Politische Betätigung im Schatten des Ausländerrechtes

In Grimma im Landkreis Leipzig besetzten vier Familien – 18 Personen, darunter 10 Kinder – am 23. Juni 2009 eine Kirche, um auf die schlechten Bedingungen im Asylbewerberheim Bahren aufmerksam zu machen. Sie forderten die Möglichkeit in eigenen Wohnungen unterzukommen und verweigerten die Rück­kehr ins Heim. Sie nahmen dafür einen unbeheizten Kirchenraum, harte und schmale Kirchenbänke, Verzicht auf warmes Essen und Dusche, böse Blicke, fremdenfeindliche Parolen und die ständige Angst geräumt zu werden in Kauf.

Der öffentliche Druck und der Unwillen der Kirche die ungewollten Gäste zu dulden oder die Aussagen politischer Verantwortungsträger, sich nicht erpressen lassen zu wollen, führten nach zwei Wochen zur Beendigung der Aktion. Drei der Familien kehrten ins AsylbewerberInnenheim in Bahren bei Grimma zurück. Mitt­ler­weile hat die Ausländerbehörde die Anträge auf dezentrale Unterbringung von zwei der beteiligten Familien bewilligt. Für die vierte Familie allerdings, deren Vater als „Rädels- und Wortführer“ für die Besetzungsaktion ausgemacht und mehrfach in der Presse so tituliert wurde, stand weder die Rückkehr nach Bahren, noch eine eigene Wohnung zur Debatte. In Form einer Zuweisungsentscheidung wurde ihnen am 06.07.2009 mitgeteilt, dass sie sich im Asylbewerberheim Plauen einzufinden haben, andernfalls könnten sie mit Freiheits- oder Geldstrafen rechnen. Mittlerweile wurde der Asylantrag der nun in Plauen lebenden Familie abgelehnt. Ihnen droht die Abschiebung.

Bei der Grimmaer Kirchenbesetzung handelte es sich formal nicht um Kirchenasyl, da keinem/r der Besetzenden – zum damaligen Zeitpunkt – eine Abschiebung drohte. Die MigrantInnen, die aus Palästina, dem Libanon und vermutlich Afghanistan und Russland stammen, betätigten sich politisch. Zwei Familien konnten so ihr Ziel erreichen. Ob die Verlegung und nun drohende Abschie­bung der vierten Familie mit der ihnen zugeschriebenen „Rädels­führ­erschaft“ zusammenhängt, bleibt eine Mutmaßung. Zu­min­dest dürften die Schritte vor diesem Hintergrund schneller eingeleitet worden sein als im normal-bürokratischen Regelfall.

Die Rote Hilfe Leipzig nimmt den kurz angerissenen Fall zum Anlass, um zu schauen, wie es um die politischen Rechte von Menschen ohne deutschen Pass steht. Die Hannoveraner Ortsgruppe der Roten Hilfe hat sich auf Basis der bestehenden Gesetze mit eben jener Frage auseinandergesetzt:

 

Für Menschen ohne deutschen Pass gelten Son­dergesetze wie das Aufenthaltsge­setz. Ihre politische Betätigung wird da­durch ein­ge­schränkt. Die Rote Hilfe OG Han­nover hat sich aufgrund der Repression gegen türkische und kurdische Ge­noss­Innen und ver­mehr­ten Anfragen von ju­gendlichen Mi­grant­Innen aufgrund ihrer politischen Arbeit mit den geltenden Rechtsgrundlagen aus­einandergesetzt. Dieser Text ist eine erste Zusammenfassung dieser Recherche. Interessant wäre, konkrete Fälle und Grund­satz­urteile zu analysieren und daraus eine Hand­lungs­empfehlung für den Umgang mit politischen Prozessen und Vor­gehens­weisen gegen die Repression der Ge­noss­­Innen ohne deutschen Pass zu entwickeln.

Allgemeingültige Vorschriften bei Strafverfahren wegen politischer Betätigung

Bei Verfahren wegen politischer Betätigung gelten Rechtsgebiete wie das Strafrecht (festgelegt im StGB) und die Straf­prozess­ordnung (StPO), das Versamm­lungs­recht oder das Ordnungs­widrig­keitengesetz für MigrantInnen ebenso wie für Menschen mit deutschem Pass. In den jeweiligen Gesetzen sind die Strafen für Vergehen gegen definierte Tatbestände festgelegt – sie gelten für alle Betroffenen.

Im Strafgesetzbuch sind Tatbestände definiert, die unter Strafe stehen. Die §§ 80 bis 130 bezeichnen Straftaten von Landesverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates über Straftaten gegen ausländische Staaten oder die Landesverteidigung oder die öffentliche Ordnung, Widerstand gegen die Staatsgewalt etc., die Grundlage für viele politisch motivierte Strafverfahren sind.

Die Strafprozessordnung regelt, wie der Ablauf von Strafverfahren aussieht. Dieser ist auch für alle Betroffenen gleich, egal welchen aufenthaltsrechtlichen Status sie haben. Das bedeutet, dass die dringende Empfehlung, nicht zu polizeilichen Vorladungen zu erscheinen, niemals und unter keinen Umständen Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu machen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gilt. Ebenso die Pflicht, bei Vorladungen durch Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter sowie zum eigenen Prozesstermin zu erscheinen. Beschuldigte haben prinzipiell das Recht, die Aussage zu verweigern.

Ausländerrecht und politische Betätigung

MigrantInnen, die sich politisch betätigen und insbesondere an Demonstrationen teilnehmen, gehen ein doppeltes Risiko ein. Ihnen drohen im Zweifel nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung, sondern auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen von Ablehnung einer späteren Einbürgerung bis hin zu einer Ausweisung.

Für Menschen ohne deutschen Pass gelten neben den allgemeingültigen Regelungen wie dem Straf- oder Versammlungsrecht Sondergesetze wie das Aufenthalts­ge­­setz (AufenthG) oder das Asylver­fahrens­ge­setz (AsylVfG). Ihre politische Betätigung wird durch Vorschriften wie § 47 des AufenthG und die Residenzpflicht als Fol­ge der §§ 56 ff. des AsylVfG eingeschränkt.

Ausweisung

Besonders bedrohlich für politisch Aktive ohne deutschen Pass ist die Mög­lichkeit der Ausländerbehörden, zusätzlich zu Strafen nach allgemeingültigem Recht aufenthaltsrechtliche Sanktionen zu ergreifen.

Im AufenthG sind Gründe für Zwingende Ausweisung, Regelausweisung und Ermessensausweisung definiert. Am schwierigsten ist es, gegen Begründungen für eine Zwingende Ausweisung nach § 53 Auf­enthG vorzugehen. Dies trifft z.B. Menschen, die wegen Landfriedensbruchs zu Strafen ohne Bewährung verurteilt wurden. Am größten ist die Gefahr einer Ausweisung / Abschiebung nach einer Ver­ur­teilung. Auch ohne dass eine Frei­heits­strafe von bestimmter Dauer verhängt wor­den sein muss, gelten Aus­län­der­Innen als „besonders gefährlich“, wenn sie ohne Be­währung wegen Landfriedensbruchs im Rahmen einer verbotenen öf­fent­lichen Versammlung verurteilt wurden.

Die Ausländerbehörde kann aber schon während eines Ermittlungsverfahrens (also vor der Verurteilung) versuchen, politisch aktive MigrantInnen unter dem Vorwurf einer „schweren“ Straftat, z.B. schweren Landfriedensbruchs auszuweisen.

Eine Regelausweisung nach § 54 wird verfügt, wenn sich der/die Betreffende an „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen“ aus einer Menschenmenge heraus im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung beteiligt hat. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht Bedingung der Ausweisung.

Einbürgerung

Bei dem Antrag auf Einbürgerung werden Behörden und Polizei standardmäßig nach Einwendungen gegen die Einbürgerung gefragt. Auch eine Anfrage beim Verfassungsschutz wird als Regel durchgeführt. Da alle Verfahren an die Ausländerbehörde weitergeleitet und gespeichert werden, besteht hier die Gefahr, dass bekannte politische Betätigung als Hinderungsgrund bei einem Antrag auf Einbürgerung geltend gemacht wird.

Es ist ebenfalls möglich, dass Menschen, deren Einbürgerung noch nicht 3-5 Jahre zurückliegt Schwierigkeiten aufgrund politischer Strafverfahren bekommen und ein Widerrufsverfahren eingeleitet wird.

Was tun?

Bei politischen Prozessen gegen Mi­grant­Innen ist die Unterstützung durch So­li­da­ri­tätsgruppen und AnwältInnen be­son­ders wichtig. Die Frage, wie Prozesse ge­führt werden sollen, ist gut zu überlegen. Es ist unbedingt notwendig, auf Wi­der­spruchsfristen bei aufenthaltsrecht­lichen Fragen zu achten, Verfahren genau zu dokumentieren und rechtzeitig juristisch gegen die Ausweisung / Abschiebung oder sonstige Einschränkungen wie Ab­leh­nung eines Einbürgerungsantrages un­ter Einschaltung einer AnwältIn vorzugehen.

Der Rechtsweg läuft bei Fragen des Aufenthaltsgesetzes über das Verwaltungsrecht und die Verwaltungsgerichte.

Flüchtlinge, deren Asylantrag anerkannt ist oder die eine Duldung wegen drohender Folter oder drohender Todesstrafe haben, werden durch die Europäische Menschen­rechts­- und die Genfer Flücht­lings­kon­ven­tion vor Abschiebung geschützt. Aber: Die politische Zusammenarbeit, z.B. zwischen BRD und Türkischer Republik, führt zu prak­tischen und juristischen Auf­weich­ungen.

Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis sind generell stark bedroht! Deshalb: Sofort nach einer Verhaftung durch die Polizei mit anwaltlicher Hilfe einen (zweiten) Asylantrag stellen, um eine drohende Abschiebung zu verzögern und Zeit für weitere Schritte zu gewinnen.

(Rote Hilfe)

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