganze Stadt unter den rücksichtslosen Aktionen der Sprüher-Crews. Die neue Qualität zeichnet sich jedoch nicht durch Mord- und Totschlag aus, wie man es von einem Krieg erwarten könnte. Nein, schlimmer. Hier zählt doch tatsächlich, wer wo das extremste Bild macht. Die Größe und Lage der be­malten Flächen ist derart alarmierend, dass die üblichen Verdächtigen aus Stadt, Wirt­schaft und Medien panisch aufschreien.

Die sich laut SpiegelTV bekriegenden Crews sind die Radicals alias RCS und die ORG-Crew. Manch Witzbold behauptet ja, ORG – das stehe für „Organisierte Radicals Gegner“. Und die Radicals – das sind laut den Witzbolden von SpiegelTV ja wieder­um die Gegner der ORG-Crew im „Graffiti-Krieg“ Leipzigs. (1)

Seit Jahren bestimmen sie mehr und mehr das Stadtbild – die Bombings der sich battlenden Crews in Burner Chrom mit Bitumen-Black-Outlines aus den 600er Cans der Underground-Writer, die an den Walls der LE-City swaggen, ohne jedoch eine Message zu spreaden, die conscious wäre.

Oder für die Nicht-HGB-Student_innen unter Euch: Gemeint sind die übergroßen Kürzel der klandestinen Künstlerkollektive in meist minimalistischem Silberchrom mit pechschwarzen Außenlinien, aus den genau auf illegale Bedürfnisse abgestimmten Fabrikaten spezialisierter Sprühdosenhersteller, gesprüht auf den Wänden der Kulturstadt Leipzig mit der eindeutigen Botschaft: Ich hab’ den Größten.

Gemeint sind eben nicht die „Tags“, die kleinen Filzstiftschmierereien, die Szenekneipen ihren alternativen Charme verleihen, sondern die richtig großen, nicht einfach dahingeschmierten, eben „gebombten“ Kürzel. Wobei die laut SpiegelTV „sich bekriegenden Crews“ oft peinlich darauf achten, die Bilder der „Gegner“ nicht zu crossen, zu übersprühen. (2) Was für Außenstehende wie die Genfer Konventionen des Graffiti erscheinen mag, ist jedoch wichtiger Bestandteil des hochkriminellen Wettstreits um die Vorherrschaft auf Leipziger Straßen. Nach unzähligen Bombings an immer prominenteren Stellen eskalierte der Krieg vor einigen Wochen. Das mehrere Jahre eingerüstete Ring-Messehaus gegenüber der Blechbüchse sollte wieder im morbiden Charme seiner unsanierten Fassade erstrahlen. Zum Vorschein kamen jedoch drei riesige chromfarbene Buchstaben – RCS. (3) Darüber noch ein zweistöckiges SNOW. Gemalt über die Weihnachtszeit kam es nun plötzlich zum Vorschein. Die Entrüstung des Hauses führte so freilich zur größeren selbigen von Medien und städtischen Vertretern. Nur ORG nahmen die Radicals-Kriegserklärung wirklich ernst und schlugen erbarmungslos zurück – zwei Wochen später prangte am nicht weit entfernten und ebenso zentral gelegenen Robotron-Haus ein noch riesigeres ORG-Bombing. (4)

Damit nahm der „Krieg um das größte Graffiti“ in Leipzig sein vorerst schreckliches Ende. Die Kriegsparteien allerdings laufen weiter unbehelligt auf den Straßen herum und nutzen die Zeit zur Aufrüstung. Und so bleibt die Angst vor dem, was da kommen mag.

Historischer Exkurs

Dabei war es nicht immer so gefährlich auf Leipzigs Straßen. Noch in letzten Jahrtausend standen Sprüher_innen Schulter an Schulter bspw. in Plagwitz und malten im friedlichen Wettstreit. Nachdem im Oktober 2003 mit der „Streichung“ dieser größten geduldeten „Wall of Fame“ die neue harte Linie der Stadt gegen Graffiti begann, änderte sich einiges. Der Verlust der über 250 Meter langen Wand machte Leipzigs Sprüher_innen derart traurig, dass sich etwa 200 von ihnen knapp einen Monat später in einem Trauerzug am Ort des Geschehens einfanden und Blumen und Kränze niederlegten. Die Trauer jedoch wandelte sich schnell in Wut und die Stadt wurde in einer ersten Welle mit tausendfachen „Meine Wand?“-Schriftzügen zugebombt. Die Botschaft und der dahinterstehende Diskurs wurde unübersehbar – Wem gehören eigentlich die vielen Wände? Den Eigentümer_innen oder denen, die sich das Recht heraus nehmen, ihre Umwelt so zu gestalten, wie sie es wollen? Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und so verbreitete sich der Slogan in den folgenden Monaten bis nach Halle und dank Zug-Kultur weit in die deutsche Graffitilandschaft.

Peter Sodann – Hallenser Theaterinten­dant, ehemaliger Tatort-Kommisar und Spießbürger erster Güte – ließ es sich damals nicht nehmen, die Graffitikultur als „ganz normalen Faschismus“ zu bezeichnen und wurde in der Folge mit Hitlerbärtchen per Schablonengraffiti selbst als Faschist verunglimpft. Auch sonst gab es allerlei kreative Aktionen der Sprüher_innen, die im Kontext der Leipziger Olympia-Bewerbung (siehe FA! #12) und der Fast-Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Conne Island den Diskurs um illegale und alternative Jugendkultur vs. sauberes Stadtimage antrieben.

Flatrate für den Frieden

Treibende Kraft hinter den damaligen städtischen Säuberungen war ein „Zusammenschluss von Leipziger Unternehmen, Immobilieneigentümern, Stadtverwaltung, der Sparkasse, den Verkehrsbetrieben, Gebäudedienstleistern, Handwerkern, und zahlreichen Privatpersonen“, das im März 2003 gegründete Aktionsbündnis STATTbild e.V., oder auch „Das Bündnis gegen illegale Graffiti in Leipzig“. (5)

Der Verein hat mit Institutionen wie dem Bundesgrenzschutz Leipzig und der Bundespolizei höchst sympathische Partner, betreibt in Zusammenarbeit mit dem Regionalschulamt und der Bildungsagentur Leipzig „Aufklärungsarbeit“ unter Schüler_innen und veranstaltet allerlei Fachberatungen mit Immobilienfirmen und Gewerbetreibenden rund um das Thema illegale Graffiti.

Neuerdings bietet der STATTbild e.V. zusammen mit Graffiti-Reinigungsfirmen, die selbst Mitglieder des Vereins sind, eine selbstentwickelte „Graffiti-Flatrate“ an. Hausbesitzer_innen zahlen einen monatlichen Pauschalpreis für die stete Beseitigung ungewünschter Farbe. Dass das die Sprüher_innen eher weiter anstachelt, als im Zaum hält, könnten die Wächter der Reinheit dabei sehr wohl im Hinterkopf haben. Mehr Graffiti bedeutet schließlich auch mehr Reinigungsaufträge, Profilierungsmöglichkeiten und CDU-Wählerstimmen. Nach außen hin geben sie sich aber nach wie vor naiv. Dass bspw. die Zahl der illegalen Graffiti in Leipzig maßgeblich durch ihre Initiative in der Zeit seit 2003 über 50% anstieg, während sie in anderen ostdeutschen Städten teilweise stagnierte, davon lassen sich die Flitzpiepen nicht beirren.

Aber ob durch Kalkül oder bürgerliche Naivität befördert – der Krieg um Leipzigs Wände geht weiter. RCS, ORG, SNOW, und wie sie sonst noch alle heißen, werden sich mit ihren eigenen Graffiti-Flatrates am Stadtbild beteiligen. Und so bleibt wohl vorerst alles, wie es ist. Schwarz und Chrom. Und manchmal bunt.

(shy)

 

(1) youtube/HQ8MwlyVZ_c

(2) ilovegraffiti.de/blog/2010/09/17/determined/

(3) www.welikethat.de/2012/04/18/einfach-mal-800-quadratmeter-illegal-bemalen/

(4) streetfiles.org/photos/detail/1412367/

(5) www.stattbild.de/

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