Das Thema Israel polarisiert die Linke. Wenn es um den Nahostkonflikt geht, sind viele nur zu rasch dabei, den israelischen Staat entweder in Grund und Boden zu verdammen oder sich bedingungslos damit zu solidarisieren. Angesichts dessen ist es durchaus sympathisch, dass sich der Soziologe Peter Ullrich nicht in diese festgefahrenen Frontverläufe einreihen will, sondern am Marxschen kategorischen Imperativ festhält, dass das „Wohlergehen jedes Einzelnen die Voraussetzung für das Wohlergehen aller“ zu sein habe. In seiner kürzlich erschienenen Broschüre „Begrenzter Universalismus“ untersucht Ullrich, wie sich das Verhältnis der sozialistischen oder kommunistischen Arbeiter_innen-Bewegung zum Judentum und zu Israel seit ihren Anfängen gestaltet hat.
Das Bild, das sich dabei ergibt, ist widersprüchlich. Im Frühsozialismus z.B. von Proudhon waren viele antisemitische Elemente enthalten – den üblichen Stereotypen entsprechend wurden Juden mit Reichtum und Wucher in Verbindung gebracht und als „Schmarotzer“ betrachtet. Ähnliche Äußerungen lassen sich auch bei Karl Marx (der selbst aus einer jüdischen Familie stammte) und Michail Bakunin finden. Zwar setzte in der Arbeiter_innen-Bewegung zum Ende des 19. Jahrhunderts hin eine stärkere kritische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ein, dieser wurde aber nach wie vor nur als untergeordnetes Problem wahrgenommen, das sich im Zuge des unaufhaltsamen Fortschritts der Geschichte schon von selbst erledigen würde.
Auch das Verhältnis zum Zionismus war ambivalent. Zum einen entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts zionistische Organisationen, die versuchten, das Projekt der nationalen Selbstbestimmung mit sozialistischen Ideen zu verbinden. Auch in sozialdemokratischen Kreisen stand man dem Zionismus meist positiv gegenüber. Dagegen verurteilte u.a. Lenin zionistische Bestrebungen und die Bildung eigener jüdischer Organisationen, da er dies als eine Abkehr vom Klassenkampf sah, die die Einigkeit des Proletariats untergrub. Dieser Antizionismus der Bolschewiki nahm unter Stalin weit bedrohlichere Formen an. So wurden beim so genannten „Ärzte-Komplott“ von 1953 einige Ärzte jüdischer Abstammung beschuldigt, sowjetische Führer ermordet oder deren Ermordung geplant zu haben – sie wurden schließlich hingerichtet. Der Antizionismus wurde hier zum offen antisemitischen Verschwörungsglauben. Ähnlich der Politik der Sowjetunion, die auch nach der Stalin-Ära ihre antizionistische Ausrichtung beibehielt, gestaltete sich die Politik der DDR.
Mit einer Betrachtung der Trotzkisten sowie der 1968 entstehenden „Neuen Linken“ und deren (eher ablehnendem) Verhältnis zu Israel endet die Broschüre. Insgesamt bietet Ullrich einen guten Abriss der geschichtlichen Entwicklung. Dass er sich dabei weitgehend auf die (staats)sozialistische Parteilinke beschränkt, ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass deren Geschichte weit besser erforscht und dokumentiert ist. Dennoch wäre es interessant gewesen, auch die anarchistische Linke einzubeziehen. Obwohl es schön wäre zu glauben, in der anarchistischen Bewegung hätte Antisemitismus keine Rolle gespielt, wäre hier eine nähere Untersuchung sicherlich aufschlussreich.
(justus)