Piraterie & Somalia

Wie die Internationale Gemeinschaft Konflikte fördert

 

Der deutsche Bundestag beschloss Ende Mai 2014 die Verlängerung des Mandates der seit 2008 laufenden militärischen EU-Operation „Atalanta“ um ein weiteres Jahr. Zur Legitimation wur­den seitens der Bundesregierung u.a. die Ziele des EU-Engagements her­vorgehoben: neben der Sicherung der Handelswege am Horn von Afrika vor allem die langfristige Stabilisierung, Befriedung und wirtschaftliche Ent­wick­lung von Somalia (1).

Die Internationale Gemeinschaft meint es also eigentlich nur gut. Für die Somalis, und den (auch wirt­schaftlichen) Weltfrieden wird daher kräftig in die Marine investiert. Ver­schwiegen aber werden dabei nicht nur andere mit dem Einsatz einhergehende Interessen, sondern auch die eigene Rolle, die überhaupt erst zur Ent­wicklung von Piraterie in Somalia führte. Noch dazu stellen sich die Ent­scheidungsträger_innen taub, wenn sie hören müssen, dass ihr Engagement vielmehr konfliktverschärfend als stabi­li­sierend auf Somalia wirkt.

 

Ursachen und Entwicklung der Piraterie

 

Die Piraterie am Küstenstreifen Soma­lias begann bereits vor Ende des Kalten Krieges, entwickelte sich aber vor al­lem ab 1991, nachdem das Barre-Re­gime gestürzt war. Während in den 90ern eher vereinzelt Schiffe gekapert wur­den, um Lösegelder zu erpressen, pro­fessionalisierte sich das Geschäft der Piraten ab den 2000er Jahren und hat­te neben 2008 – dem Beginn des mili­tärischen Engagements seitens der Internationalen Gemeinschaft – 2011 sei­nen Höhepunkt mit 214 versuchten Kaperungen (47 davon erfolgreich).

Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren vor allem jene internationalen Wirt­­schaftsakteure, die sich jetzt auch für ihre Bekämpfung stark machen: die maritime Fischereiwirtschaft. Die Pi­raterie entwickelte sich nämlich erst, nach­dem große Teile der ohnehin re­la­­tiv armen Küstenbevölkerung ih­ren Lebensunterhalt nicht mehr durch Fischerei sichern konnten und kaum al­ter­native Einkommensquellen besaßen. Der Regime-Sturz be­güns­tigte ein Ordnungs- und Macht­vakuum, welches auch zahlreiche Fisch­fangflotten aus der ganzen Welt nutzten, um die reichen Fisch­bestände der somalischen Gewässer zu befischen, ohne für Fischereilizenzen oder Kom­pensationen zu zahlen (zeitweise bis zu 700 illegale Flotten gleichzeitig). Doch nicht nur das: Zum Teil wurde mit illegalen Fangmethoden gearbeitet, so dass bestimmte Gewässerabschnitte buchstäblich leerge­fischt und der Be­stand nachhaltig de­zi­miert wur­de. Da­rüber hin­aus war­fen die inter­national agie­ren­den Traw­­ler ihren für sie minderwertigen Mit­­fang so billig auf den somalischen Markt, dass auch die ver­blei­benden Fischer die­ser Kon­kurrenz kaum stand­halten konn­ten.

In Folge dessen und in Ermangelung einer kontrollierten (staat­lichen) Li­zenzvergabe begannen einige Fischer wiederum ge­fälschte Lizen­zen auszu­stellen und ei­nige Warlords und andere lokale Führer kas­sierten Be­­stechungsgelder von Traw­lern und stell­­ten im Gegenzug Schutz­truppen, wel­­che die alleinige Nutzung der be­zahl­­ten Gebiete sicherten. Es kam zu ers­ten gewaltvollen Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf dem Meer zwischen ille­galen Traw­lern, Schutzgruppen und (ehe­mal­igen) somalischen Fischern so­wie einer bei­der­seitigen Bewaffnung. Zu­neh­mend mehr Fischer gingen nun dazu über, Lösegelder als Kompensation für ver­lo­ren­en Fischfang von den Traw­lern zu erpressen.

Ab dem neuen Jahrtausend profess­io­­nalisierte sich das Pirateriegeschäft zu­nehmend: durch größere Piraten­gruppen (1), vermehrte Nutzung tech­nischer Geräte wie GPS, eine räumliche Ent­fernung vom Küstenstreifen und Operationen mit einem sog. „Mut­ter­schiff“ als Piratenstützpunkt auf hoher See. Auch wurden zunehmend Han­dels­flotten, die auch für die Dauer der Lösegeldforderung in für die Piraten sichere Häfen transportiert wurden, zum Ziel der Ka­perungen.

Seit 2008 und mit dem Beginn der Militäreinsätze der Internationalen Ge­mein­schaft expandierte und eskalierte auch die Piraterie zunehmend: die Dau­er der Verhandlungen stieg von zwei auf bis zu sechs Monate, die Höhe der Lösegeldforderungen stiegen an und es fand eine räumliche Expansion weit in den Indischen Ozean bis hin zu den Seychellen statt. Seit 2012 ist ein Rückgang der versuchten Enterungen zu verzeichnen. Dies liegt sicher sowohl an der militärischen Piratenjagd seitens der Internationalen Gemeinschaft, als auch an der vermehrten Bewaffnung der Crews auf den Handelsflotten selbst. Dennoch ist dieser Rückgang weder ein Zeichen für Stabilisierung noch für die Verbesserung der Situation, sondern lediglich ein Ausdruck erfolgreicher Verdrängung und Verlagerung – welche sich schnell als Boomerang erweisen könnte.

 

Profiteure der Piraterie

 

Die ökonomischen Auswirkungen der somalischen Piraterie für den Welt­handel sind – im Gegensatz zum Eindruck, den man durch die mediale Berichterstattung ge­winnt – vergleichsweise gering. So betrug der Umsatzverlust für den welt­weiten Seehandel 0,1% im Jahr 2010. Für die deutsche Schifffahrt verringerte sich der Branchenumsatz um 2% (ca. 422 Millionen Euro) (2). Allerdings lan­det nur ein Bruchteil davon in den Hän­den der somalischen Piraten, die pro gekaperten Schiff zwischen 1-3 Mio. US-Dollar erbeuten (im Jahr 2008 ka­men so bspw. 30 Millionen US-Dollar zu­sammen). Der Großteil der Gelder fließt vielmehr an Versicherungen und die private Sicherheitsindustrie im Nor­den, die v.a. als Wachschutz und bei Lö­se­geldverhandlungen aktiv wird. An­­walts­kanzleien, Waffenhändler und Teile der somalischen Diaspora zählen ebenso zu den Profiteuren der Piraterie im globalen Norden.

Demgegenüber haben die Piraten-Gelder auch erheblichen Einfluss auf die somalische Wirtschaft. Einer­seits pro­fitieren davon ca. tausend Fa­milien mit ca. 10.000 Angehörigen fi­nanziell. Außer­dem wird der Ge­winn an ein brei­tes Netzwerk und Unterstützerumfeld ver­teilt, da die Pi­raten auf Infrastruktur bzw. sichere Häfen, umfassende Logistik und In­formationen angewiesen sind. An­­dererseits trägt die Piraterie jedoch auch zur Inflation, zur Verteuerung der Lebenserhaltungskosten und zum Ar­beitskraftmangel in der Fische­rei­wirtschaft bei.

In der Bevölkerung selbst ist Piraterie meist als legitime Einkommensquelle akzeptiert und wird zum Teil unterstützt. Allerdings mögen viele die Piratengruppen in ihrer Gegend nicht, da sie mit Waffen- und Men­schenhandel in Verbindung steh­en, Drogen und Alkohol in die Region bringen, zur Inflation und zum Werteverfall beitragen, den regionalen Schiffsverkehr behindern, und auch Schiffe ärmerer Länder und Schiffe des World Food Programme (WFP) der UN kapern. Übrigens gibt es zwischen Islamisten bzw. der Al-Shabaab und den Piraten keine belegte Zusammenarbeit, obgleich immer wieder Vermutungen kursieren, dass es Berührungspunkte gibt, oder in Zukunft geben könnte. Die Akzeptanz vieler Somalis gegenüber der Piraterie ist nicht nur damit begründet, dass ein Teil der Lösegelder auch in die somalische Wirtschaft und Familien fließen. Von vielen Somalis wird die Piraterie auch deshalb als legitim er­achtet, weil sich die Piraten selbst als Schützer des Meeres vor Überfischung und illegaler Fischerei darstellen. Die noch immer illegal agierenden Trawler verschiedenster Nationen werden als „Fisch­piraten“ bezeichnet, welche durch Kaperungen abgeschreckt wer­den sollen. Das erpresste Lösegeld wird als nachträgliche Pachtlizenz oder als Kompensationszahlung für ver­­gangene Fischausbeutung inter­pre­­tiert. Tatsächlich decken sich die jährlichen Einnahmen der Pira­ten ungefähr mit dem Verlust in der eigenen Fischereiwirtschaft. Löse­geld­forderungen bei Handelsflotten werden als legitimer Zoll für die Nutzung der somalischen Handelswege betrachtet. Im Gegenzug garantieren die Piraten eine sicherere Durchquerung der Meeres­passage und keine wei­teren An­griffe durch somalische Pi­ra­tengruppen – auch bei erneuter Durch­­querung in Zukunft.

 

Das Bedrohungsszenario und seine Konsequenzen

 

Diese ökonomischen Ursachen und Ursprünge der Piraterie werden gerne außen vor gelassen in der hie­sigen Debatte, die bspw. die Operation Atalanta rechtfertigen sollen. Statt dessen wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, um der Bevölkerung und vor allem den entscheidenden Parlamentarier_innen die Notwendigkeit des Einsatzes zu verdeutlichen. So wurde Piraterie auch vom UN-Sicherheitsrat als Bedrohung des internationalen Friedens und als kriegerische Handlung bezeichnet. Sie sei einerseits eine Bedrohung für den freien Handelsverkehr und erzeuge großen volkswirtschaftlichen Schaden. Andererseits werden auch Ver­bindungen zum Terrorismus hergestellt, um die Pira­terie als internationale Bedrohung er­schei­nen zu lassen. Schlussendlich wer­den, v.a. in der deutschen Debatte, be­sonders die Entführungen der Le­bens­mitteltransporte des World Food Programme der UN hervorgehoben, wel­che das Wohlergehen der somalischen Bevölkerung bedrohen.

Als Ursache von Pira­terie gilt in diesen Diskursen meist Staats­zerfall und eine da­raus resultierende Ge­walt- und Kriegs­­öko­nomie. Auf re­gio­­nale Unter­schiede hin­­­­­­­gegen wird kaum ein­ge­gangen, ob­wohl bspw. So­maliland (3) auf­grund ei­gener lokaler Ord­­nungs­strukturen frei von Piraterie ist und Pi­ra­tenstützpunkte und Rück­­zugshäfen v.a. auf Punt­land und Zentral-Somalia konzentriert sind. Denn die Internationale Gemein­schaft unterstützt lieber den Aufbau zen­tral­staatlicher Strukturen mit Ge­waltmonopol nach westlichem Vor­bild.

Durch die Bedrohungs-Argumentation lassen sich weltweit die mi­li­tärischen Mis­si­onen rechtfertigen – ob­gleich sie finanziell nicht im Verhältnis zum wirtschaftlichen Scha­den ste­hen. Insgesamt sind über 20 Staaten militärisch bei Somalia aktiv, größ­tenteils off-shore (2008/2009 wurden 40 Kriegsschiffe gezählt). Neben ein­zelnen Marine-Flotten – bspw. aus China, Indien, Russland, Korea, Japan, Malaysia und dem Iran – gibt es drei multilaterale Militäreinsätze bei Somalia: die Operation Atalanta der EU, Ocean Shield der NATO und die Combined Task Force der USA. Die Piratenjagd auch im staatlichen Hoheitsgewässer Somalias wurde 2008 durch die UN-Resolution 1816 legi­timiert. Weitere Resolutionen folgten und legitimierten sukzessive mehr Kriegsschiffe, die Jagd vom Festland aus, Gefangennahmen und Geleitschutz.

Zudem wird auch fleißig in den Aufbau von zentralstaatlichen Strukturen in­vestiert und die somalische Über­gangsregierung unterstützt, die inner­halb der Bevölkerung wenig Rückhalt genießt und demzufolge nicht durch­setzungsfähig ist. Bspw. werden deren Sicherheitskräfte vom Westen mit aus­gebildet und unterstützt (seit 2010 im Rahmen der EU-Mission EUTM Somalia). Investitionen in zivile Struk­turen, Entwicklungshilfe oder öko­nomische Anreize für die somalische Bevölkerung finden hingegen kaum statt. So sammelte man bspw. auf einer Geberkonferenz 2009 in Brüssel 213 Mio. Euro für Somalia, von denen lediglich 2% in nicht-militärische Aktivitäten investiert wurden (4).

Die Schifffahrtsindustrie selbst fährt mit Unterstützung ihres jeweiligen Her­kunftslandes unterschiedliche Stra­tegien des Selbstschutzes. Sie reichen von defensiven Ansätzen, wie Wachen, Zäune, Schallkanonen usw., über bewaffnete Mannschaften bis hin zur Anwendung offensiver militärischer Gewalt, die gezielte Tötung, Beschuss und Geiselbefreiung einschließt.

 

Das Karussell der vielen Interessen

 

Da das kostenintensive militärische Engagement der Internationalen Ge­mein­schaft bei Somalia in keinem Ver­hältnis zum wirtschaftlichen Scha­den steht und die Bedrohung zwar für die Arbeitnehmer_innen auf den Flotten real ist, jedoch als globales Bedrohungsszenario kons­truiert erscheint, drängt sich die Fra­ge auf, warum dann so viel in diese Militäreinsätze investiert wird. Ein Blick auf die vielfältige und komplexe Interessenlage der maritimen Wirt­schaft, staatlicher Agenturen und mili­tärischer Akteure, gibt darüber Aufschluss.

Zum einen werden natürlich öko­nomische Interessen verfolgt, wie die freie Nutzung der eigenen Han­delswege, der Schutz eigener Fisch­fangflotten und die Verringerung der Kosten, die durch gekaperte Schiffe, zeitliche Verzögerungen oder maritime Umwege entstehen. Bemerkenswert ist zudem, dass viele an der Piratenjagd beteiligte Länder noch immer eigene, auch illegale Trawler in der Region fischen lassen.

Zum zweiten scheint die Beteiligung vieler Länder von geo­stra­­tegischen bzw. geo­po­litischen Interessen mo­ti­viert zu sein. Der Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf zufolge ist der Indische Ozean die „Hauptbühne des globalen Wettbewerbs im 21. Jh.“, und die Kontrolle darüber bedeutet Einfluss und Herrschaft (5). Eine der wichtigsten Handelswaren ist dabei das Rohöl. Geopolitisch scheint es vor allem eine Rivalität zwischen der EU und den aufstrebenden asiatischen Nationen wie China und Indien zu geben. Sie werden mitunter als Bedrohung für westliche Interessen gesehen, weil sie militärisch aufrüsten, einen großen Ressourcenbedarf haben und demzufolge Konkurrenten sind. Darüber hinaus stellen sie den „freien Märkten“ das Modell des „staatszentrierten Kapitalismus“ gegen­über und investieren – vor allem China – viel in afrikanische Länder, bspw. in Entwicklungshilfe, Infrastruktur, Roh­stoffe, Handel und Technik. Durch militärische Präsenz kön­nen alle Beteiligten ihre Einflusszone aus­weiten. Des Weiteren ist der Einfluss auf die somalische Politik von geo­strategischem Nutzen – sei es beim Wett­lauf um Res­sour­cenvorkommen in Afrika oder beim Kampf gegen globalen Terrorismus oder bei der erwünschten Kontrolle im Indischen Ozean.

Zugleich ist der Einsatz am Horn von Afrika auch eine De­monstr­ation mi­li­tä­rischer Macht und welt­­politischer Hand­lungs­fäh­igkeit. Beispiels­weise kann sich die EU mit der Operation Atalanta als auß­enpolitisch ein­fluss­reicher und handlungsfähiger Akteur profilieren, und auch die NATO hat hier ein neues maritimes Aufgabenfeld. Ebenso können die Länder hier ihre militärischen Kapazitäten testen: Die Marine kann ihre Nützlichkeit demons­trieren, Aufrüstung forcieren und mi­li­tärische Fähigkeiten erproben, ohne sich dabei großen Gefahren auszusetzen. Beispielsweise hat Japan im Zuge des Einsatzes seine erste Militärbasis in Dschibuti etabliert und China seine Marinekapazitäten ausgebaut. Das gemeinsame militärische Engagement ist darüber hinaus eine Chance, internationale Beziehungen und Kooperationen neu zu gestalten, bspw. zwischen China und den USA, die durch ihre gemeinsame Mission eine neue Verhandlungsbasis haben, und eröffnet auch perspektivisch die Möglichkeit, Seerechtsregelungen neu zu gestalten.

Dagegen haben die somalischen Piraten und die sie unterstützende Bevölkerung keine militärisch oder geostrategisch inspirierten Interessen. Primär verfolgen sie ökonomische Interessen, was auch die Wahrung der Fischbestände einschließt. In politischer Hinsicht fordern sie, dass illegale Fischerei auch international geahndet wird und eine finanzielle Kompensationen stattfindet. Übrigens auch dafür, dass europäische Staaten seit den 80ern ihren Giftmüll vor der somalischen Küste verklappten, was ca. 300 Somaliern das Leben kostete und Krankheiten und Fischsterben her­vor­brachte. Die EU wei­gert sich bisher, Scha­densersatz zu leis­ten und den Müll fachgerecht zu ent­sorgen, ob­gleich das See­­rechtsabkommen nicht nur Piraterie, son­dern auch ille­gale Fischerei und Müllverklappung ver­bietet. Auch die Anerkennung von loka­len Ordnungsstrukturen und Au­to­nomie bspw. in Somaliland oder Puntland liegt im Interesse der lokalen Autoritäten – bei den Piraten lässt sich mutmaßen, dass Piraterie auch ein Mittel ist, um die Clan-Souveränität über bestimmte Gewässerabschnitte ge­genüber der Internationalen Ge­mein­schaft zu demonstrieren.

 

Antipirateriemission als Konfliktverschärfer

 

Soweit so schlecht. Doch die Bilanz wird noch düsterer, wenn man sich die konfliktverschärfenden Folgen des militärischen Engagements anschaut: Zwar gibt es einen Rückgang der erfolgreichen Piratenangriffe seit 2011 und der generellen Attacken seit 2012, allerdings ist dies kein Beleg für eine Stabilisierung der Region – vor allem nicht, wenn sich Gewalt nur verlagert. So führt der Wissenschaftler David Kersting aus, dass eine Verlagerung des maritimen Aktionsraumes statt­fand, bis hin zu den Seychellen, sowie ein Ausweichen auf kleinere Küs­tenstandorte als Rückzugsraum. Eben­so wird eine Verlagerung der Kri­minalität der Piraten hin zu anderen Geschäftsfeldern wie Kidnapping und Diebstahl festgestellt. Gleichzeitig führ­te das militärische Engagement auch zu Eskalationen in mehrfacher Hin­sicht: Die geforderten Lösegelder sind heute wesentlich höher, die Ver­hand­lungsdauer ist um mehrere Mo­nate gestiegen, ebenso hat die Ge­walt­bereitschaft der Piraten im Zuge zu­nehmender beiderseitiger Be­waff­nung deutlich zugenommen. Bei­spielsweise gab es über 3.000 ent­führte Seefahrer zwischen 2008 – 2011, seit 2008 mindestens 61 tote See­fah­rer und allein 2011 mindestens 111 tote Piraten. Insgesamt scheint also das bewaffnete Engagement der In­ternationalen Gemeinschaft die Ver­la­­gerung, aber auch Eskalationen im Ab­­lauf der Kaperungen zu fördern. Kon­­fliktverschärfend kommt neben der gestiegenen Gewaltbereitschaft hin­zu, dass viele der an der Piratenjagd be­­teiligten Staaten zeitgleich illegale Fisch­fangflotten vor Ort belassen oder – wie Kenia und der Jemen – noch offene Grenz­konflikte mit Somalia haben. Das beför­dert nicht nur das generelle Miss­trauen in der Bevölkerung jedweder aus­ländischer Intervention gegenüber, son­dern auch ihre Solidarität und Unterstützung gegenüber den Piraten.

Eine nachhaltige Stabilisierung und Be­friedung Somalias durch das internationale Engagement kann hin­gegen nicht festgestellt werden. Sie ist an­gesichts der genannten Interessen auch nicht zu erwarten, da diese den Be­darfen und Interessen der somalischen Bevölkerung zuwiderlaufen: Denn zum ersten versucht die Internationale Ge­meinschaft – geostrategisch motiviert – den Zentralstaat aufzubauen, statt lo­­kale Ordnungsstrukturen, die Clan-basiert in verschiedenen Teilen So­ma­lias bestehen, zu respektieren, ein­­zubeziehen und zu stärken. Zum zwei­ten finden kaum Investitionen in die zivile Bevölkerung und alternative Er­werbseinkommen bzw. zum Aufbau öko­nomischer Strukturen statt. Das aber entspräche den eigentlichen Be­darfen der Bevölkerung und könn­te darüber hinaus auch der Pira­te­rie den Legitimationsboden ent­zie­hen. Zum dritten zeigt die In­ter­nationale Gemeinschaft keine Be­­reitschaft, Verantwortung für die prak­­tizierte illegale Fischerei und Gift­müll­verklappung zu übernehmen, sprich Kom­pensationszahlungen zu täti­gen und eigene illegale Trawler zu ahnden. Hier stehen die ökonomischen In­te­ressen der Internationalen Ge­mein­schaft im Widerspruch zu öko­no­mischen und politischen Interes­sen der So­malier, sprich die Clan-Souveränität gegenüber den eigenen Fisch­gründen und Meeresterritorium zu respektieren. Zum vierten wird Piraterie noch mit Terrorismus verknüpft, was wie­de­rum zur Zerstörung von lokalen Strukturen beiträgt, die auch Piraterie be­kämpfen, und die Etablierung ei­ner etwaigen Ordnung langfristig ver­­hindert. Zum fünften stehen die geostrategischen Interessen im In­dischen Ozean der Beendigung des Mi­li­täreinsatzes generell entgegen, da das aufgebaute Bedrohungsszenario ja allen nützlich ist, um geopolitische Spiel­regeln zu definieren und mili­tä­rische Kooperationen zu erproben. Allen, außer den Somaliern selbst. Es drängt sich der Eindruck auf, dass ihr Terri­torium von der Internationalen Gemeinschaft als Spiel­wiese genutzt wird – legitimiert mit dem Argument, es ginge um die nachhaltige Ver­besserung und Sta­bi­li­sierung der Ver­hält­nisse in Somalia. Zurück bleibt ein zer­trampeltes Feld – mitnichten aber ein Boden auf dem Gras stabil und nachhaltig drüberwachsen könnte.

 

momo

 

(1) http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/04/2014-04-30-mandat-atalanta.html

(2) Neben den sog. Subsistenzpiraten, die aus ehemaligen Fischern und Familienangehörigen bestehen, gibt es fünf große Piratengruppen, die mit Ausnahme der Somali Marines anhand von Clan-Strukturen organisiert sind und – in friedlicher Koexistenz zueinander – in verschiedenen Gebieten operieren. Die Somali Marines sind mit 1.500 organisierten Menschen die größte Piratengruppe in Somalia.

(3) Somaliland ist eine Region im Norden Somalias mit eigenen autonomen Ordnungsstrukturen. Sie wird als de-facto-Regime bezeichnet, da sie als unabhängiger Staat vom Großteil der anderen Staaten nicht anerkannt wird.

(4) David Kersting 2013: Piraterie vor der Küste Somalias: Eine kritische Perspektive auf das Horn von Afrika als geopolitische Arena; In: Elliesie, Hatem (Hg.): Multidisziplinary Views on the Horn of Afrika; Studien zum Horn von Afrika Band II, Köln, S. 1-34

(5) Birgit Mahnkopf 2010: Piratenhatz am Horn von Afrika. Zur politischen Ökonomie eines Piratenkonflikts und seiner geopolitischen Bedeutung; IPG 1/2010; S.58-81

 

weitere Literatur:

* Marchal, Roland 2011: Somali Piracy: The Local Contexts of an International Obsession. Humanity: An International Journal of Human Rights, Humanitarianism, and Development Volume 2, Number 1: 31-50.

* Mari, Francisco; Heinrich, Wolfgang 2009: Von Fischen, Fischern und Piraten; In: Wissenschaft und Frieden 2009-2: Ressourcen, Ausbeutung, Krieg, Elend

* Matthies, Volker (2010): „Piraten vor Somalias Küsten: Kanonenbootdiplomatie oder Friedenspolitik?“.  In Luedtke, Ralph-M. & Peter Strutynski (Hg.): Kapitalismus, Krise und Krieg: Den Kreislauf durchbrechen. Kassel, S. 68-85.

Schreibe einen Kommentar