Rot-Grüne Bilanz – für eine alternative Atompolitik!

Im letzten Monat rollte er wieder quer durch Frankreich und Deutschland, der Atomtransport von Le Hague zum Zwischenlager Gorleben, jene weißblitzende Raupe aus Castoren, diesmal nicht nur aus sechs sondern gleich zwölf Gliedern bestehend. Sind solche Transporte unvermeidlich? Sind Proteste sinnvoll und wichtig? Gibt es Alternativen zum ‚offiziellen‘ politischen Konsens? Fragen und Antworten zu der politischen Diskussion um das Problem der Atomkraftnutzung.

F: Du bist doch Atomkraftgegner. Hast Du vor vier Jahren die Grünen gewählt?

A: Ja.

F: Na, dann musst Du doch jetzt zufrieden sein – das klingt doch alles ganz gut, was da so passiert ist. Endlich gibt’s den Atomausstieg!

A: Also – als erstes möchte ich klarstellen, dass die Grünen ziemlich geschickt waren – und zwar, was die positive Darstellung auch der größten Zumutungen betrifft. Da kann ich Menschen, die sich nicht intensiv mit der Materie befassen, gar nicht vorwerfen, dass sie das nicht so kritisch sehen. Begriffe zu besetzen, darauf kommt es in der Politik an.

F: So, da bin ich aber mal gespannt, was so schlimm daran sein soll, dass ein jahrzehntelanger gesellschaftlicher Konflikt einvernehmlich im Konsens gelöst wurde. Endlich gibt’s keine ideologischen Grabenkämpfe um die Atomkraft mehr!

A: „Konsens“ ist so ein Begriff. Das bedeutet eigentlich, dass alle beteiligten Personen oder Gruppen einverstanden sind. Der „Atomnonsens“ wurde aber ausschließlich zwischen der Bundesregierung und einigen Atomkonzernen ausgehandelt. Das ist etwa so, wie wenn die Regierung mit der Fleischerinnung über die flächendeckende Einführung der vegetarischen Ernährung verhandelt. Wenn da hinterher alle zufrieden sind, muss doch was faul sein.

F: So, was ist denn faul am Atomausstieg? War doch klar, dass es nicht von heute auf morgen geht. Immerhin gibt’s jetzt ein absehbares Ende der Atomkraftnutzung in Deutschland!

A: Auch das ist leider nicht wahr. Kurz nachdem Stoiber zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, verkündete er, als erstes den „Atomausstieg“ rückgängig machen zu wollen. Doch die Atomindustrie bremste ihn: Die Branche stehe zu der Vereinbarung. (Siehe Zitat) Es wurde eine Reststrommenge von über 2600 Terawattstunden vereinbart; das entspricht der Menge, die von 1968 bis 2000 erzeugt wurde. Mensch kann also höchstens von der „Halbzeit“ der Atomkraftnutzung in der BRD sprechen. Zudem liegt diese Strommenge über der technischen und wirtschaftlichen Lebensdauer der AKWs.

Otto Majewski, Chef des Bayernwerks und Präsident der Lobbyisten-Vereinigung „Deutsches Atomforum“: „Unser erklärtes Ziel, die deutschen Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht. Die rot-grüne Bundesregierung wäre durchaus in der Lage gewesen, den Bestand und den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen.“

Zitat aus dem „Konsensvertrag“: „Die Bundesregierung gewährleistet den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung.“

F: Na ja, der Ausstieg ist eben nicht von heute auf morgen zu haben. Ich habe gelesen, dass immerhin das AKW Stade 2003 stillgelegt wird. Ist nicht das wenigstens ein Erfolg?

A: Jedenfalls kein politischer. Die Stilllegung erfolgt nicht, weil die Regierung das so will; vielmehr hat der Betreiber HEW das von sich aus entschieden, weil das kleine, alte AKW nicht mehr wirtschaftlich arbeitet.

F: Warum sind Strommengen schlechter als Laufzeiten in Jahren?

A: Die Strommengen beinhalten eine zynische Logik: Jeder Stillstand, z. B. nach Störfällen, führt zu einer umso späteren Stilllegung! Die Bundesregierung muss also möglichst störungsfreien Betrieb garantieren; jeglicher Protest wird ad absurdum geführt, da jede kurzfristige Stilllegung den Betrieb letztlich verlängert.

F: Aber die gefährliche Wiederaufarbeitung ist doch wenigstens verboten?

A: Nein, nicht sofort, auch nicht 2005, wie oft behauptet: dann werden lediglich die Transporte in diese Anlagen eingestellt. Mit dem bis dahin angelieferten Material können die Plutoniumfabriken noch bis 2015 weiterarbeiten.

F: Immerhin gibt es doch ein Verbot, neue AKWs zu bauen – ist das auch falsch?

A: Das ist kein Erfolg von rot/grün, denn seit den 80ern wurde in Deutschland kein neues AKW gebaut, also auch nicht in den 16 Jahren Regierungszeit der Atomkraft-Befürworter von CDU/CSU/FDP.

F: Zum ersten Mal spricht eine Regierung wenigstens von Ausstieg, das ist doch toll, oder?

A: Das hat in der Tat was Gutes, weil Atomkraft als negativ dargestellt wird. Der Haken dabei ist: zum ersten Mal wird zwar gesetzlich anerkannt, dass Atomkraftnutzung tatsächlich Risiken beinhaltet; die Konsequenz besteht jedoch darin, dass die Gesellschaft diese Risiken eben als sozial angemessen hinnehmen muss. Schließlich ist der Ausstieg politisch ja nicht erreichbar. Das setzt auch jeglichen Hoffnungen (wer solche denn noch hatte), das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit evtl. einklagen zu können, ein Ende.

F: Aber der abnehmende Protest vom November 2001 zeigt doch, dass anscheinend viele Leute mit dem Konsens zufrieden sind, oder?

A: Auch das sehe ich anders. Sicherlich waren im November weniger Leute gegen den Transport unterwegs als noch im März. Das hat jedoch mehrere Ursachen. Erstmals wurde zweimal in einem Jahr ein Gorleben-Transport durchgesetzt. Dazu kommt, dass sich viele Leute, die sich gegen Atomenergie engagieren, auch in anderen sozialen Bewegungen wiederfinden. Das letzte Jahr war besonders ereignisreich: ich erinnere an Göteborg, Genua, Bonn, Salzburg … Die meisten Menschen haben nicht das ganze Jahr über frei. Und schließlich wurde auch die Repression verschärft; der Polizei gelang es besser als früher, den Widerstand unsichtbar zu machen. Z. B., indem Leute weit außerhalb der „offiziellen“ Demoverbotszone, ohne konkreten Vorwurf in Gewahrsam genommen wurden. Das macht Aktionen schwierig.

F: Wenn der Transportestopp aufgehoben wurde, dann wurde doch bestimmt der Strahlenschutz verbessert?(1998 hatte Frau Merkel als Reaktion auf den „Castor-Skandal“ einen unbefristeten Transportestopp verhängt, der erst von Herrn Trittin aufgehoben wurde.)

A: Leider wurden die Probleme mit den Behältern nicht wirklich gelöst. Es gab so absurde Maßnahmen wie eine Plastikhülle (!), um Kontaminationen zu vermeiden. Noch absurder ist ein anderer Begriff im Zusammenhang mit der Strahlenschutz-Novelle: der der „Gleichberechtigung“. Damit wurde begründet, dass Schwangere jetzt auch im inneren Kontrollbereich von Reaktoren arbeiten dürfen … Schwachradioaktiver Müll muss nicht mehr getrennt „entsorgt“ werden, er kann also (nach dem „Recycling“) überall wieder auftauchen, z. B. beim Straßenbau oder in Kochtöpfen oder Zahnspangen; niemand wird’s direkt merken. Auch tritiumbelastetes Wasser kann überall hin abgelassen werden.

F: Das Endlager Gorleben wurde doch verhindert – eine langjährige Forderung der Bewegung?

A: Nein, es wurde nicht verhindert, es gibt nur einen vorübergehenden Erkundungsstopp, keinen grundsätzlichen Zweifel an der Eignung. Dafür ist rot/grün die erste Regierung, die mit Schacht Konrad ein Endlager genehmigte.

F: Aber immerhin wird mit den dezentralen Zwischenlagern die Zahl der Transporte verringert – auch eine alte Forderung der Bewegung!

A: In der Tat. Damit wird jedoch der Widerstand unterlaufen und der Sinn der Forderung ins Gegenteil verkehrt: Ziel war und bleibt die sofortige Abschaltung; stattdessen dienen die Zwischenlager dem Weiterbetrieb der Anlagen. Nicht der vorhandene, sondern neu entstehender Müll wird dort gelagert.

F: Starker Tobak – Du willst ja auch gar nichts Positives sehen … War’s das jetzt?

A: Schön wär’s. Manche brisanten Aspekte werden leider in der Öffentlichkeit komplett verschwiegen. Dazu gehört, dass die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau, allem Ausstiegsgerede zum trotz, ausgebaut wird. Am Ende wird sie fast doppelt so viele AKWs mit Brennstoff versorgen können, wie es hierzulande gibt. Dazu kommt, dass dort abgereichertes Uran als Abfall entsteht – sogenanntes DU (depleted uranium), bekannt aus den DU-Geschossen, die über dem Irak, dem Kosovo und höchstwahrscheinlich auch in Afghanistan eingesetzt wurden. Überdies bietet die UAA Gronau die Option, mit geringfügigen technischen Änderungen atomwaffenfähiges hochangereichertes Uran herzustellen. Der Forschungsreaktor in Garching darf 10 Jahre lang mit solchem Uran hantieren (trotz der Panikmache nach dem 11. September), und in Büchel lagern weiterhin US-Atomwaffen, für deren Einsatz auch deutsche Piloten ausgebildet werden.

F: Du hast doch die Grünen gewählt – worauf haben sich denn Deine Hoffnungen gestützt, was hätte die Bundesregierung denn besser machen können?

A: Inzwischen ist mir klar, wie absurd es ist, Hoffnungen auf eine Regierung zu setzen … Dennoch möchte ich ein paar Möglichkeiten nennen:

# die Rückstellungen in Milliardenhöhe auflösen oder hoch besteuern; …

# die Besteuerung von Uran, das als einziger Energieträger nach wie vor vollkommen steuerfrei ist;

# eine angemessene Haftpflichtversicherung für AKWs; rot-grün hat die Versicherungssumme um den Faktor 10 erhöht – von 0,01%auf 0,1% der zu erwartenden Schäden. Natürlich könnten diese Schäden nicht finanziell behoben werden – eine Gleichbehandlung der AKWs in dieser Hinsicht mit z. B. jedem Kraftfahrzeug würde zu ihrer sofortigen Unrentabilität führen;

# Verpflichtung zu Nachrüstungen auf den aktuellen Stand von Wissenschaft u. Technik;

# Hermes-Bürgschaften für Siemens-Auslandsprojekte streichen (AKW-Nachrüstungen in Slowenien, Argentinien, Litauen; sogar Neubau in China)

F: Was hältst Du von „außen Minister, innen grün“-Fischer?

A: Nur eine Anekdote: Er hat 1987 als Umweltminister in Hessen mitgeholfen, einen Atomunfall bei Siemens in Hanau zu vertuschen, indem er eine Untersuchung stoppte, als diese die ersten brisanten Ergebnisse brachte („Hanauer Kügelchen“).

F: Und was denkst Du Dir jetzt angesichts dieser verheerenden Bilanz?

A: Mit Parteipolitik gibt’s offenbar keinen Ausstieg; ich setze auf außerparlamentarische Bewegung und glaube den schönen Reden noch weniger als vorher. Ich werde mich mal intensiver mit anarchistischen Ideen befassen … Wenn wir was ändern wollen, müssen wir es selbst in die Hand nehmen; niemand nimmt uns die Arbeit ab!

wolf

(Wir möchten uns für das eingesandte Selbstinterview noch einmal bedanken. Kopf und Ärmel hoch! [Anmerkung d. Redaktion])

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