Rundumschlag: Graffiti

„Keine Macht dem Amtsblatt!“

Nachdem das Leipziger Amtsblatt ja bereits Mitte des letztens Jahres durch einen offenen Aufruf zur Denunziation negativ aufgefallen war (siehe FA! #1), fordert es in der Ausgabe vom 4. 2. 2003 „Keine Macht den Sprayern!“ und liefert uns eine Zwischenbilanz des städtischen Anti-Graffiti-Programms. So brüsten sie sich damit, dass 49 % aller Leipziger Schulen inzwischen keimfrei seien, das Brücken „gereinigt“ wurden und die „Blau-Gelben-Engel“ des Ordnungsamtes rund 280 m2 Bilder und Schriftzüge und 1272 Plakate entfernt haben. Auch die Propagandakampagnen in Schulen sollen inzwischen gestartet sein.

Soviel Aufwand um nichts kostet natürlich Geld: „Allein können wir angesichts der angespannten Haushaltslage das ehrgeizige Programm nicht schultern“, meint Bürgermeister Holger Tschense. Wenigstens ein positiver Aspekt der Finanzschwäche der Kommunen. „Trotzdem ist es eine unserer Schwerpunktaufgaben im nächsten Jahr, für die wir 70000 Euro einstellen wollen.“ Das Geld könnte mensch doch sicher sinnvoller einsetzen, zum Beispiel für Olympia, den City-Tunnel, mehr Marketing-Gags und vielleicht mal was ganz anderes, auch wenn es irgendwie surreal klingen mag: für soziale und kulturelle Projekte. Na, Tschense, wir können Sie sicherlich beraten!

Erste Opfer des Anti-Graffiti-Programms

Auch Andere brauchen Beratung, wenn auch die eines Rechtsanwalts: fünf Menschen wurden bereits Opfer des Anti-Graffiti-Wahns und müssen jetzt mindestens Bußgeld blechen, wenn sie nicht gar wegen Sachbeschädigung verurteilt werden.

Zur Erinnerung (siehe auch FA! #2 und #3): im September wurde eine Ergänzung der Polizeiverordnung beschlossen, nach der das „unerlaubte Beschriften, Bemalen, Besprühen und Plakatieren“ als Ordnungswidrigkeit eingestuft und mit einer Geldbuße bis zu 1000 Euro bestraft werden kann. Und damit das auch möglichst oft passiert, gibt es für Blockwarte, Obrigkeitshörige, frustrierte Kleinbürger und ex-Stasi-Mitarbeiter als Extra-Schmankerl ein Ordnungstelefon, wo nach Lust und Laune gepetzt werden kann. Drei der fünf Stadtverschönerer wurden auch schon Opfer solcher DenunziantInnen.

In den Weihnachtstagen wurden drei jugendliche „Hausbeschmierer“ mitgenommen. Zwei Männer wurden durch einen Wachmann beim Bemalen von Wänden und Schaufenstern mit schwarzen Stiften in der Innenstadt erwischt. Ein 17jähriger wurde von einer Anwohnerin beobachtet, wie er eine Hauswand in der Wiederitzscher Ecke „bekrakelte“. Nach LVZ-Angaben müssen sich alle drei wegen Sachbeschädigung verantworten, wobei das aber zweifelhaft ist, da Filzstiftspuren wohl ohne Beschädigung des Untergrunds entfernt werden können. (Quelle: LVZ vom 28./ 29. 12. 2003)

Am frühen Morgen des 12. Januar wurden zwei jugendliche Sprayer vorläufig festgenommen, vernommen und an ihre Eltern übergeben. Nach Polizeiangaben sollen sie eine Hauswand an der Naumburger Straße besprüht haben. Eine Anwohnerin zeigte Zivilcourage und rief sofort ihre Freunde und Helfer. „Kurz danach klickten in Tatortnähe die Handschellen.“ (Quelle: LVZ vom 14. 1. 2003) Über die Inhalte der Graffiti wurde nichts berichtet.

Niederlage für Graffitijäger

Gleichzeitig mussten die Graffittijäger einen herben Rückschlag einstecken. Philip W, der als „SNOW“ wegen einem Eisenbahn-Graffiti vor Gericht stand, wurde freigesprochen, weil an dem Reisewagen der Deutschen Bahn kein „erheblicher Substanzverlust" festgestellt werden konnte.

Da nicht sein kann, was nicht sein darf; ging die Staatsanwaltschaft in Berufung und die Stadtoberen signalisierten ihre Enttäuschung darüber, dass an dem Bahnwagen keine Schäden entstanden sind und drohen: „Die Sprayer sollten dieses Urteil nicht als Ermutigung für ihr ungesetzliches Tun sehen!“ (Tschense)

Auch in der LVZ kam der Bürgersinn für Ordnung und Sauberkeit zu seinem Recht. Manche Leser wurden „bei solchen Urteilen wahnsinnig", andere wähnten sich „im Land Absurdistan“, hofften „dass man selbst nicht mit solchen Juristen zu tun bekommt“, verloren das Vertrauen in den Rechtsstaat, beklagten den schwachen Staat, der sich „von Sprayern so auf der Nase herumtrampeln lässt", befürchteten dass Graffitti Olympia gefährdet, oder fühlten sich demotiviert, „illegale Sprayer bei ihren Untaten zu stören“.

Da hatten die Richter wohl die falsche Objektivität im Schädel. Aber das kriegen wir schon wieder hin: Denn, jeder kann ja mal einen Fehler machen. Und wenn es beim zweiten Mal nicht klappt, werden halt die Richter entlassen, wenn sie das falsche Urteil fällen, oder es werden einfach die Gesetze verschärft…

Anti-Graffiti national

OBM Tiefensee schrieb einen Brief an „Justizministerin Brigitte Zypries [um] seine Unterstützung für eine Gesetzesinitiative des Bundesrates [zu] signalisieren, wonach die Anbringung illegaler Graffiti – unabhängig davon, ob sie eine Substanzverletzung der beschmierten Sache bewirken oder nicht – ein Vergehen der Sachbeschädigung darstellt.“ (Amtsblatt 4. 2. 03) Diese Bundesratsinitiative ging von Baden-Würtemberg aus (siehe Kasten unten) und wurde am 20. Dezember an die Bundesregierung weitergeleitet.

Fazit

Mir fällt negativ auf, dass sich in Leipzig kaum Widerstand gegen diese Hetzkampagne und systematische Verfolgung einer bestimmten Personengruppe, einer suburbanen Kultur und einer eigenen Form von Kunst regt. Hauptsache das eigene Häuschen wird nicht beschmutzt, der Rest scheint den meisten Menschen in Leipzig egal: Graffiti wird als entartete Kunst denunziert und der Standortideologie und einem halluziniertem „allgemeinem Wertesystem“ geopfert. Ziel ist die Verbesserung der Verwertungsbedingungen für Investoren in Leipzig und die Befriedigung des deutschen Sauberkeits- und Ordnungsfetisch.

Wir leben in Zeiten von weitreichenden Flexibilisierungen (siehe auch Hartz/Leiharbeit), der Ausweitung von Marktprinzipien auf viele Bereiche des menschlichen Lebens und der Renaissance des starken Staates. Eine Gefahr, die nicht unterschätzt werden sollte.

francis & kater murr

Mit dem Gesetzentwurf will der Bundesrat den Tatbestand der (gemeinschädlichen) Sachbeschädigung um die insbesondere durch Graffiti verursachten Verunstaltungen ergänzen. Das äußere Erscheinungsbild einer Sache gehöre zu den inneren Werten des Eigentums selbst und müsse dem Schutz des Gesetzes unterworfen werden. Der Entwurf schlägt deshalb vor, die Defizite des geltenden Rechts dadurch zu beheben, dass künftig alternativ zur Zerstörung oder Beschädigung einer Sache die nicht nur unerhebliche Veränderung des Erscheinungsbildes einer Sache gegen den Willen des Eigentümers oder sonst Berechtigten für die Erfüllung des Tatbestandes genügt.“

(aus der Pressemitteilung: „Bundesrat bringt Graffiti-Bekämpfungsgesetz beim Bundestag ein“)

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