Roter Stern Leipzig: Umzingelt!

Nach den beiden Spielabbrüchen in Brandis und Mügeln ist klar geworden: Das Leipziger Umland dominieren die Faschisten. In Brandis stürmte ein brauner Mob gleich nach Anpfiff das Spielfeld und griff Spieler und Fans der Fussballmannschaft des Roten Stern Leipzig (RSL) tätlich an. In Mügeln brach der Schiedsrichter kurz vor Ende ab: Die rassistischen und antisemtischen Sprechchöre der „heimischen Fans“ waren selbst dem Unparteiischen zu viel geworden. Die Stadtoberen schweigen sich aus. Beim Roten Stern muss mensch sich derweil auf weitere Übergriffe einstellen. Der Feierabend! sprach mit einem aktiven Vereinsmitglied über die gegenwärtige Situation in und um den Verein.

„Roter Stern“ – Steht das eigentlich für mehr als für unterklassigen Fußball auf Stolperplätzen? Und was verbindet Dich mit dem Verein?

Unbedingt! Sonst würden wir ja kaum soviel Aufmerksamkeit erregen. Zuerst einmal haben wir von anderen Vereinen völlig verschiedene Strukturen. Bei uns kann jedes Vereinsmitglied mitmachen, mitgestalten. Die Diskussionen während des wöchentlichen Plenums stoppen uns zwar manchmal, weil jede/r Anwesende etwas beizutragen hat. Die flachen oder nicht vorhandenen Hierarchien machen aber Themenauswahl und Diskurs unheimlich interessant. Auch wenn wir zur Zeit aus aktuellem Anlass kaum andere Themen besprechen als unsere Auswärtsfahrten.

Auch ein im alternativen Milieu angesiedelter Fußballverein, der dazu noch am aktiven Spielbetrieb des DFB teilnimmt, ist wohl (leider und noch) recht einmalig in diesem Land. Es gibt zwar noch einige weitere „Rote Sterne“, in Halle, Altenburg, Berlin oder Lübeck etwa, aber wir sind auch sportlich recht erfolgreich.

Als die Fußballer letzte Saison von der Stadtliga in die Bezirksklasse aufgestiegen sind, war die Euphorie ja groß. Wie ist das derzeitige Stimmungsbild innerhalb und um die Mannschaft, im Verein, nach den faschistischen Übergriffen und Spielabbrüchen in Brandis und Mügeln?

Schwierig zu sagen. Natürlich machen die Fahrten ins Leipziger Umland zur Zeit keinen Spaß. Das geht den Spielern und den Anhängern so. Du kannst im Rückblick quasi spüren, wie schön es in einer Stadt wie Leipzig ist. Trotz aller Probleme. Ich möchte nicht mit unseren Fans in Mügeln tauschen (ja, auch dort gibt es Lichtblicke), die täglich durch Nazis angegriffen werden können. Passiert ja leider auch ab und an.

Fast noch schlimmer als die Übergriffe ist aber die kaum vorhandene Unterstützung in der Stadt. Ich meine nicht linke Gruppen oder engagierte Einzelpersonen. Hier klappt die Vernetzung recht gut. Aber im Fußballverband, bei gegnerischen  Spielern und „dem Bürger“ weht uns ganz schön der Wind entgegen. Die machen uns ernsthaft mit für die Ereignisse von Brandis und Mügeln verantwortlich. „Links ist das gleiche wie Rechts“, und „Ihr tragt doch die Politik ins Stadion!“. Auch von den Parteien kommt außer von der sächsischen Linken und den Grünen recht wenig. Vor allem auf städtischer Ebene hat sich kaum jemand geäußert. Man muß sich das nochmal bewußt machen: Faschisten begrüßen uns in ihren Dörfern und Städten mit rassistischen, homophoben und antisemitischen Sprüchen oder wollen uns gleich „platt machen“. Der gesunde Menschenverstand sollte das sofort unterbinden. Antifaschismus scheint aber nicht mehr Grundüberzeugung einer großen Anzahl von Menschen zu sein. Traurig, traurig.

Inwieweit waren sich die „Roten Sterne“ über die politische Bedeutung des Aufstieges bewußt? Gab es da Vorkehrungen oder stand nur das Sportliche im Vordergrund?

Wir haben schon mit Problemen gerechnet. Aber in diesem Ausmaß konnte das keiner vorhersehen. Wir haben natürlich überlegt, wie wir gefahrlos zu den Spielen kommen, deshalb gibt es die ganze Saison schon gemeinsame An- und Abreise von Spielern und Fans. Der Weg ist dadurch nicht das Problem, sondern das Verhalten der gegnerischen Fans bei den Spielen.

Mittlerweile begleitet uns eine Hundertschaft Polizei zu den Spielen. Die behandeln uns aber eher wie gewaltbereite Fußballfans und tun alles, um uns als das Problem darzustellen. Das wurde nach dem Überfall in Brandis sehr deutlich. In der ersten Presseerklärung behauptete die Polizei, sie hätte die Gewalttäter getrennt, woraufhin sich Nazis und Sterne gegen die Polizei zusammengeschlossen hätten. Zum Glück hatten wir genügend Video- und Fotomaterial, um diese Behauptung zu widerlegen. Bedenklich stimmt das dennoch.  
 
Gibt es schon Strategien, wie man den Problemen im Leipziger Umland in Zukunft begegnen will? Bewußter Abstieg etwa? Und wie können andere Projekte, Gruppen und Individuen den Roten Stern dabei unterstützen?

Ein bewußter Abstieg wird natürlich nicht kommen. Das wäre niemandem zu vermitteln. Man könnte es so sagen: Das Projekt „Roter Stern Leipzig“ ist in Phase zwei eingetreten. Lustig war gestern, jetzt machen wir ernst. Es ist ja nicht so, dass wir die Probleme machen, die sind schon da! Und, wie ein Radiomoderator des MDR es so schön sagte, der Rote Stern leuchtet jedes Mal rot auf, wenn es in den Städten und Dörfern östlich von Leipzig faschistische Umtriebe gibt. Das (noch nicht offizielle) Urteil von Mügeln kommt uns auch entgegen. Obwohl wir bei Spielabbruch mit 0-2 hinten lagen, bekommen wir die Punkte aufgrund der dort gerufenen Parolen und der gezeigten Hitlergrüße. Wenn das Schule macht, achten die Vereine in Zukunft sicherlich ein wenig mehr auf „ihre“ Jungs und Mädels. Eine erste Reaktion eines anderen Vereins gibt es auch schon. Tresenwald Machern überlegt, gegen uns auf ihr Heimrecht zu verzichten und das Spiel im Dölitzer Sportpark auszutragen. Haben wohl ein wenig Angst vor der eigenen Courage.

Wo siehst Du den Roten Stern in 10 Jahren? In der Ersten Bundesliga? Oder etwa im Stadtrat?

Keine Ahnung. Wirklich. Unsere Jugend wird immer besser. Wenn die alle im Verein bleiben, sieht es gut aus, dass wir uns im Bezirk etablieren. Von den Zuschauern her sind wir schon höherklassig. Türkiyemspor oder Tebe Berlin sind da eher Gradmesser. Aber ich will darüber gar nicht nachdenken. Wichtig ist eben nicht nur auf dem Platz. Wenn wir es schaffen, den alternativen Charme zu behalten, feiern wir 2019 20 Jahre RSL. Das wäre ein gutes Zeichen, auch gegen die Nazis!

Danke Dir für die ausführlichen Antworten. Der Feierabend! drückt den Roten Sternen selbstverstandlich die Daumen.
Venceremos!

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