Radikalisiere dein Leben

Albrecht Paluttke:#5 (vorletzte Folge)*

Albrecht Paluttke, pensionierter Bimmelfahrer, wohnt mit Lebensgefährtin Rita in Leipzig/Stötteritz. Oft treiben ihn düstere Gedanken früh um 5 aus den warmen Federn, weg von seiner Rita. Ob respektlose Kontrolleure & überteuerte Fahrpreise (Fa! #12), größenwahnsinnige Stadtpolitik in Form der Leipziger Olympiabewerbung, gegen die auch Stiefsohn Olaf aktiv ist (FA! #13), durch Hartz IV bedingter Wohnungswechsel (FA! #14) oder die irritierende Erfahrung der Leipziger Montagsdemos (FA! #15)… (Redax)

Mann, Mann, Mann, ich fass es nicht! Jetzt hab ichs echt gepackt mir das Laken ums Bein zu wickeln! Jetzt aber raus aus der Falle – kann ja eh nicht mehr weiter pennen. Oh je oh je, erst mal nen Schluck Wasser.

Olafs Ausbruch sitzt mir immer noch im Kopf . Mir schwirrt der Schädel und ich komm nicht zur Ruhe.

„Mensch Albrecht“, Papa hat er mich nur einmal genannt – damals als er erleichtert festgestellt hat, dass ich der Weihnachtsmann war, – „is das echt alles?! Ich weiß du hängst dich ungern zu weit ausm Fenster, aber so blind kannst du doch nicht sein!…Du immer mit deinem `Ich hab nicht viel zu sagen im Leben, was soll ich den Leuten groß erzählen?`-Quatsch. Entweder du machst dir deine Gedanken, oder nicht! Wenn du so nen Mist, wie `wer solls denn zahlen, wenn nicht die, dies nutzen.`, von dir gibst, machst du sie dir auf alle Fälle nicht!“

Das war natürlich ganz schön starker Tobak für mich. So hat der Junge noch nie mit mir geredet und mit einem ‚Komm mir bloß nicht so…` konnte man das auch nicht abbügeln.

Aber von vorne: das Ganze fing an, als der Junge tagelang nicht bei uns vorbei kam. Wenn ich nach ihm gefragt hab, hat Rita bloß mit den Schultern gezuckt. Doch irgendwann meinte sie mit ernster Miene, ich solle am besten selbst mal hingehen. Nun ist es nicht so, dass ich nicht gern mal in dieser Wohngemeinschaft in Connewitz vorbeischaue, solang ichs noch schaffe die Gerümpelberge im alternativ bewohnten Haus zu übersteigen, ist das alles kein Problem. Aber nach diesem ganzen komischen Gehabe war natürlich klar, dass diesmal richtig was im Busche war und dass es auf irgend eine ziemlich unangenehme Art was mit mir zu tun haben musste.

Als ich mich dann schließlich am nächsten Tag dorthin aufgerafft hatte, war er zunächst nicht da. Ist ja klar; diese jungen Leute sind ja alle ständig unterwegs. Ohne Termin läuft da nix mehr. Aber ich hab ja Zeit und so hab ich mich erst mal in dem chaotischen Zei­tungshaufen auf dem WG-Lesetisch umge­seh­en. Nachdem ich mich ungefähr 2 Stunden durch eine Menge Stoff mit den abstrusesten Weltverbesserungs-Theorien gearbeitet hatte und mich gerade in ein kleines schülerzeitungsartiges Heft vertiefen wollte, wo es laut Inhaltsangabe in einem Artikel irgendwie um das morgendliche Stötte­r­itz gehen sollte, kam Olaf plötzlich mit einer Kiste voll, nicht mehr ganz taufrischem Ge­müse rein, was er sicher wieder irgendwo kos­tengünstig aufgetan hat. Sein trotziger Blick fiel auf das Heft in meiner Hand und für einen Moment, schien er komischerweise sei­ne Selbstsicherheit zu verlieren. Dann fasste er sich schnell wieder, nahm es mir aus der Hand und murmelte etwas von: „… inter­essiert Dich doch eh nicht so was…“. „Was soll mich nicht interessieren“, meinte ich, nun langsam schon etwas aufbrausend, „denkst du ich merke nicht, dass irgendwas mit dir nicht stimmt? Was hab ich dir denn ge­tan?“, fragte ich, nun schon fast etwas hilflos.

“Nun“, meinte er, „weißt Du, es ist vielleicht nicht ganz gerecht, jetzt einfach auf dich wütend zu sein, aber wenn man merkt, dass man auf einmal unter gewisse negative Klassifizierungen einer Person fällt, die und deren Meinung einem eigentlich immer viel be­deutet haben, dann ist das erst mal ziemlich hart. Ums kurz zu machen, Albrecht: ich fahre seit längerer Zeit schwarz mit der Tram und letzte Woche bin ich erwischt worden. Ich habe wie immer versucht abzuhauen, aber die schicken mittlerweile richtig gut ausgebildete Teams los, denen du auch wirklich nicht mehr auf den ersten Blick ansiehst, dass sie Kontrolleure sind. Du kannst mir jetzt sagen, `Junge, hättste doch was gesagt, wenn de keen Geld hast.`, aber da­rum gehts nicht – nicht nur. Schwarzfahren hat nicht nur was mit `kein Geld haben` zu tun,. Außerdem habt ihrs ja auch nicht so dicke. Ich finde die sollen spüren, dass sie sich mittlerweile wirklich zu viel rausnehmen. Wenn Du Dir ankuckst, was man jetzt mittlerweile für den Nahverkehr berappen muss – das geht echt an die Substanz. Und das ist genau der Punkt, wo ich schon ziemlich auf Dich sauer bin, Albrecht. Du gibst Kommentare von Dir, dass die Kontrolleure doch bitte freundlicher sein sollen, dass Du ja verstehst, wenn `Unbelehrbare` verfolgt werden müssen, aber man solle doch nett zu den Fahrgästen sein und verschanzt Dich in Deiner schönen heilen Straßenbahnfahrer-Romantik Was glaubst Du denn was heutzutage los ist?! Das ist nicht bloß eine `Jagd auf Unbelehrbare`. Die Leute haben kein Geld mehr, um die eh schon überhöhten Nahverkehrs­prei­se zu bezahlen und was macht die LVB? Die schicken mitt­lerweile richtige We­ge­lager­­er­banden los. Denkst Du, da machen wir uns noch Gedanken wegen ein paar unter Tarif be­zahlter Kon­trol­leure?!“

Ich will nicht sagen, dass ich besonders baff war. Eigentlich hab ich so was schon länger geahnt, zumal ich ja weiß was der Junge und seine Freunde manch­mal so für Sachen treiben. Aber das dann direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen, ist natürlich schon erst mal nicht einfach. Ich hab mich dann schon ziemlich für die Firma geschämt, aber vor allem auch für mich selbst. Für diese blöde Gefühlsdudelei, mit der ich oft den alten Zeiten hinterher hänge. Ja ja, die Tramfahrer-Romantik… Dieses ‚früh raus, rein in die Uniform, die Tasche mit der Thermoskanne untern Arm und ab hinters Schaltpult, ist halt doch nicht alles, was da mit dem Job zusammenhängt. Am besten wär es halt wirklich, wenn die Leute gar nichts für den Nahverkehr bezahlen müssten.

… Aber das geht halt nun wirklich nicht … in diesem System.

Ich war gerade am Gehen, da hatte ich das Gefühl noch was vergessen zu haben, ich drehte mich noch mal zu diesem Heft auf dem Zeitungstisch um. Nette Farbe dieses lila und die Arbeiter mit den alkoholischen Getränken auf der Titelseite machten auch einen sympathischen Eindruck, aber FEIER­ABEND! – was ist den das für ein Name?! … libertäres 11/2 monatsheft … Kurzent­schlossen packte ich das Heft ein. Die schienen ja eh stapelweise davon zu haben hier – in den Ecken türmten sich neben den riesigen Staubflocken, die für diese linken Wohngemeinschaften zur Pflichtausstattung zu gehören scheinen, mindestens weitere 50 Exemplare – und so hab ich wenigstens nen Grund mal wieder hier aufzutauchen.

Nachdem wir dann noch den Rest des Abends mit dem Rest der Wohngenmeinschaft über all diese tollen linken Visionen vom Zeitungstisch diskutiert haben, brummte mir zwar ganz schön der Schädel, aber mit Olaf war alles soweit wieder im Lot.

Tja Rita. Jetzt biste auch wieder wach geworden… Na ja, ihr habt schon recht. Das Leben ist halt kein Bulgarienurlaub – und der Kapitalismus erst recht nicht. Aber was sind denn das schon wieder für Gedanken..? Auf der anderen Seite.. Radikalisiere ich mein Leben oder es mich?!

Na ja, mach was de willst – ich geh jetzt wieder ins Bett… Dieses Feierabend-Heft kann ich mir auch morgen noch ankucken.

lydia

(bisherige Folgen auf: www.paluttke.de.vu)

* Namen, Ereignisse und Sachverhalte entsprechen nicht der Realität und sind als reine Fiktion zu verstehen. (die Redax)

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